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Dich zu verlieren oder mich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Arche Literatur Verlagerschienen am14.09.20231. Auflage
Wie weit gehst du, um dir treu zu bleiben? - Die wahre Geschichte einer afghanischen Mutter in ihrem Kampf für Gleichberechtigung Homeira ist kein gewöhnliches afghanisches Mädchen. Mit dreizehn riskiert sie ihr Leben, um andere Mädchen heimlich zu unterrichten. Sie liest jedes Buch, das sie finden kann, am liebsten die russischen Klassiker ihres Vaters, die er zum Schutz vor den Taliban unter einem Maulbeerbaum vergräbt. Als eine ihrer Kurzgeschichten in der Zeitung veröffentlicht wird, glaubt Homeira, als Frau in Afghanistan glücklich werden zu können. Doch als sich Jahre später ihr Mann nach der Geburt ihres Sohnes eine Zweitfrau nehmen will, weiß sie, dass das niemals gelingen kann. Homeira steht vor einer unmöglichen Entscheidung: Revoltiert sie und verliert ihren Sohn, oder lässt sie es geschehen und verliert sich selbst? In ihrem Buch verwebt sie Erinnerungen mit bewegenden Briefen an ihren Sohn, den sie zunächst zurücklassen musste. Homeiras Geschichte ist die einer bemerkenswerten afghanischen Frau - und die einer Mutter zwischen Liebe und dem Wunsch nach Freiheit.

Homeira Qaderi wurde 1980 in Kabul geboren. Im Iran studierte sie Persisch und promovierte in persischer Literatur. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan wurde sie Professorin an der Universität Kabul. Als Frauenrechtlerin und Beraterin für das afghanische Ministerium für Arbeit und Soziales sprach sie immer wieder über die Situation der Frauen in ihrer Heimat. Während des Falls von Kabul im August 2021 gehörten sie und ihr Sohn zu den Letzten, die an Bord eines amerikanischen Flugzeugs das Land verlassen konnten. Heute lebt und arbeitet Qaderi als Aktivistin, Autorin und Professorin in den USA. Sie veröffentlichte sechs Bücher, Dich zu verlieren oder mich ist das erste in deutscher Übersetzung.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextWie weit gehst du, um dir treu zu bleiben? - Die wahre Geschichte einer afghanischen Mutter in ihrem Kampf für Gleichberechtigung Homeira ist kein gewöhnliches afghanisches Mädchen. Mit dreizehn riskiert sie ihr Leben, um andere Mädchen heimlich zu unterrichten. Sie liest jedes Buch, das sie finden kann, am liebsten die russischen Klassiker ihres Vaters, die er zum Schutz vor den Taliban unter einem Maulbeerbaum vergräbt. Als eine ihrer Kurzgeschichten in der Zeitung veröffentlicht wird, glaubt Homeira, als Frau in Afghanistan glücklich werden zu können. Doch als sich Jahre später ihr Mann nach der Geburt ihres Sohnes eine Zweitfrau nehmen will, weiß sie, dass das niemals gelingen kann. Homeira steht vor einer unmöglichen Entscheidung: Revoltiert sie und verliert ihren Sohn, oder lässt sie es geschehen und verliert sich selbst? In ihrem Buch verwebt sie Erinnerungen mit bewegenden Briefen an ihren Sohn, den sie zunächst zurücklassen musste. Homeiras Geschichte ist die einer bemerkenswerten afghanischen Frau - und die einer Mutter zwischen Liebe und dem Wunsch nach Freiheit.

Homeira Qaderi wurde 1980 in Kabul geboren. Im Iran studierte sie Persisch und promovierte in persischer Literatur. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan wurde sie Professorin an der Universität Kabul. Als Frauenrechtlerin und Beraterin für das afghanische Ministerium für Arbeit und Soziales sprach sie immer wieder über die Situation der Frauen in ihrer Heimat. Während des Falls von Kabul im August 2021 gehörten sie und ihr Sohn zu den Letzten, die an Bord eines amerikanischen Flugzeugs das Land verlassen konnten. Heute lebt und arbeitet Qaderi als Aktivistin, Autorin und Professorin in den USA. Sie veröffentlichte sechs Bücher, Dich zu verlieren oder mich ist das erste in deutscher Übersetzung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037900642
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum14.09.2023
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.14650006
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1 Brot und Bomben

