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Jones

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am22.08.2024
Abi und Eli Jones verbindet ein besonderes Band. Ihre Kindheit in den Siebzigerjahren ist geprägt von ihren verkorksten Eltern: ihrem Vater Pal, sanft, aber alkoholkrank, und der Mutter Joy, zwanghaft und aufbrausend. Die Familie schlägt nirgendwo Wurzeln, sondern zieht immer dorthin, wo Pal Arbeit findet. Das schweißt die Geschwister zusammen, doch Eli erkennt bald, dass er sich von den Jones lossagen muss, wenn er überleben will. Von da an versuchen Abi und Eli getrennt voneinander, ihren Weg ins Erwachsenenleben zu finden: beim Entdecken ihrer sexuellen Identität, beim Experimentieren mit Drogen und Alkohol - und mithilfe des rettenden Potentials der Kunst.Neil Smith erzählt aufrüttelnd, berührend und bei aller Tragik doch witzig und sprachlich verspielt über ein Geschwisterpaar, das versucht, dem Horror namens Familie zu entkommen.

Neil Smith lebt als Autor und Übersetzer in Montreal, Kanada. Sein Debüt Bang Crunch wurde von der Washington Post zum Buch des Jahres gewählt. Für seinen vielfach übersetzten Roman Das Leben nach Boo wurde er für den Young Adult Book Award, den Sunburst Award und den Prix des libraires nominiert, mit dem Hugh MacLennan Prize for Fiction ausgezeichnet und wurde in sieben Sprachen übersetzt. Mit Jones begibt er sich auf die Spuren seiner eigenen schmerzhaften Familiengeschichte und zeigt auf, wie Traumata zu Literatur werden können.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextAbi und Eli Jones verbindet ein besonderes Band. Ihre Kindheit in den Siebzigerjahren ist geprägt von ihren verkorksten Eltern: ihrem Vater Pal, sanft, aber alkoholkrank, und der Mutter Joy, zwanghaft und aufbrausend. Die Familie schlägt nirgendwo Wurzeln, sondern zieht immer dorthin, wo Pal Arbeit findet. Das schweißt die Geschwister zusammen, doch Eli erkennt bald, dass er sich von den Jones lossagen muss, wenn er überleben will. Von da an versuchen Abi und Eli getrennt voneinander, ihren Weg ins Erwachsenenleben zu finden: beim Entdecken ihrer sexuellen Identität, beim Experimentieren mit Drogen und Alkohol - und mithilfe des rettenden Potentials der Kunst.Neil Smith erzählt aufrüttelnd, berührend und bei aller Tragik doch witzig und sprachlich verspielt über ein Geschwisterpaar, das versucht, dem Horror namens Familie zu entkommen.

Neil Smith lebt als Autor und Übersetzer in Montreal, Kanada. Sein Debüt Bang Crunch wurde von der Washington Post zum Buch des Jahres gewählt. Für seinen vielfach übersetzten Roman Das Leben nach Boo wurde er für den Young Adult Book Award, den Sunburst Award und den Prix des libraires nominiert, mit dem Hugh MacLennan Prize for Fiction ausgezeichnet und wurde in sieben Sprachen übersetzt. Mit Jones begibt er sich auf die Spuren seiner eigenen schmerzhaften Familiengeschichte und zeigt auf, wie Traumata zu Literatur werden können.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731700098
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum22.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse2079 Kbytes
Artikel-Nr.14576738
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Middlesex County, Massachusetts

Die Geschwister sind in einer Cumberland Farms-Filiale, die sie in Erinnerung an den Laden, über dem sie in Verdun gelebt haben, Perrette´s nennen. Sie sind elf und dreizehn Jahre alt. Eli hat den Kaloriengehalt aller Schokoriegel, die es hier gibt, auswendig gelernt. »Frag mich ab«, sagt er.

Abi greift sich einen Riegel aus dem Süßwarenregal vor der Kasse. Jede Sorte liegt in einem eigenen kleinen Pappständer. »Reese´s Peanut Butter Cups«, sagt sie.

