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Stollbergs Inferno

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Alibri Verlagerschienen am11.03.2024
Der Religionskritiker Jan Stollberg stirbt während einer Vorlesung und findet sich, zu seinem maßlosen Erstaunen und Entsetzen, in der christlichen Vorhölle wieder, die tatsächlich so aussieht, wie die katholische Kirche es seit Jahrhunderten predigt. Wie er sind dort alle Philosophen gefangen, die aufklärerisches Gedankengut vertreten haben, von Immanuel Kant bis Friedrich Nietzsche, von Karl Marx bis Albert Camus. Der unmittelbar bevorstehende Abtransport Ludwig Feuerbachs zur 'Himmlischen Rampe' wird für die gepeinigten Gefangenen zum Anlaß, die höllischen Zustände nicht länger nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern - sie planen den Aufstand gegen die Diktatur Gottes...

Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil, geboren 1967, ist freischaffender Philosoph, Schriftsteller, Musiker und Sozialwissenschaftler. Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, der viele renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDer Religionskritiker Jan Stollberg stirbt während einer Vorlesung und findet sich, zu seinem maßlosen Erstaunen und Entsetzen, in der christlichen Vorhölle wieder, die tatsächlich so aussieht, wie die katholische Kirche es seit Jahrhunderten predigt. Wie er sind dort alle Philosophen gefangen, die aufklärerisches Gedankengut vertreten haben, von Immanuel Kant bis Friedrich Nietzsche, von Karl Marx bis Albert Camus. Der unmittelbar bevorstehende Abtransport Ludwig Feuerbachs zur 'Himmlischen Rampe' wird für die gepeinigten Gefangenen zum Anlaß, die höllischen Zustände nicht länger nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern - sie planen den Aufstand gegen die Diktatur Gottes...

Michael Schmidt-Salomon, Dr. phil, geboren 1967, ist freischaffender Philosoph, Schriftsteller, Musiker und Sozialwissenschaftler. Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, der viele renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angehören.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783865697172
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum11.03.2024
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5757 Kbytes
Artikel-Nr.14126776
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



 

VI.

Nach einer kurzen Wanderung durch das Felsgestein waren Jan und Camus an einer großen Höhle angelangt, in der sich eine große Menschenmenge versammelt hatte. Alles Todsünder? , fragte Jan. Camus nickte.

Die Menschen saßen auf langen, kargen Holzbänken, die in merkwürdigem Kontrast standen zu dem üppigen Festmahl, das auf den Tischen vor ihnen aufgebaut war. Jans Blick wanderte fasziniert von einer Köstlichkeit zur anderen: Fasanen-, Gänse- und Entenfleisch, Lachs, Muscheln und Krebse, Hummer und Kaviar, dazu aromatisch duftende Trüffel und Pfifferlinge, frische Datteln, Feigen und Melonen, Süßspeisen aller Art. In den Gläsern perlte der Champagner.

Herrliche Düfte durchströmten den Raum. Jan atmete tief ein, nahm das wunderbare Aroma der Speisen in sich auf. In ihm wuchs eine ungeheure Lust, ein mächtiges Verlangen, alles zu verspeisen, was da unten auf den Tischen lag. Nie zuvor hatte er solchen Heißhunger gespürt. Er hatte nur noch einen Wunsch, nur noch ein Ziel vor Augen: Möglichst bald diese köstlichen Speisen zu berühren, sie in den Mund zu nehmen, zu schmecken, mit allen Sinnen zu genießen. Er stürmte nach vorne. Camus versuchte ihn zurückzuhalten: Jan, hör zu! Die Speisen sind ... sind nicht das, was sie vorgeben zu sein!

Jan wollte nicht hören. Er riss sich los und hetzte durch die Reihen. Endlich fand er einen Sitzplatz. Vor ihm lag eine mit Nüssen und Mandeln gefüllte Wildgans. Er fixierte sie mit irrem Blick. Nie zuvor hatte er etwas derart Wunderbares gesehen! Das war nicht irgendeine gefüllte Gans, das war der Inbegriff der gefüllten Gans schlechthin! Ein einziger Bissen würde ihn entschädigen für all die Erniedrigungen und Schmerzen, die er in den letzten Stunden durchlitten hatte. Der Gedanke war verrückt, aber Jan konnte sich nicht dagegen wehren.

