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Das Herzflorett

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am11.09.2024
Ein Dorf im Taunus. Eine Familie aus Dalmatien. Eine zerrissene Kindheit und eine rebellische Jugend. Die vielfach preisgekrönte Autorin Marica Bodro?i? erzählt von einer jungen Frau und ihrem Weg in die Freiheit.
Pepsi liebt das Leben und den flimmernden Schlaf des Sommers. Ihre Eltern arbeiten in Hessen und tauchen nur in den Sommerferien auf dem einsamen Hof des Großvaters in Dalmatien auf. Zeitweise kommt sie auch bei anderen Verwandten unter, doch wo immer sie ist, bleibt sie fremd. Nur in der Natur fühlt sie sich aufgehoben, verbringt, fasziniert von der Sprache der Vögel am Himmel, ihre Tage barfuß im Gras. Als die Eltern sie zu ihren Geschwistern in die Einzimmerwohnung in einem Dorf im Taunus holen, will Pepsi sofort wieder weg. Die vom Putzen rissigen Hände der Mutter sind zu keiner Zärtlichkeit fähig. Der Vater beginnt seine Tage mit Schnaps. Das neue Leben hält aber zugleich Dinge bereit, zu denen das Mädchen sich wie magnetisch hingezogen fühlt. Die Welt der Bücher und Buchstaben, die deutsche Sprache, in die sie sich so plötzlich und heftig verliebt wie später in Aleksandar. Doch als sie Abitur machen und studieren will, wird ihr das verboten, weil sie kein Junge ist. Es ist wie ein Stich ins Herz, ein Abschied - und zugleich ein Neubeginn.

Marica Bodro?i? wurde 1973 in Dalmatien geboren. 1983 siedelte sie nach Hessen über. Sie schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays, die in über sechzehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihr bisheriges Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis, dem Manès-Sperber-Literaturpreis für ihr Gesamtwerk sowie dem Irmtraud-Morgner-Preis. Marica Bodro?i? lebt mit ihrer Familie als freie Schriftstellerin in Berlin und in einem kleinen Dorf in Mecklenburg.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextEin Dorf im Taunus. Eine Familie aus Dalmatien. Eine zerrissene Kindheit und eine rebellische Jugend. Die vielfach preisgekrönte Autorin Marica Bodro?i? erzählt von einer jungen Frau und ihrem Weg in die Freiheit.
Pepsi liebt das Leben und den flimmernden Schlaf des Sommers. Ihre Eltern arbeiten in Hessen und tauchen nur in den Sommerferien auf dem einsamen Hof des Großvaters in Dalmatien auf. Zeitweise kommt sie auch bei anderen Verwandten unter, doch wo immer sie ist, bleibt sie fremd. Nur in der Natur fühlt sie sich aufgehoben, verbringt, fasziniert von der Sprache der Vögel am Himmel, ihre Tage barfuß im Gras. Als die Eltern sie zu ihren Geschwistern in die Einzimmerwohnung in einem Dorf im Taunus holen, will Pepsi sofort wieder weg. Die vom Putzen rissigen Hände der Mutter sind zu keiner Zärtlichkeit fähig. Der Vater beginnt seine Tage mit Schnaps. Das neue Leben hält aber zugleich Dinge bereit, zu denen das Mädchen sich wie magnetisch hingezogen fühlt. Die Welt der Bücher und Buchstaben, die deutsche Sprache, in die sie sich so plötzlich und heftig verliebt wie später in Aleksandar. Doch als sie Abitur machen und studieren will, wird ihr das verboten, weil sie kein Junge ist. Es ist wie ein Stich ins Herz, ein Abschied - und zugleich ein Neubeginn.

