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Scherbenhelden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Gerstenberg Verlag GmbH & Co. KGerschienen am01.02.2024
Leipzig, 1995. Die Stadt ist im Umbruch. Nino lebt allein mit seinem Vater und hat die ganz normalen Probleme eines Fünfzehnjährigen. Stress in der Schule, erste Beziehungen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Max wird er eines Tages beim Klauen erwischt und von einer Gruppe Punks rausgehauen, die bald sein neues Zuhause wird. Neuer Ärger kommt dazu: Konflikte mit seinem Vater, Gefühle für ein Mädchen mit dunklem Geheimnis und die tägliche Bedrohung durch Neonazis, die überall zu sein scheinen. Außerdem will Nino endlich wissen, warum seine Mutter ihn und seinen Vater kurz vor dem Mauerfall zurückgelassen hat

Johannes Herwig, in Leipzig-Connewitz geboren und groß geworden, erlebte die Nachwendezeit als Punk. Er studierte Soziologie und Psychologie, war viele Jahre selbständig im Kulturbereich tätig und Mitbegründer der Filmgalerie Phase IV in Dresden. 2013 widmete er sich endlich seinem lang gehegten Traum: Autor zu werden. Für seinen ersten Roman Bis die Sterne zittern war er für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert www.johannesherwig.de
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextLeipzig, 1995. Die Stadt ist im Umbruch. Nino lebt allein mit seinem Vater und hat die ganz normalen Probleme eines Fünfzehnjährigen. Stress in der Schule, erste Beziehungen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Max wird er eines Tages beim Klauen erwischt und von einer Gruppe Punks rausgehauen, die bald sein neues Zuhause wird. Neuer Ärger kommt dazu: Konflikte mit seinem Vater, Gefühle für ein Mädchen mit dunklem Geheimnis und die tägliche Bedrohung durch Neonazis, die überall zu sein scheinen. Außerdem will Nino endlich wissen, warum seine Mutter ihn und seinen Vater kurz vor dem Mauerfall zurückgelassen hat

Johannes Herwig, in Leipzig-Connewitz geboren und groß geworden, erlebte die Nachwendezeit als Punk. Er studierte Soziologie und Psychologie, war viele Jahre selbständig im Kulturbereich tätig und Mitbegründer der Filmgalerie Phase IV in Dresden. 2013 widmete er sich endlich seinem lang gehegten Traum: Autor zu werden. Für seinen ersten Roman Bis die Sterne zittern war er für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert www.johannesherwig.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783836992251
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.02.2024
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2217 Kbytes
Artikel-Nr.13511414
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

CDs und Kassetten zogen sich in endlosen Reihen durch offene Gänge, Abspielgeräte jeder Art glitzerten in Vitrinen aus Glas. Im Hintergrund der Elektronikabteilung des Kaufhauses, die sich über die gesamte Etage erstreckte, pries eine freundliche Stimme die Vorzüge schnurloser Telefone, multifunktionaler Videokameras und Funkwecker an. Ein langer Typ um die fünfzig, Schnauzbart wie ein Sheriff und die Hände am Gürtel, wanderte bedächtig zwischen den Auslagen umher und machte sich wenig Mühe, sein Dasein als Detektiv zu verstecken.

»Ich klau das Ding jetzt«, sagte mein Schulfreund Max und wedelte mit dem Science-Fiction-Film, den er sich ausgesucht hatte, vor meiner Nase. Ich sah mich um. Die Rolltreppen nach unten befanden sich in der Mitte. Zwei aufgeklappten Flügeltüren gleich war der Zugang von der Diebstahlsicherung gesäumt. Gegenüber die Kasse, ein weißes Schiff von einem Tresen, groß und ohne Besatzung, zumindest im Moment. Daneben der Blick des Sheriffs, der auf uns liegen blieb, eine Sekunde zu lang. Ob aufgrund unserer Klamotten oder weil ich ihn selbst angeschaut hatte, konnte ich nicht sagen.

»Wir werden beobachtet«, raunte ich, als befänden wir uns selbst in einem Film. Max winkte ab.

»Drehen wir noch eine Runde. Guck mal!« Er drückte die Tasten eines tragbaren CD-Players und tat schwer interessiert. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich der Detektiv in eine andere Richtung wandte.

»Was ist mit der Sicherung?«, fragte ich.

