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Tanz, tanz, Revolution

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kanon Verlagerschienen am20.03.20241. Auflage
Das Friedensbuch. Stell dir vor, du könntest mit deinem Tanz den Krieg beenden. Es ist die Nacht, in der das Böse ausgetrieben wird. Mit Leichtigkeit hebt Baba Yara den bleichen Mond aus der Schwärze. Dann fängt sie an zu tanzen. Baba Yara wird uns retten! Mit ihrem Tanz kann sie Menschen zum Leben erwecken. Die schlechten Toten, all jene, die zu früh von uns gegangen sind. Wer würde das nicht wollen? Lisa Weedas Jahrhundertroman »Aleksandra« sorgte für Furore, jetzt legt sie ihr neues Buch »Tanz, tanz, Revolution« vor - ein kühnes Romanexperiment, das uns dazu auffordert, für den Frieden in Bewegung zu bleiben. Denn Tanz kennt keine Sprache, keine Grenzen. »Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.« Pina Bausch

Lisa Weeda wurde 1989 geboren und ist eine niederländisch-ukrainische Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Virtual-Reality-Regisseurin. Die Ukraine, das Heimatland ihrer Großmutter, steht oft im Mittelpunkt ihres Werks. Ihr Debütroman »Aleksandra« war ein Bestseller in den Niederlanden und erschien 2023 auf Deutsch.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden (Leinen)
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDas Friedensbuch. Stell dir vor, du könntest mit deinem Tanz den Krieg beenden. Es ist die Nacht, in der das Böse ausgetrieben wird. Mit Leichtigkeit hebt Baba Yara den bleichen Mond aus der Schwärze. Dann fängt sie an zu tanzen. Baba Yara wird uns retten! Mit ihrem Tanz kann sie Menschen zum Leben erwecken. Die schlechten Toten, all jene, die zu früh von uns gegangen sind. Wer würde das nicht wollen? Lisa Weedas Jahrhundertroman »Aleksandra« sorgte für Furore, jetzt legt sie ihr neues Buch »Tanz, tanz, Revolution« vor - ein kühnes Romanexperiment, das uns dazu auffordert, für den Frieden in Bewegung zu bleiben. Denn Tanz kennt keine Sprache, keine Grenzen. »Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.« Pina Bausch

Lisa Weeda wurde 1989 geboren und ist eine niederländisch-ukrainische Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Virtual-Reality-Regisseurin. Die Ukraine, das Heimatland ihrer Großmutter, steht oft im Mittelpunkt ihres Werks. Ihr Debütroman »Aleksandra« war ein Bestseller in den Niederlanden und erschien 2023 auf Deutsch.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783985681099
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum20.03.2024
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1460 Kbytes
Artikel-Nr.14175633
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


In Stadtvierteln wie diesem dauert es am längsten: Bis hier jemand das Gartentor öffnet oder überhaupt mal ein Auto mit getönten Scheiben vorbeikommt, vergeht mindestens eine Viertelstunde. Toni spürt ihre Blicke. Verstohlen beobachten sie ihren Wagen, auf dem in dunkelblauen Buchstaben BODY-PICK-UP-SERVICE steht. Aus den Einfamilienhäusern, versteckt hinter langen Auffahrten und den regelmäßig, doch vergebens bewässerten Rasenflächen, starren die Bewohner durch die Gardinen auf ihr Auto: »Wo ist wohl dieses Mal eine aufgetaucht?«

Toni setzt den Fuß auf das Gaspedal und fährt langsam durch die hügeligen Straßen. Vor zwei großen Häusern hält sie an und nimmt das Fernglas zur Hand - ein Geschenk ihrer Mutter, als sie zu Besuch war: »Du hast es zu Hause doch immer so geliebt, Vögel zu beobachten.« Das Ding hatte eine Weile auf der Kommode im Wohnzimmer gestanden, bis es sich als Staubfänger entpuppte, Toni es in eine Schublade geworfen und erst vor Kurzem wiedergefunden hatte. Jetzt kommt es ihr gelegen. Mit einer Hand noch am Lenkrad, stellt sie das Fernglas scharf und schaut auf ein weißes Haus mit blauen Fensterrahmen, Nummer acht. Hier soll sie einen toten Besulianer abholen. Toni zoomt die Fenster im ersten Stock heran, ein Finger mit Titanring schiebt die cremeweiße Gardine ein paar Zentimeter zur Seite.

