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Jeanie und Julius

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Kjona Verlagerschienen am15.04.2024
Wiltshire, im Südwesten Englands: Die Zwillinge Jeanie und Julius leben mit ihrer Mutter Dot am Rande der Gesellschaft in einem windschiefen Cottage. Jeanie kann nicht lesen und nicht schreiben, im Dorf verkauft sie, was sie in ihrem wilden Garten anbaut.Julius kämpft sich mit Gelegenheitsjobs durch. Ihr Leben ist einfach, sie haben nicht viel, aber was sie haben, gehört ihnen. Doch dann stirbt Dot und es kommen Geheimnisse über das Cottage, den Vater und Jeanies schwaches Herz ans Licht, die das Leben der Zwillinge seiner Einfachheit berauben.

Claire Fuller, 1967 geboren, lebt im englischen Winchester. Ihre Romane, in denen sie stets den Außenseiter:innen unserer Gesellschaft eine Stimme verleiht, werden in viele Sprachen übersetzt. »Jeanie und Julius« war ein Sunday Times-Bestseller und wurde mit dem Costa Book Award ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextWiltshire, im Südwesten Englands: Die Zwillinge Jeanie und Julius leben mit ihrer Mutter Dot am Rande der Gesellschaft in einem windschiefen Cottage. Jeanie kann nicht lesen und nicht schreiben, im Dorf verkauft sie, was sie in ihrem wilden Garten anbaut.Julius kämpft sich mit Gelegenheitsjobs durch. Ihr Leben ist einfach, sie haben nicht viel, aber was sie haben, gehört ihnen. Doch dann stirbt Dot und es kommen Geheimnisse über das Cottage, den Vater und Jeanies schwaches Herz ans Licht, die das Leben der Zwillinge seiner Einfachheit berauben.

Claire Fuller, 1967 geboren, lebt im englischen Winchester. Ihre Romane, in denen sie stets den Außenseiter:innen unserer Gesellschaft eine Stimme verleiht, werden in viele Sprachen übersetzt. »Jeanie und Julius« war ein Sunday Times-Bestseller und wurde mit dem Costa Book Award ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783910372245
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.04.2024
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.14139734
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



2

Jeanie erwacht, weil Julius sie am Arm rüttelt, erst sanft, dann ruppiger. Sie hastet ihm hinterher, mit flatterndem Nachthemd die Treppe hinab, obwohl er gesagt hat, sie solle nicht rennen. In der Küche herrscht trübes Licht, die Vorhänge sind geschlossen, die Lampe aus, nur das Feuer glüht orange aus dem Herd. Ihre Mutter liegt mit dem Gesicht auf dem Boden und rührt sich nicht. Jeanie schlägt sich die Hände vor den Mund, um ihren Schrei zu ersticken.

»Hilf mir, sie umzudrehen«, sagt Julius, doch als Jeanie ihre Mutter berührt, weiß sie, dass sie tot ist. Dots Arme bleiben zu beiden Seiten liegen, ihre Fußgelenke kreuzen sich, die Pantoffeln fallen herunter, und obwohl sie ihren Morgenmantel trägt, findet Jeanie, sie sieht aus, als würde sie sonnenbaden, etwas, das ihre Mutter nie getan hätte, im Freien hatte man zu arbeiten. Jeanie meidet den Anblick der Wunde an Dots Stirn, und um nichts davon mehr sehen zu müssen, hält sie sich die Hände vors Gesicht. Durch ihre Fingerritzen hindurch sieht sie in rosigen Streifen die Küche und Einzelteile des Körpers ihrer Mutter. Als sie und Julius zwölf waren, oben auf dem Acker von Priest´s Field, hatte sie auch nicht wegsehen können. Der Hund, zuvor unter dem Küchentisch zusammengekauert, kriecht jetzt winselnd darunter hervor, und Jeanie nimmt die Hände vom Gesicht.

»Maude!« Sie schnippt, und auf ihren Fingerzeig hin trollt sich der Hund zurück unter den Tisch.

»Ihr Hals, drück gegen ihren Hals, fühl ihren Puls«, sagt Julius. Er ist neben Dot in die Hocke gegangen, nur in Pyjamahose - seit Jahren hat Jeanie ihn nicht mehr ohne seine Arbeitskleidung gesehen -, graue Haare auf der Brust; von harter Arbeit geformte Muskeln an Armen und Oberkörper.

Aus Gewohnheit und völlig unbewusst drückt Jeanie die Finger an ihren Hals, dann berührt sie ihre Mutter flüchtig an der Wange. »Sie ist kalt. Es ist zu spät.«

»Ich wollte einen Krankenwagen rufen, aber mein Akku ist leer«, sagt Julius.

