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Amor gegen Goliath

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
752 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am05.09.2024
Ein Roman, der ins Herz der Klimabewegung, auf die Höhen deutscher Sprachartistik und in die Hölle einer Angststörung führt.  Cathi Weye, allseits beliebte und geschätzte Psychologin und in ihrer Freizeit klimakrisenkämpferisch hochaktiv, will auf einer griechischen Insel endlich mal richtig ausspannen - und die Beziehung zu ihrem geliebten, aber immer seltsamer werdenden Mann kitten, dem Ex-Bühnenkünstler Ricky Kottenpeter. Der versucht unglückseligerweise vor der Welt und seiner Frau zu verbergen, dass er unter heftigen Angststörungen leidet; statt neue Songs zu komponieren, verkriecht er sich daheim den ganzen Tag in seinem Proberaum und hier im Urlaub auf dem Zimmer, wo er nichts tut außer Beruhigungsmittel zu schlucken und seine Angst vorm Angsthaben zu bekämpfen. Die Zusatzangst, seine vergötterte Cathi zu verlieren, treibt ihn zudem zu zart enervierenden Eifersuchtsaktionen.  Nebenan der flamboyante Philipp Büttner, gleich mit zwei Frauen und einer Mission. Der mit allen Wassern gewaschene Journalist und Frauenheld will einen Coup landen: Ein ?Konfusius? genannter Zausel sorgt mit seinen bizarren Auftritten und wortmächtigen Strafpredigten wider die naturzerstörende Menschheit für mächtig Wirbel im Internet. Nur weiß niemand, wer er ist und was ihn antreibt. Büttner vermutet ihn auf der Insel und will die große Enthüllungsgeschichte.  Bei so viel Erholungsbedarf und gemeinsamem Gesprächsstoff kommen sich Cathi und Büttner bald bedrohlich nahe. Und neben Klima- stehen bald ganz andere Katastrophen ins Haus.

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR32,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR24,99

Produkt

KlappentextEin Roman, der ins Herz der Klimabewegung, auf die Höhen deutscher Sprachartistik und in die Hölle einer Angststörung führt.  Cathi Weye, allseits beliebte und geschätzte Psychologin und in ihrer Freizeit klimakrisenkämpferisch hochaktiv, will auf einer griechischen Insel endlich mal richtig ausspannen - und die Beziehung zu ihrem geliebten, aber immer seltsamer werdenden Mann kitten, dem Ex-Bühnenkünstler Ricky Kottenpeter. Der versucht unglückseligerweise vor der Welt und seiner Frau zu verbergen, dass er unter heftigen Angststörungen leidet; statt neue Songs zu komponieren, verkriecht er sich daheim den ganzen Tag in seinem Proberaum und hier im Urlaub auf dem Zimmer, wo er nichts tut außer Beruhigungsmittel zu schlucken und seine Angst vorm Angsthaben zu bekämpfen. Die Zusatzangst, seine vergötterte Cathi zu verlieren, treibt ihn zudem zu zart enervierenden Eifersuchtsaktionen.  Nebenan der flamboyante Philipp Büttner, gleich mit zwei Frauen und einer Mission. Der mit allen Wassern gewaschene Journalist und Frauenheld will einen Coup landen: Ein ?Konfusius? genannter Zausel sorgt mit seinen bizarren Auftritten und wortmächtigen Strafpredigten wider die naturzerstörende Menschheit für mächtig Wirbel im Internet. Nur weiß niemand, wer er ist und was ihn antreibt. Büttner vermutet ihn auf der Insel und will die große Enthüllungsgeschichte.  Bei so viel Erholungsbedarf und gemeinsamem Gesprächsstoff kommen sich Cathi und Büttner bald bedrohlich nahe. Und neben Klima- stehen bald ganz andere Katastrophen ins Haus.

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462302875
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum05.09.2024
Seiten752 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4552 Kbytes
Artikel-Nr.14350554
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Prolog I
Kalokaíros, Südkreta

Nacht auf Mittwoch, den 8. September 2021

Murmelnd tappen zwei Schattengestalten die Zementtreppe zum Strand hinab. Tastend folgen sie den tanzenden Kugelblitzen ihrer Handys. Auf den Stufen schmirgeln ihre Sohlen, und aus dem dunklen Tamariskenstrauch zirpt eine einzelne Zikade - apathisch fast, als pfiffe aus dem letzten Loch der große Pan.

Kurz darauf, am Meeressaum (kein Rauschen heut Nacht, bloß Rascheln), lassen sich die beiden Sterblichen nieder. Die Lampen verlöschen, erst die eine, dann die andere. »Krass«, raunt die Frau genüsslich und ehrfürchtig, und ihr Alt schweift über die matte Dünung hin, ein wenig kehlig, weil Kopf im Nacken. Weit und breit kein Mond; umso sahniger leuchtet - quer durch den funkelnden Äther - der gesprenkelte Strom der Milchstraße heim. Als Resonanz ein männliches Brummen voller Bejahung, so wohltemperiert, dass noch die Göttinnen im fernen Olymp dahinschmölzen.

