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Die Leere im Zentrum der Tat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
208 Seiten
Deutsch
Hamburger Edition HISerschienen am04.03.2024
Zwei Gruppen, die sich nicht kennen, und ein Taxi, das beide für sich beanspruchen. Kurze Zeit später liegt ein Mann schwer verletzt auf dem Boden, ein anderer hat mit voller Wucht auf ihn eingetreten. Später heißt es von dem Täter: »Das passt gar nicht zu ihm.« Auf der Basis von Polizei- und Gerichtsakten rekonstruiert Tobias Hauffe vier Fälle versuchten Totschlags im öffentlichen Raum. Es geht um Fuß- und Stampftritte gegen am Boden liegende Menschen. Dass drei der vier Täter keine gewaltkriminelle Vorgeschichte haben, scheint zunächst überraschend. Allen Fällen ist gemein, dass die brutalen Konfrontationen im Kontext alltäglicher Konfliktsituationen stattfinden und sich kaum zufriedenstellend erklären lassen. Tobias Hauffe rekonstruiert akribisch den jeweils spezifischen Gewaltmoment, indem er die Fälle aus unterschiedlichen soziologischen Perspektiven einkreist. Er integriert Interviews mit Polizeibeamt:innen ebenso in die Analyse wie Videomaterial vergleichbarer Gewalttaten, popkulturelle Darstellungen und literarische Beschreibungen eines plötzlichen Ausbruchs von Gewalt. Diese Studie ist nicht nur mitreißend geschrieben, sie liefert auch wesentliche Impulse für die Gewaltforschung.

Tobias Hauffe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gesellschaftsanalyse und sozialer Wandel an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er ist externes Mitglied der Forschungsgruppe Makrogewalt am Hamburger Institut für Sozialforschung.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR35,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR31,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR31,99

Produkt

KlappentextZwei Gruppen, die sich nicht kennen, und ein Taxi, das beide für sich beanspruchen. Kurze Zeit später liegt ein Mann schwer verletzt auf dem Boden, ein anderer hat mit voller Wucht auf ihn eingetreten. Später heißt es von dem Täter: »Das passt gar nicht zu ihm.« Auf der Basis von Polizei- und Gerichtsakten rekonstruiert Tobias Hauffe vier Fälle versuchten Totschlags im öffentlichen Raum. Es geht um Fuß- und Stampftritte gegen am Boden liegende Menschen. Dass drei der vier Täter keine gewaltkriminelle Vorgeschichte haben, scheint zunächst überraschend. Allen Fällen ist gemein, dass die brutalen Konfrontationen im Kontext alltäglicher Konfliktsituationen stattfinden und sich kaum zufriedenstellend erklären lassen. Tobias Hauffe rekonstruiert akribisch den jeweils spezifischen Gewaltmoment, indem er die Fälle aus unterschiedlichen soziologischen Perspektiven einkreist. Er integriert Interviews mit Polizeibeamt:innen ebenso in die Analyse wie Videomaterial vergleichbarer Gewalttaten, popkulturelle Darstellungen und literarische Beschreibungen eines plötzlichen Ausbruchs von Gewalt. Diese Studie ist nicht nur mitreißend geschrieben, sie liefert auch wesentliche Impulse für die Gewaltforschung.

Tobias Hauffe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gesellschaftsanalyse und sozialer Wandel an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er ist externes Mitglied der Forschungsgruppe Makrogewalt am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783868544350
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum04.03.2024
Seiten208 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2551 Kbytes
Artikel-Nr.14050061
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Worum es geht

Zugänge: Den Moment der Gewalt erfassen

Vier Fälle unvermittelter Gewalt

Aspekte des Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität

Conclusio: Die Leere im Zentrum der Tat

Epilog

Danksagung

Literaturverzeichnis
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Leseprobe

