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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Christoph Links Verlagerschienen am20.03.20141. Auflage
Eine Reise in die erstaunliche Welt des Wartens: Wir warten auf die große Liebe, eine Schriftstellerin wartet auf die nächste Romanidee, eine Schwangere auf ihr erstes Kind, ein junger Mensch auf das lebensrettende Organ.

Jedes Warten hat seine Geschichte. Friederike Gräff ergründet, was dieser Zustand in uns auslöst. Sie steigt in die Tiefen des Wartens hinab und kommt heraus in einer schnelllebigen Gegenwart, die die Vorzüge des Wartens aus den Augen verloren hat. Ihre vielstimmige Erkundung ermutigt uns, Warteräume zu schaffen und sie selbstbestimmt zu nutzen.

Friederike Gräff ist eine Erzählerin, wie ein Leser sie sich wünscht. Ihre Geschichten lassen uns staunend, manchmal auch ein bisschen verunsichert zurück, aber zugleich getröstet. Franz Kafka müsste lächeln.
(Jurybegründung für den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg 2012)



Jahrgang 1972, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, danach freie Mitarbeiterin u. a. für ZEIT, taz und Süddeutsche Zeitung. Seit 2006 ist sie Redakteurin bei der taz in Hamburg und zuständig für die Ressorts Justiz und Kultur. 2012 erhielt sie den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg für ihre Erzählungen. »Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands« ist ihr erstes Buch.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,99

Produkt

KlappentextEine Reise in die erstaunliche Welt des Wartens: Wir warten auf die große Liebe, eine Schriftstellerin wartet auf die nächste Romanidee, eine Schwangere auf ihr erstes Kind, ein junger Mensch auf das lebensrettende Organ.

Jedes Warten hat seine Geschichte. Friederike Gräff ergründet, was dieser Zustand in uns auslöst. Sie steigt in die Tiefen des Wartens hinab und kommt heraus in einer schnelllebigen Gegenwart, die die Vorzüge des Wartens aus den Augen verloren hat. Ihre vielstimmige Erkundung ermutigt uns, Warteräume zu schaffen und sie selbstbestimmt zu nutzen.

Friederike Gräff ist eine Erzählerin, wie ein Leser sie sich wünscht. Ihre Geschichten lassen uns staunend, manchmal auch ein bisschen verunsichert zurück, aber zugleich getröstet. Franz Kafka müsste lächeln.
(Jurybegründung für den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg 2012)



Jahrgang 1972, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, danach freie Mitarbeiterin u. a. für ZEIT, taz und Süddeutsche Zeitung. Seit 2006 ist sie Redakteurin bei der taz in Hamburg und zuständig für die Ressorts Justiz und Kultur. 2012 erhielt sie den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg für ihre Erzählungen. »Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands« ist ihr erstes Buch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783862842797
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum20.03.2014
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.13444481
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Im Saal der verlorenen Schritte

Nach dem Unglück in Fukushima wartete ich am Eingang der Japanischen Botschaft, um mich in das Kondolenzbuch einzutragen. Die Sonne schien, und ich saß allein auf der Treppe vor der Botschaft, als um ein paar Minuten vor zwei eine Frau kam. »Sie waren zuerst hier«, sagte sie. »Ja«, sagte ich, »aber das spielt eigentlich keine Rolle.« »Das finde ich ja auch«, sagte die Frau, die grau-weißes Haar und etwas Weitfallendes trug. »Aber viele Leute sehen das mit dem Warten sehr eng.« Sie fügte noch etwas darüber hinzu, dass das Warten bei den Frauen etwas anderes sei als bei den Männern und etwas über Macht. Vielleicht hätte ich ihr besser zuhören sollen, denn Macht und Geschlecht sind zwei wesentliche Kategorien, wenn man über das Warten nachdenkt. Aber ich rätselte noch darüber, was an mir ihr den Eindruck vermittelt haben konnte, dass ich auf einer geordneten Warteschlange aus zwei Personen hätte bestehen können. Inzwischen war es zwei Minuten nach zwei, die Frau sah auf ihre Uhr und wurde sehr unfroh. »Sie wollten doch um zwei öffnen«, sagte sie und guckte zornig auf das Pförtnerhaus der Japanischen Botschaft. Ich hätte sie darauf hinweisen können, dass sie in ihrer Ambivalenz gegenüber dem Warten die Moderne repräsentierte, aber möglicherweise wäre sie dafür unempfänglich gewesen.