Er griff nach der Gans, riss sie in wilder Gier auseinander und schob sich ein großes Stück des saftigen Fleisches in den Mund. Seine Geschmacksnerven waren aufs Äußerste angespannt. Er schloss die Augen vor Erregung.

Das Fleisch schmeckte irgendwie seltsam. Zunächst merkte er nur, dass es äußerst bitter war und einen unangenehmen, faulig süßen Nachgeschmack hatte. Auch die Konsistenz war irritierend. Es war weder knusprig noch zart, sondern matschig und pelzig. Außerdem hatte er das Gefühl, dass irgendetwas seinen Gaumen entlang kroch. Nein, er korrigierte sich, es war kein einzelnes Etwas, es waren mehrere kleine Etwasse. Ein ganzes Nest! Gottverdammt! Jans Magen krümmte sich zusammen. Er spuckte die halb zerkaute Mahlzeit aus.

Kleine, weiße Maden tummelten sich auf seinem Teller. Sie schwammen in einer dickflüssigen, grünlich-braunen Substanz, die von Schimmel durchsetzt war. Jan würgte. Er konnte es nicht zurückhalten. Sein Magen rebellierte. Er kotzte, bis nur noch Galle kam.

Beschämt sah er auf seinen Teller hinunter. Zwischen den Maden und dem Schimmel schwammen kleine Stücke Mais und Blumenkohl - Überreste des Mensaessens, das er kurz vor seiner verhängnisvollen letzten Vorlesung zu sich genommen hatte.

Du hast doch nichts dagegen? , fragte sein rechter Tischnachbar, den Jan bis dahin überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Ohne eine Antwort abzuwarten, ergriff er Stollbergs Teller, zog ihn zu sich und machte sich mit großem Elan darüber her.

Aus Jans Gesicht war alle Farbe verschwunden. Wie gelähmt beobachtete er, wie sein Tischnachbar Maden, Schimmel und Erbrochenes genüsslich in sich hineinschaufelte. Dabei schockierte ihn weniger, was dieser Mann da machte, sondern viel mehr, wer dieser Mann war!

Wie ich sehe, hast du dich gleich an den Tisch mit der Prominenz gesetzt! Gratuliere! , sagte Camus, der die ganze Zeit nach Stollberg gesucht hatte und sichtlich erleichtert war, ihn gefunden zu haben.

Jan stand auf und zog Camus zur Seite: Sag mir, dass das nicht wahr ist!

Was meinst du?

Ich habe von der Gans gekostet und ...

Sie war nicht so, wie du es dir vorgestellt hast!

Mein Magen hat es nicht verkraftet!

Das geht den meisten so beim ersten Mal!

Es war schrecklich, ich habe mich in den Boden geschämt! Aber dann ... dann hat er ... , Jan zeigte auf seinen Tischnachbarn, der in der Zwischenzeit den Teller sauber geleert hatte und sich nun über die Gans hermachte, ... er hat meinen Teller zu sich rübergezogen und ... Bei dem Gedanken wurde Jans Gesicht noch etwas bleicher, als es ohnehin schon war. Er musste übel aufstoßen.

Camus grinste: Seit er gehört hat, dass Wagners Parsifal regelmäßig im Himmel aufgeführt wird, ist er gänzlich von Sinnen!

Er... er ist es also wirklich? , fragte Jan.

Daran gibt es keinen Zweifel! , antwortete Camus. Er beugte sich nach vorne: Darf ich unterbrechen, Eure Hoheit? Ich würde Ihnen gerne Jan Stollberg vorstellen. Er gilt als einer der besten Nietzsche-Kenner des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts...

