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Die frühen autobiographischen Romane

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
223 Seiten
Deutsch
Alibri Verlagerschienen am08.04.2024
Seine Romane schrieb Deschner 1956 und 1958, als er Anfang dreißig war. Beide sind deutlich autobiographisch geprägt. Vor allem sein literarisches Debüt Die Nacht steht um mein Haus wurde von der Kritik begeistert aufgenommen. Wolfgang Koeppen zeigte sich 'außerordentlich beeindruckt', Walter Muschg nannte das Buch 'eine vehemente Sache', Peter Rühmkorf sprach von einem 'Buch aus Mut und Musikalität'. Auch heute noch wird diese 'radikale Autobiographie' (Michael Schmidt-Salomon) gewürdigt als 'das Werk eines Genies ohne Welt' (Süddeutsche Zeitung). Beide Bücher gelten nach wie vor als 'Juwelen der unmittelbaren Nachkriegsliteratur' (Nürnberger Nachrichten), worin sowohl der Literatur- als auch der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner bereits deutlich vernehmbar ist. Wer seine Sachbücher schätzt, wird im literarischen Frühwerk ein erhellendes Pendant entdecken.

Karlheinz Deschner (1924-2014) studierte Neue deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität Würzburg. 1951 promovierte er mit einer Arbeit über Nikolaus Lenau. Nach der Publikation zweier autobiographischer Romane und der vielbeachteten Literaturkritik Kitsch, Konvention und Kunst erschien 1962 Abermals krähte der Hahn, seiner kritischen Kirchengeschichte 'von den Evangelisten bis zu den Faschisten'. Seitdem hat Deschner Essays, Aphorismen, vor allem aber religions- und kirchenkritische Geschichtswerke veröffentlicht. Seine zehnbändige Kriminalgeschichte des Christentums liegt seit März 2013 vollständig vor. Für sein aufklärerisches Engagement und für sein literarisches Schaffen erhielt er unter anderem den Arno-Schmidt-Preis (1988), den Alternativen Büchnerpreis (1993) und als erster Deutscher den International Humanist Award (1993).
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Produkt

KlappentextSeine Romane schrieb Deschner 1956 und 1958, als er Anfang dreißig war. Beide sind deutlich autobiographisch geprägt. Vor allem sein literarisches Debüt Die Nacht steht um mein Haus wurde von der Kritik begeistert aufgenommen. Wolfgang Koeppen zeigte sich 'außerordentlich beeindruckt', Walter Muschg nannte das Buch 'eine vehemente Sache', Peter Rühmkorf sprach von einem 'Buch aus Mut und Musikalität'. Auch heute noch wird diese 'radikale Autobiographie' (Michael Schmidt-Salomon) gewürdigt als 'das Werk eines Genies ohne Welt' (Süddeutsche Zeitung). Beide Bücher gelten nach wie vor als 'Juwelen der unmittelbaren Nachkriegsliteratur' (Nürnberger Nachrichten), worin sowohl der Literatur- als auch der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner bereits deutlich vernehmbar ist. Wer seine Sachbücher schätzt, wird im literarischen Frühwerk ein erhellendes Pendant entdecken.

Karlheinz Deschner (1924-2014) studierte Neue deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität Würzburg. 1951 promovierte er mit einer Arbeit über Nikolaus Lenau. Nach der Publikation zweier autobiographischer Romane und der vielbeachteten Literaturkritik Kitsch, Konvention und Kunst erschien 1962 Abermals krähte der Hahn, seiner kritischen Kirchengeschichte 'von den Evangelisten bis zu den Faschisten'. Seitdem hat Deschner Essays, Aphorismen, vor allem aber religions- und kirchenkritische Geschichtswerke veröffentlicht. Seine zehnbändige Kriminalgeschichte des Christentums liegt seit März 2013 vollständig vor. Für sein aufklärerisches Engagement und für sein literarisches Schaffen erhielt er unter anderem den Arno-Schmidt-Preis (1988), den Alternativen Büchnerpreis (1993) und als erster Deutscher den International Humanist Award (1993).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783865697271
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum08.04.2024
Seiten223 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3122 Kbytes
Artikel-Nr.14346554
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



 

