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Geister der Gegenwart

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am07.09.2024
Vom Wagnis, selbst zu denken Welche Philosophie kann uns heute noch leiten? Auf den Spuren von Theodor W. Adorno, Susan Sontag, Michel Foucault und Paul K. Feyerabend entwirft »Geister der Gegenwart» ein großes Ideenpanorama der westlichen Nachkriegszeit. Wolfram Eilenberger erzählt mitreißend vom Aufbruch in eine neue Aufklärung, der direkt zu den Bruchlinien unserer Zeit führt.  Winter 1949: Theodor W. Adorno kehrt aus den USA ins zerstörte Frankfurt zurück, Paul K. Feyerabend kriegsversehrt nach Wien. Wunderkind Susan Sontag besucht Thomas Mann in Los Angeles. Der junge Michel Foucault begeht in Paris einen weiteren Selbstmordversuch. Als Folge der Weltkriegskatastrophe suchen diese vier Selbstdenker ihren Weg in ein neues Philosophieren. Über die kommenden Jahrzehnte revolutionieren sie die Art und Weise, wie wir über unsere Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft nachdenken. Wolfram Eilenberger legt erneut ein erzählerisches Meisterwerk vor, das am Beispiel dieser vier mutigen Geister von der Kraft der Philosophie kündet, einen Ausgang aus den Engen der Gegenwart zu finden. Voller überraschender Einsichten und befreiender Impulse für unsere Zeit der Krise.

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen und ist Mitglied der Programmleitung der ?phil.COLOGNE?. In zahlreichen Talkshowauftritten im Deutschen Fernsehen gibt er der Philosophie eine Stimme und ein Gesicht. Sein Buch »Zeit der Zauberer« stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2018 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2019 mit dem in Frankreich renommierten Prix du Meilleur Livre Étranger ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Bestseller »Feuer der Freiheit«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextVom Wagnis, selbst zu denken Welche Philosophie kann uns heute noch leiten? Auf den Spuren von Theodor W. Adorno, Susan Sontag, Michel Foucault und Paul K. Feyerabend entwirft »Geister der Gegenwart» ein großes Ideenpanorama der westlichen Nachkriegszeit. Wolfram Eilenberger erzählt mitreißend vom Aufbruch in eine neue Aufklärung, der direkt zu den Bruchlinien unserer Zeit führt.  Winter 1949: Theodor W. Adorno kehrt aus den USA ins zerstörte Frankfurt zurück, Paul K. Feyerabend kriegsversehrt nach Wien. Wunderkind Susan Sontag besucht Thomas Mann in Los Angeles. Der junge Michel Foucault begeht in Paris einen weiteren Selbstmordversuch. Als Folge der Weltkriegskatastrophe suchen diese vier Selbstdenker ihren Weg in ein neues Philosophieren. Über die kommenden Jahrzehnte revolutionieren sie die Art und Weise, wie wir über unsere Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft nachdenken. Wolfram Eilenberger legt erneut ein erzählerisches Meisterwerk vor, das am Beispiel dieser vier mutigen Geister von der Kraft der Philosophie kündet, einen Ausgang aus den Engen der Gegenwart zu finden. Voller überraschender Einsichten und befreiender Impulse für unsere Zeit der Krise.

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, war langjähriger Chefredakteur des Philosophie Magazins, moderiert die »Sternstunde Philosophie« im Schweizer Fernsehen und ist Mitglied der Programmleitung der ?phil.COLOGNE?. In zahlreichen Talkshowauftritten im Deutschen Fernsehen gibt er der Philosophie eine Stimme und ein Gesicht. Sein Buch »Zeit der Zauberer« stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste, wurde 2018 mit dem Bayerischen Buchpreis und 2019 mit dem in Frankreich renommierten Prix du Meilleur Livre Étranger ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Bestseller »Feuer der Freiheit«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608123739
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum07.09.2024
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7098 Kbytes
Artikel-Nr.14499569
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Schweden - Wahnsinn und Gesellschaft


Nach drei Jahren Pendelexistenz als Dozent für Psychologie an der Provinzuniversität von Lille hat Michel Foucault genug vom akademischen Leben. Eine gescheiterte, ebenso leidenschaftliche wie alkoholgetränkte Liebesbeziehung mit dem gleichaltrigen Komponisten Jean Barraqué tut ein Übriges. Zum Sommer 1955 bewirbt er sich auf eine Stelle als Leiter des französischen Kulturinstituts im schwedischen Uppsala. Als Heimstatt der ältesten und ehrwürdigsten Universität Skandinaviens zählt Uppsala zu diesem Zeitpunkt 70 000 Einwohner - in etwa so viel wie Paris im 15. Jahrhundert. Der perfekte Nicht-Ort für einen existenziellen Neustart. Mit nichts als zwei Koffern tritt Foucault zu Beginn des Herbstsemesters die Stelle am dortigen Maison de France an.