Eli sitzt auf einem verschrammten Holzhocker hinter der Theke. »Ganz schön schwer. Äh, zweihundertzehn Kalorien?«

Sie sieht nach, nickt, stellt den Riegel zurück und hält ein Milky Way hoch.

»Zweihundertvierzig?«

Ein erneutes Nicken. Weiter geht es mit KitKat, Mars und Butterfinger, und jedes Mal liegt Eli richtig.

»Weißt du, was du bist, Jones? Ein idiot savant«, sagt Abi.

»Hä?«

»Das heißt, dass du gleichzeitig klug und dumm bist.« Obwohl sie schon dreizehn ist, hat Abi die piepsig-hohe Gickelstimme einer Achtjährigen, aber dank einer Sprachtherapie klingt sie nicht mehr wie ein Marsmensch.

An diesem Nachmittag Anfang Juli ist keine Kundschaft im Laden. Die Klimaanlage ist so niedrig eingestellt, dass Eli trotz der Hitzewelle, die über Massachusetts hinwegschwappt, ein Sweatshirt trägt. Der Manager des Ladens hat dem Jungen erlaubt, seiner Mutter Joy zu helfen, so lange sie ihn aus ihrer eigenen Tasche bezahlt. Er fegt, feudelt, wischt Schmierflecke von den Glastüren der Kühlvitrinen, rückt Packungen in den Regalen zurecht und preist mit einem Handetikettierer Waren aus. Aber oft sitzt er einfach nur auf einem Hocker und leistet ihr Gesellschaft. Gelegentlich zerzausen Kundinnen ihm die Haare, wenn sie ihre Kartoffelchips oder Limos bezahlen. Vor einer Woche hat eine in einem trägerlosen Oberteil ihm mit der Bemerkung »Was für ein niedlicher Junge du doch bist!« fünfzig Cent zugesteckt. In der Hoffnung auf weitere Geldgaben hat er daraufhin auch andere Frauen liebreizend angelächelt, bis Joy der Flirterei mit einem »Hör auf, dich wie ein Perverser aufzuführen« ein Ende gemacht hat.

Im Gegensatz zu ihrem Bruder hilft Abi nicht im Perrette´s. An diesem Tag hat sie nur auf ihrem Weg zur Leihbücherei vorbeigeschaut. Mit über den Boden schleifender Schlaghose, einer quer über den Oberkörper gehängten Hanftasche und einem Armband aus Kaugummipapierchen am Handgelenk, schlendert sie durch die Gänge und begutachtet den Kaloriengehalt von Marshmallows, Schokosirup und Tomatensuppe. »Dieses Knuspermüsli ist ja kein bisschen gesund!«, empört sie sich, die Schachtel in der Hand, mit vor Verwunderung offenem Mund. »Vierhundertvierzig Kalorien pro Portion. Da könnte man genauso gut einen doppelten Cheeseburger essen.«

Es gibt einen Grund für ihre obsessive Kalorienzählerei. Kalorien spielen nämlich eine wichtige Rolle bei der »Großen Flucht«, Abis und Elis Plan, nach Manhattan durchzubrennen. Dort will Abi Fotomodell werden, weshalb sie extrem dünn bleiben muss. Mit ihren langen, glatten, weizenblonden Haaren, die an eine Charles-Manson-Anhängerin erinnern, ist sie auf jeden Fall hübsch genug, findet Eli. Auch er ist blond, aber seine Haare haben eher die Farbe hellen Packpapiers.

Dank Miss Clairol ist ihre Mutter die Blondeste von ihnen, aber Abi bezeichnet ihren Farbton als »tussiblond« und nennt Joy hinter ihrem Rücken »Tussiblondchen«. Im Augenblick ist Tussiblondchen hinten in der nach Desinfektionsmittel riechenden Toilette. »Haltet die Stellung«, hat Joy zu den Geschwistern gesagt, bevor sie abgeschwirrt ist. Sie trinkt während der Arbeit zu viel Kaffee und muss deswegen ständig pinkeln. Außerdem nutzt sie die Gelegenheit, um draußen eine zu rauchen.

