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Junk Beach

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
neobookserschienen am06.05.2024
Eine Epoche geht zu Ende, und der Anfang der nächsten lässt auf sich warten. In diesem Interregnum versuchen vier junge Männer ihren Weg in die Zukunft zu finden. Die Herkunft und die Lebensentwürfe der vier Männer könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber folgen sie wirklich ihren Plänen oder werden sie von der Strömung der Zeit einfach mitgerissen?

Stephan Massimo hat als Komponist und Produzent Musik zu mehr 100 Filmen geschrieben und war mit zwei seiner Songs in den internationalen Charts vertreten. Seit einiger Zeit arbeitet er auch als Autor
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Produkt

KlappentextEine Epoche geht zu Ende, und der Anfang der nächsten lässt auf sich warten. In diesem Interregnum versuchen vier junge Männer ihren Weg in die Zukunft zu finden. Die Herkunft und die Lebensentwürfe der vier Männer könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber folgen sie wirklich ihren Plänen oder werden sie von der Strömung der Zeit einfach mitgerissen?

Stephan Massimo hat als Komponist und Produzent Musik zu mehr 100 Filmen geschrieben und war mit zwei seiner Songs in den internationalen Charts vertreten. Seit einiger Zeit arbeitet er auch als Autor
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756577798
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum06.05.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse1071 Kbytes
Artikel-Nr.14706081
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

NIE MEHR

Er müsse dringend zurück nach Stockholm, hatte Elmo seinem Vater durch das Telefon gesagt. Es warte eine Menge Arbeit auf ihn. In der Welt der Geldanbeter war Arbeit die Ausrede mit der besten Chance auf Nachsicht. Während er packte, fing er an, es selbst zu glauben. Der Taxistand befand sich gegenüber des Hauses, aus dem er Barbet gestohlen hatte. Es kam ihm vor, als sei es erst gestern geschehen.

Zwischen den rostigen Stahlplatten einer Richard Serra Ausstellung war er mit Paul und Barbet ins Gespräch gekommen. Sie gefiel Elmo auf den ersten Blick. Barbet studierte in Berlin Bildhauerei und kam nur an den Wochenenden zu Paul, der ihn zu einem gemeinsamen Essen einlud. Fast hätte er Paul vor sich gewarnt, aber dann folgte Elmo dem schlichten Mechanismus seines Begehrens, ohne sich weitere Gedanken zu machen. Als er am nächsten Abend bei Paul klingelte, konnte er Barbet bereits in seinen Armen spüren. Auf jeder Stufe bis in den fünften Stock hätte er umdrehen, das Schicksal beeinflussen und ins Gehege einer gängigen Moral zurückkehren können, aber das tat er nicht. Er blieb noch nicht einmal kurz stehen, um das Ende zu bedenken. Paul erzählte Witze, persiflierte Charlie Chaplin, entkorkte Wein und bemerkte weder die Blicke, die Barbet und Elmo sich zuwarfen, noch die versteckten Zärtlichkeiten, die ihrer schwachen Disziplin entkamen, wie neugierige Tierchen. Elmo spürte, wie alles in ein leichtes Spiel überging, das er bereits gewonnen hatte. Verlangen leuchtete in Barbets Augen auf. Nie zuvor hatte er bei einem anderen Menschen so viel Entzücken hervorgerufen, nie zuvor ein Feuer entfacht, dessen Hitze das Panzerglas zwischen ihm und der Welt einfach atomisierte. Tage später besuchte er Paul noch einmal. Wieder stieg er die Stufen hinauf und probte in jedem der vier Stockwerke im Geiste einen gut vorbereiteten Vorwand. Mit dem Gemüt eines Auftragskillers wartete er auf eine Gelegenheit. Sie eröffnete sich, als Paul auf der Toilette verschwand. Ohne Zögern durchsuchte er Pauls Handy, notierte sich Barbets Nummer und verabschiedete sich von seinem eigenen Anstand. Adieu braver Elmo. Auf nimmer Wiedersehen kleiner Junge, der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Ciao, aufrichtiger Elmo, der noch nie zuvor etwas gestohlen hat. Es macht mächtig Spaß, nicht mehr du zu sein.

