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Falsche Freunde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Kampa Verlagerschienen am20.03.2024
»Polizistin brutal zusammengeschlagen«, titeln die Zeitungen. Anna kann sich an nichts erinnern. Wochenlang lag sie im Koma, jetzt kämpft sie gegen die Folgeerscheinungen des Schädel-Hirn-Traumas: Ihr Gehirn ersetzt ständig deutsche Wörter durch solche aus Fremdsprachen. Die Ärztin rät Anna, ihr Gehirn zu trainieren, und so beschließt sie, nochmals Deutsch zu lernen: mithilfe von Apps, Gesprächen mit Bekannten - und mit Mario aus dem Sprachencafé, in dem sie einst Italienisch lernte. Die Anlaufstelle für Migrant*innen wird für Anna bald auch anderweitig bedeutsam: Eine junge Frau wurde ermordet, am Tatort ein Zettel mit seltsamen Wörtern. Ein Sprachrätsel? Ihr früherer Chef bei der Kriminalpolizei bittet Anna um Hilfe, und sie findet bald heraus, dass auch das Mordopfer im Sprachencafé Deutsch lernen wollte. Als Anna dann vor ihrer Haustür immer wieder seltsame Botschaften findet und mehr über eine Vermisste erfährt, die ebenfalls das Sprachencafé besucht hat, ahnt sie, dass sie es nicht nur beim Wiedererlernen ihrer Muttersprache mit falschen Freunden zu tun haben könnte ... Kann die krankgeschriebene Polizistin den Sinn der Botschaften entschlüsseln und einen weiteren Mord verhindern?

Roger Graf, 1958 in Zürich geboren, schrieb bereits während seiner Ausbildung zum Sportartikelverkäufer erste Gedichte und Kurzgeschichten. Er verfasste Filmkritiken und ersann fürs Radio Satiren, Sketche, Spiele und Nonsens. 1989 konzipierte Graf die Hörspielreihe Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney. Er schrieb und produzierte während 30 Jahren über 400 Folgen und ist Autor von zehn Kriminalromanen. Graf lebt als Hörspielautor und Schriftsteller in Zürich.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR21,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

Klappentext»Polizistin brutal zusammengeschlagen«, titeln die Zeitungen. Anna kann sich an nichts erinnern. Wochenlang lag sie im Koma, jetzt kämpft sie gegen die Folgeerscheinungen des Schädel-Hirn-Traumas: Ihr Gehirn ersetzt ständig deutsche Wörter durch solche aus Fremdsprachen. Die Ärztin rät Anna, ihr Gehirn zu trainieren, und so beschließt sie, nochmals Deutsch zu lernen: mithilfe von Apps, Gesprächen mit Bekannten - und mit Mario aus dem Sprachencafé, in dem sie einst Italienisch lernte. Die Anlaufstelle für Migrant*innen wird für Anna bald auch anderweitig bedeutsam: Eine junge Frau wurde ermordet, am Tatort ein Zettel mit seltsamen Wörtern. Ein Sprachrätsel? Ihr früherer Chef bei der Kriminalpolizei bittet Anna um Hilfe, und sie findet bald heraus, dass auch das Mordopfer im Sprachencafé Deutsch lernen wollte. Als Anna dann vor ihrer Haustür immer wieder seltsame Botschaften findet und mehr über eine Vermisste erfährt, die ebenfalls das Sprachencafé besucht hat, ahnt sie, dass sie es nicht nur beim Wiedererlernen ihrer Muttersprache mit falschen Freunden zu tun haben könnte ... Kann die krankgeschriebene Polizistin den Sinn der Botschaften entschlüsseln und einen weiteren Mord verhindern?

