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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am01.06.2024
Wir schreiben das Jahr 2034. Der Staat hat die völlige Kontrolle über Leben und Tod, der geheimnisvolle «Winston» wacht über alle. Die 16-jährige Florence arbeitet aus voller Überzeugung für den sogenannten Senior Service, dessen Aufgabe es ist, ältere Menschen zu enttarnen und zu töten, die sich weigern, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, um Platz für die Jüngeren zu machen. Doch dann verliebt sich Florence in Eric. Und sie beginnt, das System in Frage zu stellen. Bestsellerautor Philip Kerr liefert mit seinem letzten Buch nicht nur eine Hommage an Orwells Klassiker, sondern einen höchst aktuellen Roman - und zeigt, dass die Kraft der Liebe stärker ist als jede Unterdrückung.

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextWir schreiben das Jahr 2034. Der Staat hat die völlige Kontrolle über Leben und Tod, der geheimnisvolle «Winston» wacht über alle. Die 16-jährige Florence arbeitet aus voller Überzeugung für den sogenannten Senior Service, dessen Aufgabe es ist, ältere Menschen zu enttarnen und zu töten, die sich weigern, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, um Platz für die Jüngeren zu machen. Doch dann verliebt sich Florence in Eric. Und sie beginnt, das System in Frage zu stellen. Bestsellerautor Philip Kerr liefert mit seinem letzten Buch nicht nur eine Hommage an Orwells Klassiker, sondern einen höchst aktuellen Roman - und zeigt, dass die Kraft der Liebe stärker ist als jede Unterdrückung.

Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon-Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783733607074
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.06.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse5447 Kbytes
Artikel-Nr.15023008
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel

Florence richtete ihre Waffe auf den Kopf des alten Mannes, der vor ihr kniete und seine vergilbten Hände erhoben hatte; dann drückte sie, ohne zu zögern, ab. Die Plastikpistole ruckte in ihrer Faust, als ob die Kugel tatsächlich abgefeuert worden wäre, und der alte Mann wurde rücklings auf die Straße katapultiert - in der Miniaturversion einer eCloud aus Blut, die überzeugend in der Luft hing wie ein Regenschauer. Der Mann musste mindestens 85 Jahre alt gewesen sein und wirkte für ein Hologramm extrem realistisch. Seine Hände waren mit kleinen braunen Flecken übersät, die wie Insekten aussahen, und seine silbergrauen Haare flatterten, als er mit ihr sprach. Man konnte sogar die Mottenkugeln seiner Tweed-Jacke und den Pfeifentabak in seinem Atem riechen. Und unmittelbar bevor Florence ihn erschoss, hatte er sie auf schreckliche Weise angelächelt und ihr mit keuchender Altmännerstimme gesagt, sie würde ihn an seine Enkelin erinnern, die ebenfalls sehr hübsch sei. Sie hatte ihn natürlich ignoriert. Sie hatte das alles schon mal gehört.

Halb taub durch den Schuss - Ohrenschützer waren für neue Rekruten nicht erlaubt, denn durch Geräuschunterdrückung würde die Simulation weniger überzeugend -, hatte Florence sogar wahrgenommen, wie die Messingpatrone auf den Boden fiel. Der alte Mann stieß deutlich hörbar seinen letzten Atemzug aus, zitterte und starb. So wie er schon vor Wochen hätte sterben sollen. Das Letzte, was geschah, war dann wirklich schaurig: Als der Mund der Simulation aufklappte, rutschten die falschen Zähne heraus und kullerten auf den blutigen Boden neben dem Kopf. Florence verzog angewidert das Gesicht.

«Das ist ja eklig», sagte sie und schoss noch einmal auf den alten Mann. Sie drehte sich zu dem Jungen um, der an der Simulation neben ihr spielte. Er hieß Tony Burgess und war im gleichen Alter wie sie. Sie waren zur selben Zeit in den Senioren-Service eingetreten. «Hast du das gerade gesehen? Hast du mitgekriegt, was da aus der Visage von diesem Greis fiel?»

«Die Leute, die die Sims programmieren, sind echt krank», antwortete Tony. «Gestern hatte ich einen, der hat sich die Lunge aus dem Leib geschrien, als ich ihn abgeknallt hab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sah aus, als würde er mir seine Lunge über die Stiefel kotzen. Bis mir wieder einfiel, dass das ja nur so eine bescheuerte Sim ist.»

