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Scheue Wesen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Eisele eBookserschienen am01.08.2024Auflage
Wann hast du dich das letzte Mal richtig gesehen gefühlt? Helens Hansford ist alles andere als eine konventionelle Frau - erst recht für die Sechzigerjahre. Unter der Woche hilft sie Patienten in einer modernen Klinik durch Kunst zur Rehabilitation, an den Wochenenden versucht sie, die Affäre mit ihrem charismatischen Kollegen Dr. Gil Rudden zu retten. Dass Gil seine Frau und Kinder nicht verlassen will, macht Helen anfangs nicht aus. Schließlich ist sie doch jung, autonom und emanzipiert. Dann begegnet sie William Tapping. Er das Haus seiner verwirrten alten Tante seit Jahren nicht mehr verlassen und spricht kein Wort. Alle anderen sehen in dem verwahrlosten William nicht mehr als eine Randfigur. Nur Helen bemerkt seine überraschende künstlerische Begabung und setzt alles daran, sein Geheimnis zu lüften. Schnell offenbart sich, dass William nicht der Einzige ist, der schon lange nicht wirklich gesehen wurde ... Inspiriert durch wahre Begebenheiten erzählt Clare Chambers nach ihrem Überraschungserfolg Kleine Freuden mit Scheue Wesen nun die Geschichte einer jungen Kunsttherapeutin im England der 1960er Jahre, die mit dem Schicksal eines Patienten konfrontiert ihr eigenes Leben hinterfragen muss. 'Chambers' Sprache ist wunderschön und schafft, was nur die geschicktesten Schriftsteller können: großes Vergnügen aus kleinen Details.' The New York Times

Clare Chambers wurde 1966 in London geboren. Sie unterrichtete Englische Literatur in Oxford, bevor sie für die bedeutende Verlegerin Diana Athill erst als Sekretärin, später als Lektorin zu arbeiten begann. Nach acht Romanen und einer Schreibpause von zehn Jahren wurde Kleine Freuden ein durch Mundpropaganda erzeugter Überraschungsbestseller und erschien auf Deutsch im Eisele Verlag. Die Mutter dreier erwachsener Kinder lebt mit ihrem Mann im Südosten Londons.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextWann hast du dich das letzte Mal richtig gesehen gefühlt? Helens Hansford ist alles andere als eine konventionelle Frau - erst recht für die Sechzigerjahre. Unter der Woche hilft sie Patienten in einer modernen Klinik durch Kunst zur Rehabilitation, an den Wochenenden versucht sie, die Affäre mit ihrem charismatischen Kollegen Dr. Gil Rudden zu retten. Dass Gil seine Frau und Kinder nicht verlassen will, macht Helen anfangs nicht aus. Schließlich ist sie doch jung, autonom und emanzipiert. Dann begegnet sie William Tapping. Er das Haus seiner verwirrten alten Tante seit Jahren nicht mehr verlassen und spricht kein Wort. Alle anderen sehen in dem verwahrlosten William nicht mehr als eine Randfigur. Nur Helen bemerkt seine überraschende künstlerische Begabung und setzt alles daran, sein Geheimnis zu lüften. Schnell offenbart sich, dass William nicht der Einzige ist, der schon lange nicht wirklich gesehen wurde ... Inspiriert durch wahre Begebenheiten erzählt Clare Chambers nach ihrem Überraschungserfolg Kleine Freuden mit Scheue Wesen nun die Geschichte einer jungen Kunsttherapeutin im England der 1960er Jahre, die mit dem Schicksal eines Patienten konfrontiert ihr eigenes Leben hinterfragen muss. 'Chambers' Sprache ist wunderschön und schafft, was nur die geschicktesten Schriftsteller können: großes Vergnügen aus kleinen Details.' The New York Times

Clare Chambers wurde 1966 in London geboren. Sie unterrichtete Englische Literatur in Oxford, bevor sie für die bedeutende Verlegerin Diana Athill erst als Sekretärin, später als Lektorin zu arbeiten begann. Nach acht Romanen und einer Schreibpause von zehn Jahren wurde Kleine Freuden ein durch Mundpropaganda erzeugter Überraschungsbestseller und erschien auf Deutsch im Eisele Verlag. Die Mutter dreier erwachsener Kinder lebt mit ihrem Mann im Südosten Londons.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783961612062
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.08.2024
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse4307 Kbytes
Artikel-Nr.14293975
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

1964

In allen gescheiterten Beziehungen gibt es einen zunächst noch unbemerkten Punkt, in dem man später jedoch den Anfang vom Ende erkennt. Für Helen war es das Wochenende, an dem der Versteckte Mann nach Westbury Park kam.