»Nun aber mal, wie sagt man bei euch an der Elbe: Butter bei die Fische«, fügt die Frau hinzu, nahezu hastig, denn wiewohl die Brise ablandig haucht, wirkt das Odeur nach Algen, Laich und Meeresfrüchten eindringlich genug, um aufzurühren: »Wer bist du eigentlich?« Vorhin, in der Taverne - wo Leon soeben die Neonlampen unter der Pergola ausgeknipst hat -, haben sie unpersönlich diskutiert, so unpersönlich es eben ging, auch noch, als die anderen schon gegangen waren.

»Mein Name«, beginnt der Mann, als parodierte er Bourgoisjargon - ein Taschenspielertrick, um den Hochstatus des geheimnisvollen Unbekannten, ebenso demonstrativ wie bescheiden, opfern zu können (für ein noch höheres Ziel, versteht sich) -; »ist Büttner, Doktor phil. Philipp Büttner. Vierundfünfzig Jahre alt, stellungsloser Zeitschriftenredakteur. Verlobt. Geboren und wohnhaft in, genau: Hamburg.« Wechsel der Tonlage. »Und du?«

»Kinder?«

»Äh ... nein. Du?«

» Äh?! «

»Nein, nein. Du?«

»Nein. Cathrin Weye ... in ein paar Wochen zweiundvierzig ... Diplom-Psychologin im Öffentlichen Dienst. Verheiratet. Wohnhaft in Osnabrück.«

»Zweiundvierzig? Nein.«

»Schon gut, danke vielmals.«

»Psychologin.«

»Und?«

»Ja nein. Ich dachte mir schon so was.«

»Ach, echt? Normalerweise kommt so was wie: Oha, da muss ich ja aufpassen, was ich sage.«

»Und? Muss ich?«

»Klar! Ich warne dich! Ich bin Spezialistin für die dunkle Triade!«

Er schnaubt nur, und schon bleibt sie auf der Strecke: Weiß er denn nun, was mit jenem subklinischen Begriff aus der Psychologie gemeint ist, oder nicht?

Er aber fragt: »Was war denn mit deinem Tischherrn, vorhin? Gibt den ganzen Abend keine drei Silben von sich und verschwindet sang- und klanglos noch vorm Digestif ...?«

Wow, denkt sie, amüsiert und ein bisschen missmutig zugleich, Digestif. Ist sie schon jemals einem Mann begegnet außer Papa und seinen Spießgesellen, der einen solchen Begriff aus der gehobenen Küche einfach so mal einstreut? Oder war das, vgl. Tischherr, ironisch gemeint?

»Ach«, seufzt sie atonal, »dem geht´s nicht so gut. Kommt hier aber allmählich wieder auf die Füße, sagt er.«

»M-hm ...?«

Nach zwei Atemzügen Pause wieder sie: »Und was war mit deinen beiden Verlobten?«

Wieder schnaubt er nur, und wieder wurmt es sie, trotz ihrer Pointe ins Hintertreffen zu geraten. Doch dann sagt er: »Angenommen, du meinst tatsächlich, dass du hier und jetzt dein Fachwissen über die dunkle Triade benötigst, und ferner angenommen, du denkst tatsächlich, dass ich mit beiden äh, was habe ... warum bist du dann hier, hier unten am Strand, hier und jetzt, mitten in diesem astronomischen Wahnsinn.« Mit mir, meint er. »Und nicht zum Beispiel bei deinem Mann, wo immer er sein mag.«

Und endlich ist es an ihr, in die laue Nacht hinaus zu schnauben; hinaus in diese deftige Fülle von dunklem Raum, hinein in dies gigantische Himmelbett für Geist und Seele. Dann sagt sie: »Aha. Faktor eins der Triade ist schon mal gegeben: Narzissmus.«

Nun schnaubt wieder er, diesmal weicher. Sie schnauben und schnauben, schnaufen und schnüffeln - Orientierung in der freundlichen Finsternis. Sie hört ihn lächeln.

 

Nicht dass sie nicht gern streitet. Misst sich gern im Wortgefecht. (Die Familie, aus der sie stammt, ist der reinste Debattierklub.) Doch die vergangenen zwei, zweieinhalb Jahre der Thesen-Meißelei, zänkischen Dekonstruktion und rhetorischen Jonglage mit unterschiedlichen Waaggewichten im alltäglichen ehrenamtlichen Aktivismus sind sehr, sehr anstrengend gewesen - und deshalb die Atempausen in diesem Moment, hier am Meer, eine wohltuende Abwechslung, sogar zum hitzigen, wiewohl witzigen Hin und Her vorhin an der geselligen Tafel voller Wein und Delikatessen. Auch dort ging es, innerhalb dieser glücklichen Fügung von weltanschaulich größtenteils harmonierenden Zeitgenossinnen und -genossen, im Großen und Ganzen um den tauenden Permafrost in Sibirien, um die jüngsten Waldbrände in Kalifornien, Kanada, Portugal und Griechenland, um die Flutkatastrophe, die acht Wochen zuvor über das ureigene Ahrtal hereingebrochen ist, sowie um so etwas wie Hafermilch und etwa die Art und Weise, wie zum Teufel sie alle überhaupt hierher gelangt sind, an diesen ihren hoch geschätzten Urlaubsort (durch die unverhältnismäßige Verbrennung von Kerosin nämlich).

