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Die Wagenburg oder Die Flu¨chtlinge von Ratz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Czernin Verlagerschienen am28.02.20241. Auflage
Ein Pfarrer mit Frau und Kindern, ein Großbauer ohne Arbeiter, ein Bu?rgermeister, der kein Problem damit hat, gegen das Gesetz zu verstoßen, wenn es der Sache dient - vor diesem Hintergrund erzählt Michael Scharang die märchenhafte Geschichte, wie das kleine Dorf Ratz dank Flu?chtlingen zu neuem Leben erblu?ht. Suleman ist gelernter Bäcker. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, flu?chtet er aus Wien nach Ratz, einen kleinen, beinahe ausgestorbenen Ort nahe der tschechischen Grenze. Er eröffnet eine Bäckerei und nach und nach kommen immer mehr Flu?chtlinge in den Ort. Sie arbeiten im Wirtshaus, gru?nden viele neue Geschäfte, ein Hotel, eine landwirtschaftliche Genossenschaft und plötzlich scheint sich in Ratz jedes Problem in nichts aufzulösen. Doch die Gefahr von außen lauert, die Behörden drohen einzuschreiten und der Kampf um Ratz beginnt. In »Die Wagenburg« entwirft Michael Scharang eine bessere Wirklichkeit: Humorvoll, kritisch und ironisch erinnert er daran, dass unsere Gesellschaft nicht so bleiben muss, wie sie ist.

Michael Scharang wurde 1941 in Kapfenberg geboren. Realgymnasium in Bruck an der Mur. Studium in Wien. 1965 Dissertation u?ber Robert Musil. Seit 1966 freier Schriftsteller. Er verfasste Romane, Erzählungen, Essays, Drehbu?cher und ein Theaterstu?ck sowie Artikel, u. a. in der Zeitschrift »Konkret«. Zuletzt: »Komödie des Alterns« (2010), »Aufruhr« (2020) und »Die Geschichte vom Esel, der sprechen konnte« (Czernin, 2023).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextEin Pfarrer mit Frau und Kindern, ein Großbauer ohne Arbeiter, ein Bu?rgermeister, der kein Problem damit hat, gegen das Gesetz zu verstoßen, wenn es der Sache dient - vor diesem Hintergrund erzählt Michael Scharang die märchenhafte Geschichte, wie das kleine Dorf Ratz dank Flu?chtlingen zu neuem Leben erblu?ht. Suleman ist gelernter Bäcker. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt wurde, flu?chtet er aus Wien nach Ratz, einen kleinen, beinahe ausgestorbenen Ort nahe der tschechischen Grenze. Er eröffnet eine Bäckerei und nach und nach kommen immer mehr Flu?chtlinge in den Ort. Sie arbeiten im Wirtshaus, gru?nden viele neue Geschäfte, ein Hotel, eine landwirtschaftliche Genossenschaft und plötzlich scheint sich in Ratz jedes Problem in nichts aufzulösen. Doch die Gefahr von außen lauert, die Behörden drohen einzuschreiten und der Kampf um Ratz beginnt. In »Die Wagenburg« entwirft Michael Scharang eine bessere Wirklichkeit: Humorvoll, kritisch und ironisch erinnert er daran, dass unsere Gesellschaft nicht so bleiben muss, wie sie ist.

