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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am09.09.2024
In einer Zeit, in der die AfD zunehmend an Einfluss gewinnt und die Welt und besonders der Nahe Osten immer unsicherer werden, rückt die Frage in den Fokus: Wie gestaltet sich eigentlich das Leben von Juden und Muslimen in Deutschland? Die Sorge um die Zukunft ist spürbar. Doch die Lage verschärft sich weiter: Antisemitische Vorfälle und Ausschreitungen aus dem islamistischen Milieu prägen den Alltag seit dem 7. Oktober 2023. Wie können Staat und Gesellschaft reagieren? Gibt es Wege, sich von Stereotypen zu befreien und die Perspektiven der anderen Seite differenziert zu betrachten? In einem tiefgründigen Gespräch, moderiert von Shelly Kupferberg, beleuchten Josef Schuster und Ahmad Mansour diese drängenden Fragen.

Ahmad Mansour, geb. 1976, ist arabischer Israeli und Diplompsychologe. Seit 2004 arbeitet er in Deutschland für Projekte gegen den Extremismus, unter anderem bei 'Heroes' und in der Beratungsstelle HAYAT. Er ist Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Von 2012 bis 2014 war Mansour Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2015 ist Mansour wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur Berlin. 2014 wurde er mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextIn einer Zeit, in der die AfD zunehmend an Einfluss gewinnt und die Welt und besonders der Nahe Osten immer unsicherer werden, rückt die Frage in den Fokus: Wie gestaltet sich eigentlich das Leben von Juden und Muslimen in Deutschland? Die Sorge um die Zukunft ist spürbar. Doch die Lage verschärft sich weiter: Antisemitische Vorfälle und Ausschreitungen aus dem islamistischen Milieu prägen den Alltag seit dem 7. Oktober 2023. Wie können Staat und Gesellschaft reagieren? Gibt es Wege, sich von Stereotypen zu befreien und die Perspektiven der anderen Seite differenziert zu betrachten? In einem tiefgründigen Gespräch, moderiert von Shelly Kupferberg, beleuchten Josef Schuster und Ahmad Mansour diese drängenden Fragen.

Ahmad Mansour, geb. 1976, ist arabischer Israeli und Diplompsychologe. Seit 2004 arbeitet er in Deutschland für Projekte gegen den Extremismus, unter anderem bei 'Heroes' und in der Beratungsstelle HAYAT. Er ist Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Von 2012 bis 2014 war Mansour Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2015 ist Mansour wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur Berlin. 2014 wurde er mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451834141
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum09.09.2024
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse673 Kbytes
Artikel-Nr.14505637
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Gespräch I

Von gepackten Koffern, Israel als Lebensversicherung und dem Schmerz der anderen

13. Juli 2023

Shelly Kupferberg: Ich freue mich, mit euch, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich kenne Ahmad schon lange, aus verschiedenen Zusammenhängen, und wir sind schon immer beim »Du« gewesen. Aber auch Sie, Herr Schuster, kenne ich schon lange.

Ich habe mir natürlich vorher überlegt: Was wollen wir eigentlich? Und wo gibt es Schnittmengen? Es gibt jede Menge Schnittmengen, in Ihrem, in eurem Leben, und das beginnt, ganz oberflächlich gesehen, schon mal damit, dass Sie beide Menschen sind, die offenbar Personenschutz benötigen, in vielen Situationen zumindest. Ich würde gerne wissen, was das für Sie bedeutet, Herr Schuster. Welche Gedanken machen Sie sich? Ist das etwas, was inzwischen selbstverständlich für Sie geworden ist, oder gibt es manchmal dann doch »Störgeräusche« Ihrerseits?

Josef Schuster: Es ist ja nicht so, dass ich völlig unverhofft in diese Situation mit Personenschutz gekommen bin. Alle meine Vorgänger hatten Personenschutz. Seit 1999 bin ich im Präsidium des Zentralrats der Juden und habe bei den jeweiligen Präsidenten den Personenschutz erlebt ... Das war also eine Situation, die nicht unerwartet auf mich zukam. Die natürlich eine gewisse Art von Sicherheit gibt, von der ich wusste. Und ich denke, wir haben eine praktikable Lösung gefunden. Ich habe es immer das »Frankfurter Modell« genannt, also angelehnt an das, wie es bei meinem Vorgänger Dieter Graumann war. Ein gewisser Freiraum muss bleiben. Und der bleibt auch. Also im Schlafzimmer ist kein Polizeibeamter.

SK: Ahmad, was bedeutet das für dich? Und wie selbstverständlich ist es für dich geworden? Machst du dir darüber noch Gedanken?

Ahmad Mansour: Ich habe mir mein Leben nicht so vorgestellt, als ich nach Deutschland kam. Für mich ist Polizei immer etwas, was Stress auslöst. Da sind Beamte, die stoppen mich, wenn ich etwas falsch gemacht habe, zu schnell gefahren bin oder irgendetwas nicht beachtet habe.

