Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Tanz unter Sternen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kanon Verlagerschienen am17.07.20241. Auflage
1912, mitten im Atlantik: Die Tänzerin Nele Stern will in ein neues Leben aufbrechen. Nach einem verpatzten Auftritt im renommierten Varieté in Berlin wartet das Glück in Amerika. An Bord der Titanic lernt sie den Pastor Matheus kennen, der in einer Ehekrise steckt. Beide stehen am Scheideweg. Finden sie einen gemeinsamen Anfang oder ein dunkles Ende?

Titus Müller, geboren 1977, über ein Dutzend Romane. Er lebt mit seiner Familie in Landshut, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Homer-Preis ausgezeichnet. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« ist ein SPIEGEL-Bestseller.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

Klappentext1912, mitten im Atlantik: Die Tänzerin Nele Stern will in ein neues Leben aufbrechen. Nach einem verpatzten Auftritt im renommierten Varieté in Berlin wartet das Glück in Amerika. An Bord der Titanic lernt sie den Pastor Matheus kennen, der in einer Ehekrise steckt. Beide stehen am Scheideweg. Finden sie einen gemeinsamen Anfang oder ein dunkles Ende?

Titus Müller, geboren 1977, über ein Dutzend Romane. Er lebt mit seiner Familie in Landshut, ist Mitglied des PEN-Clubs und wurde u.a. mit dem C.S. Lewis-Preis und dem Homer-Preis ausgezeichnet. Seine Trilogie um »Die fremde Spionin« ist ein SPIEGEL-Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783985681570
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum17.07.2024
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1716 Kbytes
Artikel-Nr.14577229
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I
LÜGE
1

Mondlicht spiegelte sich in den Pfützen am überschwemmten Tunnel der Untergrundbahn. Es roch nach feuchtem Zement. Der Mann mit den schwarzen Handschuhen lud acht Patronen in das Magazin seiner Pistole und schob es mit einem Ruck zurück in den Griff der Waffe. Er steckte die P08 in das verborgene Halfter an seinem Rücken.

Vor zwei Wochen war hier die Spree in den Tunnel eingebrochen, in dem Moment, als man Nord- und Südstrecke miteinander verband, und hatte die U-Bahn bis zum Potsdamer Platz überschwemmt. Ein neuer Wall war errichtet worden, um das Wasser aufzuhalten.

Der Mann stieg über Eisenbleche, Sandsäcke und Schaufeln. Er sah sich aufmerksam um, bevor er in den Schatten eines Bauwagens trat.

Ein zweiter Mann tauchte auf, klein, schmächtig, mit Drahtbrille. Der Zylinder auf seinem Kopf schimmerte im Sternenlicht. Der Mann trug einen feinen Gehrock und fluchte bei jedem Schritt. Seine Schuhe sanken im Schlamm ein. Verzweifelt sah er sich um.

»Guten Abend«, ertönte hinter ihm eine Stimme. Aus dem Schatten des Bauwagens löste sich eine Gestalt mit schwarzen Handschuhen.

»Musste es sein, dass wir uns auf dieser morastigen Baustelle treffen?«

»Durchaus.«

»Wer sind Sie, und warum wollten Sie mir am Telephon nicht Ihre Identität enthüllen?«

»Haben Sie den Artikel?«

Der kleine Mann kniff unwillig die Augen zusammen. Schließlich nahm er seine Tasche vor die Brust und zog einen Papierbogen heraus.

»In der Redaktion der Berliner Zeitung weiß man noch nichts von Ihren Recherchen?«, fragte der andere.

»Bisher nicht.«

»Geben Sie mir den Text.« Der Große streckte die Hand nach dem Papier aus.

Der Mann mit dem Seidenzylinder schüttelte den Kopf. »Erst will ich ein paar Antworten. Wieso sind Sie bereit, dreißig Mark für einen einfachen Artikel zu bezahlen? Und was stellen Sie damit an? Von welcher Redaktion sind Sie geschickt?«

»Das sage ich Ihnen, wenn ich den Artikel gesehen habe.«

Widerwillig reichte ihm der Journalist das Papier, und der Große zog eine Taschenlampe hervor, ein Ding aus Blech, das er mit einem Drehschalter entzündete. Er richtete den Lichtkegel auf das Blatt. Im Widerschein, der vom Papier ins Gesicht des Mannes fiel, traten feine Gesichtszüge hervor, das Antlitz eines Dandys, nur die Lippen waren blass und streng.

