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Café Royal

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am21.08.2024
Mailand im Sommer 2020: Die sonst so lebendige Via Marghera wirkt wie ausgestorben. Nur das Café Royal ist geöffnet. Man trifft sich vorsichtig, auf Abstand - und ist doch so froh, dass menschliche Begegnungen wieder möglich sind. Auch der Schriftsteller Michele hebt den Blick vom Bildschirm, verlässt das Haus und findet Gesellschaft, die seine Fantasie entfacht. Langsam kehrt wieder Leben in das Café Royal ein. Und in die Menschen, die es besuchen.

Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Mit seinem Roman ?Das Leben wartet nicht? gewann er den Premio Campiello. Mit ?Ich bleibe hier? war er nominiert für den Premio Strega, in Italien und im deutschsprachigen Raum war das Buch ein großer Bestseller. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextMailand im Sommer 2020: Die sonst so lebendige Via Marghera wirkt wie ausgestorben. Nur das Café Royal ist geöffnet. Man trifft sich vorsichtig, auf Abstand - und ist doch so froh, dass menschliche Begegnungen wieder möglich sind. Auch der Schriftsteller Michele hebt den Blick vom Bildschirm, verlässt das Haus und findet Gesellschaft, die seine Fantasie entfacht. Langsam kehrt wieder Leben in das Café Royal ein. Und in die Menschen, die es besuchen.

Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Mit seinem Roman ?Das Leben wartet nicht? gewann er den Premio Campiello. Mit ?Ich bleibe hier? war er nominiert für den Premio Strega, in Italien und im deutschsprachigen Raum war das Buch ein großer Bestseller. Er lebt mit seiner Familie in Mailand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257615227
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum21.08.2024
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse759 Kbytes
Artikel-Nr.14343505
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


»Morgen runder Geburtstag, hm?«, sage ich beim Frühstück.

»Tja«, antwortet sie todernst und rührt in ihrem Kaffee.

»Ich würde dir gern etwas schenken.«

»Danke«, murmelt sie und starrt weiter in ihre Tasse.

»Was hättest du denn gern?«

Abrupt schaltet sie das Radio aus und reckt ihren Hals empor, bis er nur noch wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt ist. »Wieso musst du mich eigentlich immer fragen, was ich will?«, knurrt sie.

»Sorry, ich kann dir nicht folgen.«

»Könntest du nicht einmal deinen Grips anstrengen und mich überraschen?«

»Ich wollte doch nur wissen, was du dir wünschst ...«

»Ich wünsch mir, dass du mich überraschst!«

So ist sie, meine Frau Stefania, morgen wird sie fünfzig. Wenn ich heute noch mal mit ihr vor den Altar träte und der Pfarrer mich fragte, ob ich sie heiraten wolle, würde ich höfâlich lächeln und »Nein danke« antworten. Und die Kirche dann erhobenen Hauptes durch den Mittelgang verlassen.

Vor der Praxis wartet Signor Tassan. Als er mich kommen sieht, sagt er kleinlaut: »Ich wollte nur das Formular für die Betablocker abgeben.«

»Stecken Sie es in den Rezeptkasten«, antworte ich, während ich in der Manteltasche nach dem Schlüssel suche.

Ich starte den PC, logge mich in das Portal des Gesundheitsdienstes ein und gebe unterdessen bei Google »Geschenk Überraschung« ein, was mich auf Seiten für Parfüms, Unterwäsche und Schallplatten führt. Am Ende kaufe ich einen Onlinekurs Vegetarisches Kochen. Zwölf Einheiten, davon zwei über Hülsenfrüchte. So läuft es immer: Ich öffne mehrere Dutzend Fenster, bis ich nicht mehr durchblicke und, um mich aus dem Chaos zu befreien, einfach kaufe, was ich mir zuletzt angeschaut habe. Onlinekurs Vegetarisches Kochen, so ein Quatsch ... Zumal Stefania für ihr Leben gern Geschenke auspackt, sie will schönes Papier und Schleifchen, je größer der Karton, desto besser, denke ich, während ich den Gutschein ausdrucke beziehungsweise den Zahlungsbeleg. Ich stecke ihn in einen Briefumschlag mit dem Aufdruck meiner Praxis, ich hab grad nichts anderes da, und die Schreibwarenläden sind noch geschlossen.