Als ich angefangen habe, Artikel zu schreiben, mit Jugendlichen zu arbeiten, hätte ich nie gedacht, dass es so eskalieren würde wie 2015. Das hat auch, wenn man so will, eine jüdische Dimension. Denn angefangen hat es in der Düsseldorfer jüdischen Gemeinde, als wir damals den Preis bekommen haben.1 Die Ehrung fand in der Synagoge statt. Da bin ich natürlich aus Respekt - den habe ich genauso in einer Moschee - mit Kippa hineingegangen und auch wieder herausgekommen.

Und dann gab es Bilder: ein Muslim mit einer Kippa ... Was eigentlich in einer Synagoge der interreligiösen Verständigung dienen sollte, wurde anders verstanden in der arabischen Welt, vor allem unter Muslimen hier in Deutschland. Also unter bestimmten Muslimen, bei denen das Klima sehr homogen ist.

Da war ich zum ersten Mal mit etwas konfrontiert, von dem ich nicht genau wusste, wie ich damit umgehen sollte. Die Polizei hat dankenswerterweise sehr schnell bemerkt, was da vor sich geht, und hat sich gemeldet, und dann hieß es erst mal: »Ja, wir sperren jetzt die Daten, und dann schauen Sie mal, was passiert.« Damals war (noch) nicht an Personenschutz zu denken.

Und dann war ich an der Uni Mainz, ich wollte mit den Studierenden beim AStA einen Vortrag über Radikalisierung und Antisemitismus halten. Auch das Thema Gaza wurde hier angesprochen. Und ich habe damals schon mehrere Betrachtungen über Nahost vor allem auf Deutschland bezogen, also erst mal gar nicht auf Israel, Palästina, Gaza und so weiter ... Sondern es ging darum, warum Jugendliche auf die Straße gehen und auf Demos Juden beschimpfen. Ich habe versucht, das ein bisschen zu analysieren, und da saßen zwei Reihen voller meist islamistisch aussehender Personen mit Handys und haben angefangen zu stören und zu drohen. In diesem Moment wusste ich: Das geht so nicht weiter. Ich habe das gemeldet, und dann ging alles sehr schnell. Seitdem ist die Situation eskaliert.

Das ist für mich nicht selbstverständlich. Ich bin natürlich dankbar, denn nicht jedes Land bietet Menschen Schutz aufgrund ihrer Position oder ihrer Aussagen. Aber trotzdem ist das eine unfassbare Einschränkung, die etwas mit mir macht. Ich versuche immer eine Art humorvollen Umgang damit zu finden - vor allem, wenn meine Tochter dabei ist. Gestern hat sie die Süddeutsche Zeitung zu Hause gelesen. Ich hatte die nur gekauft, um das irgendwie zu archivieren ... Dann steht da ganz, ganz groß: »Wer hat Angst vor Ahmad Mansour?«2 Und sie liest das und lacht sich tot.

Meine Privatsphäre ist mir sehr wichtig. Wir haben ein paar Freunde, auch in Brandenburg, die wir auch ohne Personenschutz besuchen, wir bringen unsere Tochter zur Schule, gehen zum Spielplatz, kaufen ein ... Ich versuche, meine Tochter nicht in meine Arbeit zu involvieren, ihr zu zeigen: Das Leben ist anders.

Ansonsten sind das Menschen, die zu meiner Familie geworden sind. Acht Jahre dieselben Leute, fast immer, man kennt sich, man redet ... Wir fahren ja oft ganz lange. Und dann hat man nach der Veranstaltung manchmal Hunger, dann isst man zusammen. Ich glaube, das gehört auch zur psychologischen Betreuung, neben der Sicherheit, dass man mit den Leuten auch kann und Freundschaften entstehen können.

SK: Man lernt sich gut kennen. Aber ich werde dennoch nie die Situation vergessen bei deiner Büroeinweihungsfeier, 2018 war das? Du, die Rechtsanwältin Seyran AteÅ und viele Freunde, Gäste, Kolleginnen und Kollegen - und so viel Personenschutz. Das hat mich schon sehr irritiert und auf eine verstörende Weise beeindruckt, und man fragt sich, was das über dieses Land auch aussagt. Herr Schuster?

JS: Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen uns beiden. Sie haben gerade gesagt, na ja Polizeikontakt, es sind ja immer Kontrollen ... Meistens ist ein Kontakt mit der Polizei eher negativ besetzt. Da hatte ich es in meiner Vita ein bisschen anders. Von Beruf bin ich ja Mediziner, war auch viele Jahre in Würzburg im Notarztdienst, und ungefähr seit meinem 30. Lebensjahr habe ich regelmäßig für die Polizei in Würzburg Blutentnahmen gemacht. Das läuft so, dass es nicht einen festen Arzt gibt, sondern die haben eine Liste, und dann rufen sie an, und man fährt halt nachts um drei Uhr auf die Polizeidienststelle und macht die Blutentnahme. Das habe ich zeitweise relativ viel gemacht, sodass der Umgang mit Polizeibeamten für mich eigentlich etwas Normales war, eine positive Situation. Ich kam da hin, habe meine Blutentnahmen gemacht, kannte auch schon viele. Das hat sicherlich in der Einstellung von Haus aus etwas anderes bewirkt.