Marica Bodro?i? wurde 1973 in Dalmatien geboren. 1983 siedelte sie nach Hessen über. Sie schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays, die in über sechzehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihr bisheriges Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis, dem Manès-Sperber-Literaturpreis für ihr Gesamtwerk sowie dem Irmtraud-Morgner-Preis. Marica Bodro?i? lebt mit ihrer Familie als freie Schriftstellerin in Berlin und in einem kleinen Dorf in Mecklenburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641273682
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum11.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse1842 Kbytes
Artikel-Nr.14279042
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I
Der Brief und die Folgsamkeit des Alphabets

So sehr Pepsi die Stille im Dorf liebt, so sehr sehnt sie sich nach Menschen. Sie will weg von den Verwandten, bei denen sie in der träumerischen Herzegowina wie ein Waisenkind behandelt wird und nie genug zu essen bekommt, manchmal gar nichts, dann will sie auch weg vom Hof des Großvaters, aus dem dalmatinischen Süden in den europäischen Norden will sie gehen und sich endlich richtig satt essen an etwas Köstlichem, nicht nur an etwas knabbern, das von jemandem übrig geblieben ist. Sie hält das Leben mit ihren weit entfernten Eltern für etwas Wertvolles. Die beiden wohnen in Hessen, einer Gegend im Norden, so haben sie es ihr erzählt. Als Pepsi in der Schule das Alphabet lernt, übt sie es jeden Tag. Sie hat nur noch einen Gedanken, den sie als dringliche Aufforderung empfindet. Kurz nach ihrem neunten Geburtstag ist sie bereit und erfragt am anderen Dorfende bei ihrer Tante Rosa die Adresse der Eltern. Sie schreibt ihnen einen langen Brief. Ich hungere hier, niemand gibt mir etwas ab, schreibt sie gleich am Anfang, ihr müsst mich holen, mich und meine Geschwister, wir sollen alle zusammenleben. Gleich nach der Geburt waren Pepsi, ihre Schwester und ihr Bruder im Alter zwischen acht und zehn Wochen bei Verwandten untergebracht worden. Für die Geburt im Süden kam ihre Mutter aus Hessen, brachte ihre Kinder zur Welt und fuhr alsbald, um ihre Arbeit nicht zu verlieren, wieder in den Norden. Von Besuch zu Besuch vergaß Pepsi dann jedes Mal, wie ihre Mutter aussah. Nur ihr langes samtschwarzes Haar behielt sie in Erinnerung, das Haar, das auch ihrem Vater auf der Stelle ans Herz gewachsen war, als er sie in einer Kirche in Hessen entdeckte, während das Vaterunser gesprochen wurde. Bald darauf heirateten sie und dachten jedes Jahr, dass genau dieses Jahr ein gutes Jahr für eine Rückkehr in den Süden wäre. Aber dieses ersehnte gute Jahr kam nie. Und Pepsi erlebte sie nur als Menschen, die zu Besuch kamen und jedes Mal eine neue Krankheit mitbrachten, ein neues Leiden, eine neue Angst vor dem Sterben. Die Bora wehte wuchtig, als sie durch die wilden Gärten ging und den Brief wie eine ihr schon versprochene Zukunft zum Postmann trug. Ihre Haare flogen einen Moment so auf, als würde die Zeit anhalten, diesen Augenblick in ihr festhalten und damit, allein durch dieses kleine Innehalten, auf etwas Zukünftiges verweisen, das schon um sie wusste, sie erwartete, ohne ihr Genaueres darüber zu sagen. Etwas Grundlegendes würde sich jetzt für sie verändern, das fühlte sie, und in ihr stieg eine leichte Ahnung auf, ein fernes Angewehtwerden von etwas Sonderbarem, das sich schrecklich und schön zugleich anfühlte. Fast atemlos hatte Pepsi ihn verfasst, diesen alles verändernden Brief. Beschwingt hatte sie den Umschlag mit ihrer Spucke zugeklebt und war ins Dorf zum Haus des Briefträgers gegangen, entschlossen und beauftragt von einer inneren Kraft, die neu für sie war und der sie