Ich stand hinter dem Pult und sprach, und immer wieder fing sich mein Blick an ihm. So oft ich zu ihm sah, traf ich mitten in seine Augen. Dabei war sein Gesicht weiß und stumm wie ein Grabstein. Als ich fertig war und hinausging, folgte er mir fast auf dem Fuß. Er hatte nicht applaudiert. Ich hatte es noch gesehen. Dann kam er in den Nebenraum. Er grüßte mich nicht, er sah mich nur still an, bleich, hochmütig. Ich habe ihm sogar in den Mantel geholfen, ich weiß nicht warum. Er hat mir nicht geholfen. Der Mantel war dunkelblau, er war sehr sauber, vornehm. Als die anderen kamen, wurden wir bekannt gemacht, und dann fuhren wir ins Hotel; ein Studienrat, ein Richter, der Psychiater und ich.

Zuerst sprach er nichts; eine ganze Weile sprach er nichts, er saß bloß da, dann sagte er plötzlich, ja, meine Herren, wir sitzen hier gemütlich zusammen, wir unterhalten uns, wir sprechen über Ihren Vortrag, wir sprechen über Literatur, über Kunst, die da drüben karten ihren Skat, wir verbringen hier alle einen Abend, wir gehen wieder heim, Sie gehen wieder in Ihre Schule, Sie gehen wieder ins Gericht, Sie halten wieder Ihre Vorträge, ich behandle wieder meine Patientlein, und die drüben marschieren auch wieder ab, der eine - und nun erzählte er, was die Skatbrüder machen würden, er war ein richtiges Breimaul, und plötzlich sagte er: UND FORMOSA??! Er sah uns der Reihe nach an. Er hatte seinen Trumpf ausgespielt. Warum tun wir nichts, sagte er, warum unternehmen wir nichts, es geht um unseren Kopf, es kann morgen losgehn. Das war ja alles ganz vernünftig, aber was wollte er tun? Und nun entwickelte er seine saudumme Theorie mit dem Briefeschreiben. Ein paar hunderttausend, ein paar Millionen, ein paar hundert Millionen Briefe an Eisenhower, an Malenkow - und von da an wurde er blöde. Ich hielt ihn für einen Naiven, für einen Phantasten, einen Sektierer, er nannte oft Christus, er sprach vom Glauben, der Studienrat war einverstanden, der Richter opponierte, aber mit Takt, ich wurde ironisch, ich stänkerte, ich machte mich wahrscheinlich nicht beliebt bei ihm. Dann sagte er, er meine natürlich nicht das Christentum einer Kirche, er spreche nicht von den Bischöfen, er denke nicht an diese beamteten Statisten und Gehaltsempfänger, nein, er meine Christus, er meine die Nächstenliebe und die zehn Gebote, kurz, er gab sich sehr ethisch, sehr reif, sehr weise, der Studienrat freute sich, der Richter schwieg, und als die beiden gegangen waren, nannte er sie Hohlköpfe. Er sagte, das sind ja auch Hohlköpfe, kleine Nichtsdenker. Er sprach sehr von oben herab.

Und dann erzählte er, daß er auch schreibe. Er schreibe so ähnlich wie Henry Miller. Deshalb sei er auch in den Vortrag gegangen. Er habe zwei Bücher von Miller gelesen, und Miller interessiere ihn. Er lese sonst wenig, er kenne keine moderne Literatur, er schreibe nur für sich, stark autobiographisch, stark egozentrisch, seine Praxis gebe ihm Stoff in Hülle und Fülle. Aber er habe nicht den Wunsch, es zu veröffentlichen. Wie macht man das? frug er. Schickt man das so mit der Hand geschrieben an den Verlag? Er spielte den Naiven. Ich horchte ihn natürlich aus. Wie er arbeite, frug ich, ob er leicht schreibe. Das Material sammle sich in ihm, sagte er, er trage es mit sich herum. Ich gehe dann schwanger, sagte er, und dabei machte er eine wölbende Bewegung mit seinen weichen weißen Händen vor seinem Bauch. Es war lächerlich. Er wurde mystisch. Und dann fließt es, es fließt so aus mir heraus, sagte er, und schüttelte leicht die Hand, daß ich unwillkürlich auf seine Ärmelöffnung sah. Natürlich habe ich auch Flauten, fuhr er fort. Und ich lebe mich auch manchmal aus. Er schnaufte, er deutete die Miller-Natur an, er sprach von kolossalen Launen und Gereiztheiten, er sprach von Drei-Tage-Durchvögeln, kurz, er redete einen Haufen Quatsch, Dinge, die ich alle nicht für Ernst nahm, nur sobald er auf mich zu sprechen kam, sobald er psychologisch, psychoanalytisch wurde, traf er mich. Vielleicht rächte er sich, weil er in mir etwas spürte, noch lebendig spürte, das er schon begraben hatte. Denn er war doch eine Niete, einer, der versagt hatte. Er neidete mir meine Ambitionen. Er zerstörte. Es machte ihm Spaß, zu zerstören. Vielleicht hatte er recht. Wahrscheinlich hatte er recht. Aber ein Schwein war er doch, ein gemeiner Sadist.