SK: Und dennoch, Herr Schuster, was würden Sie denn sagen, was bedeutet diese Art von Schutzbedürftigkeit, die ja auch, soweit ich weiß, staatlich auferlegt ist? Das ist jetzt nicht nur etwas, was von jüdischer Seite gewünscht oder gewollt ist, das muss gestellt werden?

JS: Das kommt automatisch.

SK: Das kommt automatisch, ja. Was sagt das über den Zustand dieses Landes heute aus?

JS: Ich glaube, der Zustand des Landes ist gar nicht so viel anders als in anderen Ländern. Aber wir haben in Deutschland natürlich die Geschichte dieses Landes. Und ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass von politischer Seite in Deutschland eine große Sorge besteht, dass der Vertreter des Judentums in Deutschland gegebenenfalls durch einen Anschlag oder irgendetwas zu Schaden kommt. Eine solche Schlagzeile wäre in der Welt, auf Deutschland bezogen, nicht besonders gut. Ich glaube, das spielt eine Rolle, dass man staatlicherseits hier besonders darauf achtet ...

SK: Ahmad, gab es für dich einen definitiven Auslöser, dass du dich mit Antisemitismus so intensiv befasst hast? Wenn du mal zurückschaust in deiner Biografie?

AM: Mehrere. Erst einmal meine Biografie an sich, also wo ich aufgewachsen bin. Mein Opa kämpfte ja gegen diesen neu gegründeten Staat Israel, ich bin mit seinen Geschichten groß geworden. Über die irakischen Soldaten, die bei meinem Opa übernachtet haben, die dann gekämpft haben, über den Verrat der Araber, darüber, dass die Waffen - also laut meinen Großeltern - nicht gut funktioniert haben. Über die Immobilien oder Grundstücke, die Bauernhöfe, die sie verloren haben. Wenn wir zum Krankenhaus gefahren sind oder so, also außerhalb meiner kleinen Stadt, dann erzählte meine Oma: »Hier haben wir gearbeitet, hier haben wir einen Brunnen gehabt und Wasser geholt.« Also mit dieser Erzählung bin ich groß geworden.

Das habe ich nie infrage gestellt. Es war normal. 1991 haben wir uns auf Saddam Husseins Attacken auf Israel vorbereitet. Bis dahin fand ich Nachrichten langweilig, konnte damit nichts anfangen, aber da wusste ich, es geht um die Schule - wird die Schule offen bleiben oder wird sie schließen? Möchte ich eigentlich, dass dieser Krieg passiert, damit es keine Schule gibt, oder nicht? Ich war damals 12, 13 Jahre alt.

Dann habe ich angefangen, ganz anders Fernsehen zu schauen, und zwar das israelische Fernsehen. Wir haben in den 1990er Jahren drei Kanäle gehabt ... Das war der jordanische Sender, wo die ganze Zeit nur irgendwelche Königsbilder gelaufen sind, dann syrisches Fernsehen, wo damals immer die Abenteuer von Assad gezeigt wurden und ab und zu Kinderprogramme. Und dann der israelische Kanal. Israelisches Fernsehen haben wir nie geschaut, weil meine Mutter nicht so gut Hebräisch kann und weil mein Vater das ablehnte.

Und auf einmal habe ich das angeschaut, Nachrichten und Programme ... und habe eine absolut neue Welt entdeckt. Ich bin groß geworden mit arabischen Serien. Und auf einmal mache ich um 14 Uhr nach der Schule den Fernseher an und sehe Jugendliche, Teenies,...
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Autor

Ahmad Mansour, geb. 1976, ist arabischer Israeli und Diplompsychologe. Seit 2004 arbeitet er in Deutschland für Projekte gegen den Extremismus, unter anderem bei "Heroes" und in der Beratungsstelle HAYAT. Er ist Programme Director bei der European Foundation for Democracy in Brüssel und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, Unterdrückung im Namen der Ehre und Antisemitismus in der muslimischen Gemeinschaft. Von 2012 bis 2014 war Mansour Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2015 ist Mansour wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für demokratische Kultur Berlin. 2014 wurde er mit dem Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz ausgezeichnet.Dr. Josef Schuster ist ein deutscher Internist und seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zugleich ist er Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Er ist in Haifa geboren, 1956 kehrten seine Eltern in die väterliche Heimat Unterfranken zurück. Er lebt in Würzburg.Shelly Kupferberg, geb. 1974 in Tel Aviv, aufgewachsen in West-Berlin; Studium der Publizistik, Theater- und Musikwissenschaften. Die Journalistin arbeitet für Deutschlandfunk Kultur und RBB Kultur. 2022 erschien ihr Roman "Isidor. Ein jüdisches Leben".