«Bescheuert solltest du die Sim lieber nicht nennen», meinte Florence. «Das würde den Aufsehern bestimmt nicht gefallen.»

Tony schaute nervös die Galerie des Saals entlang. «Nein», sagte er. «Vermutlich nicht.»

Die Simulation, die sie jeden Tag spielten, folgte einem grausamen Konzept und war äußerst lehrreich. Sie kam der Realität so nah wie nur möglich, wenn man vermeiden wollte, dass irgendwer draufging oder ernsthaft verletzt wurde. Fehler wurden mit heftigen Stromschlägen oder Schlägen seitens der Ausbilder geahndet. Die vielleicht etwas vorsichtiger gehandelt hätten, wären die Waffen, die die Rekruten benutzten, tatsächlich echt gewesen. Offiziell hatte die Sim keinen Namen, aber inoffiziell wurde sie von allen bloß als Taschenuhr-Sim bezeichnet, da Taschenuhren als Synonym für alles - oder genauer gesagt jeden - galten, dessen Nutzen sich überlebt hatte.

«Aber es war nicht das Gebrüll, das mich so erschüttert hat», sagte Tony. «Auch wenn ich das nicht erwartet hatte. Ich schwöre, ich konnte den Kram riechen. Ich glaube, die haben echt Spaß dran, sich immer wieder was Neues auszudenken, womit sie uns schocken können.»

«Na klar», stimmte Florence zu. «Du darfst den Aufsehern nur nicht die Genugtuung gönnen, wirklich geschockt zu sein, das ist alles. Der Abzug dieser Pistolen scheint immer empfindlicher auf jedes Zögern zu reagieren.»

«Und die Elektroschocks werden immer heftiger. Beim letzten, den ich gekriegt hab, war mein Arm danach fast eine ganze Stunde lang taub. Ich fürchte, wenn ich nicht aufpasse, krieg ich ganz schnell selbst meine Taschenuhr.»

«Von mir aus könnten sie die Simulation ruhig noch ein bisschen schwieriger machen», sagte Florence. «Ich meine, aus dieser Entfernung kann man doch überhaupt nicht vorbeischießen, oder?»

Florence ahnte nicht, dass es bei der GUS nicht darum ging, die Treffsicherheit der neuen Rekruten zu verbessern - keines der Ziele war je weit entfernt, und bei der Ausgereiftheit der lasergesteuerten Waffen konnte man wirklich nicht vorbeizielen. Es ging vielmehr darum, auf diese Weise alle menschlichen Gefühle zu unterdrücken oder, besser noch, jede Menschlichkeit gänzlich zu eliminieren. Die GUS galt als eine hervorragende Methode, den neuen Rekruten jedwede Form von Mitleid, Mitgefühl, Bedauern, Sympathie oder Empathie für die wenigen asozialen Bürger abzutrainieren, die widerrechtlich entschieden hatten, sich dem Plan zur freiwilligen Euthanasie oder PFE zu entziehen. Die Ruhestands-Vollstrecker vom Senioren-Service hatten eine schwere Aufgabe, doch eine, von der jeder wusste, dass sie lebensnotwendig war für das künftige Wohl einer Welt, die schon jetzt als übervölkert und unterversorgt galt. Jeder schaffte es, einen anderen Menschen in den Ruhestand zu schicken, wenn dieser hundert Meter entfernt und im Visier nicht größer als eine Ameise war; aber um jemanden aus nur zehn Metern in den Ruhestand zu schicken, wenn man das Weiße in den Augen des Gegenübers sehen konnte, das antiquierte Parfüm seiner Haut roch und gelegentlich einen der Alten um Gnade flehen hörte, dazu brauchte es schon einen besonderen Menschen. Eindeutig die geeignetsten für den Senioren-Service, also die, die das Zeug hatten, einmal Ruhestands-Vollstreckungsoffiziere zu werden, waren deshalb junge Menschen zwischen 16 und 21 Jahren. Untersuchungen hatten gezeigt, dass sich Personen dieses Alters am gleichgültigsten gegenüber dem Leid anderer zeigten, ganz besonders, wenn diese anderen zu den 75-100-Jährigen zählten. Für die meisten jungen Leute im Jahr 2034 bedeutete Alter, ein nutzloses und schrecklich verschrumpeltes Wesen zu sein, das weggeworfen gehörte wie ein verfaulter Apfel.