Afghanistan ist das Land unsichtbarer Kugeln und das Land des angekündigten Todes, das Land unheilvoller Schicksale und einer mutlosen, verdrossenen Jugend, die vergeblich darauf wartet, dass ihre Träume wahr werden. So beschrieben mir Madar, meine Mutter Ansari, und Nanah-jan, meine Großmutter Firozah, mein Heimatland, als ich gerade einmal vier Jahre alt war. In ihren Augen war Afghanistan gespalten zwischen den russischen Besatzern und ihren Verbündeten in der kommunistischen Regierung einerseits und den Mudschahedin andererseits. Für mich verlief die Teilung anders, nämlich zwischen der Straße vor unserem Haus, auf der ich bei Waffenruhe spielte, und der gefährlichen Welt jenseits unserer Mauern, wenn der Krieg zurückkehrte und ich im Haus festsaß.

Ich war ein aufgewecktes, verspieltes Kind, zu jung und energiegeladen, um Angst zu empfinden, sei es vor unsichtbaren Kugeln, die durch die Luft pfiffen, oder vor den rumpelnden russischen Panzern in der Straße vor unserem Haus. Innerhalb der Mauern gab es einen Garten mit Apfel- und Maulbeerbäumen, und an den Weinreben wuchsen rote und grüne Trauben. Drei Generationen lebten dort: Baba-jan und Nanah-jan, ihre vier Töchter, meine Tanten Kurbra, Hajar, Zahra und Azizah, meine Onkel Naseer und Basheer, Agha und Madar und dazu mein kleiner Bruder Mushtaq und ich.

Nanah-jan sagte immer: »In den Augen eines Mädchens sollte man Angst erkennen.«

Ich stand oft vor dem Spiegel im Flur und versuchte zu erkennen, wo sich in meinen Augen die Angst verbarg.

Tante Zahra sagte zu mir: »Mädchen liegt die Angst direkt auf den Augenlidern.«

Ich zog meine Lider nach oben und hoffte, ich könnte die Form oder Farbe der Angst erkennen.

Madar sagte oft: »In der Nacht, in der dieses Mädchen zur Welt kam, waren wir von Feuer umringt. Es fühlte sich an, als würde die ganze Stadt ein Kind gebären. Homeira hörte die Schreie anderer Menschen, bevor sie ihre eigenen hörte. Kein Wunder, dass sie vor nichts Angst hat.«

Zahra war siebzehn, als sie von einer dieser unsichtbaren Kugeln getroffen wurde, während sie mich aus den Weinreben zerren und in den Keller in Sicherheit bringen wollte. Meine arme Tante fiel bäuchlings zu Boden. Ich hörte, wie sie nach Luft rang. Aus ihren Augen floss Blut. Ich gab meine Suche nach den Kätzchen auf und versuchte, die unsichtbare Kugel in ihrem Auge zu finden, an dem Ort, an dem sich die Angst von Mädchen versteckt.

Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der in meiner Heimat kein Krieg geherrscht hätte. Meine Kindheit begann mit Düsenjägern, mit Bomben, die vom Himmel fielen, und unsichtbaren Kugeln, die ich zu zählen versuchte. Krieg und Hunger prägen meine frühesten Erinnerungen. Ich weiß noch, wie Madar meinen Bruder stillen wollte, als er schon gut zwei Jahre alt war, weil es nichts zu essen gab. Mushtaq biss meine Mutter und kaute auf ihrer Brust herum. Wenn sie merkte, dass sie keine Milch mehr hatte, wimmerte sie leise.

Bei jedem Angriff sah ich, wie Nanah-jan ihren Hidschab enger zog, damit sie nicht ohne ihren Schleier sterben und im Jenseits in der Hölle landen würde. Sie war Analphabetin, gab aber oft vor, sie würde den Heiligen Koran lesen, indem sie mit dem Finger über die Zeilen der Schrift fuhr. Sie wollte als Muslimin sterben, das Heilige Buch an ihre Brust gedrückt. Und wenn ich hörte, wie Baba-Jan die Sure Ya-Sin las, in der es um Gottes Allmacht, den Tag des Gerichts und eine Warnung an Ungläubige ging, wusste ich, dass der nächste Bombenangriff bevorstand.