Ich habe drei Stunden mir ihm gesprochen, und dann sagte er mir, Sie werden nichts, Sie bringen es zu nichts. Ja, hat Ihnen das noch niemand gesagt?! Sie kommen doch mit so vielen Leuten zusammen. Ich darf Ihnen das doch sagen? Nicht daß Sie dann etwas Dummes tun. Oh, Sie können es mir sagen. Ich bin allerhand gewohnt. Ich lächelte. Ich machte ihm Mut. Nein, Sie werden nichts. Fragmente. Genialische Fragmente vielleicht. Ich sage genialisch. GENIALISCH. Dann sagte er, Sie wissen doch, daß Sie ein Selbstmordkandidat sind?! Und dann wollte er meine Schrift sehen. Paßt ganz zu dem Bild, sagte er. Fürchterlich. Aber in sich ist sie doch einheitlich, sagte ich. Ja, sagte er, einheitlich fürchterlich. Und dann sagte er, Sie müssen sich lieben, Sie müssen sich LIEBEN. Sie müssen mit sich einverstanden sein. Sie müssen auch Ihre Schwächen in Kauf nehmen, auch den Dreck. Auch wenn die Windeln vollgeschissen sind. Er sagte, auch wenn das Kindlein die Windeln vollscheißt. Zweimal sagte er das. Was meinte er damit? Und immer wieder sagte er, Sie müssen sich lieben. Und dabei streichelte er meinen Arm, daß ich ihn für einen Schwulen hielt. Aber ich glaube, er war nur ein Sadist, ein ganz gemeiner hinterfotziger nichtskönnerischer Sadist. Alle Ärzte sind Sadisten, sagte Rolf. Ich habe mit ihm darüber geplaudert. Ich wollte es nicht glauben. Aber dieses Schwein war bestimmt ein Sadist. Er hat mich schockiert. Unter der Maske der Brüderlichkeit hat er mir einen Schlag versetzt, einen Schock. Zuerst hat er mich amüsiert, dann hat er mich schockiert, dann hat er mich wieder amüsiert, und jetzt glaube ich, das Schwein hat recht gehabt.

Ja, ich glaube es jetzt. Ich habe geschrieben. Ich habe zwei Seiten in einem Monat geschrieben. Und ich habe geschrieben wie ein Irrer. Ich habe mich am Morgen an die Maschine gesetzt, und ich bin in der Nacht weggegangen. Ich habe gefeilt und gefeilt und gefeilt, und es ist nichts herausgekommen. Zwei Seiten, und sie taugen nichts. Nein, sie taugen nichts. Ich will mir nichts einreden. Ich habe mir lange genug Zeug eingeredet. Seit fast zwanzig Jahren rede ich mir ein, ich könnte schreiben. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, wer mir diesen Vogel in den Kopf gesetzt hat, aber er sitzt noch immer dort, noch jetzt.