»Schon erledigt.« Max zeigte die Rückseite der Videokassette, in deren Ecke statt eines Magnetstreifens nur noch ein klebriges Viereck zu sehen war. Langsam näherten wir uns der Rolltreppe. Ich hatte ein ungutes Gefühl, irgendeine Ahnung, aber sie war nicht deutlich genug, meinen Freund von seinem Vorhaben abzubringen. An einem Rondell mit Plastikschädeln, die die neuesten Kopfhörermodelle trugen und aussahen wie eine Truppe musikbegeisterter Außerirdischer, blieb Max stehen. Er kratzte sich und tat, als würde er in seinen Taschen etwas suchen. Dann steckte er den Film mit einer schnellen Bewegung zwischen Bauch und Hosenbund.

Wieder sah ich mich um. Wenig Kundschaft, nach wie vor niemand an der Kasse. Kein Detektiv. Ich gab mir größte Mühe, Max nicht auf sein T-Shirt zu starren. Das Video hob sich unter dem Stoff ab wie ein kleiner Koffer.

»Dann mal raus hier«, sagte er und klang jetzt selbst etwas zweifelnd. Wir liefen Richtung Ausgang, immer langsamer. Als wäre das Warnsystem vor der Rolltreppe eine Selbstschussanlage.

»Bist du sicher, dass da kein Alarm losgeht?«, flüsterte ich.

»Mann, Nino. Keine Ahnung«, flüsterte Max. Ich hatte schon einige Geschichten davon gehört, wie Kaufhäuser ihre Waren sicherten, mit doppelten Magnetstreifen, versteckten Etiketten und anderem Zeug. Zeug, das nur darauf wartete, den nächsten und wieder nächsten Depp anzuschmieren. Ich selbst hatte nicht wirklich viel Erfahrung. Natürlich - als kleiner Junge hatte auch ich nach der Wiedervereinigung dem plötzlichen Überfluss in den Süßigkeitenabteilungen nicht widerstehen können. Auf dem Heimweg von der Schule waren so manches Mal Gummibärchen oder eine der anfangs absurd teuren, bunten Softdrink-Dosen in meinem Turnbeutel gelandet. Aber das lag fünf Jahre zurück.

Die Rolltreppe war jetzt nur noch ein paar Meter entfernt. Ihr monotones Rattern klang lauter und lauter in meinen Ohren. Das Sicherungssystem vor der Treppe sah auf einmal so einschüchternd aus, dass ich fast stehen geblieben wäre.

»Los jetzt, Mensch«, zischte Max. »Spitzel im Anmarsch!« Der Detektiv schwebte von links über den Gang heran, als trüge er Gleitschuhe. Ich stürzte nach vorn, die Stufen abwärts. Die Elektronikabteilung verschwand aus meinem Blickfeld. In Erwartung eines schrillen Signals stellten sich mir die Nackenhaare auf, doch nichts passierte. Max zog mit großen Augen an mir vorbei, heftig um eine unbeteiligte Miene bemüht.

»Scheiße«, murmelte er, am Ende mit ganz langem Vokal. Ich sah nach oben. Der Detektiv spähte die Rolltreppe hinunter und setzte uns dann hinterher.

»Schnell!«, rief ich, was ziemlich überflüssig war, denn Max schoss bereits davon, mehrere Stufen auf einmal nehmend.

»Vorsicht! Platz da!«, schrie er. Ein paar erschrockene Kaufhausbesucher stoben auseinander wie Tauben. Wir bahnten uns den Weg nach unten, binnen Sekunden zu zwei Räubern auf der Flucht geworden. Die langen Beine des Sheriffs klebten uns an den Fersen. Der Kerl sagte kein Wort, um seinen Atem zu sparen, wahrscheinlich. Im Erdgeschoss rannte ich einen Ständer mit Sonnenbrillen um, der mit dem Geräusch von Tausenden Murmeln auf den Boden krachte. Dann hatten wir die große Glastür erreicht, explodierten ins Freie und eilten Richtung Markt. In der schwachen Hoffnung, der Sheriff würde uns in der Fußgängerzone nicht weiter verfolgen, sah ich mich um, doch der Schnauzbart nahm seinen Job ernst.

»Hier lang!« Ich packte Max am Arm, rannte an Blumenbeeten und Bänken vorbei über eine Wiese. Die Gruppe, die dort neben ein paar Bäumen saß, beobachtete unseren Auftritt. Aus einem völlig übersteuerten Kassettenrekorder sägte lärmende Musik. Ein Typ mit Augenklappe, der als Einziger eine Glatze trug, hockte breitbeinig im Gras wie ein Sumoringer, ansonsten nahm ich auf die Schnelle nur bunte Haare, Nieten und zerfetzte Hosen wahr.