Jetzt kommt sie zurück. Sie hat ihren Lockenhelm frisch mit Haarspray eingesprüht und ihren mattrosa Lippenstift nachgezogen, der in die winzigen Fältchen rund um ihren Mund ausblutet. Eins achtundsechzig groß und spindeldürr, ernährt sie sich hauptsächlich von Kaffee und Zigaretten - Kools mit Mentholgeschmack. Abi raucht Camel, und Pal, der Vater der Geschwister, Craven A. Auch Eli hat vor, sich diese schmutzige Angewohnheit eines Tages zuzulegen. Jetzt schon zeichnet er Zigarettenlogos in sein schwarzes Spiralheft und zerbricht sich den Kopf darüber, welche Marke er dann rauchen soll.

Als Joy hinter die Kasse gleitet, kommt ein Typ in einem strassbesetzten Cowboyhut herein, um Milch zu kaufen. Eli liebt es, den Bestand im Auge zu behalten. Sobald die Milch knapp wird, zieht er sich einen dicken Kittel über, geht in den Kühlraum gleich hinter den Vitrinen und füllt die Gitterfächer mit Gallonen- und Halbgallonenkanistern auf. Die Verkäufe hält er in seinem Spiralheft fest, damit er weiß, wann er wieder nachfüllen muss. Als der Cowboy weg ist, macht er einen Strich in die Ein-Gallonen-Spalte seiner Tabelle. »Jesus Murph«, schimpft Joy und outet sich damit als Kanadierin. »Was soll diese blöde Liste? Wir können die verdammten Kühlfächer von hier aus sehen!«

Abi kommt zurück an die Kasse. »Kann Eli kurz Pause machen?«, fragt sie. »Eine Rennmaus im Tom-und-Jerry hat sechs Junge geworfen.«

Elis Gesicht leuchtet auf, aber Joy verdreht die Augen. »Rennmäuse sind nichts anderes als Ratten, bloß mit besserem Ruf.«

»Sie sind keine Ratten, sondern kleine Kängurus«, protestiert Eli, der schon lange versucht, Joy weichzuklopfen, damit er sich ein Pärchen kaufen darf. »Rennmäuse haben keinen Eigengeruch, also stinken sie nicht. Beide, Männchen und Weibchen, kümmern sich um den Nachwuchs. Und sie paaren sich fürs ganze Leben.«

Bei Letzterem ist er sich nicht sicher, hofft aber, Joy damit beeindrucken zu können. Vergeblich.

»Fürs ganze Leben, dass ich nicht lache!«, lautet ihre Reaktion.

Niemand in Massachusetts sagt »dass ich nicht lache«, aber obwohl die Jones schon seit mehreren Jahren in Middlesex County leben, sagen Joy und Pal immer noch »Salon« statt Wohnzimmer, »Canapé« statt Couch und »Wohnung« statt Apartment.

»Du kannst mir glauben«, fügt Joy an Abi gewandt hinzu. »Männer fahren immer lieber zwei- als eingleisig.« Sie lacht über ihren eigenen Witz, ein lautes »Ha!«, das die Geschwister erschreckt. Dann fischt sie ihre rosa Kunstledertasche unter der Theke hervor, wühlt darin herum und gibt Eli ein paar Dollar. »Bring mir von Dunkin´ einen Kaffee und einen Donut mit.«

Als die Geschwister das Perrette´s verlassen, sagt Eli: »In dieser Tür müsste eigentlich ein Gewitter toben.« Wegen der aufeinanderprallenden Warm- und Kaltfronten, meint er, aber seine Schwester geht nicht darauf ein, sondern marschiert die Straße entlang.

