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Das Ahrtal des Mitgefühls

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
244 Seiten
Deutsch
Barton Verlagerschienen am12.01.20241. Auflage 2023
»Verwundbarkeit ist die soziologische Signatur unserer Zeit. Das Ahrtal ist hierfür ein Symbol - für die Verwundbarkeit unserer leiblichen Existenz, aber auch für die Verwundbarkeit der Infrastrukturen, die uns umgeben und die wir im gesellschaftlichen Alltag für selbstverständlich halten. Diana Ivanova zeichnet in Miniaturen, Fragmenten, Gedankentexturen und Gesprächssplittern das Bild der lokalen Gesellschaft des Ahrtals, die sich jäh mit dem Verlust der Alltagsroutinen konfrontiert sah. Auf diese Weise entsteht eine Atmosphäre der Empathie, die die physischen, psychischen und sozialen Wunden ebenso sichtbar macht, wie die überwältigende kollektive Erfahrung von Zusammenhalt und Solidarität. Das Buch von Diana Ivanova macht die Sicht frei auf die Potentiale, die in unserer von Krisen verunsicherten Gesellschaft stecken. Kunst und Kultur spielen hier eine herausragende Rolle: die Kunst des Einander-Zuhörens und die Kultur, zur rechten Zeit mit einer Klaviersonate Hoffnung in einer ausweglos scheinenden Situation zu geben. Die Energie der kleinen Gesten ist die Stärke der Fragmente aus dem Ahrtal des Mitgefühls.« (Prof. Dr. Berthold Vogel, Geschäftsführender Direktor am Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. an der Georg-August-Universität)

Diana Ivanova wurde in Montana, Bulgarien geboren. Sie lebt seit 2020 in Bad Bodendorf. Sie arbeitet interdisziplinär als Journalistin, Kuratorin, Gruppentherapeutin und Trauma-Yoga-Therapeutin mit Forschungsschwerpunkt Trauma und Erinnerung. Seit 2022 ist sie Autorin des Podcasts »89 Schritte« über die Menschen im Ahrtal nach der Flutkatastrophe.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Verwundbarkeit ist die soziologische Signatur unserer Zeit. Das Ahrtal ist hierfür ein Symbol - für die Verwundbarkeit unserer leiblichen Existenz, aber auch für die Verwundbarkeit der Infrastrukturen, die uns umgeben und die wir im gesellschaftlichen Alltag für selbstverständlich halten. Diana Ivanova zeichnet in Miniaturen, Fragmenten, Gedankentexturen und Gesprächssplittern das Bild der lokalen Gesellschaft des Ahrtals, die sich jäh mit dem Verlust der Alltagsroutinen konfrontiert sah. Auf diese Weise entsteht eine Atmosphäre der Empathie, die die physischen, psychischen und sozialen Wunden ebenso sichtbar macht, wie die überwältigende kollektive Erfahrung von Zusammenhalt und Solidarität. Das Buch von Diana Ivanova macht die Sicht frei auf die Potentiale, die in unserer von Krisen verunsicherten Gesellschaft stecken. Kunst und Kultur spielen hier eine herausragende Rolle: die Kunst des Einander-Zuhörens und die Kultur, zur rechten Zeit mit einer Klaviersonate Hoffnung in einer ausweglos scheinenden Situation zu geben. Die Energie der kleinen Gesten ist die Stärke der Fragmente aus dem Ahrtal des Mitgefühls.« (Prof. Dr. Berthold Vogel, Geschäftsführender Direktor am Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V. an der Georg-August-Universität)

Diana Ivanova wurde in Montana, Bulgarien geboren. Sie lebt seit 2020 in Bad Bodendorf. Sie arbeitet interdisziplinär als Journalistin, Kuratorin, Gruppentherapeutin und Trauma-Yoga-Therapeutin mit Forschungsschwerpunkt Trauma und Erinnerung. Seit 2022 ist sie Autorin des Podcasts »89 Schritte« über die Menschen im Ahrtal nach der Flutkatastrophe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783934648746
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum12.01.2024
Auflage1. Auflage 2023
Seiten244 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse18681 Kbytes
Artikel-Nr.13443915
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2020. Zusammen mit Martin beschließen wir, das Haus seines verstorbenen Vaters in Bad Bodendorf zu übernehmen. Mitten in der Pandemie ist es ein gutes Gefühl, von Bonn nach Bad Bodendorf zu ziehen. Wir fangen an, das Haus zu renovieren, und die Flut überrascht uns mitten in den Renovierungsarbeiten. Für Martin wird es eine zusätzliche Veränderung - sein Therapiezimmer wird auch von der Flut beschädigt, er kann da nicht mehr arbeiten. Wir führen viele tiefe Gespräche und ich merke, dass die Flut für uns beide nicht nur Schwere, sondern seltsamerweise auch Leichtigkeit gebracht hat. Das fasziniert mich, diese Vielfalt und Intensität der Gefühle, der Erlebnisse. So beginnt in mir die Idee zu reifen: einen Podcast mit Gesprächen zu machen. Wie ist es bei den anderen? Ist es auch so? Ich will weg von den Bildern und bei den Stimmen bleiben. Stimmen sind lebendig, wir sprechen und atmen und das Leben geht weiter. Ich möchte durch das 89 km lange Ahrtal fahren und mit Menschen am Fluss sprechen. Mein erster Gesprächspartner ist Martin. So beginnt der Podcast 89 Schritte.

