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Das Jahr der Veränderungen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Kampa Verlagerschienen am22.02.2024
Kates Temperament sei wie eine Naturgewalt, hat ihre Mutter Billie immer gesagt, großartig und unentrinnbar. Jetzt ist Kate dreiundvierzig, kinderlos und unverheiratet, und ihr Leben in London, ihr Job an der Uni, alles, was sie einmal erstrebenswert und aufregend fand, langweilt sie nur noch. Kurzerhand nimmt sie ein Jahr unbezahlten Urlaub, vermietet ihre Wohnung unter und zieht zurück nach Wales, um sich um Billie zu kümmern, die mit ihren dreiundachtzig Jahren immer vergesslicher wird. Hier, in der altehrwürdigen Villa Firenze am See, wo drei Generationen ihrer kultivierten jüdischen Familie zu Hause waren, ist die Zeit stehen geblieben. Aber in Kates Leben war Stillstand nie eine Option. Als sie ihren Jugendfreund David wiedertrifft, in dessen Ehe es gehörig kriselt, scheint eine Zerstreuung gefunden. Auch Davids siebzehnjähriger Sohn Jamie sucht Kates Nähe. Sie ist so ganz anders als die Mädchen in seiner Schule, und er verliebt sich in sie ... Die neuen Verbindungen, die Kate in der alten Heimat knüpft, stellen ihr Leben auf den Kopf - wenn auch ganz anders, als sie es sich vorgestellt hat.

Tessa Hadley, 1956 in Bristol geboren, wechselt zwischen zwei Rollen hin und her: Ihr »soziales Ich« kümmert sich um ihren Ehemann, ihre drei Söhne und ebenso viele Enkelkinder, während ihr »schreibendes Ich« geduldig hinter den Kulissen warten muss, bis es wieder auftreten darf. Aber das eine gäbe es nicht ohne das andere: Auch in ihrem Schreiben beschäftigt sich Hadley, wie ihre großen Vorbilder Jane Austen und Jean Rhys, mit dem Familienleben und sozialen Beziehungen. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete Tessa Hadley kurze Zeit - sehr unglücklich - als Lehrerin. Mit Ende dreißig studierte sie Kreatives Schreiben in Bath (wo sie heute unterrichtet) und promovierte mit einer Arbeit über Henry James. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie erst mit 46. Für ihre Romane und Kurzgeschichten erhielt sie zahlreiche Preise, 2009 wurde sie zum Fellow der Royal Society of Literature gewählt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextKates Temperament sei wie eine Naturgewalt, hat ihre Mutter Billie immer gesagt, großartig und unentrinnbar. Jetzt ist Kate dreiundvierzig, kinderlos und unverheiratet, und ihr Leben in London, ihr Job an der Uni, alles, was sie einmal erstrebenswert und aufregend fand, langweilt sie nur noch. Kurzerhand nimmt sie ein Jahr unbezahlten Urlaub, vermietet ihre Wohnung unter und zieht zurück nach Wales, um sich um Billie zu kümmern, die mit ihren dreiundachtzig Jahren immer vergesslicher wird. Hier, in der altehrwürdigen Villa Firenze am See, wo drei Generationen ihrer kultivierten jüdischen Familie zu Hause waren, ist die Zeit stehen geblieben. Aber in Kates Leben war Stillstand nie eine Option. Als sie ihren Jugendfreund David wiedertrifft, in dessen Ehe es gehörig kriselt, scheint eine Zerstreuung gefunden. Auch Davids siebzehnjähriger Sohn Jamie sucht Kates Nähe. Sie ist so ganz anders als die Mädchen in seiner Schule, und er verliebt sich in sie ... Die neuen Verbindungen, die Kate in der alten Heimat knüpft, stellen ihr Leben auf den Kopf - wenn auch ganz anders, als sie es sich vorgestellt hat.