»Brauchen wir nicht. Es ist zu spät.«

»War wohl Stromausfall. In der Nacht ist alles ausgegangen. Ich kontrollier mal den Sicherungskasten.«

»Sie ist nicht mehr, Julius.«

»Was ist mit dieser Brustmassage?«

»Sie ist tot.«

»Herrje.«

Julius hat eine ernste Miene aufgesetzt, doch die Situation ist so absurd, dass Jeanie am liebsten lachen würde. Wie ein Rülpser steigt ein ungläubiges Glucksen in ihr auf, und wieder schlägt sie sich die Hände vor den Mund, um es zurückzuhalten. Julius legt die großen Hände auf den Kopf, sein schütteres Haar, dann verkrampft er sich auf einmal, alles zuckt; sein Schluchzen klingt wie der Ruf eines exotischen Tiers. Jeanie beobachtet ihn fasziniert. Sie sind mit fast einem ganzen Tag Abstand auf die Welt gekommen, er zuerst, dann Jeanie - unerwartet und unvorbereitet -, von ihrem panischen Vater entbunden, nachdem die Hebamme bereits heimgegangen war. »Mein Stummelchen«, hatte Frank seine Tochter liebevoll genannt. Jeanie denkt oft, dass diese dreiundzwanzig Stunden für ihre Unterschiedlichkeit verantwortlich sind: Die Art, wie Julius die Welt annimmt, wie sie ist, seine Gefühle zeigt, aufgeschlossen für Menschen und Situationen, während sie, Jeanie, sich nach Sicherheit, Heim und Stille sehnt.

Umständlich streckt sie sich über den Leichnam ihrer Mutter, zieht Julius auf die Beine, bugsiert ihn aufs Sofa und setzt sich daneben. Maude blickt auf, als würde sie auf eine Einladung warten, aber weil Jeanie rasch den Kopf schüttelt, legt der Hund die Schnauze wieder auf die Pfoten.

»Ich muss ihren Sturz gehört haben«, sagt Julius, als sein Schluchzen verebbt ist. Er wischt sich mit dem Handrücken über die Nase, reibt sich die Augen. »Oder zumindest das Schüreisen und die Schaufel. Ich hab gedacht, Maude verzapft irgendeinen Mist, und bin wieder eingeschlafen.«

»Es ist nicht deine Schuld«, sagt Jeanie, obwohl sie noch nicht weiß, ob sie das tatsächlich auch so empfindet. Ihr Bruder, wie zuvor auch ihr Vater, hat schon so oft versprochen, die Steinplatte neu zu verlegen. Wenn die eigene Mutter tot auf dem Küchenboden liegt, hat dann jemand Schuld? Sie nimmt ihn in den Arm, und so verharren sie eine Weile, bis Jeanie über seine Schulter blickt, durch den Spalt zwischen den Vorhängen. »Es schneit«, sagt sie.

Sie legen Dot eine Decke über. Jeanie will sie aufs Sofa heben, doch es ist zu kurz. Sie setzt Wasser auf und kocht Tee, den sie am Tisch trinken, die Leiche ihrer Mutter auf dem Boden hinter ihnen, wie wenn ein Kind sich besonders schlecht versteckt hat, aber die Erwachsenen trotzdem so tun, als könnten sie es nicht sehen.

»Sie war ein feiner Mensch«, sagt Julius. »Eine gute Mutter.«

Jeanie nickt, murmelt etwas in ihren Tee.

»Sind die Tischböcke noch in der alten Milchkammer?«, fragt sie, sicher, dass Julius wie immer ihrem Gedankengang folgen wird.

Im Wohnzimmer rollt sie den Läufer auf und schiebt die Sessel an die Wand. Als würde sie hier alles zum Tanzen freiräumen, in diesem Zimmer, wo nie getanzt wurde. Julius legt eine alte Tür auf die beiden Böcke und kehrt zurück in die Küche, um ihre tote Mutter unter Ächzen und Stöhnen rüberzutragen und darauf abzulegen. Jeanie darf ihm nicht helfen. Es gibt eine lange Liste von Dingen, die Jeanie wegen ihres schwachen Herzens zu ihrem Bedauern nie hochheben durfte: Kisten, Heuballen, Babys, Traktoren. Er kommt mit Dot ins Wohnzimmer. Hier ist es kühl, viel kälter als in der Küche. Ein Häkeldeckchen liegt über der Rückenlehne eines Polstersessels, ein Toby-Jug und ein gerahmtes Hochzeitsfoto von Dot und Frank vor einer nie von ihnen besuchten italienischen Landschaft stehen auf einer niedrigen, polierten Truhe, ein Wandteppich verbirgt den in dieser Haushälfte nie benutzten Kamin.

