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Von Mexiko nach Polen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
396 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am20.05.20241. Auflage
Lily Brettmacht sich auf eine Reise, die sie von Mexiko nach Berlin und Polen und zurück in ihre Wahlheimat New York führt, wo die Autorin die Anschläge des 11. September 2001 aus unmittelbarer Nähe erlebt.
Offen und unverstellt schildert sie ihr Leben, ihre Gedanken, Gefühle, ihre Arbeit als Schriftstellerin und stellt wieder ihre unnachahmliche Kunst unter Beweis, schwere Themen in ein leichtes Sprachgewand zu hüllen.
Die persönliche Welt wird in ihrem neuen Buch erschüttert wie in keinem anderen zuvor: Das Apartment, das sie zusammen mit ihrem Mann bewohnt, brennt komplett aus. Als endlich wieder Ordnung einzukehren scheint, bricht der Terrorangriff über Manhattan herein und stellen alles in Frage. »Was zählt? Was zählt wirklich?«




Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.
Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextLily Brettmacht sich auf eine Reise, die sie von Mexiko nach Berlin und Polen und zurück in ihre Wahlheimat New York führt, wo die Autorin die Anschläge des 11. September 2001 aus unmittelbarer Nähe erlebt.
Offen und unverstellt schildert sie ihr Leben, ihre Gedanken, Gefühle, ihre Arbeit als Schriftstellerin und stellt wieder ihre unnachahmliche Kunst unter Beweis, schwere Themen in ein leichtes Sprachgewand zu hüllen.
Die persönliche Welt wird in ihrem neuen Buch erschüttert wie in keinem anderen zuvor: Das Apartment, das sie zusammen mit ihrem Mann bewohnt, brennt komplett aus. Als endlich wieder Ordnung einzukehren scheint, bricht der Terrorangriff über Manhattan herein und stellen alles in Frage. »Was zählt? Was zählt wirklich?«




Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.
Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518780077
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum20.05.2024
Auflage1. Auflage
Seiten396 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse401 Kbytes
Artikel-Nr.14578382
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Mexiko

Zwei Reihen zarte, haarlose, rosafarbene Häute, feucht und glitzernd, hängen von einer Wäscheleine im Hof eines Hauses. Es sind Schweinehäute, frisch abgezogen, und teilweise sehen sie den Schweinen, zu denen sie gehört haben, noch ähnlich.

Sie wurden aufgehängt, damit man das Fett von ihnen schaben kann. Im Wind klatschen sie unbeholfen. Zu sehr mit Körperflüssigkeit belastet, um graziös zu wirken. Sie sehen aus wie Babys. Wie Neugeborene. Aber etwas fehlt. Ich gebe mir Mühe, die Schweinehäute nicht im Geist mit den Körperteilen von Schweinen zu vergleichen.

Später wird man sie zu steifen, blaßbraunen Blättern fritieren, die als Imbiß verzehrt oder zu verschiedenen Speisen verkocht werden. Sie werden nicht im geringsten an die Schweine erinnern, denen sie entstammen. Ich wende den Blick ab.

Ich bin in Mexiko. Ich bin wieder einmal auf dem Weg nach San Miguel de Allende, einem kleinen Ort in den Bergen, 274 Kilometer nördlich von Mexico City im Bundesstaat Guanajuato. Ich bin gekommen, um mich zu erholen. Um mich vom New Yorker Winter zu erholen und von Kleinkram und Ablenkungen meines Alltagslebens. Ich bin für zehn Tage nach San Miguel gekommen, um zu mir zu kommen. Um mir über einen Roman klarzuwerden, an dem ich schreibe.

Ich habe Hunderte von Seiten mit Notizen vollgeschrieben. Ich habe vier Hauptfiguren und Fragmente weiterer Personen. Fragmente von Szenen. Ganze Blöcke von Dialogen und Stücke von Beobachtungen und Meinungen. Ich habe einen Mann im Bus. Er ist vierunddreißig. Er ist sehr groß und sehr nett. Er hat kurzes, widerspenstig gelocktes, dichtes, kastanienbraunes Haar.

Zu Beginn der zweistündigen Busfahrt erzählt er, daß er nach New York fährt, um sich mit einem ehemaligen Kollegen zu treffen. Einem ehemaligen Arbeitskollegen. Bis zum Ende der Fahrt wird er allen im Bus mitgeteilt haben, daß seine Frau ihn verlassen hat und daß er nach New York fährt, um dort das Wochenende mit seiner neuen Freundin zu verbringen.