Deutsche Firmen statten größtes Dampfschiff der Welt aus

Die Innenausstattung der Titanic ist nahezu abgeschlossen. Britische Nationalisten überschlagen sich vor Stolz, aber ein Reporter der Berliner Zeitung enthüllt: Bevor der weltgrößte Dampfer am Mittwoch nächster Woche zu seiner Jungfernfahrt aufbricht, liefern deutsche Firmen Teile der luxuriösen Ausstattung. So stammen die Sportgeräte für den Gymnastikraum von der Firma Rossel, Schwarz & Co. AG aus Wiesbaden. Steinway´s Pianofortefabrik in Hamburg liefert fünf Flügel, jeweils 2,11 Meter lang, und drei Konzertklaviere für die Speisesäle und das Treppenhaus der ersten Klasse. Selbst bei ihrem Prestigeobjekt kommen die Engländer nicht ohne deutsche Hilfe aus.

Schon im Mai, gute vier Wochen nach der Titanic, läuft das deutsche Schiff Imperator vom Stapel. Spätestens in einem Jahr wird sein Innenausbau abgeschlossen sein. Dann löst es die Titanic als größten Dampfer der Welt ab. Der deutsche Flottenbau triumphiert.

Der Mann hob die Taschenlampe und blendete sein Gegenüber. »Haben Sie eine Abschrift Ihres Entwurfes zu Hause?«

Der Gefragte hielt sich den Unterarm vor die Augen. »Nehmen Sie die Lampe runter!«

»Haben Sie, oder haben Sie nicht?«

»Nein.«

Er schaltete die Taschenlampe aus. Ruhig zog er die Pistole aus dem Halfter. »Knien Sie sich hin.« Er richtete die Pistolenmündung auf den Journalisten.

»Sind Sie übergeschnappt?«

»Ich sagte: Knien Sie sich hin.«

Der Journalist ging in die Knie. Seine blassgestreifte Hose versank im Morast, an der Bügelfalte gluckerte schmutziges Wasser herauf. »Nehmen Sie den Artikel, nehmen Sie ihn einfach ...«

Der Mann mit den dunklen Handschuhen setzte ihm die Mündung an die Schläfe und drückte ab. Es krachte. Vom Schuss wurde der Körper des Journalisten hingeworfen, in den Schlamm gestreckt. Sein Mörder drückte ihm die P08 in die rechte Hand und bog die Finger des Toten um den Griff der Waffe.

Er steckte sich den Artikel in die Jackentasche und ging.

*

Die Schiffswand riss. Wassermassen strömten hinein und spülten Matheus aus seinem Bett, das Meer packte ihn und zog ihn durch den Spalt hinaus in die Schwärze. Er sah das Schiff, es hing schief im Wasser. Ihn aber saugte das Meer gierig in die Tiefe, bald war der Schiffsrumpf nur noch ein entfernter heller Punkt, und um ihn herum herrschte Dunkelheit. Obwohl er verzweifelt versuchte, die Lippen geschlossen zu halten, drang das Salzwasser in seinen Mund ein, es jagte die Gurgel hinab und füllte die Lungen bis in den letzten Winkel mit Kälte. Er hielt es nicht mehr aus, er musste nach Luft schnappen. Da war keine Luft, nur das Meer, und während er zu atmen versuchte, drang es noch tiefer in ihn ein. Seine Glieder zuckten. Er wollte schreien und konnte es nicht, er wollte schwimmen, nach oben entkommen, er ruderte und strampelte. Anstatt aufwärts zu gelangen, sank er immer tiefer hinab.

Matheus riss die Augen auf. Er japste nach Luft, richtete sich im Bett auf. Nur ein Traum, es war nur ein Traum gewesen. Das Nachthemd klebte an seiner Haut, nass vom Meerwasser. Nein, es war durchgeschwitzt.