Hannover-Langenhagen. Abflughalle. Am Ende seines Lebens würde er all die Stunden zurückfordern, die er in Wartezonen verschwendet hatte, aber natürlich würde da niemand sein, der sie ihm zurückgab. Er kauerte auf einer der Wartebänke und kämpfte gegen die Müdigkeit. In den sauerstoffarmen Regionen seines Gehirns sprang ein Projektor an und zeigte Mein Sommer mit Barbet.

Barbet war zweiundzwanzig. Ihr linkes Ohr stand ab wie ein geblähtes Segel. Ihre Brüste würden für immer zwölf bleiben. Geschwungene Lippen beherrschten ihr Gesicht. Ihr Hintern war um einige aufreizende Zentimeter breiter als ihr restlicher, zierlicher Körper. Ihr kurzes, verwaschenes Haar sah ungezähmt aus. In ihren hellblauen Augen entdeckte Elmo sein durch ihre Gegenwart geschöntes Ich. Sie brachte ihm bei, dem Glück zu vertrauen, das sie gemeinsam erzeugten. Sie ließen sich nackt im Stadtbach treiben, liebten sich im grünen Bauch eines Sees, liefen über die Dächer der Stadt, vögelten nachts auf der Schaukel eines Kinderspielplatzes, betrunken von Hingabe, beseelt von Unvernunft. Es war der Sommer voller Nähe, die er in dieser Intensität vielleicht nie mehr erleben würde.

Irgendwo in den Tiefen dieser Erinnerungen schrammte Elmo die Marklinie des Todes. Seine Atmung setzte aus. Sein Geist schälte sich wie Rinde vom seinem Gehirn. Ein Schmerz schoss durch seinen Körper, brachte ihn zurück in seine Kindheit, zu seinem ersten Sturz vom Fahrrad, zu den aufgeschlagenen Knien und den beglückenden Tröstungen durch seine Mutter, zurück zu jener wohligen Nähe, die er nur erfuhr, wenn er verletzt nach Hause zurückkehrte. Nur der Schmerz hatte ihn verlässlich auf die glückliche Seite des Lebens gebracht. Wärme breitete sich in allen Fasern seines Körpers aus und beendete jede noch so schwache Form der Atmung. Lautlos glitt er durch den schmalen Spalt, der das Sein vom Nichtsein trennt. Weit entfernt hörte er jemanden rufen. Als die Stimme näherkam und immer lauter wurde, schrak er auf. Er lag auf dem kalten Boden der Abflughalle und blickte in das Gesicht einer über ihn gebeugten Frau.

»Fallen sie öfter einfach so vom Stuhl?«

»Ist mein Anmach-Trick.«

Charmant gefiel Elmo sich am besten. Er rappelte sich auf, schenkte der Frau sein bestes Lächeln, steckte sie damit an. Die Leichtigkeit des Augenblicks erinnerte ihn an den Tag, an dem sich das Unheil zwischen Barbet und ihn geschlichen hatte. An den heiteren blauen Himmel, die laue Luft und den Geruch von frisch gemähtem Gras.

Er konnte Flohmärkte nicht leiden, war nur mitgegangen, weil Barbet ihn darum gebeten hatte. Wenn er verliebt war, hörte er nicht mehr auf sich, opferte seine Intuition leichtfertig einer dominanteren Strömung, dem drängenden Wunsch vollständig zu werden. Das war es, was er mit Barbet zum ersten Mal in sein Leben gefühlt hatte - Vollständigkeit. Sie hätten in ein Café gehen oder an einen See fahren können, aber das hatten sie nicht getan. In der Stadt gab es einige Flohmärkte an jenem Tag, aber sie gingen nun mal auf diesen. Die Veränderung des Schicksals war nicht spürbar, kündigte sich nicht an. Sie begann mit der alten Hasselblad Kamera, die Elmo für siebzig Euro kaufte. Der günstige Preis hatte ihn an den Beteuerungen des Verkäufers zweifeln lassen, die Kamera sei gut in Schuss, aber er kaufte sie trotzdem. Es stellte sich heraus, dass sie eine gehörige Macke hatte, aber wie so oft war es genau die Abweichung vom Üblichen, die eine Gegenstand oder einen Menschen sexy machte. Im Sucher der Hasselblad waren die Objekte gestochen scharf, aber sie nahm nur unscharfe Bilder auf. Die Entwicklung der ersten Aufnahmen zeigten seltsame, fast unkenntliche Fotos von Barbet, aber sie liebte die Bilder der Mackenkamera. Das sind die schönsten Aufnahmen, die es von mir gibt. Die Unschärfe befreite sie vom Perfektionismus und jeglicher Determination. Sie verwandelte das Abgebildete in Natur und verwischte ihre Sorge, anders zu sein, inkompatibel. Die Aufnahmen zelebrierten das Anderssein sogar. Es machte sie beide glücklich, eine Kamera gefunden zu haben, die sich von allen üblichen Fotoapparaten unterschied und ein Eigenleben führte. Elmo ließ die Fotografien aufblasen, und je größer sie wurden und je mehr sie Gemälden glichen, desto mehr Magie entströmte ihnen. Nachdem sie das Format von zwei auf drei Meter erreicht hatten, wurde ein Galerist darauf aufmerksam.