Die Welt meiner Kindheit wurde von einem niedrigen kleinen Fenster in der Wand unseres Hauses eingefasst, von dem meine Mutter mich immer fernhalten wollte. Sie wusste, dass Kugeln Glas durchschlagen konnten. Wäre es nach ihr gegangen, hätte ich immer vier massive Betonwände um mich gehabt. Meine Mutter glich einer Spinne, die mich in ihrem Netz beschützen wollte. Aber ich war ein wildes, dickköpfiges Spinnenkind. Immer wieder zerriss ich ihr Netz, um mich zu befreien. Unermüdlich kämpfte ich darum, nach draußen zu kommen. Ich suchte immer nach einer Möglichkeit, mich in unseren ummauerten Garten zu schleichen. Ich wollte als Erste die neuen Einschusslöcher in den Wänden entdeckten. Als Erste die beschädigten Bäume und das verbrannte Holz berühren. Ich wollte die Kätzchen unter unseren Weinreben suchen. Diese unsichtbaren Kugeln zu finden war mein geheimster Wunsch. Ich fragte meine Mutter: »Woher kommen diese ganzen unsichtbaren Kugeln?«

»Homeira«, sagte sie und strich mein Haar glatt, »wir können nicht sehen, woher sie kommen, und wir sehen nie, wohin sie fliegen, es sei denn, sie treffen einen Baum oder eine Mauer oder, Gott bewahre, einen Menschen.«

 

Aber es gab auch schöne Momente. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal an einem Tag, an dem nicht geschossen wurde, mit Azizah aus dem Haus schlich. Die Sonne schien, und es wehte ein sanfter Wind. Ich lehnte mich an die sonnengewärmte Hauswand, spielte auf der Erde und beobachtete die Leute, die vorbeigingen. Von den russischen Panzern, die sich wenige Straßen entfernt näherten, ahnte ich nichts.

Wenn Waffenstillstand herrschte, ging ich oft zu den qualmenden Überresten der zerbombten Häuser und begutachtete die neuen Trümmer und die zerstörten Gärten. Ich wollte die eingefallenen Wände sehen, die geborstenen Fenster, die kaputten Schränke und das zerschlagene Geschirr.

Einmal entdeckte ich in einem Haus, das drei oder vier Tage zuvor zerstört worden war, einen russischen Soldaten mit heruntergelassener Hose; mit einer Hand hielt er einer Nachbarstochter den Mund zu. Hinter der Mauer verborgen, lachte ich über das nackte Gesäß des Soldaten. Er hörte mich. Er sprang sofort auf, hielt sich eine Hand zwischen die Beine und schlug mir mit der anderen ins Gesicht, bis meine Wangen brannten. Dann spuckte er vor mir aus. Das Mädchen nutzte den Moment, um aufzustehen, das Kopftuch umzulegen und fortzulaufen.

Später erzählte ich allen lachend, was für einen roten Hintern der russische Soldat gehabt hatte. Als mein Onkel Basheer die Geschichte hörte, schlug er vor Wut mit den Fäusten gegen die Wand. Auch Baba-jan lachte nicht darüber. Er wischte sich nur Tränen weg.

Damals war Herat eine ganz eigentümliche Mischung aus Himmel und Hölle. Wenn in der Stadt Frieden herrschte, kehrten die Vögel zurück und zwitscherten in den Bäumen. Manchmal hörte ich liebliche Töne, wenn Shuaib, der Sohn unserer Nachbarn, auf der Mauer saß und auf einer Rohrflöte spielte. Ich tanzte auf unserer Terrasse zu seiner Musik, aber Nanah-jan fürchtete seine Melodie, weil sie glaubte, der Klang seiner Flöte würde einen frühen Tod ankündigen. Und tatsächlich starb Shuaib, als sein Haus niederbrannte.