Tessa Hadley, 1956 in Bristol geboren, wechselt zwischen zwei Rollen hin und her: Ihr »soziales Ich« kümmert sich um ihren Ehemann, ihre drei Söhne und ebenso viele Enkelkinder, während ihr »schreibendes Ich« geduldig hinter den Kulissen warten muss, bis es wieder auftreten darf. Aber das eine gäbe es nicht ohne das andere: Auch in ihrem Schreiben beschäftigt sich Hadley, wie ihre großen Vorbilder Jane Austen und Jean Rhys, mit dem Familienleben und sozialen Beziehungen. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete Tessa Hadley kurze Zeit - sehr unglücklich - als Lehrerin. Mit Ende dreißig studierte sie Kreatives Schreiben in Bath (wo sie heute unterrichtet) und promovierte mit einer Arbeit über Henry James. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie erst mit 46. Für ihre Romane und Kurzgeschichten erhielt sie zahlreiche Preise, 2009 wurde sie zum Fellow der Royal Society of Literature gewählt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783311704683
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum22.02.2024
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1294 Kbytes
Artikel-Nr.13949277
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Eins

Nein, es war kein Zeichen. Kate weigerte sich, darin ein Zeichen zu sehen.

Sie fuhr sowieso nicht gern Auto. Sobald sie zu Hause ankam, würde sie den Wagen verkaufen; aber um ihr ganzes Zeug aus London wegzuschaffen, hatte sie ihn natürlich gebraucht. Auf der Rückbank stapelten sich Bücherkisten und Reisetaschen mit allen möglichen Habseligkeiten, die sie einfach nicht hatte zurücklassen können und die ihr nun im Rückspiegel die Sicht versperrten. Wenn sie Auto fuhr, lebte sie permanent in dem Bewusstsein, dass sie jeden Moment sterben könnte; darum trat sie, wenn sie bremsen musste, stets mit der verzweifelten Rücksichtslosigkeit einer Spielerin aufs Pedal, und genauso wechselte sie auch die Spur; doch das, was dann tatsächlich passierte, kurz nachdem sie den Brynglas-Tunnel an der Ausfahrt Newport verlassen hatte, das war nicht ihre Schuld. Das allgemeine Tempo war nicht besonders hoch. Sie hatte eigentlich so zeitig losfahren wollen, dass sie nicht in den Berufsverkehr kam, doch dann hatte sie Stunden und Minuten damit verplempert, die Schlüssel abzugeben und die benoteten Examensarbeiten in der Universität vorbeizubringen, und so war die Zeit mal wieder wie im Flug vergangen. Würde ihr Leben wohl jemals in den klaren Bahnen verlaufen, die sie ihm vorgezeichnet hatte? Und nun saß sie hier auf der mittleren Spur fest, im Regen und im winterlich trüben Dämmerlicht, zwergenhaft klein zwischen all den hoch aufragenden Trucks mit ihren vor Nässe dampfenden Rädern, mitten in einer langen Schlange aus Newport kommender Autos, hielt sich krampfhaft mit beiden Händen am Lenkrad fest und würde wahnsinnig gern rauchen, traute sich aber nicht, eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Armaturenbrett zu fummeln. Der Kater in seinem auf dem Beifahrersitz festgeschnallten Korb drehte sich mit angelegtem Fell im Kreis und drückte damit genau jene Mischung aus Unbehagen und Langeweile aus, die sie selbst empfand.

Und plötzlich fiel im Halbdunkel etwas vom Himmel. Kate dachte zuerst, es sei ein Bündel Schmutzwäsche, eingewickelt in ein Laken. Ehe sie die Katastrophe noch recht mitbekommen hatte, knallte das Ding auch schon seitlich an einen großen Containertruck auf der Kriechspur, und außerdem war es gar kein Bündel, das harmlos auseinanderfallen konnte, sondern entpuppte sich als feste Masse, die durch ihr Eigengewicht zurückgeschleudert wurde und auf das rote Auto unmittelbar vor ihr zugeflogen kam. Der Wagen musste ausweichen. Was blieb ihm weiter übrig? Das formlose graue Ding donnerte auf die rote Motorhaube, blieb an der Windschutzscheibe kleben, versperrte die Sicht und wurde, als der Wagen in die schnellere Außenspur hinüberschwenkte, nach vorne katapultiert, wobei es einen langen Flügel von sich streckte. Schneeweiße Federn, reihenweise angeordnet in perfekter Symmetrie und angestrahlt von lauter Autoscheinwerfern. Im nächsten Moment wurde es auf die Straße geschleudert und von dem herannahenden Chaos verschluckt. Auf der Überholspur fuhr dem Roten einer in die Seite und schob ihn auf den Mittelstreifen. Die Autos kamen angetanzt und blieben mitten auf der Fahrbahn stehen, wo gerade Platz war. Die eigentliche Katastrophe vollzog sich überraschend geordnet: Kate fuhr ganz gesittet und ohne viel Getöse auf einen weißen Lieferwagen auf, ihr kleiner Citroën beschrieb einen Halbkreis und kam auf der anderen Straßenseite, quer zur Fahrbahn, zum Stehen. Dann traf ihn irgendwas und schubste ihn ein paar Meter nach vorne. Sie war nicht verletzt, noch nicht mal besonders erschrocken, wie sie fand. Was für ein Theater, dachte sie. Schöne Begrüßung hier daheim. Nur der Kater protestierte mit empörtem Kreischen.