Als Frischvermählte wohnten Dot und Frank ein Jahr lang in der linken Cottagehälfte mit einem Schlafzimmer, doch gleich nach der Geburt der Zwillinge mietete Frank die spiegelverkehrte, rechte Cottagehälfte dazu. Er riss die Wand dazwischen ein und mauerte eine der beiden Haustüren zu, sodass das Doppelcottage nun vom Tor aus betrachtet irgendwie windschief wirkt, innen gibt es noch zwei Treppen, jede führt zu einem kleinen Flur mit je einem Schlafzimmer.

Nachdem Julius Dot auf die alte Tür gelegt hat, tauscht Jeanie die Decke gegen ein sauberes Laken.

Bruder und Schwester sitzen mittlerweile angezogen am Küchentisch, die Teekanne wurde wieder aufgefüllt. Julius hat den Sicherungskasten in der Waschküche überprüft, es gab keinen Kurzschluss, aber der Strom blieb weg, egal, wie lange er an den Kabeln herumgefummelt hat.

»Wir müssen wohl einen Arzt informieren. Macht man das nicht so, wenn jemand gestorben ist?«, fragt Julius, als würde er mit sich selbst sprechen. Nach dem Tod ihres Vaters folgte alles einem bestimmten Ablauf, von dem Jeanie und Julius nichts wussten und den sie jetzt nur erraten können.

»Ärzte sind für Kranke«, sagt Jeanie.

»Aber wir brauchen einen Totenschein.«

Wozu?, denkt Jeanie, sagt aber nichts.

»Damit wir sie beerdigen können«, sagt Julius, als würde er antworten. »Ich hole einen Arzt, er gibt uns den Schein und damit hat es sich.«

Jeanie schüttelt den Kopf. Dot hätte keinen Arzt gewollt, keine Scheine, Formulare, Behörden. Sie waren seit Jahren nicht mehr beim Arzt.

Aber Julius ist aufgestanden und schlüpft bereits in seine Arbeitsstiefel. »Ich muss ins Dorf laufen«, sagt er. Im Dorf, Inkbourne, gibt es eine Arztpraxis, ein Rathaus mit öffentlichen Toiletten, ein Fish-and-Chips und einen kleinen Supermarkt mit Postschalter. Außerdem einen alten Gemüseladen, von einem jungen Londoner mit gewachstem Schnurrbart in ein Feinkostgeschäft umgewandelt, da kann man piekfeines Brot, Käse und Oliven kaufen, aber auch das von Jeanie und Dot gelieferte Gemüse und ihre Eier. Der Besitzer Max serviert an Aluminiumtischen draußen auf dem Gehweg teure Kaffeesorten und edles Gebäck an die vorbeikommenden Wanderer auf dem durchs Dorf verlaufenden Fernwanderweg und die Männer, die mit Lycra-Anzügen auf ihren Rennrädern durchs Dorf fahren, einen Zehn-Pfund-Schein in der kleinen Tasche vorn in den Leggings. »Mit dem Rad kann ich nicht fahren«, sagt Julius, und Jeanie fällt der Schnee wieder ein. »Wenn die Praxis aufhat, sag ich Bridget Bescheid, die will das sicher wissen, sie kann einen der Ärzte informieren. Wenn zu ist, geh ich direkt zu ihr nach Hause.« Er nimmt den Mantel vom Haken an der Rückseite der Tür. Maude steht auf, wedelt mit dem Schwanz.

»Solltest du nicht mit Craig an diesem Badezimmer weiterarbeiten?«, fragt Jeanie.

»Am Todestag meiner Mutter schleppe ich keine Stahlwannen in irgendwelche Luxusbäder.«

»Wie willst du ihm denn Bescheid sagen?«

»Der wird schon merken, wenn ich nicht komme.«

»Hätte er dich nicht heute bezahlen sollen?«

Julius hält inne. »Ich lass dich hier nicht den ganzen Tag allein.«

»Ich muss die Hühner füttern. Es gibt Dinge im Garten zu tun, die nicht warten können.« Sie tritt auf ihn zu. »Du solltest gehen, hol dir deinen Lohn. Wir brauchen das Geld.«

Julius hat die Hand auf dem Türriegel. »Ich schau mal. Wenn ich nicht mit dem Rad fahren kann, komme ich sowieso zu spät.« Die Verärgerung in seiner Stimme bemerkt er wohl selbst, denn er kommt nochmal zurück und schließt sie in die Arme. »Wird schon werden«, sagt er in ihr Haar, »alles wird gut.«

Sie schubst ihn weg. »Weiß ich doch. Ab mit dir.«

An der Haustür sieht sie ihm nach, Maude...

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Claire Fuller, 1967 geboren, lebt im englischen
Winchester. Ihre Romane, in denen sie stets den Außenseiter:innen unserer Gesellschaft eine Stimme verleiht, werden in viele Sprachen übersetzt. »Jeanie und
Julius« war ein Sunday Times-Bestseller und wurde mit dem Costa Book Award ausgezeichnet.