Am Freitag hatte sie gerade den Raum für die Kunsttherapie ihrer Lieblingsgruppe der ganzen Woche vorbereitet - männliche Alkoholiker -, als Gil seinen Kopf zur Tür hereinstreckte. Nachdem er gesehen hatte, dass sie alleine war, kam er herein, setzte sich auf eine Tischkante und schaute ihr zu, wie sie Papier, Stifte, Kohlestifte und Ölfarben bereitlegte. Paletten waren im Halbkreis um ein Stillleben aufgebaut - ein Korbstuhl, bedeckt mit einem Stück Samt, neben einem Tisch mit einem Tulpenstrauß in einer Vase, einer Milchkanne und einer Schüssel mit Eiern. Die Türen zu den zwei kleinen Nebenräumen, die von Patienten genutzt wurden, die lieber alleine arbeiteten, standen halb offen. Er warf einen fragenden Blick in Richtung der Nebenräume, den Helen mit einem beruhigenden Kopfschütteln beantwortete, bevor er anfing zu reden.

»Kath fährt mit den Kindern übers Wochenende runter nach Deal.«

»Ja?« Es hatte vorher schon ähnliche Fehlalarme gegeben, und Helen hatte gelernt, ihrem Optimismus nicht zu früh freien Lauf zu lassen.

Er nickte. »Ihre Patentochter hat gerade ein Baby bekommen, deshalb fährt sie morgen da runter, um ... zu machen, was auch immer Frauen bei solchen Angelegenheiten machen. Also ...« Er starrte sie mit diesem brennenden Blick an, mit dem er unbewusst Frauen aller Altersgruppen anschaute, aber auch seine Patienten - männliche wie weibliche. Helen hatte dieses Phänomen schon wirken sehen, aber sie bildete sich gerne ein, dass er noch ein bisschen intensiver war, wenn Gil ihn auf sie richtete.

»Du könntest bei mir übernachten?« Obwohl sie schon seit drei Jahren miteinander schliefen, er ihr eine passende Wohnung gesucht hatte und einen Teil der Miete zahlte, mit genau dieser Art von Gelegenheit im Hinterkopf, hatte es nicht mehr als ein halbes Dutzend Mal geklappt.

»Wenn du mich erträgst.«

»Na ja, schätze schon. Wenn du mir nicht zu sehr auf die Nerven gehst.«

Diese Unterhaltung spielte sich im ganzen Zimmer ab, denn Helen hatte nicht aufgehört, währenddessen die Materialien für die nächste Gruppe herzurichten. Niemand, der in diesem Moment hereingekommen wäre, hätte irgendetwas Unprofessionelles an ihrem Verhalten bemerkt. In den frühen Tagen ihrer Beziehung, als die Leidenschaft sie noch leichtsinniger machte, hatten sie den Kunsttherapieraum und seine Nebenräume oft für ihre Rendezvous benutzt. Jetzt waren sie vorsichtiger, oder vielleicht weniger leidenschaftlich. Keiner von ihren Kollegen, von der Klinikleitung bis zur Stationsbelegschaft, ahnte etwas von ihrer Affäre, und wenn Helen in seiner Gegenwart stärker errötete oder mehr als normal gelächelt hatte ... na ja, so ging es jedem, der vom vollen Lichtstrahl von Gils Aufmerksamkeit getroffen wurde.