Ich weiß, daß er drei Kinder und eine eigene Firma hat, aber ich weiß noch nicht genug über ihn. Oder darüber, welchen Platz er im Leben meiner Hauptfigur einnehmen soll. Sie habe ich. Bis auf weiteres nenne ich sie Pearl. Sie sitzt im selben Bus wie der Mann mit dem kastanienbraunen Haar. Zu verschiedenen Zeitpunkten hieß Pearl Hattie, Heddy oder Rose. Ich habe größere Probleme als Pearls Namen. Ich kann mich nicht entscheiden, ob sie zweiundvierzig oder zweiundfünfzig sein soll. All diese Dinge muß ich entwirren und ordnen. In San Miguel.

Es ist erst halb zwölf Uhr vormittags, aber die Temperatur beträgt bereits über zwanzig Grad Celsius. Das Klima von San Miguel ist fast das ganze Jahr über nahezu ideal - tagsüber warm und sonnig, nachts etwas kühler; im Winter liegen die Temperaturen um die fünfundzwanzig Grad, im Sommer um die dreißig Grad. Der Ort befindet sich 6.400 Fuß über dem Meeresspiegel. Die Luftfeuchtigkeit ist gering, und für meine Haare ist das ausgezeichnet, denn Feuchtigkeit ringelt sie zu drahtigen Spiralen.

Ich bin hier mit dem Mann, mit dem ich zusammenlebe. Ich denke an ihn immer als an den Mann, mit dem ich zusammenlebe. Oder als den Mann, den ich liebe. Nebenbei ist er mein Ehemann. Er liebt Mexiko. Die Menschen, die Kultur, die Landschaft, das Essen. Er liebt alles Mexikanische. Seinetwegen kam ich zum ersten Mal nach Mexiko. Er wollte unbedingt Mexiko kennenlernen. Oder wenigstens einen Teil von Mexiko. Also fuhren wir hin. Das war vor vier Jahren. Wir landeten in Mexico City. Er trat aus dem Flugzeug, und noch bevor er einen Fuß in den Lärm, das Chaos und die Menschenmengen des Flughafens gesetzt hatte, sprach dieser Australier irischen Ursprungs ein Englisch mit unverkennbar spanischem Akzent.

Sein halbes Dutzend spanischer Begriffe verwendete er ausgesprochen freigebig. »Buenos dias«, sagte er zu der Angestellten der Continental Airlines. »Willkommen in Mexico City«, antwortete sie. Es störte ihn nicht. »Buenos dias«, begrüßte er den Zollbeamten.

Mir fiel es weniger leicht, mich anzupassen. In Mexico City kam ich gut zurecht. Nun ja, so gut, wie ich irgendwo zurechtkomme, wenn ich die Landessprache nicht spreche. Dann ging es nach San Miguel. Die Busfahrt von Mexico City nach San Miguel raubte mir bereits den letzten Nerv. Die dürre, stoppelige Landschaft. Der Staub. Die Kakteen. Die streunenden Ziegen und Esel.

Alles, was sich dem Blick präsentierte, sah trostlos aus. Wir kamen an Schnellimbissen vorbei, die oft nur aus einer Kochstelle, einem Koch und einem Tisch am Straßenrand bestanden. In kleinen Orten liefen die Kinder barfuß durch den Schmutz. Und räudige, magere Hunde lagen schlafend im Staub. Wir kamen an verrotteten, notdürftig reparierten Bruchbuden vorbei, an baufälligen, fensterlosen Steingebäuden mit nur einem Raum, in denen zweifellos Menschen wohnten und arbeiteten.

Am Straßenrand saßen Frauen und boten entstachelte Kaktusblätter als Salatgemüse feil. Andere saßen neben Stapeln selbstgemachter Tortillas. Das handgemalte Schild eines Mechanikers, das auf dem verrosteten Chassis eines Schrottautos steckte, versprach erstklassige Reparaturarbeiten für alle Wagentypen.

Was mich verstörte, war die grenzenlose Unordnung. Das Organische, das Architektur und Handel eignete. Vermutlich hatte ich Städte mit Polizeiwachen und Krankenhäusern erwartet. Und mit Verkehrszeichen. Aber nicht Hunde und Esel und Staub. Und Tacos, die am Straßenrand gebacken wurden. Und keinerlei Hygienevorschriften.