Wer ist Nietzsche? , fragte Nietzsche. Und überhaupt: Wie kommst du Wurm dazu, einen Gott bei seinem Festmahl zu stören? Seine Stimme nahm einen pathetischen Ton an: Es gibt nichts Heiligeres als den Willen zur Gans! Er verfiel in wildes Gelächter.

Camus zuckte mit den Schultern: Wie ich schon sagte: Er ist von Sinnen ...

Jan blickte fassungslos auf Nietzsche und Camus. Wenn man ihm vor Tagen gesagt hätte, dass er einmal einem Gespräch zwischen den beiden werde lauschen dürfen ... Natürlich hätte er es nicht geglaubt! Er glaubte es ja immer noch nicht! War es nicht merkwürdig, dass er ausgerechnet jene beiden Philosophen traf, mit denen er sich zeitlebens am meisten beschäftigt hatte? Sprach das nicht dafür, dass er das Ganze doch nur unbewusst inszenierte? Andererseits, das musste er zugeben, schienen die Erlebnisse höchst real zu sein: die Flammen, die Gerüche, die Schmerzen, die Übelkeit, die ihn überfiel, wenn er an die Maden auf dem Teller dachte ... Verdammt, da war sie wieder! Jan versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.

Er hatte Glück, denn just in diesem Moment sprang Nietzsche auf: Wir sind die Götter des Olymps! , verkündete er in feierlichem Ton. Wir sind alles, was ist! Wir haben die Philosophie entjungfert und die Werte zertrümmert! Unser Werkzeug war nicht das Skalpell, sondern die Abrissbirne! Wir wollten nicht reformieren, sondern schlachten! Wir haben die Welt entsorgt und den Tod vernichtet! Übrig blieb der heilige Rausch und ... , er machte eine theatralische Pause, ... der Wille zur Gans! Nietzsche klatschte sich selbst Beifall, verbeugte sich nach allen Seiten. Dann setzte er sich hin, griff nach der Gabel und verdrückte ein weiteres Stück Gänsebraten.

Wie kann er das nur runterschlucken? , fragte Jan.

Es ist uns allen ein Rätsel, wie er das macht! Die schlimmsten Qualen scheinen ihn nicht zu stören. Im Gegenteil! Er kostet sie aus, scheint sich dabei sogar bestens zu amüsieren! Angst scheint er auch keine zu haben ... Camus lachte: Vor kurzem soll er den Inquisitoren zugerufen haben: Was, ihr wollt euch vermehren? Verzehnfachen, verhundertfachen? Sucht Nullen! An mir werdet ihr euch überheben: Dionysos ist eine Nummer zu groß für euch!´

Das erinnert an eine Stelle aus der Götzendämmerung ...

Camus nickte: Du kannst dir ja vorstellen, wie die Inquisitoren darauf reagiert haben ...

Sie haben ihn ins Feuer geschickt!

Richtig, aber mit seiner Reaktion haben sie nicht gerechnet...

Was hat er gesagt?

Er hat sich bedankt! Das sei alles sehr angenehm gewesen, ob man das nicht wiederholen könne. Die Hitze sei sehr heilsam für seinen bösen Rücken...

Er hat einen bösen Rücken?

Nein, soweit ich weiß, ist er körperlich kerngesund. Er wollte provozieren!

Also ist er doch bei Verstand?

Schwer zu sagen, ob seine Narrheit die Folge einer mentalen Krankheit ist oder aber ein genialer Schachzug seiner Fröhlichen Wissenschaft! Auf jeden Fall scheint er seinen Aufenthalt hier zu genießen!

Die beiden schauten mit einer Mischung aus Mitleid und Bewunderung zu Nietzsche hinüber, der sich gerade eine große Marzipantorte auf den Teller lud.

Du solltest auch einen kleinen Happen essen! , sagte Camus.

Unmöglich! , antwortete Jan.

Wenn du´s nicht tust, wird dich bald schrecklicher Hunger quälen ...

Wenn ich´s dir doch sage: ich kann das nicht!

Du wirst es lernen müssen!

Es ist erniedrigend!

Das soll es auch sein!

Ich werde...

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