Michael Scharang wurde 1941 in Kapfenberg geboren. Realgymnasium in Bruck an der Mur. Studium in Wien. 1965 Dissertation u?ber Robert Musil. Seit 1966 freier Schriftsteller. Er verfasste Romane, Erzählungen, Essays, Drehbu?cher und ein Theaterstu?ck sowie Artikel, u. a. in der Zeitschrift »Konkret«. Zuletzt: »Komödie des Alterns« (2010), »Aufruhr« (2020) und »Die Geschichte vom Esel, der sprechen konnte« (Czernin, 2023).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783707608298
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum28.02.2024
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1484 Kbytes
Artikel-Nr.14175810
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Was für ein schöner Tag, sagte der Pfarrer zu sich, als er aus der Kirche trat. Es war der Freitag der ersten Maiwoche. Der Pfarrer, er war um die dreißig, ging von der Kirche, die in der Mitte des Hauptplatzes stand, hinüber zum Pfarrhaus. Nein, dachte er, solange die Sonne scheint, gehe ich nicht in die Kanzlei. Und so setzte er sich auf die Bank im Vorgarten und bewunderte die prächtigen Rosen. Ihre Knospen waren aufgesprungen, die Rosenstöcke standen bereits in voller Blüte. Der Pfarrer führte das darauf zurück, dass er sie im April mit Pferdemist gedüngt hatte.

Er stopfte seine Pfeife. Sie war ein Geschenk des damaligen Präsidenten der Caritas, den der Pfarrer während seines Theologiestudiums in Wien kennengelernt hatte. Er hätte den Präsidenten gern zum Freund gehabt. Der war oft nach Afrika gereist und hatte, zurück in Österreich, das verheerende Wirken der westlichen Kolonisatoren angeprangert. Das war für die beiden ein wichtiges Gesprächsthema, denn der Pfarrer stammte aus Afrika, aus dem Kongo. Sein Großvater, Patrice Lumumba, hatte das Land in die Freiheit geführt und war deshalb ermordet worden.

Immer wenn der Pfarrer sich eine Pfeife stopfte, dachte er an den Präsidenten der Caritas. Der war leider früh verstorben. Er hatte einmal zum Pfarrer gesagt: Wir, die nicht an Gott glauben, sind diejenigen, die die katholische Kirche zusammenhalten. Der Pfarrer hatte diesen Satz nicht verstanden. Überdies beschäftigte ihn die Frage, ob er an Gott glaube, nicht. Manchmal glaubte er an ihn, manchmal nicht.

Er war vorhin in der Kirche gewesen, um Zwiesprache mit Gott zu halten. Du hast es so eingerichtet, hatte der Pfarrer gesagt, dass ich hier in diesem Ort gelandet bin. Das ist eine schwere Prüfung. Ratz liegt im Sterben. Die Leute ziehen weg. Es gibt kein Kaufhaus mehr, keinen Bäcker, keinen Fleischhauer, kein Wirtshaus, keinen Arzt und keine Apotheke. Ein Lehrer und eine Lehrerin unterrichten eine Handvoll Kinder, der Lehrer ist zugleich auch Bürgermeister. Der Polizist sitzt im Wachzimmer und weiß nicht, wozu. Das Teuflische, lieber Gott, hatte der Pfarrer gesagt, ist, dass ich im Dienst der Kirche stehe und den Laden nicht wie der Bäcker zusperren und woanders hingehen kann. Ich habe ja nichts anderes gelernt. Ich könnte aber nach Wien gehen und es dort auf dem Bau als Hilfsarbeiter versuchen. Ich bitte dich also, lieber Gott, treibe es nicht zum Äußersten.

Die Sonne verschwand hinter dem Kirchturm, widerwillig ging der Pfarrer in die Pfarrkanzlei. Er musste für den Sonntag eine Predigt schreiben. Was sollte er der Pfarrgemeinde sagen? Wieder die alte Litanei? Dass man in einer gottverlassenen Gegend lebe, dass es von Woche zu Woche schlechter werde? Er öffnete einen Schrank, nahm eine Flasche heraus und trank ein Gläschen Slibowitz. Da klopfte es an der Tür, herein trat ein Fremder. Mein Sohn, sagte der Pfarrer, kann ich dir helfen? Ich würde gern den Pfarrer sprechen, erwiderte der Fremde. Ich bin der Pfarrer, war die Antwort. Setz dich. Der Fremde nahm Platz und schüttelte ungläubig den Kopf. Du bist der Pfarrer?, fragte er. - So ist es. Du kommst ins Pfarrhaus und triffst auf einen Pfarrer. Was führt dich zu mir?