Nein, das war kein Zeichen, das war der reine Hohn.

Wundersamerweise schien niemand verletzt zu sein. Die Frau in dem roten Auto kletterte auf der Fahrerseite heraus und ging um den Wagen herum, um sich den Schaden zu besehen. Die anderen lenkten ihre Fahrzeuge, so gut es ging, auf den Standstreifen und warteten auf die Polizei. Kates Citroën hatte zwei ordentliche Beulen abgekriegt, sprang aber problemlos an. Allerdings hielt sie es nicht aus, im Auto sitzen zu bleiben, sondern ließ Sim alleine, stellte sich unter einen fremden Regenschirm und wurde auf diese Weise Teil jener merkwürdigen, stocknüchternen Schicksalsgemeinschaft. Man war sich einig, dass es ein Schwan gewesen sein musste; offenbar hatte er die Starkstromleitung gestreift und war abgestürzt. Ob er schon tot war, als er den ersten Truck traf, konnte niemand mit Bestimmtheit sagen. Oder war s doch bloß eine Gans? Ein Schwan, bestätigte jemand, der einen lang ausgestreckten Hals gesehen zu haben meinte. Kate schaute in die Richtung, in die die Leute zeigten; der Schwan war jetzt nicht mehr von der nassen, ölig-dunklen Fahrbahn zu unterscheiden, es war nur noch ein Etwas da, das aussah wie eine aufgeweichte Matratze.

Die Frau aus dem roten Auto - sie hatte eine gewisse poetische Bedeutung erlangt, ganz so, als sei sie von dem Vogel eigens auserkoren worden und nur gerade so noch mal davongekommen - kam herüber und mischte sich unter die Leute: blond, weißer Trenchcoat, den der Regen in kürzester Zeit dunkel färbte. Man fragte sie, ob es ihr gut gehe, sie nickte wütend, sah starr vor sich hin, wie um die Tränen zurückzuhalten, und wollte offensichtlich in Ruhe gelassen werden. Jemand lieh ihr ein Handy, sie telefonierte. Und nun wurde Kate bewusst, dass sie sie flüchtig kannte. An den Namen konnte sie sich nicht erinnern, nur daran, dass es die Frau von David Roberts war, Carols jüngerem Bruder. Carol war Kates beste Freundin - oder zumindest ihre älteste. Kate hatte die Frau vor ein paar Jahren ein, zwei Mal bei Carol getroffen und sie nichtssagend gefunden - bieder, eine Grundschullehrerin. Jetzt - wahrscheinlich hatten das Nachbeben des Unfalls und die Romantik des allgemeinen Überlebthabens ihre Urteilsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen - glaubte sie in dem eher grobknochigen Gesicht mit dem großen, verletzlichen Mund doch etwas zu erkennen, das man durchaus anziehend finden konnte: eine geradezu grimmige Scheu, als könnte sie, sobald man sich bemühte, ihr freundlich zu begegnen, zuschnappen. Sexuell konnte man dieses mürrische Wesen schon interessant finden, zumindest für eine gewisse Zeit. Allerdings war sie sowieso nicht der Typ Frau, der Kate gefiel; bestimmt mokierte sie sich über alles, was sie für intellektuelles Geschwafel hielt. Kate gab vor, sie nicht zu kennen, und dachte sich, dass das der anderen wohl auch am liebsten war. Kate war s auf alle Fälle lieber so.