Nanah-jan sagte einmal: »Ich wünschte, wir wären alle Vögel, damit wir von hier fortfliegen könnten.«

Fast jeden Morgen stand eine lange Reihe olivgrüner russischer Panzer vor dem Krankenhaus in unserer Nähe, neben den hohen Kiefern entlang der Straße erfüllten ihre laufenden Motoren die Luft mit dröhnendem Lärm. Im Dunst der Abenddämmerung verschwanden sie wieder. Ich fragte meinen Großvater: »Baba-jan, sag mir, woher kommen die Panzer morgens, und wohin fahren sie abends?«

Baba-jan sah sich um und raunte: »Sie kommen aus der Hölle, und dorthin fahren sie auch zurück.«

Ich schlug Azizah vor, wir sollten den russischen Panzern folgen, um den Weg in die Hölle zu finden.

»Das ist zu weit, Homeira«, sagte sie mit Nachdruck. »Es wäre zu anstrengend.«

Sie habe nur Angst vor den russischen Panzern, sagte ich.

Wenn Nanah-jan keine Nüsse mehr in ihren Taschen hatte, konnte sie Azizah und mich nicht bestechen, im Haus zu bleiben. Sobald in der Stadt Ruhe eingekehrt war, verdrückten wir uns auf die Straße, wenn Madar und Nanah-jan nicht hinsahen. Einmal schenkte ein Soldat mir eine Konservendose. Weil wir ständig hungrig waren, brachte ich sie mit nach Hause. Nanah-jan war entsetzt. »Haram! Haram! In diesen Dosen sind Frösche«, rief sie. »So was essen die roten Soldaten.«

Als Azizah und ich das hörten, liefen wir hinaus in den Garten und übergaben uns.

In einem kleinen Bach in unserem Garten lebten ein paar Frösche; tagsüber sprangen sie herum, und abends quakten sie ihre eigenen Lieder. Wenn es nachts still war, brach mir wegen dieser armen kleinen Frösche das Herz. Ich war ganz sicher, dass die Russen sie gegessen hatten. Unter meiner Decke versteckt weinte ich um sie.

Während der Waffenstillstände vertrieben wir uns die Zeit damit, Pinienzapfen zu sammeln oder zwischen den Panzern herumzulaufen und mit den Jungen Verstecken zu spielen. Wenn die Jungen sich versteckten und ich sie nicht finden konnte, zeigten die russischen Soldaten, die auf den Panzertürmen saßen, auf die Verstecke der Jungen. Wenn ich einen Jungen fand, klatschten und jubelten die Soldaten, und vor Lachen wurden ihre Gesichter rot. Da begriff ich, warum wir die Sowjetarmee die »Rote Armee« nannten.

Als ich mich einmal verstecken wollte, winkte mich einer dieser roten Soldaten mit einem breiten Lächeln auf dem runden Gesicht zu sich. Er beugte sich von seinem Panzer herunter und streckte die Arme aus. Ich reckte mich ihm entgegen. An den Händen zog er mich in den Panzer, dabei schrammte ich mit der Schulter über das heiße Eisen. Es tat weh, aber ich vergaß den Schmerz sofort, als ich mich umsah. Staunend betrachtete ich die vielen Knöpfe und blinkenden Lichter. Es war stickig und sehr heiß in dem Panzer. Auf einem Metallsitz war ein zweiter Soldat. Als er mich entdeckte, beugte er sich zu mir und sagte etwas zum ersten...
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Autor

Homeira Qaderi wurde 1980 in Kabul geboren. Im Iran studierte sie Persisch und promovierte in persischer Literatur. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan wurde sie Professorin an der Universität Kabul. Als Frauenrechtlerin und Beraterin für das afghanische Ministerium für Arbeit und Soziales sprach sie immer wieder über die Situation der Frauen in ihrer Heimat. Während des Falls von Kabul im August 2021 gehörten sie und ihr Sohn zu den Letzten, die an Bord eines amerikanischen Flugzeugs das Land verlassen konnten. Heute lebt und arbeitet Qaderi als Aktivistin, Autorin und Professorin in den USA. Sie veröffentlichte sechs Bücher, Dich zu verlieren oder mich ist das erste in deutscher Übersetzung.Eva Kemper, geboren 1972 in Bochum, studierte in Düsseldorf Literaturübersetzen. Sie hat u. a. Emma Stonex, Jessie Cave, Jen Beagin und Heather Fawcett aus dem Englischen ins Deutsche übertragen.