Das ist schnell gesagt, erwiderte der Fremde. Ich komme aus Wien. Ich habe einen Asylantrag gestellt, der ist abgelehnt worden. Ich bin aus Syrien geflüchtet, bin aber im Libanon aufgewachsen. Die Behörde hat behauptet, ich sei Libanese. Mit diesen Leuten zu reden ist aussichtslos. Nun droht mir die Abschiebung. Deshalb bin ich von Wien weg, um unterzutauchen. Hier in Ratz sucht dich niemand, sagte der Pfarrer, das ist ein ausgestorbener Ort. Du kannst hierbleiben und wirst von mir verköstigt. Ich will aber arbeiten, sagte der Fremde, ich bin Bäcker. Der Pfarrer stand auf. Bäcker!, rief er. Und er erzählte dem Fremden, dass der Niedergang von Ratz damit begonnen hatte, dass die Bäckerei zusperrte. Na gut, sagte der Fremde, dann sperren wir sie wieder auf.

Du kannst, erwiderte der Pfarrer, hier im Pfarrhaus wohnen. Ich lebe mit meiner Frau und unseren beiden Kindern im ersten Stock. Dort sind noch ein paar Zimmer frei. Du bist katholischer Pfarrer und verheiratet?, fragte der Fremde. Selbstverständlich bin ich nicht verheiratet, erwiderte der Pfarrer. Mia wird von der Kirche dafür bezahlt, dass sie das Pfarrhaus sauber hält und für mich kocht. Die Rosen im Vorgarten habe ich gepflanzt, den Gemüsegarten hinter dem Haus bestellen wir gemeinsam.

Der Fremde stand auf und betrachtete die Fotos an der Wand. Links, sagte der Pfarrer, das ist mein Großvater. Er war Freiheitskämpfer im Kongo und wurde ermordet. Er hieß Lumumba. Ich heiße wie er: Patrice Lumumba. Die Leute hier nennen mich Patrice. Die beiden daneben sind mein Vater und meine Mutter. Nach der Ermordung des Großvaters kamen wieder die Kolonisatoren an die Macht. Mein Vater war der Meinung, es sei schon gefährlich, den Namen Lumumba zu tragen. Er brachte mich, ich war zehn Jahre alt, in ein Kloster, das von österreichischen Missionaren betrieben wurde, und versicherte ihnen, dass ich Priester werden wolle. Das war meine Rettung. Meine Eltern flohen aus dem Land, ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben.

Und wie, fragte der Fremde, bist du hierhergekommen? Ich bin, antwortete der Pfarrer, bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr bei den Missionaren geblieben. Ich habe Deutsch gelernt, Englisch, Französisch und Latein, die Geschichte wurde mir als Kirchengeschichte beigebracht. Schließlich hat man mich nach Wien geschickt, wo ich zum Priester ausgebildet wurde. Von Wien wurde ich nach Ratz geschickt. Die Kirchenoberen wussten wohl, wie es um diese Gegend stand. Der Niedergang hatte bereits begonnen. Einem gebürtigen Österreicher hätte man diesen Ort nicht zugemutet.

Der Pfarrer ging hinaus auf den Gang und rief: Mia, wir haben heute Abend einen Gast. Man aß miteinander zu Abend, die beiden Kinder, das Mädchen fünf, der Bub sechs, freuten sich über den Fremden, der ihnen abenteuerliche Geschichten von seiner Flucht nach Österreich erzählte. Am Tag darauf hatte der Pfarrer vor, mit dem Gast den Bürgermeister aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin hielt er jedoch inne und machte einen Abstecher in die Kirche. Den Fremden nahm er mit. Lieber Gott, sagte der Pfarrer, du hast meine Bitte erhört und hast uns einen Erlöser geschickt, einen Bäcker. Das Wichtigste: Ich brauche keine meiner trostlosen Predigten zu schreiben, ich erzähle einfach die Geschichte vom Bäcker. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen.