Cäcilie richtete sich ebenfalls im Bett auf. »Geht es dir nicht gut?«, fragte sie. »Hast du Fieber?«

»Ich hatte einen Albtraum. Ich bin ertrunken.«

»Das ist jetzt sechs Jahre her. Und du warst nicht mal im Wasser, ihr seid doch rechtzeitig gerettet worden von eurem Mittelmeerdampfer.«

Er ließ sich wieder auf den Rücken sinken. »Wir mussten die Schwimmwesten anziehen. Diese Angst kann ich nicht vergessen, die Angst zu ertrinken.«

»Euer Schiff war bloß leckgeschlagen. Ich fasse es nicht, dass du das dauernd aufbringst.«

Er schloss die Augen und sah das Wasser vor sich, eine dunkle, wogende Masse.

»Warum hast du solche Angst vor dem Tod?«, fragte Cäcilie und legte sich wieder hin. »Du glaubst an die Ewigkeit, du vertraust darauf, dass Gott dir eine Wohnung im Himmel geben wird, oder etwa nicht? Du bist Pastor, Matheus. Du bringst den Leuten bei, dass das irdische Leben nur die Theaterprobe ist.«

Das stimmte. Aber anstatt sich auf das ewige Leben zu freuen, fürchtete er sich davor zu sterben.

Er lag da und starrte in die Dunkelheit. Er hörte auf seine Atemzüge. Erstaunlich, dass da ein Herz in seiner Brust schlug, ein Muskel, der jahrzehntelang unermüdlich Blut durch die Adern pumpte. Tagsüber fütterte man den Körper mit Sardellenbrötchen, Schokolade oder Klößen, und der Körper machte daraus Hautzellen, Fingernägel, Knochen und Fleisch. Was für ein seltsamer Prozess! Wie konnte aus Schokolade lebendiges Fleisch werden?

Er wartete lange, um sicherzugehen, dass Cäcilie eingeschlafen war. Dann richtete er sich auf, tastete mit den Füßen nach den Pantoffeln, schlüpfte hinein und schlich durch den Flur ins Arbeitszimmer. Der kleine Ofen hatte den Raum überheizt. Stickige warme Luft legte sich auf seine Wangen, sie roch nach den Ledereinbänden seiner Bücher.

Durch das Fenster fiel Licht der elektrischen Straßenlaterne und färbte die Wände blau. Er kniete sich vor den Schreibtisch, sah noch einmal zur Tür und überzeugte sich, dass Cäcilie ihm nicht gefolgt war. Er zog die dritte Schublade auf. Unter einem Folioheft fischte er das Telegramm hervor. Er hielt es in den blauen Lichtschein.


telegraphie des deutschen reichs
amt charlottenburg 1
telegramm aus chicago


Der Text darunter war in Englisch verfasst. Das Moody Bible Institute lud ihn nach Amerika ein, die Überfahrt werde bezahlt. Thank you for your inquiry, stand da. Den ganzen Tag, seit der Postbote da gewesen war, hatte er sich darüber gewundert. Er hatte sich dieser christlichen Vereinigung aus Chicago nie angeboten.

Die Fahrt über das Mittelmeer vor sechs Jahren sollte seine letzte Schiffsreise gewesen sein, das hatte er sich geschworen, als der leckgeschlagene Dampfer mit Schlagseite in den stürmischen Wellen hing und ihm der Rettungsgurt den Leib abschnürte. Schon der bloße Gedanke an ein Schiff ließ kalte Wogen an seinen Beinen herauflecken.

Im Flur ging das Licht an. Rasch legte er das Telegramm ins Schubfach und stand auf. Cäcilie erschien im Nachthemd an der Tür. »Was machst du da?«

Der Schreibtisch stand zwischen ihnen, sie konnte die Schubladen nicht sehen. Vielleicht hatte sie nichts bemerkt. Vorsichtig schob er mit dem Bein die Lade zu, während er nahe an den Schreibtisch herantrat. Er machte ein gequältes Gesicht. »Die Beerdigung am Donnerstag geht mir nicht aus dem Kopf. Was soll ich den Angehörigen sagen? Das Mädchen war erst sechzehn! Ich begreife ja selber nicht, wie Gott das zulassen konnte.« Er nahm den Predigtentwurf vom Schreibtisch und hob ihn hoch. »Ich schreibe fünf Sachen hin, und vier davon streiche ich wieder durch.«

»Komm, leg dich ins Bett«, sagte sie. »Es wird nicht besser,...
mehr