Der Ruf des Wartens ist auf den Hund gekommen. Es ist ein Zustand, den wir literarisch verklären und praktisch scheuen wie die Pest. Wir verlieren in Warteschlangen die Fassung und erkennen zugleich in den gelassen Wartenden große Liebende, denen wir zumindest im Kino gern zuschauen. Sieht man sich bei den Russen um, die viel Erfahrung mit dem Warten haben, findet man spätestens ab der Jahrhundertwende Figuren, die darin erstarrt sind wie stehen gebliebene Uhren. Anton Tschechow ist ihr Haupt-Porträtist, und seine Figuren eignen sich weder im Guten noch im Schlechten für Heldengeschichten. Aber wenn man weiter zurückgeht, zur Mythologie und zu den Sagen, findet man die Helden des Wartens. Penelope etwa, die sich zwanzig Jahre in Geduld übte und auf die Rückkehr ihres Mannes Odysseus wartete, oder Barbarossa, der im Kyffhäuser die Wiederkehr seines Reiches abwartet. Es muss diese Treue zu einer Person oder einer Sache sein, die die Menschen fasziniert. Wer freiwillig wartet, strahlt eine Zuversicht aus und eine Freiheit von der steten Furcht, etwas zu verpassen, die den Eiligen abgeht.

Eine alte Frau erzählte mir, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Rückkehr ihres Mannes, eines U-Boot-Kommandanten, wartete, weil sie nicht glauben konnte, dass die Todesnachricht stimmte. Sie ist 91 Jahre alt und erzählte aus Gutwilligkeit, aber eigentlich war all dies viel zu privat für sie, um es einer Fremden anzuvertrauen. Ich glaube, dass sie darin typisch ist für die Wartenden. Denn das Warten und die Hoffnung, die in ihm liegt, sind etwas Intimes und Zartes, und sie nehmen die Menschen ein Stück weit aus ihrer Umgebung und der Gegenwart heraus.

Es gibt selten eine Garantie, dass sich das Warten lohnt, es ist eine wilde und manchmal unbegründete Hoffnung. Der US-Soziologe Leon Festinger hat sich gefragt, um welchen Preis religiöse Gruppen an ihren Endzeit-Erwartungen festhalten, und er war entzückt, als er 1951 in einer Lokalzeitung auf die Annonce einer Hausfrau stieß, die den Untergang der Welt für den 20. 12. des Jahres ankündigte, lediglich eine Gruppe Auserwählter sollte von einem Ufo gerettet werden. Tatsächlich wartete eine kleine Gruppe rund um die sogenannte Mrs. Keech vergeblich am 20. 12. auf jenes Ufo. In diese Leere hinein kündigte eine Frau aus der Gruppe den Tod und die Wiederbelebung des Gatten von Mrs. Keech an, der der Bewegung fernstand und statt auf das Weltende zu warten, im Nebenzimmer schlief. Bei mehrfachen Kontrollen im Schlafzimmer zeigte sich Mr. Keech beharrlich lebendig, woraufhin das Medium, das die Prophezeiung ausgesprochen hatte, schließlich befand, dass Mr. Keech bereits vorher unbemerkt gestorben und ebenso unbemerkt wiederauferstanden sei. Die Forscher dagegen deuteten die Auferstehungsankündigung eher nüchtern als typische Reaktion auf das Ausbleiben des Erwarteten: Je größer die Gefühle und Taten, die man investiert hat, desto dringlicher wird das Festhalten am Erhofften. Es ist leicht, über die ausgebliebene Auferstehung von Mr. Keech zu lachen, aber es ist ja gerade die Zuversicht ohne Gewähr, das Sichanvertrauen, was Religion kostbar macht. Und es geht weit hinaus über das, was Psychologen über die glänzende Karriere von Menschen herausgefunden haben, die als Kinder auf ihre Belohnung warten konnten.

Aber diese Qualität ist aus dem Blick geraten. Heute scheint es, dass nur die Hilflosen warten, die Zaudernden und die Machtlosen. Die Alten in den Pflegeheimen, die auf den Besuch hoffen, der endlich Zeit für sie findet. Der Verlassene, der sich nach der gescheiterten Beziehung nicht schnell genug nach einem neuen Partner umsieht. Der Kassenpatient, der doppelt so lange auf einen Termin beim Facharzt wartet wie der Privatpatient. Warten ist ein Zustand, den das moderne Individuum scheut wie kaum einen anderen, weil er allem entgegen zu stehen scheint, was es sich erkämpft hat: Freiheit, Gleichheit, Selbstverantwortlichkeit.