Sobald ich mein Diensthandy einschalte, beginnt es zu klingeln. Verzweifelte Patienten, die glauben, sie hätten Corona. Ich befrage sie und schicke sie zum nächstgelegenen Testzentrum. Nur nicht hierher zu mir, auch in die Notaufnahme sollen sie nicht gehen. Selbst bei Patienten mit chronischen Leiden oder anderen Erkrankungen versuche ich unter allen Umständen zu vermeiden, dass sie zu mir in die Praxis kommen. Rezepte verschicke ich per E-Mail und verspreche, zurückzurufen und mich nach dem Befinden zu erkundigen, schwerere Fälle überweise ich an einen Spezialisten. Die meisten kann ich auf diese Weise abwimmeln, zum Glück, sie lassen sich jetzt von Apothekern behandeln. Mein Kollege Nardini geht von Haus zu Haus, ausgerüstet mit einem Schutzanzug, den er auf einer serbischen Website gekauft hat, dreitausend Euro aus der eigenen Tasche. Wie ein Kampfschwimmer sieht er darin aus. Ich schätze Nardini sehr, aber ich bin nicht wie er. Seit der Pandemie mache ich keine Hausbesuche mehr, übers Telefon behandle ich nur gegen Honorar. Einmal habe ich das Ohr an die Wand aus Gipskarton gelegt und gelauscht: Die Leute im Wartezimmer machten sich über mich lustig. »Grüßonkel« nannte eine Frau mich, weil ich für die Untersuchung nie aufstehe. »Wie ein Tagesschausprecher!«, fiel eine andere ein. Und ein junger Mann witzelte: »Wahrscheinlich ist er so groß wie Napoleon.«

Die Infizierten rufe ich regelmäßig an und erkundige mich nach ihrem Befinden. Einundvierzig sind es bei mir, achtzehn mehr als letzte Woche.

»Dauernd versuche ich, Sie zu erreichen, aber es ist immer besetzt!«, faucht mich eine Signora an.

»Bitte haben Sie Verständnis, ich telefoniere in einem fort.«

»Sie könnten die Mailbox aktivieren und zurückrufen, da müsste unsereiner es nicht stundenlang probieren!«

»Das ist leider nicht möglich, Signora.«

»Und warum nicht?«

»Weil es nicht möglich ist.«

Während ein anderer mir von seinen Gelenkschmerzen erzählt, suche ich nach einem Geschenk, das ich dem Kochkurs beilegen kann, damit sie auch was zum Auspacken hat. Immer öfter stelle ich mir vor, meine Frau wäre ein Hund, der einen Knochen braucht, in den er reinbeißen kann. Wenn er keinen Knochen hat, beißt er mich.

Mirella schiebt den Wagen mit den Snacks ins Zimmer. Sogar eine Thermoskanne mit Tee steht drauf. Vier Praxen gibt es hier: mich, eine Physiotherapeutin, eine Psychologin und einen Dermatologen. Mirella, die Physiotherapeutin, bereitet die leckersten Snacks zu, heute ist sogar Obstsalat dabei. Seit der Corona-Notstand ausgerufen wurde und kaum mehr einer in die Praxis kommt, verschönen wir uns so die Tage. Letzte Woche habe ich Gebäck und Pastetchen aus dem Café Royal mitgebracht, die sind besser als die aus der Bäckerei. Ich fülle mir Obst ins Glas, und unterdessen schreit mir der Ehemann einer Patientin, die ins Krankenhaus eingeliefert wurde, ins Ohr: »Warum heißt es eigentlich behandelnder Arzt, wenn der Arzt überhaupt nicht behandelt?«

»Suchen Sie sich gern einen anderen, wenn Sie möchten.«

»Ach, ihr seid doch alle gleich beschissen, aber Sie besonders«, sagt er und legt wutentbrannt auf.

Ich hake weiter die Nachnamen auf der Liste der Infizierten ab, maximal anderthalb Minuten pro Anruf. Ich überspringe die Begrüßung, sage nicht »bitte«, beantworte keine sinnlosen Fragen und gehe nicht auf die Ungewissheiten ein. Es sind zu viele. Einem Herrn, der mich um einen Termin in der Praxis bittet, stelle ich zur Antwort eine Ferndiagnose.

»Die E-Mail mit dem Rezept müsste schon bei Ihnen sein«, sage ich und lege auf.