»Dann komm ich morgen nach dem Mittagessen zu dir. Kath wird das Auto nehmen, also werde ich wahrscheinlich zu Fuß kommen müssen.« Er dachte nur laut, er legte es nicht darauf an, dass sie ihm anbot, ihn mit dem Auto abzuholen. Helen hatte auch gar kein Auto - nur einen gebrauchten Motorroller, auf dem sie jeden Tag die sechs Kilometer von ihrer Wohnung in South Croydon nach Westbury Park zurücklegte.

»Gut. Dann koch ich uns was Schönes. Aber jetzt solltest du lieber gehen. Meine Männer können jeden Moment hier sein.«

Gil nickte und fuhr sich mit der Hand durchs dicke Haar, das größtenteils dunkel war, aber hier und da schon von grauen Strähnen durchzogen. Durch irgendeine Hexerei der Natur oder bewusstes Frisieren hatte es immer dieselbe schlampige Länge, gerade eben über den Kragen, schien aber nie länger zu werden oder plötzlich abgeschnitten worden zu sein.

»Ich liebe dich«, sagte er, und dann war er weg, und man hörte nur noch seine Schritte auf dem langen Korridor.

Helen machte das Radio an und schaltete zum dritten Programm. Die klassische Musik im Hintergrund, wenn sie sie nicht zu laut aufdrehte, hatte sich als die am besten geeignete herausgestellt, um eine Atmosphäre von Ruhe und Konzentration zu schaffen.

Dank ihrer kleinen Handgriffe war der Raum der angenehmste in der ganzen Klinik. Die bunten Mobiles, die sich sanft an ihren Angelschnüren bewegten, die Drucke von großen Meistern an der Wand neben den Bildern der Patienten in Westbury Park (ehemalige ebenso wie gegenwärtige), getrocknete Blumen in einer Vase, Kissen mit Fotodruck und eine gewisse Atmosphäre von Harmonie und Ordnung - das alles war ihr zu verdanken.

Sie zog ihren Overall an, einen weißen Kittel, wie ihn die Ärzte trugen, allerdings beschmiert mit Farbe und Kohlenstaub. Die Alkoholiker kamen in einer Gruppe, wie immer, um sich bloß nicht alleine mit Kunst auseinandersetzen zu müssen. Im Umgang mit Stift oder Farbe waren sie ziemlich untalentiert und hatten sich ursprünglich für diese Therapie eingetragen, vermutete Helen, weil sie auf Aktstudien gehofft hatten. Das Stillleben mit der Milchkanne und den Eiern war eine Enttäuschung gewesen, aber immer noch besser, als komplett auf die Phantasie zurückzugreifen, die tatsächlich eher ein trügerisches Gebiet war. Die Hauptattraktion dieses Kurses lag darin, dass er ihnen eine Atempause von der stundenlangen Gruppentherapie verschaffte, die zusammen mit Disulfiram den Grundstock ihrer Behandlung bildete. Im Kunsttherapieraum wurde nicht von ihnen verlangt, über ihre Sucht nachzudenken oder über die Missgeschicke zu reden, die sie ruiniert hatten. Stattdessen machten sie sich mit Vergnügen über ihre eigenen Bemühungen oder die der anderen lustig, waren aber auch großzügig mit ihrem Lob, wenn jemand etwas zustande brachte, was mehr oder weniger der Vorlage ähnelte.

Helens Aufgabe, wie man ihr in ihrem Bewerbungsgespräch klargemacht hatte, bestand darin, ihnen Materialien und Raum zur Verfügung zu stellen und sie zum freien Ausdruck zu ermuntern, aber nicht, ihnen etwas beizubringen oder Diagnosen zu stellen und sich anderweitig in die Arbeit des medizinischen Fachpersonals einzumischen, wie zum Beispiel die von Gil. Heute war sie sogar von diesem bescheidenen Dienst abgelenkt von ihren Gedanken an das bevorstehende Wochenende. Sie hatte Gil nichts von der Komplikation erzählt, die einen beträchtlichen Schatten über ihre Pläne warf.