 

Billie, Kates Mutter, wohnte noch immer in demselben Haus, in dem sie einst zur Welt gekommen war. Auch Kate war dort geboren, genau wie Billie, in jenem großen alten Schlafzimmer, in dem niemand mehr schlief. Sam Lebowicz, Billies Vater, Inhaber einer Kette von Kurzwarengeschäften in den Welsh Valleys, hatte das Haus gekauft, als er 1910 geheiratet hatte; seine Frau hatte es auf den Namen Villa Firenze getauft, nach der Stadt, in der sie ihre Flitterwochen verbracht hatten. Es lag an einem kleinen See mit Ruderbooten, der den höchsten Punkt eines langen, schmalen, sanft ansteigenden und aus der eigentlichen Stadt hinausführenden Parks bildete; blickte man von diesem Park aus auf die dunstverhangene, in Blau und Violett changierende Hügellandschaft jenseits des Sees, so konnte man meinen, man befinde sich am Rande der Zivilisation; dabei hatte man den See in zwanzig Minuten umrundet, und auch die Stadt erstreckte sich in jenen Tagen nur ein paar Kilometer über ihn hinaus. Die Villa Firenze war ein düsterer Bau aus rotem Backstein, der neben dem See auf einer Anhöhe stand, mit einem steilen Vorgarten, durch den sich der Weg von der Straße aus im Zickzack durch einen weitläufigen Steingarten bergauf wand; einfacher war der Zugang von einer Seitenstraße aus. Das Haus hatte ein rundes Türmchen und im ersten Stock eine lange geschlossene Veranda, eine späte Nachahmung einiger hübscher präraffaelitischer Phantasiebauten im Stadtzentrum. Auf der Rückseite der Villa hatte es früher eine große Rasenfläche und allerlei Gesträuch gegeben und dahinter eine kleine Wildnis, in der Kate ihre Schaukel gehabt hatte; aber den größten Teil dieses Areals hatte Billie in den siebziger und achtziger Jahren an irgendwelche Investoren verkauft, und nun schaute man aus den hinteren Fenstern auf einen Wohnblock und auf das Eckhaus eines kleinen Privatgrundstücks.

Kate hatte ihre Londoner Wohnung vermietet und ihren Job aufgegeben (beziehungsweise ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen); sie kam nach Hause, um sich um ihre Mutter zu kümmern, die dreiundachtzig war und immer vergesslicher wurde. Und außerdem langweilte sie ihr Londoner Dozentinnendasein. Sie war bereit für eine Veränderung, sie wollte nicht alt werden, indem sie immer wieder nur das Gleiche tat. Sie kam über die kiesbelegte seitliche Einfahrt, stellte den Motor ab und blieb in der Stille sitzen, wartete, bis das Gejaule und Gedröhne der verrückten Autobahn allmählich versickerte, und dachte, wenigstens werde sie nun nie mehr Auto fahren müssen. Die Beulen im Citroën waren ihr egal; sie würde ihn einfach verschenken. Da sie damit rechnete, dass Billie gleich herbeigeeilt käme, um sie zu begrüßen, blieb sie bei geöffneter Tür im Auto sitzen und rauchte endlich die Zigarette, nach der sie sich so sehr gesehnt hatte. Hier in der Dunkelheit umfing sie der vertraute Vorstadtfrieden. Der Regen blieb teils in der hohen Araukarie hängen, teils prasselte er auf die immergrünen Sträucher. Unten im See planschte eine unsichtbare Ente. Der kalte Duft nach Kiefern und bitterem Rindenmulch...
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Autor

Tessa Hadley, 1956 in Bristol geboren, wechselt zwischen zwei Rollen hin und her: Ihr »soziales Ich« kümmert sich um ihren Ehemann, ihre drei Söhne und ebenso viele Enkelkinder, während ihr »schreibendes Ich« geduldig hinter den Kulissen warten muss, bis es wieder auftreten darf. Aber das eine gäbe es nicht ohne das andere: Auch in ihrem Schreiben beschäftigt sich Hadley, wie ihre großen Vorbilder Jane Austen und Jean Rhys, mit dem Familienleben und sozialen Beziehungen. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, arbeitete Tessa Hadley kurze Zeit - sehr unglücklich - als Lehrerin. Mit Ende dreißig studierte sie Kreatives Schreiben in Bath (wo sie heute unterrichtet) und promovierte mit einer Arbeit über Henry James. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie erst mit 46. Für ihre Romane und Kurzgeschichten erhielt sie zahlreiche Preise, 2009 wurde sie zum Fellow der Royal Society of Literature gewählt.