Im Bus war die Hölle los, und das, seit wir Mexico City verlassen hatten. Zwei heißblütige Frauen stritten sich offenbar um einen Mann, der im übrigen nicht sonderlich attraktiv war. Jedesmal wenn eine der beiden ihre Kontrahentin übertrumpfte und sich bei ihm einschmeichelte, wurde laut gestöhnt und gejammert und schwer geatmet. Das alles ereignete sich in einem Fernsehgerät vorne im Bus. Die Lautstärke war ohrenbetäubend aufgedreht, damit auch die Passagiere in der letzten Reihe mithören konnten. Fast alle starrten wie gebannt auf den Bildschirm.

Als wir San Miguel erreichten, schien die Jüngere sich den Mann gekapert zu haben. Und mein Kopf schmerzte unerträglich. Am liebsten wäre ich nach New York zurückgeflogen. Aber das konnte ich nicht. Wir hatten unser Loft in Soho untervermietet.

So etwas ist in New York nichts Ungewöhnliches. Das Geld, das man dafür bekommt, ist nicht zu verachten. Wir hatten so etwas noch nie getan. Ich war immer zu ängstlich gewesen. Obwohl ich nicht genau wußte, wovor ich mich fürchtete. Davor, daß Fremde in meinem Bett schliefen? Daß die Wohnung verwüstet wurde? Gegenstände beschädigt wurden? Ich wußte es nicht.

Als eine Freundin, die in einem alten New Yorker Brownstone-Haus voller Antiquitäten im East Village lebt, mir erzählte, daß sie ihr Haus seit sechzehn Jahren jeden Sommer untervermietet, ohne daß auch nur ein Glas zerbrochen wurde, dachte ich mir, das könnten wir auch tun. Wir würden unser Loft vermieten. Nach Mexiko fahren. Eine neue Kultur erleben. Und arbeiten. Und das Mietgeld würde unseren Kontostand aufbessern.

Wir vermieteten unser Loft für zwei Monate. Den Mietern ließ ich eine Flasche Champagner da. Und ich nahm einen Koffer voll Arbeit nach Mexiko mit. Es war ein kleiner Koffer. Er enthielt Nachschlagewerke und umfangreiche Notizen für meinen Roman. Ich konnte ihn nicht als Gepäck aufgeben. Ich mußte ihn im Flugzeug bei mir haben. Ich konnte ihn nicht aus den Augen lassen. Die Nachschlagewerke hatten mein Arbeitszimmer nur zweimal verlassen: das erstemal, als wir nach New York zogen, und das zweitemal, als wir in das Loft umzogen.

Ich bat meine jüngere Tochter, eine Liste aller Titel und ihrer ISB-Nummern anzulegen für den Fall, daß ich den Koffer verlor. Ich machte Kopien von der Liste und hinterlegte eine Kopie in New York. Der Roman, an dem ich schrieb, spielte in Polen. Ich war kurz zuvor zum wiederholten Mal in Polen gewesen. Und in Auschwitz. Wenige Tage, nachdem ich aus Polen zurückgekommen war, reiste ich nach Mexiko ab.

Wenige Tage, nachdem ich in Polen in leeren Synagogen gesessen hatte und über ungepflegte, überwucherte Friedhöfe gegangen war, befanden wir uns in San Miguel. Für zwei Monate. Ich und der Mann, mit dem ich zusammenlebe. Und zweiunddreißig Bücher über den Holocaust.

Die ersten zwei Wochen in San Miguel war ich wie benommen. Der Ort war wunderschön. Fast zu schön. Kopfstein gepflasterte hügelige Straßen. Pastellfarben gestrichene Betonhäuser von atemberaubender architektonischer Schlichtheit und Eleganz und Ungekünsteltheit.

Blaue, gelbe, grüne, ockerfarbene und rosa Häuser. Häuser, die Gedichte hätten sein können. Die Farben zum genau richtigen Ton gemischt. Keine schrille Note darunter.

Zeitlose Mauern und Türen und Eingänge. Und über diese Mauern und Türen und Eingänge ergossen sich beinahe lachhaft vollkommene Blumen: Bougainvilleen,...
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Autor

Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.