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Die Tränen des Propheten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Verlag Antje Kunstmannerschienen am30.05.20231. Auflage
Wer heute behauptet, er sei ein Prophet, dazu berufen von dem Erzengel Gabriel, der kann nur verrückt sein. Aber wie verrückt sind die, die die Welt so akzeptieren, wie sie ist? Yavuz Ekinci erzählt eine Hiobsgeschichte in modernen Zeiten. Mehdi ist Informatiker. Er lebt in der großen Stadt. Seine Frau ist mit seiner Tochter in die Ferien gefahren, ohne ihn. Und wäre Mehdi in diesen Tagen des Alleinseins nicht der Erzengel Gabriel erschienen, der ihm verkündete, er sei der Botschafter Gottes, dann wäre sein Leben vielleicht normal weiter gegangen. Aber als er behauptet, ein Prophet zu sein, verlässt ihn seine Frau umgehend. Ihm ist es recht, so kann er ungestört auf weitere Offenbarungen warten. Allein, es kommen keine. Also macht er sich auf, zieht durch die Stadt und fängt an zu predigen. Aber niemand will auf diesen Verrückten hören, dessen Weltfremdheit so offensichtlich ist. Die Tränen des Propheten erzählt von den Verwerfungen der Menschen, die es schon immer gegeben hat, von den Grausamkeiten und Verzweiflungen. Aber was ist wahr, was ist der Wahn eines Einzelnen, der sich für den Erlöser hält und zur Umkehr aufruft? Zu welcher Umkehr? Eine Erlösung, das macht dieser wilde, verzweifelte Roman deutlich, wird von den Religionen nicht zu erwarten sein. Und doch, wer weiß? Vielleicht ist es der Narr, dem die Menschen zuhören, der sieht, was sie wissen, aber nicht sehen wollen.

Yavuz Ekinci, 1979 in Batman geboren, arbeitet als Lehrer und ist Herausgeber einer Reihe zur kurdischen Exilliteratur. Für sein Prosawerk erhielt Ekinci zahlreiche Preise, darunter den Human Rights Association Story Award. Zuletzt erschienen die Romane »Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam« (2017) und »Die Tränen des Propheten« (2019) und »Das ferne Dorf meiner KIndheit« (2023). Ekinci lebt in Istanbul.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextWer heute behauptet, er sei ein Prophet, dazu berufen von dem Erzengel Gabriel, der kann nur verrückt sein. Aber wie verrückt sind die, die die Welt so akzeptieren, wie sie ist? Yavuz Ekinci erzählt eine Hiobsgeschichte in modernen Zeiten. Mehdi ist Informatiker. Er lebt in der großen Stadt. Seine Frau ist mit seiner Tochter in die Ferien gefahren, ohne ihn. Und wäre Mehdi in diesen Tagen des Alleinseins nicht der Erzengel Gabriel erschienen, der ihm verkündete, er sei der Botschafter Gottes, dann wäre sein Leben vielleicht normal weiter gegangen. Aber als er behauptet, ein Prophet zu sein, verlässt ihn seine Frau umgehend. Ihm ist es recht, so kann er ungestört auf weitere Offenbarungen warten. Allein, es kommen keine. Also macht er sich auf, zieht durch die Stadt und fängt an zu predigen. Aber niemand will auf diesen Verrückten hören, dessen Weltfremdheit so offensichtlich ist. Die Tränen des Propheten erzählt von den Verwerfungen der Menschen, die es schon immer gegeben hat, von den Grausamkeiten und Verzweiflungen. Aber was ist wahr, was ist der Wahn eines Einzelnen, der sich für den Erlöser hält und zur Umkehr aufruft? Zu welcher Umkehr? Eine Erlösung, das macht dieser wilde, verzweifelte Roman deutlich, wird von den Religionen nicht zu erwarten sein. Und doch, wer weiß? Vielleicht ist es der Narr, dem die Menschen zuhören, der sieht, was sie wissen, aber nicht sehen wollen.

Yavuz Ekinci, 1979 in Batman geboren, arbeitet als Lehrer und ist Herausgeber einer Reihe zur kurdischen Exilliteratur. Für sein Prosawerk erhielt Ekinci zahlreiche Preise, darunter den Human Rights Association Story Award. Zuletzt erschienen die Romane »Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam« (2017) und »Die Tränen des Propheten« (2019) und »Das ferne Dorf meiner KIndheit« (2023). Ekinci lebt in Istanbul.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783956143397
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum30.05.2023
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.14295214
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
I´M YOUR MAN

Viertausendeinhundertzwölf Jahre, nachdem Abraham seinen Sohn Ismail auf den Berg Moriah brachte, um ihn dort zu opfern, eintausendneunhundertvierundachtzig Jahre, nachdem Jesus in Betanien ans Grab des Lazarus getreten war und rief: »Lazarus, komm heraus!«, eintausenddreihundertzweiundneunzig Jahre, nachdem Utbah ibn Abi Waqqas in der Schlacht von Uhud Mohammed einen Zahn ausschlug, zweitausendneunhundertsieben Jahre, nachdem Potifars Gemahlin Suleika Joseph das Gewand zerriss; dreitausendsiebenundsechzig Jahre, nachdem Hiob die Maden, die aus seinem Fleische fielen, vom Boden auflas und wieder in seine Wunden setzte, sechstausendeinhundertundvier Jahre, nachdem Aeneas seinen Sohn Askanios an seine Seite nahm und seinen Vater Anchises auf dem Rücken aus dem brennenden Troja trug, sechstausendvierundneunzig Jahre, nachdem der listige Odysseus dem Melanthios Ohren, Nase und Geschlechtsteil abschnitt und an die Hunde verfütterte, siebentausendundzwei Jahre, nachdem Gilgamesch das von Uta-napischti erlangte Unsterblichkeitskraut an eine Schlange verlor, vierhundertzwölf Jahre, nachdem Don Quijote an einem heißen Julimorgen auf dem Rücken von Rosinante in ein großes Abenteuer aufbrach, stieg der sechsflügelige Erzengel Gabriel zur Erde hinab und sagte zu Mehdi: »Siehe!«

Es war im Monat April. Das Telefon klingelte. Mehdi kam aus dem Bad, mit einer Schere, einem Hühneraugenpflaster, einer Mullbinde und Wattebäuschchen. Er legte die Utensilien auf dem Tisch ab und ging ans Telefon. Mit ihrer sich überschlagenden Stimme klang seine Tochter Åinda wie eine Nachtigall, als sie ihrem Vater vom Meer vorschwärmte, in dem sie geschwommen war, von den bunten Muscheln, die sie am Strand gesammelt hatte, von den Delphinen, die sie gesehen hatte. Und sie fragte, ob er sich gut um ihren Vogel Mavi und den Fisch kümmere. Mehdi sagte, dem Wellensittich und dem Goldfisch gehe es bestens und sie würden auch schön ihr Futter fressen. Er vermisse sie sehr und sie möge das Telefon doch bitte ihrer Mutter geben. Sara nahm das Telefon und sagte vorwurfsvoll: »Es wäre schön, wenn du mitgekommen wärest. Ein paar Tage zusammen hätten uns gutgetan.« Mehdi kniff die Augen zusammen und sagte in einem völlig anderen Ton: »Ein andermal fahren wir zusammen weg. Ich muss gerade ein bisschen für mich allein sein.« Seine Frau schwieg lange und fragte dann mit der den Frauen eigenen Intuition: »Ist bei dir alles in Ordnung? Wird alles wieder gut? Ich habe Angst, große Angst. Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.« Um sie zu beruhigen, sagte Mehdi fröhlich: »Mir geht es gut, Schatz. Mach dir keine Sorgen. Alles in Ordnung. Habt einen schönen Urlaub. Ein andermal ...« Er lauschte dem schweren Atmen seiner Frau und sagte liebevoll: »Bis bald, Schatz. Gute Nacht! Ich küsse euch.« Dann legte er auf.

Mehdi nahm das Hühneraugenpflaster, die Mullbinde, Schere und Wattebäuschchen vom Tisch und eilte ins Bad zurück. Er zog seine Socken aus, rollte sie zu einem Ball zusammen und warf sie in den schon vollen, braunen Wäschekorb, setzte sich auf den Badewannenrand, holte tief Luft und zog seinen Fuß bis zum Bauch hoch. Mit dem Zeigefinger berührte er leicht das Hühneraugenpflaster auf seinem rechten großen Zeh. Der Schmerz schoss ihm bis in die Brust und er ächzte. Mit der linken Hand umfasste er dann fest seinen Knöchel, kniff die Augen zusammen, biss die Zähne aufeinander und riss mit einer raschen Bewegung das Hühneraugenpflaster ab. Der Schmerz war so stark, als hätte man ihm einen Spieß in die Brust gestoßen. Tränen schossen ihm in die Augen. Mit beiden Händen hielt er seinen Fuß, beugte sich hinunter und blies auf sein Hühnerauge. Er schniefte und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als der Schmerz etwas nachgelassen hatte, berührte er das Hühnerauge, dessen Sporn so groß wie eine Linse war. Die Haut war hart und rau wie Schmirgelpapier, und es wurde täglich größer, so kam es ihm jedenfalls vor. Er stand auf, hüpfte auf einem Fuß zum Badezimmerschrank und holte den Bimsstein. Er tupfte das Hühnerauge mit Watte ab und entfernte die Hornhaut mit dem Bimsstein. Die abgeschliffenen Hautzellen pustete er von seinem Fuß, stand auf, ließ in eine Schüssel warmes Wasser ein und tauchte den wehen Fuß hinein. Er wartete so lange, bis die Haut richtig aufgeweicht war, zählte im Kopf bis tausend, nahm dann den Fuß heraus und trocknete ihn ab. Er nahm eine schwarze, reife Feige, die er aus dem Kühlschrank geholt hatte, und halbierte sie. Eine Hälfte legte er auf das Hühnerauge und wickelte die Mullbinde fest um Zeh und Feige. Er wusch seine Hände mit flüssiger Zitronenseife, trocknete sie ab und verließ das Bad.

Er hinkte in die Küche, füllte Wasser in den Teekessel und stellte ihn auf den Herd. Während er darauf wartete, dass es kochte, sang er »I´m Your Man« mit, was gerade im Radio lief. Als das Wasser kochte, stellte er den Herd aus und nahm aus dem Schrank ein Päckchen frisch gemahlenen Kaffee. Als er es öffnete, zog ein verführerischer Duft in die Küche. Er sog den Duft ein und gab drei Löffel Kaffee in die French Press, goss den Kaffee mit kochendem Wasser auf und ließ ihn ziehen.

Auf seinem Handy öffnete er Twitter und überflog die neuen Tweets. Den Tweet »Lang lebe die Hölle für die Tyrannen!« retweetete er. Er schaute nach den neuen Posts mit dem Hashtag »Eine bessere Welt ist möglich« und likte ein paar von ihnen. Dann las er die Tweets unter #metoo. Da waren Frauen, die von ihren Chefs belästigt wurden, Mädchen, die von ihren Brüdern vergewaltigt worden waren, und Kinder, die sexuell ausgebeutet wurden. Die Tweets deprimierten ihn. »Die Welt ist so was von schrecklich geworden«, murmelte er und veröffentlichte unter dem Hashtag #einebessereweltistmoeglich folgenden Tweet: »Ein Mensch ist so groß wie sein Schmerz.« Dann schloss er die Twitter-App und öffnete Instagram. Schnell überflog er die Posts. Katzen, aufgeblühte Blumen, Fotos von lesenden Leuten, Selfies, Reklameposter, Bilder von Kindern, Wolken, schicken Frauen, charismatischen Männern ... Er likte das von einem Verlag gepostete Cover von »Ein finsterer Bruder«, einem neuen Sachbuch über den Teufel, und repostete es. Er goss den aufgebrühten Kaffee in eine Tasse und trank einen Schluck. Dabei schmetterte er synchron mit Leonard Cohen: »I´m your man«.

Er nahm die Tasse in beide Hände und sog den Kaffeeduft ein. Er hatte gerade erst zwei Schlucke genommen, als aus dem Kinderzimmer die Schreie des Wellensittichs drangen. Er stellte die Tasse ab und lief zum Kinderzimmer, fand die Fenster offen und die dünnen Gardinen im Wind wehend vor, während der Wellensittich sich von innen gegen die Käfigstäbe warf und aus vollem Leibe schrie. Mehdi schloss die Fenster, zog die Gardinen vor und öffnete behutsam die Käfigtür. Der Vogel kam heraus und flog zwei Runden durchs Zimmer. Mehdi beobachtete ihn besorgt. Er erwartete, dass der Vogel sich irgendwo niederließ. Tatsächlich flog er die Lampe an, entschied sich aber im letzten Moment um, umkreiste Mehdis Kopf viermal, immer schneller, und flog dann mit einem hörbaren Knall direkt gegen die Wand. Bestürzt schrie Mehdi: »Mavi!«, und sprang auf den abgestürzten Vogel zu. In diesem Moment schlug ein Blitz ein. Der Donner übertönte Mehdis Stimme. Die Scheiben erbebten, die Fenster öffneten sich wieder, die Gardinen wehten im Wind.

Mehdi nahm den reglosen Leib des Vogels in seine Handflächen und hob ihn auf. Ein leichtes Brennen stieg aus seiner Brust in die Kehle hinauf. Seine Augen wurden feucht, er hatte einen Frosch im Hals und sein Atem stockte. Er streichelte das blaue Gefieder des Vogels. Aus dem winzigen, gelben Schnabel rannen drei Tropfen Blut und fielen auf den Teppich. »Dieses Malheur hat doch die undankbare Katze zu verantworten«, maulte er und rief nach ihr: »Inci, wo bist du?« Er küsste den Vogel, legte ihn auf der Kommode neben Åindas Bett ab und begann, nach der Katze zu suchen.

Er schaute im Wohnzimmer, im Bad, auf dem Balkon, doch die Katze fand er nicht. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Ratlos ging er zurück ins Wohnzimmer. Sein Blick fiel auf das Aquarium. Der Fisch schwamm auf eine seltsame Weise gegen das Glas. Mehdi gab ihm etwas Futter. Der Fisch kümmerte sich nicht um die Bröckchen, die erst auf dem Wasser schwammen und dann langsam sanken, sondern drängte immer wieder gegen die Scheibe. Als Mehdi sich zu ihm herunterbeugte, sprang der Fisch mit einem Mal aus dem Wasser hoch. Mehdi zuckte zusammen. Der Fisch fiel auf den Tisch und glitt auf den Teppichboden. Er zappelte so stark, dass Mehdi ihn nur mit äußerster Mühe einfangen und ins Aquarium zurückwerfen konnte. Der Fisch drängte noch zweimal gegen die Scheibe, dann sprang er wieder heraus. Dieses Mal rutschte er Mehdi unentwegt aus den Händen. Erst als er reglos unter dem Tisch lag, konnte Mehdi ihn aufheben und ins Wasser zurückwerfen. Der Fisch streckte seinen Kopf aus dem Wasser und blickte Mehdi an. Dabei klappte er sein Maul auf und zu, als täte er einen letzten Atemzug. Dann lag er reglos auf der Wasseroberfläche wie ein vom Baum...
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Autor

Yavuz Ekinci, 1979 in Batman geboren, arbeitet als Lehrer und ist Herausgeber einer Reihe zur kurdischen Exilliteratur. Für sein Prosawerk erhielt Ekinci zahlreiche Preise, darunter den Human Rights Association Story Award. Zuletzt erschienen die Romane »Der Tag, an dem ein Mann vom Berg Amar kam« (2017) und »Die Tränen des Propheten« (2019) und »Das ferne Dorf meiner KIndheit« (2023). Ekinci lebt in Istanbul.

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