unbedingt Folge leisten wollte. Dabei hatte sie auf dem Weg, der umsäumt war von wild wachsenden, stark duftenden Kräutern, ein altes italienisches Lied vor sich hin gesungen, ihr liebstes Lied von allen, das sie oft im Radio Split gehört und auf einem uralten Kassettenrekorder ganz schnell aufgenommen und dabei vor Überschwang die ersten Zeilen verpasst hatte. So konnte sie es immer wieder hören, während sie, mit einem langen Grashalm im Mund, an dem sie wie an einer Süßigkeit kaute, auf dem Rücken in der Wiese lag, damals, in einer Kindheit, in der Lernen und Leben eine Sache waren und sie ein Reh im Nichts des Lebens, ein Buchstabe auf der Wiese der sprechenden Gründe, ein Rosenkäfer in der warmen Luft des Südens. Und als sie dann alle zusammen, späterhin, ihrem im Brief geäußerten Wunsch gemäß, in einen kleinen hessischen Ort in den Norden zogen, den Süden dem Gedächtnis anvertrauten und im Außen hinter sich ließen, dachte Pepsi, dass der Himmel ihrer Kindheit immer vier Gesichter hatte, die anderen beiden, Westen und Osten, fehlten ihr jetzt auf der Reise. Der Aufbruch nahm ihr den Grasposten weg, ihren grünen Kompass, der sich nun in ihrem Inneren neu ausrichtete und sie alle zusammen zu einem neuen und sehr anderen Leben lotste. Dann, als es ein Beisammensein mit den Älteren gab, die ihre Eltern waren, da war es auf einmal ganz deutlich und klar ein Leben ohne Mandelbaum und Gras und ohne die Frische der Elemente und ein Leben voller Anweisungen, die auf Pepsis Herz wie ein großer Stein auf einem lange im Vorfeld für sie vorbereiteten Grab lagen, an dem der Frühling lange, lange brauchte, um für sie als Natur zu erscheinen. Das hatte ihr die Einsamkeit im Süden Europas nicht erzählt, es half nun kein stilles Bitten, die Vergangenheit war vergangen, der Brief hatte sie aus ihr herausgemalt wie ein Maler, der die Kraft seiner Pinselführung genau kennt. Das Dorf, die Wiese, das Surren der Insekten fielen zurück in der Zeit, und die Zeit selbst wurde eine Grenze. Im Wissen um das Alte und im zeitgleichen Zugehen auf das unerbittlich Neue überlegte Pepsi schon, einmal in Hessen angekommen, wohin sie nun gehen und wie sie bloß von hier wieder wegkommen konnte. Die Weite des wie hingemalten und tröstenden Himmels war auf eine so entbehrende Weise weg, dass auch das südliche Blau und die Bäume anfangen, Pepsi sehr bald und sehr bitter zu fehlen. Ihre Schwester spricht wie immer wenig, fast nichts und versteckt jede Regung in ihrem Inneren. Das Herz ist aber tief in ihr drin und leuchtet Pepsi an wie eine Laterne in der Nacht. Sie isst gerne Mandeln, und wenn sie sich traut, etwas zu sagen, bittet sie nur darum, dass man ihr welche kauft. Pepsi nennt ihre Schwester jetzt Herzmandel. Ihr Bruder ist sehr rege, er spricht die ganze Zeit. Sein Name aber wird nie ausgesprochen, er wird immer nur Sohn genannt, mein Sohn, mein Sohn, heißt es, in beiden Sprachen, von beiden Eltern. Pepsi und Herzmandel werden auch so genannt. Obwohl sie eindeutig Töchter sind, heißt es auch bei ihnen, ach, mein Sohn, mein lieber Sohn, mach doch mal dies, mach doch mal das. Pepsi hatte im Süden immer einen Namen, sie hatte sich daran gewöhnt, ein Mensch zu sein, den man bei seinem Namen rufen konnte. Jetzt ist sie nur ein Sohn, der sie nicht ist. Und trotzdem sieht sich Pepsi in Hessen um. Die Welt ist so groß und so gut wie der Platz, auf dem ihre Füße nun schon seit dem Januar 1983 stehen. Alles ist seither neu für sie, nur nicht die Sprache, die sie schon aus dem Mutterbauch kennt und von der sie schon dort, im Bassin der wundersamen Töne, mit dem Vokabular ihrer Zukunft verbunden wurde. Das spürt Pepsi überaus genau und der Winter ist nicht ihre Lieblingsjahreszeit. Aber sie