Ganz zurück dahin, wo es mal war, wird es nicht gehen. Aber es wird viele Schritte brauchen. Wenn wir zum Beispiel jetzt hier im Hintergrund das Wasser rauschen hören. Das kenne ich seit meiner Kindheit, und das hat völlig sein Gesicht verändert. Es sieht ganz anders aus als früher, und die Brücke, die es hier gab, die 30-40 Jahre gestanden hat, da sieht man nur noch die Reste. Es sind viele kleine Schritte, natürlich an unendlich vielen Stellen. Ich bin optimistisch, dass es sehr schön werden kann, anders als vorher. Eben haben wir die Nachbarn getroffen, das gehört zu den Schritten ja auch mit dazu. Als wir hierherkamen, kannten wir kaum jemanden, und im letzten halben Jahr seit der Flut haben sich ganz, ganz viele Bekanntschaften neu entwickelt. Wir sind schrittweise aufeinander zugegangen, wir haben uns geholfen, und so entstehen eben Freundschaften, mehr Vertrautheit. Es wird alles neu gemischt. Zum Beispiel dachte ich jetzt gerade, die Nachbarn, die wir in dieser akuten Zeit kennengelernt haben, wo wir alle beschäftigt waren. Wir haben den Dreck aus den Häusern rausgeschafft, so schnell wie möglich, wir haben Container beladen in kürzester Zeit. Wir waren beschäftigt, wir waren nie in Ruhe. Und heute war eigentlich das erste Mal, dass wir mit denen in Ruhe ein paar Schritte gemeinsam spaziert sind, so zufällig. Und es gab nichts zu tun. Ich fand das jetzt richtig angenehm. Mal fünf Minuten oder zehn Minuten mit den beiden zu quatschen, so wie man das eigentlich macht, ist auch ein Stück Normalität.

Oder hier sehen wir noch eine Aufschwemmung, ein kleines Stückchen Plastik. Als wir das erste Mal hier waren, lagen hier Autos zerknautscht, Plastikfaser⦠Alleine, wenn wir uns hier umschauen, sehen wir schon, wieviel in diesen sechs Monaten passiert ist, was sich verändert hat, was wieder natürlicher geworden ist, und für mich ist das ja ein Zeichen oder viele Zeichen von Zuversicht. Hier, die Bogenschützen haben ihre Stände für die Zielscheiben schon wieder aufgebaut. Drumherum, um das Gelände kann man schon wieder erkennen, wie das Gras den Platz überwuchert und dass wahrscheinlich nächstes Jahr hier wieder geschossen werden kann. Das ist irgendwie schön!

Mit meinen Patienten sprechen wir über die einzelnen Schritte. Wir sind mehr im täglichen Handeln. Das Thema wird immer wieder zumindest gestreift, weil es ja auch Auswirkungen auf alles mögliche hat. Ich denke schon, es geht darum, auf der einen Seite wahrzunehmen, was passiert ist, schrittweise die damit verbundenen Gefühle an sich heranzulassen, aber auch das wieder Schritt-für-Schritt. Wenn ich jetzt von uns oder von mir selbst ausgehe, dann war das am Anfang so, dass wir alle funktioniert haben. Wir hatten kurzfristige Ziele, Keller leer zu bekommen und was weiß ich, alles Mögliche. Da war für Gefühle wenig Platz, sehr wenig Platz. Auch das verändert sich. Wenn ich jetzt zum Beispiel hier sehe, an der Brücke in Bodendorf, dieses große Mehrfamilienhaus, oder wie es hier die Böschung abgerissen hat, hier hängen immer noch die Gasleitung oder auch andere Leitungen frei in der Luft⦠Das ist schon mächtig. Oder der Baum, der am Ufer liegt. Das macht mich traurig. Vor drei Monaten hätte ich das nicht wahrgenommen, nicht so, wie ich es jetzt wahrnehme, weil gleichzeitig alles schon wieder so sauber ist, so aufgeräumt⦠Aber es ist ein neuer Raum entstanden für die eigenen Gefühle.

Ich kenne Bodendorf nicht ohne diese Tennisplätze. Die Tennisplätze waren immer da. Seit meiner Kindheit, ich bin im zweiten Schuljahr hierhergekommen, mit sieben Jahren. Da gab s diese Tennisplätze schon. Und jetzt ist nichts mehr vorhanden. Das ist schon krass, das ist schon richtig krass!

Die ganze Landschaft hat jetzt eine Großzügigkeit, aber auch etwas Ungeschütztes. Ich kann in die Gärten von den Häusern hineinschauen, die von dieser Stelle aus niemals einsehbar waren, weil sie von Bäumen verdeckt waren, von mehreren Baumreihen. Das hatte auch etwas Gemütliches, etwas Beschützendes.