Zur Abwechslung, wie gesagt, sehr wohltuend, hier am Strand: Atmung ... Stille ... Langsamkeit. Mit Bedeutung aufgeladen jedoch nicht nur dadurch.

 

»Übrigens«, sagt er nach einer Weile, die bemerkenswerterweise in keiner Weise unangenehm gewesen ist, »keine Ahnung, ob´s dir aufgefallen ist, aber eine meiner Verlobten steht auf deinen stillen Begleiter. Wenn nicht alle beide.«

»Ha!«, hustet sie. »Macchiavellismus. Faktor zwei. Check.«

Jetzt lacht er. Ein Lachen, das ihn geradezu ereilt. Ein sympathisches Lachen; leicht selbstgefällig getönt - doch nicht unsympathisch. Danach ist es wieder still, und beide lauschen sie der Stille. Zehn oder zwanzig Pulsschläge später aber: schluckaufartige Stimmritzenreflexe, sodann ein blasenwerfendes Schnaufen, dann ein Schniefen und dann Ausatmen mit offenem Mund - ein tonloser Seufzer.

»Brauchst du ... ein Taschentuch?« Er streckt die Hüfte und wühlt in der Tasche seiner Khaki-Chino.

Und dieses Angebot - die Aufmerksamkeit, die entschärfte Intonation -, dieser nette Wink öffnet die Schleuse. Unter Quellströmen von Tränen angelt sie nach dem hellen Papiertuch, das der Hamburger ihr durch die Dunkelheit reicht, schnäuzt sich und seufzt - und wird aufs Neue von Konvulsionen geschüttelt, aufs Neue übergossen von einem Schwappen aus jenem Fass, das in den vergangenen zwei, zweieinhalb Jahren vollgelaufen ist: mit Beklommen- und Benommenheit, Beklemmung und Bestürzung, Angst und Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Trauer; mit Ingrimm, Wut und Zorn. Ja, auch Freude, Befriedigung, Hoffnung, Liebe hatten geherrscht, punktuell oder phasenweise. Hätte nicht auch all das hin und wieder geherrscht, dann allerdings ohnehin gute Nacht.

Er fragt nicht, er sagt nichts, und er berührt sie nicht - haptisch jedenfalls nicht. Er bleibt nur voller Ruhe neben ihr sitzen im Kies am Libyschen Meer unterm bestirnten Himmel und nimmt an ihrem Schluchzen Anteil. Als sie fertig ist, gibt sie keinerlei Erklärung ab, sondern ein nordwestfälisch gefärbtes Ächzen von sich und sagt: »So, und jetzt erzähl mir einen Witz.«

»Auha«, ächzt er hamburgisch und räkelt sich, um sich zunächst einmal zu vergewissern: »Bist du sehr woke?«

Langsam gewöhnt sie sich an seinen Zungenschlag, frecher hier als noch eben am Debattentisch. »Im Prinzip bemüh ich mich«, seufzt sie. »Im Moment aber, ehrlich gesagt ...«

»... eher tired?«

Sie gluckst.

»Na denn«, beginnt er. »Bei den Müllers klingelt´s. Der Hausherr öffnet die Tür. Steht ein Fremder auf der Matte und sagt: Gutten Tage, meine Name ieste Umberrrto Pantalone. Bien iech hierr, ume zume Fieckene Ihre Frau. Der Hausherr meint, er hört nicht recht. Brüskiert fragt er: Um was??! Und der Fremde genervt: Ume-berrrto!! «

Wieder haben Cathis Tränendrüsen zu lenzen, für diesmal aus anderen Quellen. Es dauert lächerlich lange, bis die Hyperventilation sich wieder normalisiert hat; bis ihr von immer neuen Kontraktionen strapaziertes, hin und her gezurrtes und rauf und runter massiertes Sonnengeflecht sich halbwegs wieder entspannt hat; bis die biochemischen Folgen des homerischen Gelächters - Endorphin-, Serotonin-, Dopamin- und Oxytocin-Ergüsse - wieder abklingen. Nachdem es ihr gelungen ist, sich zu fassen - ihre aufgescheuchten, aufgereizten Lebensgeister einzufangen und zu bändigen -, legt sie Büttner eine Hand auf den warm behaarten Unterarm. »Wusst´ ich´s doch. Faktor drei.« Und lässt die Hand dort liegen, zwei tiefe Atemzüge lang.

Und im nächsten Augenblick wird sie sehr, sehr schwach.

Und stellt sich vor, sie...
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Autor

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).