Roger Graf, 1958 in Zürich geboren, schrieb bereits während seiner Ausbildung zum Sportartikelverkäufer erste Gedichte und Kurzgeschichten. Er verfasste Filmkritiken und ersann fürs Radio Satiren, Sketche, Spiele und Nonsens. 1989 konzipierte Graf die Hörspielreihe Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney. Er schrieb und produzierte während 30 Jahren über 400 Folgen und ist Autor von zehn Kriminalromanen. Graf lebt als Hörspielautor und Schriftsteller in Zürich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783311704843
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum20.03.2024
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1370 Kbytes
Artikel-Nr.14175701
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Der Regen passt. Die Gesichter der anderen passen. Alles passt. Ich sollte umdrehen und wieder nach Hause gehen. Unter die Bettdecke. Drei Wochen lang hat es nie geregnet und heute holt Petrus alles nach. Dieser Petrus ist ein seltsamer Typ. Man sagt, dass der Apostel sein Amt als Wettergott vom griechischen Wettergott Thor geerbt hat. Dieses unnütze Wissen habe ich gespeichert, weil ich einer Italienerin erklären wollte, wer Petrus und Frau Holle sind. Weshalb vergisst man so etwas nicht mehr? Dafür anderes, das wichtiger ist?

»Der Regen ist warm«, sagt Maria.

»Hör auf mit dem Scheiß.«

»Es ist anders als kalter Regen.«

»Ja, kalter Regen ist Folter, aber das hier ist nur nass.«

Ich mag keinen Regen, auch wenn er nur nass ist. Ich mag keine Regenschirme und ich mag keine Regenmäntel. Das einzig Schöne am Regen ist der Klang, wenn er auf Metall oder Stoff fällt. Wenn man im Auto sitzt und der Regen trommelt. Aber ich sitze nicht im Auto. Ich bin zu Fuß unterwegs zur Bushaltestelle. Die Kapuze hält den Regen ab, aber sie verkleinert das Sichtfeld. Da ich nach wie vor etwas unsicher unterwegs bin, stört mich die Kapuze. Ich ziehe sie herunter, da die Bushaltestelle in Blickweite ist. Trotzdem sind meine Haare und mein Gesicht patschnass, als ich den Unterstand erreiche.

» La pioggia klingt so, wie der Regen ist, aber Regen klingt eher wie Segen «, sagt Maria.

»Ich will jetzt nicht über Wörter diskutieren.«

» La pioggia ist schön, du musst dir den Regen als la pioggia vorstellen, dann wird er dir gefallen.« Maria versucht mich aufzuheitern. Wie heißt das auf Italienisch? Ich habe dieses Wort gelernt. »Rasserenarsi«. »Sich aufheitern«. Dieses Wort hat mir sofort gefallen. Es ist schwierig auszusprechen. Die beiden s zischen wie Wassertropfen, die auf eine Glut fallen.

»Es gibt viele schöne italienische Wörter«, sagt Maria.

»Ja, aber ich kann sie jetzt nicht gebrauchen.«

Endlich kommt der Bus. Ich steige umständlich ein, mein Fuß bleibt irgendwie hängen. Es ist, als müsste ich nach wie vor alles wieder neu lernen. Im Bus riecht es nach Regen und überall tropft Wasser runter. Ein himmeltrauriger Tag.

»Sei triste?«, fragt Maria.

Natürlich bin ich traurig. Es gehört dazu. Früher war ich nie traurig, aber früher war ich auch noch keine Schlagzeile. Die Busfahrt ist unangenehm. Es rumpelt oft und es ist ein ständiges Stop-and-go. Die Scheiben sind beschlagen. Ich sehe mein Gesicht. Zu Hause sah ich lange in den Spiegel, ich wollte wissen, ob man mir alles ansieht. Ob es wie ein Stigma auf meiner Stirn zu lesen ist. Aber wie soll ich das beurteilen? Ich bin froh, als der Bus ankommt. Das Aussteigen geht problemlos. Ich ziehe die Kapuze wieder über den Kopf. Prompt gehe ich an der Nummer 78 vorbei und bemerke es erst, als ich das Schild der Nummer 90 sehe. Missmutig gehe ich zurück.

Als ich das Gebäude betrete, friere ich. Eine Frau kommt mir entgegen und ich bemerke, wie sie mich mitleidig anlächelt. Ein Blick auf die Namensliste neben dem Fahrstuhl liefert die Erklärung. In diesem Haus gibt es nur Spezialisten. Fürs Herz, fürs Hirn, für die Lungen und für die Haut. Wer hierherkommt, ist ein Fall für die Spezialisten.