Vor drei Wochen hatte sie eine Einladung zu einem Familiendinner am Samstagabend bei ihrem Bruder und seiner Frau angenommen. Anlass war der sechzehnte Geburtstag ihrer Tochter, und Helen hatte das Datum in ihrem Terminkalender und ihrem Hinterkopf als etwas eingetragen, worauf sie sich freuen konnte. Sie mochte ihre Nichte, Lorraine, die so unbeholfen und unsicher war, und ihren Bruder Clive ebenso, wenn auch ein bisschen weniger. Seine Frau June tolerierte sie einfach nur. Clive war so rücksichtsvoll gewesen, sie unter der Woche anzurufen und zu fragen, ob sie nicht bei ihren Eltern mitfahren wollte, was ziemlich ungewöhnlich war. Sie hatte die Mitfahrgelegenheit abgelehnt - ihr Vater war ein erratischer Fahrer mit einem cholerischen Temperament, sowohl hinter dem Steuer als auch sonst -, bestätigte aber, dass sie kommen würde. Jetzt musste sie einen Rückzieher machen. So lief es immer: Ob Gil verfügbar war, stand meistens bis zur letzten Sekunde nicht fest, von ihrer Verfügbarkeit wurde stillschweigend ausgegangen. Nur eine Erkrankung würde ausreichen für eine so späte Nachricht, und es hätte schon etwas Wichtiges sein müssen, um eine Absage zu rechtfertigen. Als sie über die Enttäuschung nachdachte, die sie ihrer Familie demnächst bereiten musste, machten sich bei Helen wieder die Bauchkrämpfe und die Übelkeit bemerkbar, die oft mit den Überlegungen zu ihrem moralischen Fehlverhalten einhergingen. Die andere Möglichkeit, dass sie ihrer ursprünglichen Verpflichtung nachkam und auf das Wochenende mit Gil verzichtete, kam ihr nicht mal in den Sinn.

Roland, eines der sorgfältigeren Mitglieder der Gruppe, winkte sie zu sich herüber und riss sie so aus ihren Gedanken. Er hatte seine Skizze begonnen, ohne sich über die Einteilung der Seite Gedanken zu machen. Obwohl die Vase, der Krug und die Schüssel auf dem Tisch dicht beieinanderstanden, waren diese Gegenstände auf seinem Blatt in einer geraden Linie angeordnet, gleichmäßig verteilt und ohne jede Verbindung zum Hintergrund. Die Eier, winzige flache Kieselsteine, schwebten frei über der zweidimensionalen Schüssel. Es sah aus wie die Zeichnung eines Sechsjährigen, aber hier hatte sie einen Mann vor sich, der eine Drehmaschine in einer Werkstatt bedienen, jede Art von Motor reparieren und die Akkorde von jedem beliebigen Lied auf einem Kneipenklavier raushauen konnte.

»Das hat überhaupt keine Ähnlichkeit«, sagte er kopfschüttelnd. »Was mach ich falsch?«

»Sie machen nichts falsch«, sagte Helen. »Es gibt hier kein Richtig oder Falsch.«

»Aber ich würde gerne besser werden, wieso sollte ich sonst hierherkommen?«

Eine Sekunde überlegte sie, ob er von seiner Zeichnung sprach oder von seiner Sucht. Wenn er von der Letzteren geheilt werden konnte, wäre es kaum wichtig, ob er Tulpen oder Milchkannen zeichnen konnte.

»Wenn Sie Schwierigkeiten mit der Komposition haben, könnten Sie sich vielleicht auf nur einen Gegenstand konzentrieren.«

»Darf ich noch mal anfangen?«

»Natürlich«, sagte Helen und rettete die Skizze, bevor er sie zusammenknüllen konnte. »Machen Sie das nicht kaputt. Das legen wir auch in Ihre Mappe.« Sie nahm es abergläubisch genau mit der...

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Autor

Clare Chambers wurde 1966 in London geboren. Sie unterrichtete Englische Literatur in Oxford, bevor sie für die bedeutende Verlegerin Diana Athill erst als Sekretärin, später als Lektorin zu arbeiten begann. Nach acht Romanen und einer Schreibpause von zehn Jahren wurde Kleine Freuden ein durch Mundpropaganda erzeugter Überraschungsbestseller und erschien auf Deutsch im Eisele Verlag. Die Mutter dreier erwachsener Kinder lebt mit ihrem Mann im Südosten Londons.