Der Bürgermeister saß allein beim Frühstück, seine Frau hatte sich zurückgezogen. Nehmt Platz, sagte er, und greift zu! Unter der Woche bin ich Lehrer, fuhr er fort, am Samstag erledige ich meine Amtsgeschäfte. Die bestehen darin, dass ich am späten Vormittag mit dem Frühstück beginne, am Nachmittag ein Schläfchen mache, danach beginnt das Abendessen. Man frisst und säuft sich zu Tode, etwas anderes kann man in Ratz nicht tun. Irrtum, erwiderte der Pfarrer. Der Bürgermeister schaute ihn erstaunt an. Dieser Mann, er ist libanesischer Syrer ... Nein, unterbrach ihn der Fremde, ich bin syrischer Libanese. Jedenfalls, fuhr der Pfarrer fort, ist sein Asylantrag abgelehnt worden. Er ist hier in Ratz untergetaucht. Doch nicht darauf kommt es an: Er ist Bäcker. Oh!, rief der Bürgermeister und legte das Speckbrot zurück auf den Tisch.

Dieser Mann, sagte der Pfarrer ... der Fremde unterbrach ihn: Mein Vorname ist Suleman! Und ich, fuhr der Bürgermeister dazwischen, bin der Werner. Suleman, sagte der Pfarrer, wird die Bäckerei in Betrieb nehmen. Ist das möglich?, fragte Suleman. Ich bin illegal hier. Der Bürgermeister klopfte ihm auf die Schulter. Hier in Ratz, sagte er, ist alles illegal. Patrice lebt mit Mia zusammen und hat mit ihr zwei Kinder. Jemand hat ein Motorrad mit Beiwagen zurückgelassen, ich habe es Patrice zur Verfügung gestellt, er klappert damit die umliegenden Pfarrgemeinden ab, ohne einen Führerschein zu besitzen. Unser guter Hirte ist ein Ausbund an Illegalität. Da wirst du gar nicht auffallen.

Sie gingen zur Bäckerei, der Bürgermeister hatte einen Schlüssel, Suleman inspizierte die Räume, insbesondere die Backstube, und sagte: Alles gut in Schuss. Allein, fuhr er fort, schaffe ich das allerdings nicht, ich brauche zwei Mitarbeiter, das wird aber kein Problem sein. Wann werden die hier sein?, fragte der Pfarrer. Morgen, war die Antwort. Was brauchst du an Material?, fragte der Bürgermeister. Ich sage dir, was ich für eine Woche brauche, antwortete Suleman. Der Bürgermeister schrieb alles auf einen Zettel. Ich kenne den Filialleiter des Supermarkts in der nächsten Stadt, sagte er, er soll seinen Laden morgen für uns aufsperren, dann sind die Sachen am Abend in der Bäckerei. Pünktlich am Sonntagabend kamen auch zwei Bäcker, die Suleman mit dem Handy angerufen hatte, ebenfalls Asylwerber, die abgewiesen worden waren, in Ratz an und wurden im Pfarrhaus untergebracht. Den Sonntag über berichtete der Pfarrer in den vielen Gemeinden, die er besuchen musste, dass die...
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Autor

Michael Scharang wurde 1941 in Kapfenberg geboren. Realgymnasium in Bruck an der Mur. Studium in Wien. 1965 Dissertation über Robert Musil. Seit 1966 freier Schriftsteller. Er verfasste Romane, Erzählungen, Essays, Drehbücher und ein Theaterstück sowie Artikel, u. a. in der Zeitschrift »Konkret«. Zuletzt: »Komödie des Alterns« (2010), »Aufruhr« (2020) und »Die Geschichte vom Esel, der sprechen konnte« (Czernin, 2023).