»Im dritten Stock praktiziert eine Frau Dr. Maria«, sagt Maria.

»Meine Haut ist in Ordnung«, sage ich, »ich muss einen Stock höher. Und du musst still sein.«

Im Wartezimmer hängt ein Wandspiegel. Der Spiegel, the mirror, le miroir, lo specchio. Es geht, denke ich, alle Wörter sind da, aber mich stört die Reihenfolge. Englisch und Französisch gehören zusammen. Mirror und miroir, aber auch Deutsch und Italienisch gehören zusammen. Spiegel und specchio. Aber heute geht es nur um den Spiegel. Ich darf das Wort »Spiegel« nicht vergessen. Und all die anderen Wörter. Ich fühle mich wie vor einer verdammten Prüfung. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass sie fortan nicht mehr selbstständig leben können. Wir empfehlen Ihnen eine öffentliche Einrichtung, in der sie betreut und umsorgt werden. Natürlich ist das Unsinn, niemand will mich in ein Heim stecken. Es geht nur um eine Standortbestimmung. Trotzdem bin ich voller Versagensängste. Auch das ist neu. Und es gefällt mir ganz und gar nicht.

Die Spezialistin ist eine Frau um die vierzig, schlank, attraktiv, mit einer modischen Brille. Ich sage »Frau Doktor« bei der Begrüßung, eine einfache Art zu vermeiden, den falschen Namen zu sagen. Als ich der Spezialistin gegenübersitze, falte ich den Text auseinander. Sie schaut mich skeptisch an. Damit kann ich leben.

»Wie geht es Ihnen?«

Es ist die Frage, die alle stellen und auf die es keine Antwort gibt. Keine, die kürzer als zwanzig Seiten ist. Ich nicke bloß. Sie fragt routiniert all den Unsinn, den ich schon hundertmal beantwortet habe. Und immer kommt auch die Frage nach dem Stuhlgang. Ich versuche, möglichst nicht genervt zu klingen, aber es gelingt mir nicht immer. Meist genügt ein Ja oder Nein. Es ist wie ein Fragenkatalog. Eine Liste, die man abhakt. So wie man sie auch in der Zeitung liest. Zwanzig Fragen, immer die gleichen, und alle versuchen, sie möglichst originell zu beantworten. Doch hier geht es nicht um Originalität. Es geht um meine Gesundheit.

»Es geht mir nicht gut«, sage ich endlich.

Die Spezialistin zieht die Stirn in Falten. Auch damit kann ich leben.

»Manchmal, wenn ich sitze, weiß ich nicht, wie ich aufstehen soll. Die Beine reagieren nicht, es ist nicht mein Körper.«

Die Spezialistin nickt.

»Sie erlitten äußerst komplexe Hirnverletzungen.«

»Das weiß ich«, sage ich. Die Schlagzeile ist wieder da. Polizistin brutal zusammengeschlagen.

»Ein derart komplexes Schädel-Hirn-Trauma kann zu sehr unterschiedlichen Folgeschäden führen.«

»Ja«, sage ich. »Das hat man mir schon mehrmals erklärt.«

»Sind neue Probleme aufgetaucht?«

Sie scheint jetzt echt besorgt zu sein.

»Die Sprache«, sage ich.

»Lesen Sie deshalb vom Zettel ab?«

Nein, ich mache das nur zum Spaß, denke ich. Einen Moment lang befürchte ich, dass sich Maria einmischt, aber sie schweigt.

»Ich spreche Deutsch, Englisch und etwas Französisch, sage ich. Und ich habe Italienisch gelernt.«

»Sind alle Sprachen noch da?« fragt die Spezialistin.

»Ja und nein«, sage ich.

Das gefällt ihr nicht. Spezialisten benötigen präzise Auskünfte für eine Diagnose.

»Aphasie ist eine häufige Folge eines Schädel-Hirn-Traumas«, sagt die Spezialistin.

»Ich kann sprechen«, sage ich.

»Ja«, sagt die Spezialistin. »Auch ohne diese Hilfe?« Sie zeigt auf den Zettel in meinen Händen. Es muss albern aussehen.