»Einige hundert Meter entfernt«, schildert er einem Freund erste Eindrücke,

der endlose Wald, in dem die Schöpfung aufs Neue beginnt; in Sigtuna geht die Sonne gar nicht mehr auf. Aus der Tiefe solcher Kargheit steigt allein das Wesentliche auf, das man gern noch einmal erlebt: Tag und Nacht, die Abende im Schutz der vier Wände, Früchte, die nirgendwo gewachsen sind, und gelegentlich ein kurzes Lächeln.[1]

Tonal bewusst in der Spur dessen, was Nietzsche einst aus hoher Alpenluft und Heidegger im Sturm von der Schwarzwaldhütte aus hatte verlauten lassen. Mit seinem Gang gen Norden inszeniert sich Foucault als der Zivilisation heilsam entrückter Weisheitssucher. Die unberührte Natur steht für den Willen zur Eigentlichkeit, die Kälte der Luft für eisige Klarheit des Denkens, die Nacht für den Mut zum Blick in den Abgrund der Endlichkeit, die Kargheit der Stube für den angestrebten Vorstoß zum Wesentlichen.

Dass Foucaults Ausscheren von konventionellen Karrierewegen keineswegs eine Aufgabe seiner Erkenntnisambitionen bedeutet, deutete bereits der letzte Satz seiner angestrebt letzten rein akademischen Veröffentlichung mit dem Titel »Die wissenschaftliche Forschung und die Psychologie« an: »Die Psychologie wird sich nur durch eine Rückkehr in die Hölle retten.«[2] Oder eben an einen Ort, der dieser aus Sicht eines Pariser Intellektuellen hier auf Erden am nächsten kam.

In der Imagination progressiv gestimmter Intellektueller hat sich im Verlauf der 50er Jahre noch ein anderes, scheinbar gegenläufiges Bild von Schweden etabliert. Nämlich das eines reformistischen Wohlfahrtsstaats, in dem sämtliche Systemwidersprüche des Nachkriegs zu einer wundersamen Synthese finden: staatliche Lenkung und freier Markt, Privateigentum und Steuersozialismus, innovatives Unternehmertum und robusteste Arbeiterrechte - nicht zuletzt gesellschaftliche Emanzipation der Frauen und sexuelle Toleranz. All das, was die Staaten des 1955 gegründeten Warschauer Paktes an Konsum- und Alltagsfreiheiten nur blumig in Aussicht stellten, im auch militärisch neutralen Schweden ist es sozialdemokratisch gelebte Realität.

Stockholmer Frühling


Angepriesen als einer der »Topjobs im Bereich der kulturellen Beziehungen«, der im »allgemeinen beste Zukunftsaussichten« biete, vor allem für »zukünftige Schriftsteller«,[3] erweist sich das hiesige Maison de France als Vier-Zimmer-Wohnung in einem schmucklosen Betonbau; zwei der Zimmer dienen dem Institutsleiter als private Wohnräume, die anderen beiden werden für Vorträge und Filmvorführungen genutzt.[4]

Nach der dunklen Euphorie der ersten Monate stellt sich bei Foucault bald ein Zustand ein, in dem am neuen Orte vor allem das Negative auffällt, von der verlassenen Heimat indes werden nur verlorene Vorzüge erinnert werden. Insbesondere unterschätzt hat der ohnehin zur Schwermut neigende Denker die Auswirkungen eines fortwährenden Licht- und Wärmemangels. Als sich im März 1956 noch immer keine Anzeichen für das erkennen lassen, was man in französischen Breiten mit dem Begriff »Frühling« verbindet, bekennt er in einem Brief in die Heimat: »Ich habe ein Nietzscheanisches Bedürfnis nach Sonne.«[5]

Ein Nachtleben, das diese Bezeichnung verdiente, gibt es in Uppsala ebenso wenig zu entdecken wie ein Klima erhöhter sexueller Toleranz. Ein Befund, der selbst auf das keine 100 Kilometer entfernte Stockholm übertragbar ist, in das Foucault nicht zuletzt aus beruflichen Gründen regelmäßig fährt.

Im eigentlichen Sinn fordernd ist die Arbeit am Ort zwar nicht, doch geht die Position des Institutsleiters neben administrativen Aufgaben mit einem Deputat von sechs Wochenstunden aus Sprach- und Kulturkursen einher. Aufgrund von Umbauarbeiten werden sie in einer nicht allzu zentral gelegenen, ehemaligen Schule gegeben. Mehr als jeweils ein Dutzend Studenten ziehen sie nicht an, in der Mehrzahl älteren Semesters sowie interessierte Senioren. Die schwankende Resonanz ficht Foucault ebenso wenig an wie die Überforderung, die seine Exkurse für die Mehrzahl der Eleven bedeuten. Er ist nun einmal keiner für die »Viel-zu-Vielen«.