Auf seiner ersten Vernissage verkaufte Elmo Barbet fünfzehn Mal. Eine Frau mit Strichlippen, die sich als Paula Sarrone vorstellte, ließ ihn wissen, dass die Welt nach ihm rief. Während Barbet wusste, was das Erscheinen der Hexe in einem Märchen zu bedeuten hatte, wurde Elmo eine vertraute Unfähigkeit zum Verhängnis. Niemand hatte ihm beigebracht, sich dominanten Frauen zu widersetzen. Es wäre leicht gewesen Barbets Bestürzung zu deuten, ihr zu vertrauen, den Ruf der Welt zu überhören und Paula Sarrone zu ignorieren, aber das hatte er nicht getan. In dem Augenblick, als Barbet die Vernissage verließ, begann für Elmo ein neues Kapitel, ein Leben, das nur noch aus Versäumnissen bestand. Er versäumte es, bei sich zu bleiben, bei dem angehenden Hirnforscher, der sich nicht mit einem Künstler verwechselte, er versäumte es, auf die Liebe seines Lebens aufzupassen, sie zu hüten und zu beschützen, damit ihr kein Leid geschah. Er versäumte es sogar zu protestieren, als Paula Sarrone, die in der Welt der Maskierten und Verkleideten lebte, zu sagen wagte, Barbet gehöre zum Sortiment der schlechten Ideen Gottes. Sie werden Sie schnell vergessen, glauben Sie mir. Erfolg ist besser als Sex.

Elmo blickte auf die Anzeigetafel. London, Paris, Malè, Beirut, New York, Instanbul, Marrakesch, Lissabon, Los Angeles, Chicago. Es bedurfte keinerlei Mühe sich die Flughäfen dieser Städte ins Gedächtnis zu rufen. Heathrow, Charles De Gaulle, Ibrahim Nasir, Rafik Hariri, John F. Kennedy, Atatürk, Menara International, Umberto Delgado, LAX, O´Hare. All diese Orte erinnerten ihn ausnahmslos an einsame Tage, die in den nebligen Fahnen eines permanenten Jetlags versunken waren Vom Tempo kaschiert war sein Leben zu einer Wiederholung des immer gleichen Tages verkommen, sein Dasein unscharf geworden, wie die Bilder, die aus der Hasselblad kamen. In Moskau, in einem viel zu großen Zimmer des Hotels Metropol, war er im Verlaufe eines Monats, in dem er zu nichts weiter im Stande gewesen war, als vom Bett aus an die Decke zu starren, gänzlich verloren gegangen. Am Ende des Starrens hatte er die eisige Stimme von Paula Sarrone auf der Mailbox seines Handys gehört: Das unscharfe Zeitalter ist zu Ende, Elmo. Sie stehen jetzt auf Desmond Tray. Er war kein Künstler. Der Künstler war die Hasselblad und alles was er getan hatte, war, ihre Macke als sein eigenes Talent auszugeben. Nachdem die Welt sich daran satt gesehen hatte, lebte er im Echo des Fluches, Barbet gegen ein paar Monate Ruhm eingetauscht zu haben. Ein Unbehagen breitete sich in ihm aus, die Befürchtung, dass selbst die innigste Liebe an das Gesetz des Universums gebunden war und vom Sog der Unordnung, die jedem...
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