Gerade will ich wie immer einen Flakon Chanel N°5 kaufen, als Zusatzgeschenk zum Online-Kochkurs, da wird die Tür geöffnet. »Mirella!«, rufe ich freudig, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, um nicht auch den zweiten Einkauf zu vermasseln. Sie kommt den Wagen abholen, denke ich, aber sie ist es gar nicht, sondern ein Mann. Er tritt ein, schließt die Tür und setzt sich. Weil schon wieder das Handy klingelt, bitte ich ihn mit einer Handbewegung, sich zu gedulden. Der Mann ist Carlo Costacurta, ein Patient, der seit vier oder fünf Jahren bei mir in Behandlung ist, aber nur ganz selten seinen Fuß in die Praxis gesetzt hat. Ich erinnere mich an ihn, weil wir im selben Haus wohnen und uns manchmal bei den Eigentümerversammlungen oder samstagmorgens in der Bar über den Weg laufen. Ich grüße ihn, er ringt sich ein Nicken ab. Als er es leid ist, mich anzustarren, greift er nach dem Computerbildschirm, dreht ihn zu sich und sieht die Seite mit den Chanel-Flakons. Trotz FâFP2-Maske sehe ich die Verachtung in seinem Gesicht. Ich befürchte, der Zank mit meiner Frau könnte noch nicht der Tiefpunkt dieses Tages gewesen sein. Auch nachdem der Patient, mit dem ich gesprochen habe, längst aufgelegt hat, tue ich weiter so, als würde ich telefonieren. Ich habe nicht mal verstanden, wer das war. Während ich also vortäusche, das Gespräch fortzusetzen - »Ja, sicher, lassen Sie uns diese Woche noch mal telefonieren« -, fängt das Telefon an meiner Wange plötzlich an zu vibrieren. Das ist mir so peinlich, dass mir der Schweiß ausbricht.

»Ich versuche seit Tagen, Sie zu erreichen«, beginnt Costacurta.

»Bitte haben Sie Verständnis, ich telefoniere in einem fort.«

»Machen Sie das immer, während der Arbeitszeit auf Parfümseiten im Internet surfen und Dessert essen?«

»Ohne Termin dürfen Sie nicht herkommen, ist was Dringendes?«

»Meine Mutter ist eine Patientin von Ihnen, Ilenia Tasso. Sie ist vor einer Woche gestorben.«

Ich streiche mir über den Bart und sage nichts. Ich habe Angst, ich könnte sie verwechseln.

»Sie hat die letzten Wochen ebenfalls versucht, Sie zu erreichen.« Ich murmle etwas, aber Costacurta hebt seinen Arm, um mich zu unterbrechen. »Zehn Minuten höchstens, mehr hätte es Sie nicht gekostet. Ihr Vater wäre sofort drangegangen. Bestimmt wäre er auch zu uns nach Hause gekommen.«

»Lassen Sie meinen Vater aus dem Spiel.«

»Dreißig Jahre lang war er der Hausarzt meiner Eltern. Wenn ich krank war und das Wartezimmer beim Kinderarzt zu voll, konnte meine Mutter sich immer an ihn wenden, und er hat mich immer untersucht, nie hat er uns abgewiesen«, sagt er. »Sie haben von Ihrem Vater nur die Patienten geerbt, aber dafür geleistet haben Sie nichts.«

»Ich kann nicht bei allen Hausbesuche machen.«

»Die Schwerkranken könnten Sie schon besuchen, aber Ihr Sinn für Gleichheit besteht offenbar darin, keinen zu besuchen.«

»Sie beleidigen mich.«

»Wegen der Pandemie dürfen Patienten im Krankenhaus keine Besucher empfangen, wissen Sie das? Sie sterben allein.«

»Das ist nicht meine Schuld«, sage ich leise. »Ich befolge nur die Anweisungen.«

Ich ziehe kurz die Maske herunter, weil ich keine Luft bekomme und spüre, wie mir das Obst wieder hochkommt. Er steht auf, dreht sich auf der Schwelle noch einmal um und starrt mich ein paar Sekunden lang an, dann knallt er die Tür zu, dass die Gipskartonwand erzittert.

Ich schaue mich um, als befände ich mich an einem unbekannten Ort. Der Schrank ist voller Medikamente, die die Pharmavertreter mir dalassen, ich könnte sie verschenken, aber das tue ich nie. Manche sind sicher schon abgelaufen. Die Rolle mit dem Papier, das die Arztliege bedeckt, habe ich...
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Autor

Marco Balzano, geboren 1978 in Mailand, ist zurzeit einer der erfolgreichsten italienischen Autoren. Er schreibt, seit er denken kann: Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Mit seinem Roman >Das Leben wartet nichtIch bleibe hier