»Stress oder was?«, hörte ich jemanden rufen, achtete aber nicht darauf, da ich Land gewinnen musste. Max und ich hasteten durch eine Reihe Büsche, deren Zweige mir ins Gesicht peitschten. Hinter mir hörte ich einen brüllenden Fluch, der so laut war, dass ich stehen blieb. Durch die Blätter sah ich, wie ein Kerl, dessen Ohren vor lauter Ringen mehr silbern als fleischfarben waren, vor dem Sheriff herumhüpfte wie ein Kobold. Der Detektiv schrie ein paar unverständliche Dinge und versuchte vergeblich, an ihm vorbeizukommen. Noch mehr Leute standen auf, stellten sich ihm in den Weg, ein Mädchen mit roten Haaren gestikulierte, schließlich erhob sich auch der Glatzkopf aus seiner Ringerpose. Unser Verfolger reckte den Hals, scheinbar auf der Suche nach Max und mir oder einer Idee, wie er mit der Situation umgehen sollte, in die er sich da gebracht hatte. Langsam wieder zu Atem kommend, beobachtete ich das Schauspiel. Der Detektiv war jetzt von einer ganzen Horde umringt. Schreie und Beschimpfungen wogten hin und her. Ein anderes Mädchen schwenkte eine Flasche.

»Der arme Kerl.« Max grinste und schnappte nach Luft. Wir lugten durchs Gebüsch wie die Förster. Der Schnauzbart drohte mit seinem Zeigefinger, sah dabei aber alles andere als furchteinflößend aus. Dann drehte er sich auf den Fersen um, schob die hinter ihm Stehenden mit einer Schwimmbewegung zur Seite und zog ab. Die Menge zerstreute sich. Fast alle nahmen wieder unter den Bäumen Platz, als wäre nicht das Geringste passiert. Das Mädchen mit den roten Haaren griff ein Bier aus einem Kasten und öffnete es mit den Zähnen. Allein vom Zusehen schmerzte mir der Kiefer. Die Glatze mit der Augenklappe und der Typ mit den Piercings, auf dem Kopf einen Irokesenschnitt, schauten in unsere Richtung.

»Na los«, sagte ich. Max wollte protestieren, aber ich kroch bereits durchs Geäst zurück auf die Wiese. Das unverdeckte Auge des Glatzkopfs wrang mich aus wie einen nassen Lappen, aber der andere Typ lächelte, als wären wir alte Bekannte.

»Danke«, sagte ich und räusperte mich, weil meine Stimme auf einmal ganz hoch klang. »Das war echt stark.« Mein Gegenüber ließ seine Ohrringe klimpern. Ein mit unfertigen Tattoos übersäter Arm hielt eine Schachtel Zigaretten in meine Richtung.

»Welchen wie uns helfen wir gern«, sagte er. »Kippe?« Ich nickte und bediente mich. Max, der jetzt herangekommen war, nahm sich auch eine. Ein bisschen vorsichtig, als befürchte er eine Falle. Der tätowierte Arm gab uns beiden Feuer mit einem Zippo. Der Geruch von Benzin stieg mir in die Nase.

»Schickes Shirt«, sagte der Glatzkopf. Ich sah an mir herunter. Das Shirt war von der Band Tarnfarbe und zeigte einen Jungen mit einer riesigen Knarre. Max hatte es mir vor Kurzem geschenkt. Er konnte das Ding nicht tragen - »zu krass« für seine Eltern. Ich warf meinem Freund einen Blick zu.

»Danke«, sagte ich noch einmal.

»Dann packt mal aus«, sagte der Tätowierte. »Weswegen hat der euch verfolgt, der Polyp?« Er steckte sich selbst eine Kippe an und hüllte sich in Rauchschwaden. »Oder, erzählt es doch gleich allen. Wollt ihr euch zu uns setzen?«

»Klar«, sagte ich, bevor Max eine andere Antwort geben konnte. Ich war mir nicht sicher, was er von der Sache hielt. Die Leute in dieser Runde sahen einen ganzen Steinbruch rauer aus als Max und ich,...
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Johannes Herwig, in Leipzig-Connewitz geboren und groß geworden, erlebte die Nachwendezeit als Punk. Er studierte Soziologie und Psychologie, war viele Jahre selbständig im Kulturbereich tätig und Mitbegründer der Filmgalerie Phase IV in Dresden. 2013 widmete er sich endlich seinem lang gehegten
Traum: Autor zu werden. Für seinen ersten Roman Bis die Sterne zittern war er für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert
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