»Meistens«, sage ich und suche auf dem Zettel nach einem Stichwort. Es macht mich nervös.

»Ja«, sagt die Spezialistin.

»Was?«, frage ich.

»Sie sagten sometimes .«

Ich sagte gar nichts. War das John?

»Sometimes«, sage ich und stocke. Es ist passiert. Da nützt kein Spiegel, specchio, mirror und miroir. Ich weiß nicht, was »sometimes« auf Deutsch heißt.

»Qualche volta«, sage ich.

Ich atme tief ein. Und aus. Die Spezialistin sieht mich interessiert und gleichzeitig besorgt an.

»Wenn ich angespannt oder nervös bin«, sage ich. So wie jetzt, denke ich. Eigentlich fast immer. »Wenn ich nervös bin, dann finde ich viele deutsche Wörter nicht«, sage ich.

Die Spezialistin nickt. »Sie sagten beaucoup .«

»Wenn ich merke, dass ich ein Wort nicht weiß, dann sage ich den Satz auf Englisch. Englisch verstehen viele. Aber mir fehlen auch englische Wörter. Wenn ich es auf Italienisch oder Französisch sage, verstehen mich viele nicht. Und oft ersetzt mein Gehirn ein deutsches Wort. Das ist das Mühsamste.«

»Ihr Gehirn ersetzt unbewusst deutsche Wörter?«

»So wie vorhin. Ich weiß, dass es viel heißt, aber ich sage beaucoup oder molto . Die Leute verstehen mich nicht. Wird das weggehen? Werde ich je wieder als Polizistin arbeiten können?«

Es ist raus. Die Frage, die mich umtreibt. Die mich wahnsinnig macht. Verzweifelt, traurig, die Frage, die schmerzt. Jetzt ist es die Spezialistin, die tief Luft holt.

»Das Gehirn ist äußerst komplex. Wir kennen nicht alle Vorgänge«, sagt sie.

»Das weiß ich«, sage ich.

»Das Gehirn stellt neue Verbindungen her. Es braucht Zeit.«

Ci vuole pazienza, denke ich.

»Aber warum so viele deutsche Wörter? Ich finde sie nicht und sage stattdessen etwas auf Englisch, Italienisch oder Französisch. Und ich bemerke es nicht. Ich sage sometimes und denke, dass ich es auf Deutsch gesagt habe.«

»Manchmal«, sagt die Spezialistin wie eine alberne Lehrerin. Klar, wie kann man ein Wort wie »manchmal« vergessen?

»Manchmal«, sagt sie, »gibt es keine Erklärung. Wir wissen viel zu wenig über diese sehr komplexen Zusammenhänge.«

Eine Spezialistin, die ratlos ist. Großartig.

»Wie ist es mit neuen Wörtern? Ihre Merkfähigkeit? Ist diese auch beeinträchtigt?«

Ich zögere, weil ich darüber nicht sprechen will. Es beunruhigt mich zu sehr.

»Sie müssen sich dafür nicht schämen. Ihr Allgemeinzustand ist beeindruckend.«

»Es fällt mir schwer, mir Dinge zu merken. Lernen ist kein Problem. Im Sinne von wiederholen und einprägen. Aber alltägliche Dinge muss ich mir aufschreiben. Eine Busnummer oder Haltestelle, was ich einkaufen muss, was mir jemand am Telefon sagt. Ich tippe alles ins Handy. Ich denke, es ist ein wenig besser geworden. Aber vielleicht...
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Autor

Roger Graf, 1958 in Zürich geboren, schrieb bereits während seiner Ausbildung zum Sportartikelverkäufer erste Gedichte und Kurzgeschichten. Er verfasste Filmkritiken und ersann fürs Radio Satiren, Sketche, Spiele und Nonsens. 1989 konzipierte Graf die Hörspielreihe Die haarsträubenden Fälle des Philip Maloney. Er schrieb und produzierte während 30 Jahren über 400 Folgen und ist Autor von zehn Kriminalromanen. Graf lebt als Hörspielautor und Schriftsteller in Zürich.