Sofern er sich als Kulturbotschafter seines Landes, offiziell dessen Außenministerium unterstellt, überhaupt nach den Erwartungen der Bildungsbürger von Uppsala richtet, so im Modus des angestrebten Tabubruchs. Ein wiederholt angebotener Kurs zur »Liebe in der französischen Literatur« beginnt - »pour épater les suédois« - mit dem Marquis de Sade und endet mit Jean Genet, in dessen zeitgenössischen Werken vor allem Zuhälter, Kriminelle wie sadomasochistische Grenzcharaktere die Hauptrolle spielen. Allein die Abendvorträge richten sich an ein größeres Publikum. Die auf schwedischen Augenzeugen beruhenden Quellen sprechen von gut 30, die französischen Biografen von regelmäßig mehr als hundert Hörern.

Foucault, dem es in dem schnell gefestigten Urteil seiner Co-Dozenten am Romanistischen Seminar der Universität »nicht an Selbstvertrauen mangelte«,[6] elaboriert darin meist frei über neue Entwicklungen innerhalb der französischen Kulturlandschaft, etwa solche des damals sogenannten Absurden Theaters von Eugène Ionescu und auch Samuel Beckett.

Denken und Lenken


Zu den Herausforderungen, die sein stachliges Wesen hervorrief, treten rein sprachliche. Schwedisch parliert Foucault nicht, noch hat er ernsthaft vor, daran etwas zu ändern. Auch seine Englischkenntnisse sind rudimentär. Womit der Kreis ansprechbarer Personen vor Ort auf wenige frankofone Personen beschränkt bleibt. Bei dem einzigen einheimischen Lektor am Romanischen Seminar, mit dem er überhaupt regelmäßig Worte wechselt, beklagte er das vorherrschende Anspruchsniveau. Mit einem Wort war er in Uppsala bald als echter französischer Intellektueller etikettiert.

Wirkungsvoll ergänzt wird Foucaults Image als dunkler Dandy durch ein Sportcoupé, mit dem er von Uppsala nach Stockholm, bisweilen gar Paris brettert. Nicht etwa für einen bereits damals als Designikone besungenen Citroën DS hatte er sich dabei entschieden, auch nicht für einen schwedischen Volvo Sport P 1900, sondern einen beigefarbenen Jaguar, innen vollständig mit schwarzem Leder ausgekleidet. Fast ein bisschen zu viel des Sinnbildlichen, setzte er diesen im Dezember 1956 in einen Straßengraben. Foucault kommt ohne größere Schrammen davon. Umso mehr schmerzt der annähernde Totalschaden des Kleinods. Sichtlich erregt ob des drohenden Verlusts, muss er sich bei der anschließenden Weihnachtsfeier von der Kollegenschaft über die Eigenarten des Fahrens auf eisiger Strecke belehren lassen: Jede Form ruckartigen Bremsens oder Gasgebens war ebenso konsequent zu vermeiden wie weit ausgreifende Lenkbewegungen. Ein moderierendes Steuerungsverhalten, das ihm niemals zuvor in den Sinn gekommen war. Weder als Lenker seines Wagens - noch des eigenen Lebensvollzugs.

Ans Werk


Anders als wohl erhofft, lässt ihn das ehrgeizberuhigte Milieu schwedischer Mittelbauexistenzen eigene Ambitionen umso deutlicher spüren. War er in den hohen Norden aufgebrochen, um sich wahrhaft als Denker zu finden? Oder aber um sich selbst in Diensten des französischen Außenministeriums auf wechselnden Vier-Jahres-Stellen fortan möglichst konzentriert aus dem Weg zu gehen?

Zeit zur Sammlung gibt es in Uppsala an sich genug. Außerdem ist er nicht das erste französische Genie, das sich mit dem Ziel eines weiteren entscheidenden Klärungsschritts nach Schweden begeben hat: »Ich bin der Descartes des 20. Jahrhunderts«, kokettiert er bald in einem Brief gen Heimat, »ich werde hier zugrunde gehen. Glücklicherweise gibt es keine Königin Christina als Zugabe.«[7]

Wie unentschlossen Foucault hinsichtlich seiner Zukunftspläne ist, bezeugt neben widersprüchlichen Aussagen gegenüber Freunden in Paris - Barraqué schreibt er, in Schweden zu sein, um seine Thèse (vergleichbar einer Dissertation) zu beenden; anderen hingegen, nie wieder auch nur zur Feder greifen zu wollen - auch die Tatsache, dass er einen Vertrag für zwei populäre Einführungsbücher von je maximal 200 Seiten unterschrieben hatte. Gemäß Vereinbarung soll das eine den Titel »Geschichte des Todes«, das andere »Geschichte des Wahnsinns« tragen.[8] Akademisch würde ihn das zwar nirgendwohin führen, aber womöglich darin schulen, seine Gedanken in verständlicherer (oder für andere überhaupt nachvollziehbarer) Weise zu fixieren. Etwas, das ihm nach wie vor große Probleme bereitet.

Das historische Genre einer »Geschichte des ...« erfreut sich in der damaligen Verlagslandschaft großer...
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