Das Tom-und-Jerry liegt am Ende der Ladenzeile, aber als Eli hineingehen will, hält Abi ihn am Ärmel fest. »Das mit den Rennmäusen war gelogen«, gesteht sie ihm. Wie ihr Bruder ist sie eine gute Lügnerin und kann ein undurchdringliches Pokerface aufsetzen, aber jetzt wirken ihre haselnussbraunen Augen so durchtrieben wie die der Katze Morris auf dem Poster der Katzenfutterfirma 9Lives, das im Fenster des Ladens hängt.

Eli sieht sie fragend an und zerrt an seinem Sweatshirt herum, das ihm am Rücken klebt.

»Hershey«, sagt sie.

Ein Codewort. Sie schickt ihn auf eine Mission.

Hier drin würde es sogar einem Eis am Stiel kalt über den Rücken laufen, denkt Eli bei Rexall, wo die Klimaanlage noch kälter eingestellt ist als im Perrette´s. Im Gang mit den Hautpflegeprodukten wirft er einen Blick auf die Aknemittel. Abi hat eine todsichere Methode gegen Pickel: Waschen mit der seifenfreien Waschlotion von Cetaphil, abtrocknen, eine halbe Stunde warten und dann reichlich Benzoylperoxid auftragen. »Der Trick besteht darin, die mildeste BP-Lotion zu nehmen, die zweieinhalbprozentige«, betont sie immer. »Sonst reagiert die Haut gereizt.« Auf der Junior High haben Kinder mit Problemhaut sie für ihre Beratung bezahlt. Eli stellt sich immer vor, wie seine Schwester Ratschläge erteilend in einer zusammengeschusterten Holzbude sitzt, ähnlich der von Lucy von den Peanuts. Falls sie es je schaffen sollte, Fotomodell zu werden, will sie das verdiente Geld für ein Medizinstudium beiseitelegen. »Die Karriere eines Fotomodells dauert allerhöchstens fünf Jahre«, sagt sie immer, »während Dermatologen jahrzehntelang arbeiten können und haufenweise Geld scheffeln. Wir werden stinkreich sein.« Dieses »wir« gefällt Eli, es schließt ihn in ihre Pläne ein.

Ziel seiner Mission an diesem Julinachmittag ist das Abführmittel Ex-Lax, von Abi »Hershey« genannt. Es sei geradezu genial von den Herstellern von Ex-Lax, sagt sie, ihr Produkt genauso zu gestalten wie die Schokoriegel von Hershey, mit schokoladenartig schmeckenden Quadraten, die man einzeln abbrechen kann. »Genau wie Schokolade, bloß ohne die Kalorien«, sagt sie, als sei das der offizielle Slogan des Abführmittels. Ihr Hershey muss zumindest ein paar Kalorien enthalten, widerspricht Eli, aber Abi behauptet, dass diese paar Kalorien keine Rolle spielen. »Altes raus, Neues rein«, sagt sie und meint damit, dass man die alten Kalorien ausscheißen und mit dem Essen bei Null anfangen kann.

Außerdem steckt sich Abi den Zeigefinger in den Hals, um sich zu übergeben. An diesem Finger hat sie ungefähr auf Knöchelhöhe eine Schwiele, weil ihre Schneidezähne so oft darüber reiben. Allerdings ist sie eher nachlässig, wenn es darum geht, nach diesen innerlichen Reinigungsaktionen die Toilette sauber zu machen, und dann stößt Eli einen Seufzer aus, holt...

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Neil Smith lebt als Autor und Übersetzer in Montreal, Kanada. Sein Debüt Bang Crunch wurde von der Washington Post zum Buch des Jahres gewählt. Für seinen vielfach übersetzten Roman Das Leben nach Boo wurde er für den Young Adult Book Award, den Sunburst Award und den Prix des libraires nominiert, mit dem Hugh MacLennan Prize for Fiction ausgezeichnet und wurde in sieben Sprachen übersetzt. Mit Jones begibt er sich auf die Spuren seiner eigenen schmerzhaften Familiengeschichte und zeigt auf, wie Traumata zu Literatur werden können.

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