Worum es geht

Tritt ein Mensch einem am Boden liegenden Menschen gegen und auf Kopf und Körper, liegt der Gedanke nicht fern, dass die Brutalität der Tat auf eine »Außergewöhnlichkeit« des Täters und/oder auf die besondere Situation zurückzuführen ist. Die Tat, so die Annahme, verweist auf eine hohe Gewaltfähigkeit und -bereitschaft des Täters oder, etwa wenn jugendliche Gangmitglieder oder verfeindete Hooligangruppen aufeinander losgehen, auf Konfliktsituationen, die zumindest nicht alltäglich sind. Dass Konfliktsituationen, in deren Verlauf es zu potenziell tödlichen Gewalthandlungen kommt, aus nichtigen Anlässen entstehen, mögen wir uns noch vorstellen können. Dass die brutalen Gewalthandlungen von Menschen ausgeübt werden, die zuvor noch nie oder nur minderschwer gewaltkriminell in Erscheinung getreten sind, wie es in der polizeilichen Terminologie heißt, ist dagegen weniger leicht zu begreifen. Die Gewaltsituationen, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen, fordern uns heraus. Die Gewalthandlungen, die strafrechtlich als Fälle versuchten Totschlag verfolgt wurden, wurden von Menschen ausgeübt, die vergleichbare Taten, soweit dies polizeilich erfasst werden konnte, noch nie zuvor ausgeführt hatten.1 Und auch die situativen Kontexte waren nicht außergewöhnlich. Die Situationen ereigneten sich im öffentlichen Raum: auf einem Fußgängerweg, der an einer größeren Straße entlangführt; im Bereich eines Bahnhofs; an einem Taxistand vor einem Veranstaltungsgelände; an einer Passage in der Innenstadt. Zu Beginn kommt es zu kleineren Konflikten: Ein Mann versucht, seinen betrunkenen Freund, der sich auf die Straße gestellt hat und Autos zum Stehen bringt, zu beruhigen. Ein Mann fühlt sich vom Verhalten einer anderen Person gestört und spricht sie an. Zwei Gruppen streiten sich um ein Taxi. Eine nächtliche Begegnung, bei der eine Beleidigung fällt, von der nicht einmal gesagt werden kann, wem sie eigentlich gegolten hatte. Für keine der Gewalttaten konnte ein eindeutiges Motiv wie etwa eine rassistische Ideologie oder ein über einen längeren Zeitraum bestehender Konflikt festgestellt werden. Die Gewalt, so die polizeiliche Terminologie, erfolgte in den Situationen unvermittelt. Die Frage, warum die Gewalt, noch dazu in dieser brutalen Form, ausgeübt wurde, beschäftigt auch die Polizeibeamt:innen, die in den Fällen ermittelten. In Interviews, die ich mit ihnen führen konnte, schildern sie den Ablauf der Situationen und berichten, wie es aus Ermittlungssicht zur Gewalthandlung gekommen ist. Auf den Moment des Gewaltausbruchs kommen sie dabei immer wieder zurück. Auch wenn der individuelle Tatnachweis unstrittig ist, hadern die Polizeibeamt:innen mit den Erklärungsversuchen für den Moment des Sprungs in die Gewalt. Die Tat, sagte ein Polizeibeamter über den von ihm ermittelten Fall in einem Gespräch mit mir, passe irgendwie nicht zum Täter.

Nun gibt es viele Gewalttaten, von denen gesagt werden kann, sie passen irgendwie nicht zu denjenigen, die sie ausgeübt haben. Gewalt, darauf hat Heinrich Popitz eindrücklich hingewiesen, ist eine allzeitige menschliche Handlungsoption.2 Sie kann tausend Gründe haben oder gar keinen. Die Suche nach Erklärungen, das hat Jan Philipp Reemtsma herausgestellt, kann uns sogar davon abhalten zu verstehen, dass sie sich oftmals selbst genügt.3 Es müsse also weniger darum gehen, nach Gründen für die Gewalt zu fragen, um zu begreifen, was da vor sich geht, als darum, Gewalt selbst in den Blick zu nehmen:4 die Situationen, in denen sie ausgeübt wird, ihren Handlungsvollzug, das, was sie mit einem anderen Menschen anrichtet. Erst wenn wir von konkreten Phänomenen der Gewalt ausgehen, kann es möglich sein, auch etwas über das Gesellschaftliche zu sagen, das in ihnen zum Ausdruck kommt.

Das vorliegende Buch ist ein Versuch, einem spezifischen Gewaltphänomen nahezukommen. Wie ist es möglich, dass alltägliche Konfliktsituationen, an denen Menschen beteiligt sind, die über keine oder nur eine minderschwere gewaltkriminelle Vorgeschichte verfügen, derart brutal eskalieren? Wobei die Formulierung unpräzise ist: Die Gewaltsituationen, die der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegen, eskalieren nicht im eigentlichen Sinne. In ihnen wird Gewalt von Personen (relativ) plötzlich ausgeübt. Die Gewalthandlungen sind Teil der Situationsverläufe und wirken zugleich wie ein Bruch in den Geschehen. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, den spezifischen Situationsmoment, in dem plötzlich schwere Gewalthandlungen in Form von Fuß- und Stampftritten gegen den Kopf und Körper einer am Boden liegenden Person ausgeübt werden,5 analytisch dicht zu beschreiben. In der Untersuchung rekonstruiere ich den Situationsmoment, indem ich ihn mit der Frage nach dem Handlungsmodus, in dem sich die Gewaltausübenden, kurz vor und im Moment der schweren Gewalthandlung, befinden, in Bezug setze. Dem Begriff des Handlungsmodus liegen dabei zwei zentrale theoretische Einsichten zugrunde: (1) Im Anschluss an pragmatische Handlungstheorien gehe ich davon aus, dass menschliches Handeln einen konstitutiven Situationsbezug hat.6 Im Kontext der vorliegenden Untersuchung bedeutet dies, dass ich keinen stabilen Handlungstypus herausarbeite, der unabhängig von situativen Kontextbedingungen vorzufinden ist, sondern einen Handlungsmodus, in den sich Personen situativ hineinbewegen beziehungsweise in den sie hineingeraten. Um den Handlungsmodus zu rekonstruieren, und hier schließe ich an Überlegungen Trutz von Trothas an, ist erstens der Körper- und Sinnesbezug der Gewalt in die Gewaltanalyse zu integrieren.7 Die Analyse ist an die konflikthaft und gewaltsam verlaufende Situation und den Gewalthandlungsvollzug zurückzubinden, um der Frage nachzugehen, wie die körperlich-leibliche Involviertheit in die konkreten Geschehen Situationsdeutungen und Handlungsimpulse der Beteiligten beeinflussen kann (körperlich-leibliche Dimension des Handelns). Zweitens hat der konstitutive Situationsbezug eine relationale Seite, die mit der körperlich-leiblichen Dimension des Handelns zusammenhängt: (Gewalt-)Handlungen sind nicht unabhängig von einem konkreten Gegenüber zu begreifen. Und zwar auch gerade dann nicht, wenn, wie ich in der vorliegenden Untersuchung argumentiere, eine radikale Form der Nicht-Orientierung am Anderen für ein analytisches Begreifen der Gewaltsituationen wesentlich ist (soziale Dimension des Handelns).