Ich habe mich vorhin im Spiegel betrachtet. Ich habe mich noch nie so im Spiegel betrachtet. Ich habe in mein Gesicht gesehn. Ich war so voll Haß, voll Wut, voll Scham, voll Enttäuschung, Enttäuschung, ENTTÄUSCHUNG. Ich hätte mich anspucken können, ich hätte weinen können, ich hätte in den Spiegel schlagen können, mitten hinein die Faust in die Visage, die ich hasse, die ich liebe, die ich hasse. Ja, ich hasse sie. ICH HASSE SIE. Aber ich kann es mir nicht leisten. Der Spiegel kostet Geld, und meine Nerven kosten Geld. Und ich habe kein Geld. Ich habe keinen Beruf. Ich habe keinen Namen. Aber ich habe eine Familie. Ich habe eine Frau. Ich habe eine Tochter. Und ich habe in mein Gesicht gesehn. In das Gesicht einer Niete, eines Versagers, eines Idioten. Ich war ein Hampelmann vor mir selbst. Seit zwanzig Jahren habe ich mir etwas vorgespielt, habe ich andern etwas vorgespielt, habe ich mich berufen geglaubt, auserwählt geglaubt. Und ich habe in mein Gesicht gesehn. Es war nicht rasiert, es war blaß. Falten waren um den Mund, blaue Schatten unter den Augen. Die Augen waren wäßrig. Die Tränen standen hinter der Stirn. Die Augen glänzten. Ich war verzweifelt. VERZWEIFELT. Mein ganzes Leben stand hinter meinem Gesicht, hinter dem Schädel, der schon kahl wird. Ich habe geglaubt, ein Dichter zu sein. Ich habe geglaubt, schreiben zu können. Ich wollte den Ruhm zwingen. Aber ich bin ein Hysteriker, ich bin ein Scharlatan. Ich habe die Leute angeschmiert, ich habe mich selbst angeschmiert. Ich habe nicht gelogen, und ich war doch ein erbärmlicher Lügner. Ja, ich habe Aufzeichnungen gemacht, Skizzen gemacht, Pläne gemacht, eine ganze Mappe voll. Aber es sind bloß Fragmente, Fetzen, Stimmungsfetzen, Gesprächsfetzen, lauter Fetzen. Sie sind gar nicht schlecht, aber es sind bloß Fetzen.

Dieser Psychiater, dieser Idiot, was ist das eigentlich für ein Mensch gewesen. Ich dachte an ihn, als ich vorhin in den Spiegel sah, und ich habe oft an ihn gedacht in den letzten Wochen. Ich glaube, meine Frau haßt ihn. Ich habe ihr von ihm erzählt. Er wirkt wie ein Hypnotiseur aus dem Hintergrund auf mich. Ich glaube, er hat auch noch einen Brief meiner Frau. Ich vermisse ihn seitdem. Ich habe ihm den Brief gezeigt, weil er ihre Schrift beurteilen sollte. Ich war gespannt. Ich sah ihm ins Gesicht. Er las, er las die ganze Seite, er sagte, der Text sei natürlich nicht wichtig, aber er las die ganze Seite, und dann wendete er und las weiter, schamlos, bis zum Schluß. Es war ein Verzweiflungsbrief meiner Frau. Er hat mich damals erschüttert, und das Schwein sagte: naiv, manches ist gar nicht dumm. Und er hatte vielleicht recht, obwohl der Brief erschütternd war, und meine Frau ein Prachtkerl ist, jawohl, ein Prachtkerl, ich sage das, obwohl meine Frau sich sehr wundern würde, wenn sie es hörte, denn ich quäle sie oft, und dabei könnte ich mich ankotzen, ich hänge mir selbst zum Halse heraus.

Und dann fällt mir natürlich ein, wie ich mich um sie gerissen habe damals, wie ich einen Narren aus mir gemacht habe, einen leibhaftigen Narren, einen Hysteriker, einen in Liebe gewickelten Hysteriker, das Blaue vom Himmel habe ich ihr...

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Autor

Karlheinz Deschner (1924-2014) studierte Neue deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität Würzburg. 1951 promovierte er mit einer Arbeit über Nikolaus Lenau. Nach der Publikation zweier autobiographischer Romane und der vielbeachteten Literaturkritik Kitsch, Konvention und Kunst erschien 1962 Abermals krähte der Hahn, seiner kritischen Kirchengeschichte "von den Evangelisten bis zu den Faschisten". Seitdem hat Deschner Essays, Aphorismen, vor allem aber religions- und kirchenkritische Geschichtswerke veröffentlicht. Seine zehnbändige Kriminalgeschichte des Christentums liegt seit März 2013 vollständig vor.
Für sein aufklärerisches Engagement und für sein literarisches Schaffen erhielt er unter anderem den Arno-Schmidt-Preis (1988), den Alternativen Büchnerpreis (1993) und als erster Deutscher den International Humanist Award (1993).

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