macht dort weiter, wo sie im Süden in der Schule aufgehört hat: Sie lernt Gedichte auswendig. Eine Nachbarin, der sie etwas vorträgt, erzählt ihr von einer Dichterin, die sich mit einem Dolch das Leben genommen hat. Das darfst du aber nicht machen, sagt sie. Und Pepsi nickt. Nein, nein, ich lerne ja nur die Gedichte auswendig, sagt sie. Der Winter aber macht sie nicht nur einsam, er entlässt Pepsi auch nicht aus seiner Dunkelheit. Natürlich will sie nicht sterben, deshalb sieht sie, dass alles im Leben eine Gelegenheit ist, das Zärtliche zu sagen, es den Vögeln gleichzutun und das Sterben im Absterben zu überwinden, und dass ein Dolch keine Art sein kann, sich selbst zu begegnen, das sagt ihr die Nachbarin auch noch einmal ganz eindringlich. Die Wiedergeburt als einen Gedanken der Freude hatte sie als Kind schon bei den Schachbrettblumen beobachtet, die jeden Frühling nach der bittersten Kälte ihre violetten Köpfchen in die Höhe streckten, obwohl sie den ganzen Winter über nicht einmal andeutungsweise zu sehen waren. Dann starben sie nach dem Blühen ab, und Pepsi machte sich doch Sorgen, dass sie es nächsten Winter nicht mehr schaffen und im Frühling unauffindbar sein würden. Aber grundlos, denn sie kamen immer wieder, und niemand konnte sie vom Blühen abhalten. In der Betrachtung versunken, hat sie das Lebendige im flimmernden Violett der Glöckchen tief in sich aufgenommen. Die Farben waren der Gesang der Blumen. Diese Stelle im Wald ihrer ersten Kindheit zog Pepsi vor ihrem Umzug nach Hessen magisch an, und sie ging immer zu ihr hin wie ein Mensch zu seinen Verwandten und Freunden geht. Die Auferstehung der Schachbrettblumen führte Pepsis Blick aber nicht nur zur Erde, sondern auch zu den Vögeln und ihren Flügeln, diesen Mittlerinnen von Wind und Sonne, Weite und Welt. Die Vogelsprache, das lernte Pepsi schon mit kleinen Füßen von den singenden Nachtigallen, kann auf Tapeten und in menschlichen Herzen wohnen. In ihrem Grasposten auf dem Hof des Großvaters beobachtete sie stundenlang Wolkenreiter, die immer zu zweit waren, geflügelte Reisende, zeitlose Lokführer des Südens mit Stiften und Zirkeln in ihren luftigen weißen Händen. In ihren Augen waren sie nichts anderes als Himmelsfahrer, abgesandte Luftschiffer, kundig schwebende Engel, mit denen sie sich über Tage hinweg befreundete und die sich in ihrem Blick verwandelten, eine neue Gestalt annahmen, alsbald zu anderen unbeweisbaren Ufern flogen und dann immer Platz für mehr Licht machten. Pepsi lag selbstvergessen im ewigen Gras, während der Sozialismus sich in aller Langsamkeit auf sein unweigerliches Ende in der Zeit zubewegte. In Hessen sind das Gras und der Sozialismus schon tiefe Vergangenheit, und Pepsi fühlt sich hier jeden Tag ein bisschen mehr eingesperrt. Die Ein-Zimmer-Wohnung hat nur kleine Fenster und Pepsi sieht kaum je den Himmel. Früher aber war sie eins mit dem Blau. Zwischen ihr und der Farbe flogen im Süden die Vögel tagein, tagaus hindurch und wurden, so kam es Pepsi vor, wenn sie die Augen auf- und wieder zumachte, von der Welt ständig eingeatmet und wieder ausgeatmet. Als Pepsi wieder einmal die Kleeblätter...

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Autor

Marica Bodrozic wurde 1973 in Dalmatien geboren. 1983 siedelte sie nach Hessen über. Sie schreibt Gedichte, Romane, Erzählungen und Essays, die in über sechzehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihr bisheriges Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Walter-Hasenclever-Literaturpreis, dem Manès-Sperber-Literaturpreis für ihr Gesamtwerk sowie dem Irmtraud-Morgner-Preis. Marica Bodrozic lebt mit ihrer Familie als freie Schriftstellerin in Berlin und in einem kleinen Dorf in Mecklenburg.