(2) Von einem konstitutiven Situationsbezug des Handelns auszugehen, heißt aber nicht, dass die Analyse auf präexistente Muster, etwa konkretes und abstraktes Handlungswissen der Beteiligten oder typisierende Wahrnehmungen, verzichten kann. Es bedarf vielmehr eines tentativen Vorgehens, mithilfe dessen Muster des Erfahrens und Wahrnehmens in ihrer Bedeutung für Situationsdefinitionen und Handlungsimpulse beschreibbar gemacht werden können. Auf diesen beiden zentralen Einsichten - dem konstitutiven Situationsbezug des Handelns (in seiner körperlich-leiblichen und seiner sozialen Dimension) und der Frage nach präexistenten und transsituativen Mustern des Erfahrens und Wahrnehmens - basiert die vorliegende Analyse.

In den untersuchten Fällen, so die zentrale These des Buchs, befinden sich die Gewaltausübenden, in unterschiedlicher Weise, im Moment des Sprungs in die Gewalt in einem Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität.8 Im Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität scheinen die Gewaltausübenden von einem konkreten Gegenüber abgeschnitten. Sie üben brutale Gewalt aus, aber nicht so, als wäre ihnen das Gegenüber egal. Denn im Wort »egal« steckt bereits ein Zuviel an Handlungsorientierung an anderen. Es wirkt vielmehr, als würde das Gegenüber aus dem Selbst- und Weltbezug der Gewaltausübenden verschwinden. Als wäre der Sprung in die Gewalt ein Moment a-sozialer Gegenwart. Da ist niemand (mehr). In diesem Sinne ist das Zentrum der Tat leer.9 Und es ist diese Beobachtung, die ich im vorliegenden Buch zu erkunden versuche.
Aufbau des Buches

Im ersten Teil des Buches werde ich Methodik und Materialgrundlage des Buchs darlegen. Das Kapitel Zugänge: Den Moment der Gewalt erfassen ist zweigeteilt. Zuerst werde ich die beiden zentralen Zugänge - Grounded Theory und Andrew Abbotts Lyrische Soziologie - vorstellen, die der Untersuchung zugrunde liegen. Dann werde ich die Arbeitsweise konkret machen, indem ich die Forschung in ihrer Prozesshaftigkeit und als persönliche Tätigkeit reflektiere. Es geht darum, das Finden der Frage und das Ringen um eine dem Gegenstand angemessene Sprache mit der Schwierigkeit in Bezug zu setzen, empirisch überhaupt an den Situationsmoment der Gewalt heranzukommen.

Im Kapitel Vier Fälle unvermittelter Gewalt rekonstruiere ich Fälle versuchten Totschlags, die die Grundlage der Untersuchung bilden. Die dokumentarischen Rekonstruktionen sind eine erste Verdichtung des Materials und bilden den Ausgangspunkt für die Analyse.

Im Kapitel Aspekte des Handlungsmodus gewalttätiger A-Sozialität werde ich drei Handlungsaspekte des Handlungsmodus analytisch dicht rekonstruieren. In einem ersten Schritt werde ich den Moment des Sprungs in die Gewalt hinsichtlich seiner Situiertheit betrachten und den Wirkungszusammenhang von Einkapselung des Gewaltausübenden in einen Zustand...
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Autor

Tobias Hauffe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Gesellschaftsanalyse und sozialer Wandel an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er ist externes Mitglied der Forschungsgruppe Makrogewalt am Hamburger Institut für Sozialforschung.
Weitere Artikel von
Hauffe, Tobias