»Herrschaftszeiten, was für Unannehmlichkeiten«, murmelt sie missmutig, »ihr seid eben doch nicht einzigartig. Ob reiche Vororte, Viertel mit haufenweise Müllsäcken auf dem Bürgersteig, ein Penthouse mitten in der Stadt - den Leichen ist das piepegal.«

Tonis Mutter taucht auf dem Beifahrersitz auf und späht nach draußen. Ihre Brüste hängen weit nach vorn, die Brustwarzen pressen durch BH und Blümchenbluse gegen das schwarze Kunstleder des Handschuhfachs.

»Beim Tanzen ist es auch egal, ob du reich bist oder arm«, sagt die Mutter, »tanzen kann jeder, aber hier schämen sie sich anscheinend dafür.«

»Mam, ich arbeite.«

»Na und?«

Toni brummt und beißt sich auf die Innenseite ihrer Wange, eine Angewohnheit aus Kindertagen.

»Ich suche mir diese Momente nicht aus, Mädchen«, sagt die Mutter und seufzt. »Der Tod macht, was er will. Das weißt du doch.«

»Solange du still bist, wenn ich die Leiche abhole. Ich weiß nämlich nicht, ob die Toten dich vielleicht sehen können.«

Ihre Mutter lehnt sich zurück und verschränkt theatralisch die Arme. Toni stützt sich mit den Ellbogen auf das Lenkrad, das Fernglas immer noch vor den Augen.

»Na, komm schon«, flüstert sie, »ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Ich bin müde.«

In den Body-Drop-Off-Centern ist heute mehr los als sonst, hat Toni im Morgenbriefing gelesen. Eine Umfrage hatte ergeben, dass die Menschen das Ganze nach zweieinhalb Jahren satthatten. Sie hatten ihr Leben, ihren Alltag auch ohne den ganzen Zirkus zu bewältigen. Zum ersten Mal seit Langem hat Toni so etwas wie Verzweiflung gefühlt. Das Gefühl, das sie über ein Jahr erfolgreich unterdrückt hatte, ist mit einem Mal wieder hervorgekommen, wie üblich irgendwo zwischen ihren Brüsten oder knapp darunter, als würde man sie mit einem stumpfen Gegenstand attackieren. Ich tue etwas ganz und gar Unmenschliches, hat sie gedacht, erst habe ich im Keller einer bescheuerten Firma gesessen und jetzt bin ich noch tiefer gesunken - das Gehalt stimmt, aber was ist mit meiner Würde?

Unter der Dusche hat sie am Morgen weinen müssen und danach hat sie eine halbe Ewigkeit nackt vor dem Spiegel gestanden.

»Ich habe Papa und Mama Märchen erzählt«, hat sie geschimpft, »ich bin ein versteinerter Baum. Ich blühe nicht, verliere keine Blätter. Das Leben ist hier kein Stück besser.« Als ihr die Mutter wieder erschienen ist und sie streng angesehen hat, hat sie das Badezimmer verlassen.

»Beklage dich nicht«, hat sie geflüstert, »du hast eine schöne Wohnung, du hast Arbeit, wahrscheinlich noch für lange Zeit. Du hast jede Menge Geld gespart, bald kannst du zurück in unser Dorf.«

Als Mitarbeiter für den Body-Pick-Up-Service gesucht wurden, hatte sie keine Sekunde gezögert. Sie hatte die Nase voll von der Büroarbeit, die sie seit ihrer Ankunft vor sechzehn Jahren erledigte. Die Stelle beim Body-Pick-Up-Center erschien ihr dagegen nobel: Leichen der Kriegsopfer aus Besulia einsammeln und aufbewahren, bis sie irgendwann wieder zum Leben erweckt werden würden.

Nach einem kurzen Auswahlverfahren - nur ein Online-Fragebogen - bekam Toni sofort die Stelle.