Wenn ich jetzt nach rechts reinschaue, da ist eine Riesenebene und die Fläche hat für mich weiter eine Großzügigkeit. Es ist beides da, und es wird sich auch wieder verändern. Aber ein Stück von der Großzügigkeit wird bleiben, da bin ich mir sicher, und das tut Bodendorf und den Menschen hier auch gut, das hat etwas gefehlt. Großzügigkeit, unkonventioneller miteinander umgehen, weniger Erwartungen haben, vorbehaltslos anderen helfen, solidarisch miteinander sein, ohne zu fragen, welche Religion, welche Hautfarbe, was weiß ich, sondern einfach da nachzuschauen, wer braucht gerade Hilfe.

Das war für mich sehr beeindruckend, dass auch viele, viele Menschen von der anderen Dorfseite, die nicht betroffen waren, ohne dass sie gefragt wurden, einfach mitgeholfen haben. Wir kommen morgens an unser Haus, das war am 16. Juli, also einen Tag nach der Flut. Dann waren wir hier um halb zehn, und sehen, dass die Feuerwehr schon unseren Keller leergepumpt hatte. Wir hatten nicht damit gerechnet. Wir haben keinen Auftrag gegeben, war einfach so passiert.

Ich habe hier in der Nähe im Krankenhaus gearbeitet und wenn ich Dienst hatte, da bin ich natürlich nervös geworden, wenn ich einen Krankenwagen gehört habe, weil ich wusste, eine halbe Stunde später habe ich dann wahrscheinlich was damit zu tun. Dadurch bin ich abgehärtet oder vielleicht auch dadurch, dass ich jetzt nur therapeutisch arbeite und weiß, das betrifft mich nicht mehr unmittelbar. Deshalb machen mir diese Geräusche, wie das Martinshorn, gar nichts aus. Was sich verändert hat, das habe ich gemerkt, aber auch nicht auf bedrohliche Art und Weise, wenn ich Hubschrauber höre. Das macht mir so ein komisches Gefühl, das vorher nicht da war, so ein mulmiges Gefühl, weil hier in den ersten Wochen, viele Hubschrauber das Ahr hochgeflogen sind und speziell hier im Mündungsgebiet. Sie haben nach Menschen gesucht, nach Toten gesucht, waren ja viele Leute vermisst. Das war schon ein komisches Gefühl zu wissen, jetzt wird von oben geschaut â¦Wir leben in dem Gebiet halt â¦Wir dachten immer, wir sind sicher, wir sind weit genug weg von der Ahr, 500-600 Meter, und plötzlich war der Fluss 800 Meter breit hier in Bodendorf. Das war unvorstellbar. Das ist auch das Wort, was ich am häufigsten gehört habe, in den ersten Tagen danach. Unfassbar, das ist alles unfassbar! Was hier passiert ist, konnten wir alle nicht fassen. Das war jenseits unserer Vorstellungskraft.

Über die Brücke haben wir alle gelacht, als sie gebaut wurde. So eine breite Brücke in das kleine Bodendorf, aus Beton. Das erschien uns gegenüber dem, was da vorher stand, vielleicht 35 Jahre, als komplett überdimensioniert! Diese Brücke war zum Beispiel für Sinzig die einzige Möglichkeit nach Bonn zu kommen, die Autobahn war gesperrt. Es gab keine andere Möglichkeit in Sinzig. Die Brücke war zur Hälfte zusammengefallen, die andere Hälfte aus Sicherheitsgründen gesperrt, und der ganze Verkehr lief über diese Bodendorfer Brücke.

Eigentlich eine tolle Geschichte.

Vor sieben Monaten, als mein Bruder im Sommer hier war, habe ich zu ihm gesagt, ja, ist schon ganz schön tot hier, und ich meinte damit verdammt ruhig hier. Und vier Wochen später fuhren nur noch Baufahrzeuge und ganz viel Verkehr durch Bodendorf und so weiter. Es hatte sich alles gedreht und alles verändert, was ich niemals für möglich gehalten hätte, in der Form.

Im Februar, da gab es einen Tag in diesem Jahr, es war sehr kalt, es hatte gefroren und es war angekündigt für den nächsten Tag, dass es warm werden sollte. Ich war mit dem Fabio an der Ahr. Das Besondere war, dass Wasser an Gräsern und Bäumen heruntergetropft und gefroren war, also sehr, sehr schöne Eisgebilde, und ich habe zum Fabio gesagt, komm, wir holen jetzt die Kameras und wir fotografieren das, weil morgen das alles weggeschmolzen ist. Wir haben wunderbare Bilder gemacht, und ich habe gesagt: So etwas habe ich in...
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Autor

Diana Ivanova wurde in Montana, Bulgarien geboren. Sie lebt seit 2020 in Bad Bodendorf. Sie arbeitet interdisziplinär als Journalistin, Kuratorin, Gruppentherapeutin und Trauma-Yoga-Therapeutin mit Forschungsschwerpunkt Trauma und Erinnerung. Seit 2022 ist sie Autorin des Podcasts »89 Schritte« über die Menschen im Ahrtal nach der Flutkatastrophe.
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Ivanova, Diana