Man könnte einwenden, dass die Schlange am Postschalter nicht unmittelbar unser Wahlrecht gefährdet und dass die Unfähigkeit zu warten vor allem damit zusammenhängt, dass wir unsere Zeit als knappes Gut empfinden, das wir möglichst effizient einsetzen müssen. Selbst die kürzesten Warte-Momente erscheinen uns gefährlich, wer weiß, wohin die Pause führen könnte. Also tippen wir Nachrichten mit unserem Handy oder zücken die Schöner-Warten-App. Und sollten wir es fatalerweise nicht dabei haben, erwarten uns überall und jederzeit die Infotainment-Bildschirme. Damit wir auch ja keine Minute verlieren in einer Welt, in der die »Echtzeit« längst den Alltag regiert.

Die Franzosen haben ihre Warteräume früher »salle des pas perdus«, den »Saal der verlorenen Schritte« genannt. Die Deutsche Bahn will solche Gedanken nicht aufkommen lassen, sie nennt ihre Warteräume DB Lounge, und der Reisende kann dort mit Wireless-LAN und Laptop-Anschluss seiner Arbeit nachgehen. Die Camouflage des Wartens ist ein eigener Geschäftszweig, in dem Menschen darüber nachdenken, welche Musik in der Telefonwarteschlange die Anrufer am längsten bei der Stange hält, und ob es hilfreich oder abschreckend ist, wenn der Kunde erfährt, wie viele andere vor ihm an der Reihe sein werden. Und je höher der soziale Status, desto weniger wird der Kunde der Zumutung des Wartens ausgesetzt. Sei es die Bahn, seien es die Fluglinien oder Leihwagen-Anbieter: Der Erste-Klasse-Kunde hat seinen eigenen Schalter, an dem weniger Wartende schneller bedient werden. Unsere Zeit ist so kostbar geworden, dass wir viel und hektischen Aufwand betreiben, um sie in jedem Augenblick zu füllen.

Aber es gibt einen zweiten Grund, warum wir das Warten so scheuen: Weil wir eine Ahnung jener Zeiten haben, als es ein Instrument war, um Menschen zu disziplinieren. Schriebe man eine Geschichte des erzwungenen Wartens, müsste man drei Viertel der Kapitel für Frauen reservieren. Man kann die traditionelle Trauerzeit von Frauen aus heutiger Perspektive als Wartezeit verstehen, bis sie sich wieder dem normalen sozialen Leben anschließen durften - und die dauerte wesentlich länger als die der Männer. In Frankreich hatten Edelfrauen beim Tode des Mannes sechs Wochen im Bett zu bleiben, und während Witwer lediglich vier Wochen lang nicht tanzen sollten, war es den Frauen ein Jahr lang verboten. Es hat einen gewissen malerischen Reiz, sich die französischen Edelfrauen trauernd im Bett vorzustellen, die Dauer abgestuft nach Höhe ihres Rangs und dem des Verstorbenen - die Gründe für diese Übergangszeit waren sehr pragmatisch: Man brauchte Zeit, um Erbansprüche zu klären oder neue Ehen in die Wege zu leiten, und bei möglichen Schwangerschaften sollte zweifelsfrei sein, ob der Verstorbene oder ein neuer Partner der Vater war.

Mehrere hundert Jahre später sollten sich Frauen wieder wartend finden, diesmal allerdings in zahlreicher Gesellschaft und in der Öffentlichkeit. Die Warteschlangen vor den Läden des sozialistischen Realismus waren weiblich, so haben es US-amerikanische Soziologen in den achtziger Jahren bei Feldforschungen in Polen festgestellt - nur in denen, wo es um Alkohol und Zeitungen ging, war der Männeranteil von Belang. Immerhin durfte man warten. Noch unter Stalin waren Warteschlangen im öffentlichen Raum verboten, weil das Ausharren der Menschen vom Land vor den städtischen Läden zu Produktionseinbrüchen führte. Sie behalfen sich, indem sie sozusagen undercover warteten. Sie standen in Hofeingängen herum oder blieben vor Bushaltestellen stehen - und hielten doch immer die Wartereihenfolge ein.

Stalin hatte bei seinem Verbot auch die möglicherweise subversive Kraft von Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit im Blick - tatsächlich sind aus den wenigsten Warteschlangen Revolutionen hervorgegangen. Im Gegenteil: Gerade hier werden klare Regeln eingehalten, zur Freude der Soziologen, die sich dort einreihten. Da sie im eigenen Land kaum einmal längere Schlangen auftaten, waren es US-amerikanische Wissenschaftler wie der Soziologe Joseph Hraba, der Anfang der achtziger Jahre mit seinen Studenten Hausfrauen in Polen befragte. Er stellte fest, dass Frauen in Schlesien 1981 im Durchschnitt drei Stunden und 37 Minuten mit den täglichen Einkäufen verbrachten. Das Misstrauen gegen die Verkäuferinnen war groß, deshalb gab es...
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