Verfügen Sie über einen Führerschein der Klasse B oder C?
â­ JA
â­ NEIN

Haben Sie Angst vor Toten?
â­ JA
â­ NEIN

Sind Sie emotional dazu imstande, Leichen bei den jeweiligen Leichenspendern abzuholen und abzutransportieren?
â­ JA
â­ NEIN

Sind Sie vorbestraft?
â­ JA (laden Sie die entsprechenden Dokumente am Ende des Fragebogens hoch)
â­ NEIN

Bitte unterzeichnen Sie die folgenden Erklärungen:
â­ Hiermit erkläre ich, dass mir Leichen nichts ausmachen.
â­ Hiermit erkläre ich, die Leichen beim zuständigen Body-Drop-Off-Center abzuliefern.
â­ Hiermit erkläre ich, dass ich unter keinen Umständen illegalen Handel mit Leichen betreiben werde.
â­ Hiermit erkläre ich, den Toten bei den täglichen Gedenkfeiern die letzte Ehre zu erweisen.
â­ Hiermit erkläre ich, dass ich bei diesen Gedenkfeiern niemals den Svaboda Samoverzjenja tanzen werde.

Das Bewerbungsverfahren war derart einfach, dass sie es kaum glauben konnte. An ihrem dritten Arbeitstag, während des abschließenden Gedenkens für den neuesten Schwung aus der Diaspora der Toten, an dem alle diensthabenden Leichensammler teilnahmen, hörte sie, dass die Fragebogen noch kürzer und einfacher geworden waren: Es war schwer, Mitarbeiter zu finden. Das Personal bestand vorwiegend aus Arbeitsmigranten.

»Der Tod ist für alle hier eine Katastrophe«, schimpfte der Kollege, der sich nach der Gedenkfeier als Kaspar vorgestellt hatte. »Menschen anderswo empfinden es irgendwie als normaler, das Sterben, die Leichen, das Leben nach dem Tod und so weiter. Du kommst doch auch nicht von hier, oder?«

»Nein«, antwortete sie, »aber ich lebe hier schon lange.«

»Erzähl mal«, sagte er. »Willst du ein Bier?«

Sie gingen hinüber ins Hauptgebäude, und er zauberte mit lässigem Lächeln vier Dosen Bier aus der Kühlbox mit dem DNA-Material. Damit gingen sie zum Totenfeld Nummer vierzehn. Am Feldrand standen in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne zwei weiße Schalensessel.

»Meine Großeltern liegen im Garten meines Geburtshauses«, sagte Toni, nachdem sie sich hingesetzt hatten. »In den Bergen. In unserem Dorf gibt es einen Friedhof, na klar, aber mein Opa wollte nicht weg von dem Haus, das er mit eigenen Händen gebaut hatte.«

»Ehrlich?«, sagte Kaspar. »Das würden wir hier total makaber finden, verrückt sogar! Als die Leichen aus Besulia hier plötzlich auftauchten, dachte ich: Könnte man allen, die vor ihrer Zeit den Löffel abgeben, neues Leben einhauchen, wer würde das nicht wollen? Das wär doch ein Traum! Aber nein, so war´s nicht.«

Toni nickte. »Ich verstehe das auch nicht«, sagte sie. »Ach, und mein Vater liegt da auch schon.«

»Wo?«

»In unserem Garten.«

»Ah, ja.«

»Er ist gestorben, kurz nachdem ich hierhergezogen bin. Ich habe ihn nur noch ein einziges Mal besucht. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her. Ich war einundzwanzig.«

»Und deine Mutter?«

»Auch tot. Seit sechs Jahren. Ich muss sie noch beisetzen, dort im Garten. Ich hatte noch keine Zeit.«

»Keine Zeit, um nach Hause zu fahren? Wo kommst du denn her?«

»Upasi. Südlich von Besulia. Kennst du es?«

Kaspar ließ seine Bierdose in der Hand rotieren und nahm einen Schluck.

»Claudia, meine Frau, hat einen Weinführer über Upasi.«

»Wir haben die besten Weine«, sagte Toni.

Sie schauten auf das riesige Gräberfeld. In der Ferne lag die Skyline der Stadt: Bürohäuser, das Parlamentsgebäude, Banken, moderne Wohntürme, die im orangegelben Sonnenlicht glitzerten. Toni nahm einen Schluck Bier und dachte an den ersten Morgen...
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Autor

Lisa Weeda wurde 1989 geboren und ist eine niederländisch-ukrainische Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Virtual-Reality-Regisseurin. Die Ukraine, das Heimatland ihrer Großmutter, steht oft im Mittelpunkt ihres Werks. Ihr Debütroman »Aleksandra« war ein Bestseller in den Niederlanden und erschien 2023 auf Deutsch.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt