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Bahnfahring

E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
214 Seiten
Deutsch
Lindemannserschienen am13.10.20171. Auflage
Die Bahn stellt mich wieder ins Gleis. Was anderswo großspurig als Downsizing verkauft wird, praktiziert die Bahn schon längst. Das Essen im Bordbistro will nicht kommen? Das ist slow-food im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem bist du fett genug. Die Bahn ist nicht nur für Wellnesser geeignet, sondern auch ideal zum Auspendeln. Wenn jetzt noch die unbequemen ICE-Sessel durch Lotussitze ersetzt werden und man dem Dalai Lama die Standardansagen überlässt, werden sich meine Chakren nicht mehr einkriegen, und mildester Stimmung darf ich in meinem Tagebuch diesen Satz der chinesischen Geschwindigkeitsphilosophin Tai Ming zitieren: 'Die Bahn kann mir keinen Unmut bereiten / Ich hänge mein Herz nicht an Abfahrtszeiten.' Thomas C. Breuer, geboren 1952 in Eisenach, lebt als freier Schriftsteller in Rottweil und in Zügen von DB und SBB, seit 40 Jahren auch als Kabarettist unterwegs auf Kleinkunstbühnen (Deutschland, Schweiz, Nordamerika). Über 3.300 Auftritte, regelmäßige Rundfunkarbeit für WDR, SWR und Schweizer Radio SRF1. Diverse Preise und Auszeichnungen, darunter der Salzburger Stier 2014, der bedeutendste Radio-Kabarettpreis im deutschsprachigen Raum. Thomas C. Breuer möchte sich - trotz teils grotesker Erlebnisse - keinesfalls einreihen in den Chor der Bahnverächter. Tausendmal lieber sitzt er lieber im Zug statt im Auto. Davon erzählen seine Bahnerlebnisse in u.?a. Skandinavien, Spanien, Tschechien, Österreich, Kanada, USA und Costa Rica.mehr

Produkt

KlappentextDie Bahn stellt mich wieder ins Gleis. Was anderswo großspurig als Downsizing verkauft wird, praktiziert die Bahn schon längst. Das Essen im Bordbistro will nicht kommen? Das ist slow-food im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem bist du fett genug. Die Bahn ist nicht nur für Wellnesser geeignet, sondern auch ideal zum Auspendeln. Wenn jetzt noch die unbequemen ICE-Sessel durch Lotussitze ersetzt werden und man dem Dalai Lama die Standardansagen überlässt, werden sich meine Chakren nicht mehr einkriegen, und mildester Stimmung darf ich in meinem Tagebuch diesen Satz der chinesischen Geschwindigkeitsphilosophin Tai Ming zitieren: 'Die Bahn kann mir keinen Unmut bereiten / Ich hänge mein Herz nicht an Abfahrtszeiten.' Thomas C. Breuer, geboren 1952 in Eisenach, lebt als freier Schriftsteller in Rottweil und in Zügen von DB und SBB, seit 40 Jahren auch als Kabarettist unterwegs auf Kleinkunstbühnen (Deutschland, Schweiz, Nordamerika). Über 3.300 Auftritte, regelmäßige Rundfunkarbeit für WDR, SWR und Schweizer Radio SRF1. Diverse Preise und Auszeichnungen, darunter der Salzburger Stier 2014, der bedeutendste Radio-Kabarettpreis im deutschsprachigen Raum. Thomas C. Breuer möchte sich - trotz teils grotesker Erlebnisse - keinesfalls einreihen in den Chor der Bahnverächter. Tausendmal lieber sitzt er lieber im Zug statt im Auto. Davon erzählen seine Bahnerlebnisse in u.?a. Skandinavien, Spanien, Tschechien, Österreich, Kanada, USA und Costa Rica.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783963080012
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisDRM Adobe
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum13.10.2017
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.299
Seiten214 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1178 Kbytes
Artikel-Nr.14296196
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Das Godotbähnchen

Hätte ein besonderer Tag werden sollen, ein Meilenstein in der glorreichen Verkehrsgeschichte dieses tapferen, kleinen Bundeslandes, der 25. September 2008. Endlich ist es soweit, der Tag ist da, ich bin da. Glücklicherweise ist niemand Offizielles aus Mainz da. Die haben wohl irgendwie Lunte gerochen, die Jubiläumsfahrt mit Minister Hering im historischen Triebwagen ist rechtzeitig abgeblasen worden, wie immer wissen die mehr als wir. In Indien gehen mobile Wahrsager durch die Züge. Die würden in Deutschland schon bei den exakten Ankunftszeiten durchdrehen, und bei der Hunsrückbahn an der Frage, ob überhaupt je was verkehrt. Das Wort verkehrt bietet ja mehrere Interpretationsmöglichkeiten.

Als Minister Hering noch Bürgermeister von Hachenburg im Westerwald war, habe ich einmal eine historische Fahrt in seinem Auto erlebt, als er mich nach einem Auftritt am nächsten Morgen, sonntags um halb acht, so heroisch wie selbstlos nach Koblenz hinunter zum Bahnhof fuhr. Für Emmelshausen gilt heute: Der Zug ist nicht da. Nicht einmal der neue, den sie sich zum hundertjährigen Jubiläum der Hunsrückbahn geleistet haben. Ursache war nicht etwa eine Antriebsschwäche des Schienenfahrzeugs, sondern ein geradezu augenblicklicher Verschleiß der Radreifen. Umständlich hatte man eigens einen Schienenschleifzug organisieren müssen - Schleifzüge sind rar und kosten entsprechend. Die Radreifen ließen sich davon ohnehin nicht beeindrucken. Zehn Millionen Euro hat die DB Netz in neue Gleise für eine 16 Kilometer lange Strecke gesteckt - das ist nun der Dank. Nicht einmal das Schmieren der Radreifen hat etwas gebracht, einer der seltenen Fälle übrigens, bei dem Schmieren keine Wunder bewirkt hat.

Sie haben mich vor Monaten zur Eröffnungsveranstaltung gebucht, jetzt haben sie mich im sicheren Wissen, dass nichts Weltbewegendes passieren wird, anreisen lassen, sozusagen als 1-Personen-Eingreiftruppe, möglicherweise als De-Eskalations-Spezialist, ja, Gruppentherapeut. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich es hinauf nach Emmelshausen geschafft habe, wahrscheinlich mit dem Bus von Koblenz. Mit einem großen Bahnhof kann das Viereinhalbtausend-Seelen-Städtchen leider nicht aufwarten, wobei die Veranstaltung im kleinen Bahnhof stattfinden soll. Gut, ehrlich gesagt ist er sogar eher klein und wird schon lange für Kleinkunst genutzt, also immerhin sinnvoll.

Die örtlichen Honoratioren sind stoisch entschlossen, den Abend zu vollstrecken, ihre Mienen bewegen sich zwischen finsterer Gelassenheit und fatalistischer Fröhlichkeit. Wahrscheinlich haben sie den bereits kaltgestellten Sekt im Vorfeld weggepütgert, vielleicht bei der halbfeierlichen Enthüllung der Bronzeskulptur namens Knochenflicker Pies . Der Knochenflicker war der Vorläufer des Chiropraktikers. Ein Anlass also ohne Anlass. Ab und zu splinzt einer von ihnen verstohlen nach draußen, in der vagen Hoffnung, dass der Zug wider Erwarten doch noch eintrifft. Dabei wissen längst alle Beteiligten Bescheid, seit Wochen schon. Aber die Deutsche Bahn gibt ja ihre Verspätungen ebenfalls stets häppchenweise durch. Hier trifft sie allerdings keine Schuld. Ausnahmsweise. Das haben andere versemmelt. Oder veremmelt? Mit und gleichzeitig ohne Pauken und Trompeten.

Knapp eine Hundertschaft Zuschauer hat sich eingefunden. Ich habe die Texte eigens für diesen Abend zusammengestellt, teils völlig neu geschrieben, teils alte überarbeitet, und das für so einen Hennenschiss. Aufwand und Ergebnis stehen in keinem Verhältnis zueinander, was natürlich auch seinen Reiz hat, denn seien wir gerecht: So etwas passiert selten. Wie oft habe ich schon für absolut unaufwändige Events oder Galas das Drei- bis Vierfache kassiert, die mich - von der durch sie verursachten schlechten Laune einmal abgesehen - kaum ein Arschbackenrunzeln gekostet haben.

Manchmal saufen offizielle Anlässe sang- und klanglos ab. Ein Redakteur der Rhein-Neckar-Zeitung hat mir erzählt, man habe ihn einmal gebeten, bei der Preisverleihung eines Gourmetmagazins die Laudatio zu halten. Der Chefkoch, der den Preis bekommen sollte, musste kurzfristig absagen: Lebensmittelvergiftung. Bei der Einweihung des nigel-nagel-neuen Polizeipräsidiums in Heidelberg Ende der 90er-Jahre stellte man fest, dass die nigel-nagel-neue Tiefgarage für Mannschaftswagen unbefahrbar war, weil: zu niedrig.

Emmelshausen am 2. August 1908: Die Eröffnungsfahrt verläuft ohne Beanstandung, die preußischen Lokomotiven vom Typ T26 versehen klaglos ihren Dienst. Die Strecke in den Hunsrück hinauf zu hämmern, das macht man nicht eben mit links: Der Rauenbergtunnel fordert ein Menschenleben, und 1906 wird ein Arbeiter während der Bopparder Orgelbornkirmes bei einer Meinungsverschiedenheit in einer Wirtschaft erschossen. Ein Feldrutsch bei Leiningen schließlich kostet dreizehn Arbeiter das Leben, Gaffer lösen noch dazu einen weiteren Erdrutsch aus, bei dem fünf von ihnen sterben. Die Gegenwart ist zumindest unblutig, dafür unbefriedigend. Emmelshausen am 25. September 2008: Wie eine Cannes-Premiere ohne den Film oder eine Taufe ohne Säugling oder eine Buchvorstellung ohne Buch - wobei: Das wiederum habe ich schon öfter erlebt: Einmal kamen die Bücher tatsächlich gar nicht, beim zweiten Mal eine Stunde vor Showtime - via IC-Kurier - und beim dritten Mal brachte sie ein von Eis und Schnee entnervter Drucker zur Halbzeitpause.

Soviel zur Erhabenheit des Kulturbetriebs. Dumm allerdings, dass die lokalen Tourismusheinis gerade angefangen hatten, die Verlängerung der Bahntrasse von Emmelshausen nach Simmern, ihrer Schienen längst beraubt, als Radwanderweg zu vermarkten. Der Schienenersatzverkehr - vulgo Bus - von Boppard auf die Höhe transportiert leider keine Fahrräder. Die Hunsrückbahn hat schon manche Krise und sicher auch manchen Knallkopf überlebt. So schrieb die Bopparder Zeitung am 3. Januar 1910: Die Zustände auf der Hunsrückbahn sind derart, dass wohl der ganze Verkehr eingestellt werden muss ...

Sicher werden die sich verschärfende Energiekrise und der drohende Verkehrskollaps zum Wohl des Schienenbetriebs beitragen, bei weiter steigenden Benzinpreisen bleibt die Verlängerung bis Leiningen oder darüber hinaus keine Utopie. In Großbritannien werden wegen der Wohnungsnot in den Städten - die Immobilienpreise sind innerhalb von zehn Jahren um 55 % gestiegen - in den nächsten Jahren mehr als 1.000 Kilometer Gleise wieder in Betrieb genommen. Umso mehr müssen sich dann die Angebote an die Bedürfnisse der heutigen Zeit anpassen, sogar bei der Hunsrückbahn. Um in Zukunft bestehen zu können, darf sich der neue Betreiber Rhenus Veniro Innovationen nicht verschließen. (Wer denkt sich eigentlich solche Namen aus? Rhenus Veniro - das klingt, als müsse man es in der Apotheke kaufen.) Mag der Unterhalt der Bahn bis auf Weiteres geregelt sein - was fehlt, ist die Unterhaltung. Da böten sich Themenwaggons an, die z. B. dem Orientexpress nachempfunden wurden oder Serviceleistungen wie etwa in den Kenyan Railways von Ruiru nach Nairobi: Dort findet der Fahrgast im Wagen 3 einen Prediger, der jeden Morgen eine Art Gottesdienst abhält mit Gebeten, Gesängen und Table-Dance. Also das, was man heute Spirit-Rail nennen könnte. Vielleicht liegt das Geheimnis in der Entschleunigung, denn bis zur Stilllegung war die Fahrt eher ein Quickie. In den Anfangstagen brauchte man für die Reise von Simmern nach Boppard noch 2 1/2 Stunden.

Hartmut Mehdorn - schön, dass der Name noch einmal auftauchen darf - hatte bereits ein Grußwort formulieren lassen: Der neuen Hunsrückbahn wünsche ich allzeit gute Fahrt! Wann das allerdings genau sein soll: Allzeit , vermag aktuell niemand zu sagen. Keine 123 Tage nach der offiziellen Einweihung, am 4. Mai 2011 um 5:23 Uhr, wird der Bahnbetrieb endlich wieder aufgenommen, allerdings eingeschränkt. Bereits im darauffolgenden Dezember erhält einer der drei Triebwagen eine uneingeschränkte Zulassung vom Eisenbahn-Bundesamt.

Beim Passieren des Bahnhofs Boppard schaue ich seither reflexartig, ob das weiß-blaue, gelbbetürte Godotbähnchen am Gleis wartet. Die offizielle feierliche Eröffnung allerdings gestaltete sich als ein Ereignis von großer Ausgebliebenheit. Nach Emmelshausen haben sie mich nie wieder eingeladen. Nicht mal ein kaltes Buffet haben sie springen lassen, dabei ist gerade in Eisenbahnerkreisen der Hunsrück als Feinschmeckerregion bekannt, nicht zuletzt durch einen kulinarischen Tempel in Gestalt der Firma Sander Gourmet in Wiebelsheim, die, das durften geneigte Leser der Zeitung Bahn-Mobil entnehmen, jene Plumpsackmenus herstellt für die Kombidämpfer in den Speisewagen der Bahn-AG, das Prinzip heißt Cook & Chill, wahrscheinlich, weil einem dabei einiges gefrieren kann. Die produzieren außerdem nicht nur für Essen auf Rädern, sondern auch die leckeren Sägespänefilets für Ikea und beliefern sogar Hotels der höchsten Kategorie.

Anders als die Moselbahn sollte die Hunsrückbahn friedlichen Zwecken dienen. Erstere wurde als Kanonenbahn gegen die Franzosen eingerichtet, wobei nie ganz klar war, ob man damit die Kanonen selbst oder das Kanonenfutter in Gestalt von Soldaten transportieren wollte. Ich habe bei der Recherche das Buch 100 Jahre Hunsrückbahn aufmerksam studiert und fühlte mich dabei an meine Schulbücher in den 60er-Jahren erinnert - in denen klaffte zwischen 1933 und 1945 ebenfalls eine große Lücke. Schon wenn man das Kapitelverzeichnis durchschaut, fällt dies auf: 1917 Unfall. Sprung auf 1938: Das neue Bahnhofsrestaurant in Boppard, was einem nicht zwingend als Erstes in den Sinn kommt, wenn man an dieses Jahr denkt, und schon...

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