Florence Newton war so ein junger Mensch. Sie war mit 15 zu einem sechsmonatigen Basistraining in den Senioren-Service eingetreten, was täglich bis zu 3 Stunden Training an der Taschenuhr-Sim einschloss. Die Alten in der Taschenuhr-Sim waren leicht zu töten, und Florence hatte nur ein vages Bewusstsein dafür, dass es mit jeder Sim, die sie tötete - sie musste schon Tausende erledigt haben -, zunehmend leichter wurde, auch einen realen Menschen zu erschießen. Das war ein Prozess, den die Aufseher Brutalisierung nannten.

Doch Florence war das ganze Simulieren leid und sehnte sich danach, aus der Burg raus und endlich auf die Straßen von London zu kommen, um all das in Realität zu erleben - was offenbar viel weniger vorhersehbar ablief, weil man nie wusste, wie ein wirklicher Greis reagieren würde. Die meisten dieser Flüchtigen, die so viele Jahre auf dem Buckel hatten, waren listig und schlau und kannten hundert Wege, um einen auszutricksen. Und nicht nur das: Sie hatten oft auch selbst eine Pistole dabei, und bisher war es noch niemandem gelungen, eine Sim zu erfinden, die so auf einen schoss, dass man sich tatsächlich tot fühlte. Ein elektrischer Schock, der durch den Griff des Sim-Revolvers kam, war eine Sache. Aber eine Kugel aus einer echten 9-mm-Waffe war etwas völlig anderes.

«Und das ist noch nicht alles», sagte Florence. «Sie sollten eine Sim entwickeln, die ein bisschen mehr Widerstand leistet. Wenn du mich fragst, sind die hier alle viel zu ergeben, viel zu passiv, wie sie sich in ihren Tod fügen. Als würde man auf Vögel im Käfig schießen. Behauptet Aaron zumindest. Es bereitet dich nicht auf das Unerwartete vor.»

Aber Florence hatte sich zu früh beklagt; die Sim-Aufseher hatten ihre Beschwerde über die Mikros im Simulationssaal gehört und entschieden, ihre neueste Software-Erfindung einzusetzen: eine alte Frau im Rollstuhl, die sie Medusa nannten.

Die alte Frau erschien ganz am Ende des Sim-Saals und rollte auf die beiden zu. In diesem Stadium der Simulation mussten Florence und Tony entscheiden, ob die Alte wirklich eine Greisin auf der Flucht war. Nur weil sie betagt war, bedeutete das noch nicht, dass sie aus einem Ruzi floh oder sich vor dem PFE drückte. Es gab viele alte Menschen auf den Londoner Straßen, die relativ legal existierten. Sie irrtümlich zu töten, würde einen schweren Elektroschock über den Griff der Pistole auslösen. Um herauszufinden, was mit der alten Frau los war, würden sie sie befragen müssen.

«Entschuldigung», sagte die Sim. «Ich glaube, ich habe mich verlaufen. Ich suche ein Gasthaus, es heißt Zum Adler.»

«Natürlich», antwortete Florence. «Aber zuerst brauche ich Ihren Ausweis. Sie wissen ja bestimmt, dass es illegal ist, in einen Pub zu gehen, wenn man älter als 75 ist.»

Die alte Frau lachte. «Ich bin ja noch nicht 75. Ich bin erst 73. Und ich brauche nur eine Wegbeschreibung, keine Belehrung. Das ist das Problem mit euch jungen Leuten heute. Ihr sagt uns Alten ständig, was wir zu tun haben.»

«Ich bin nicht für die Gesetze verantwortlich», antwortete Florence. «Drücken Sie einfach auf das Wristpad an Ihrem Handgelenk und schicken Sie mir eine Bestätigung Ihres Namens und Ihres Alters.»

«Ich habe es nicht dabei», sagte die Sim. «Meine Knochen schrumpfen, deshalb rutscht es mir ständig vom Handgelenk. Es ist in meiner Handtasche.»

Die alte Frau...
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Autor

Philip Kerr, geboren 1956 in Edinburgh, war ein international bekannter und vielfach ausgezeichneter Autor. Seine mehrbändige Krimireihe um den deutschen Privatdetektiv Bernie Gunther erhielt zahlreiche Preise, darunter den Ellis-Peters-Award. Mit seiner Fantasyserie «Die Kinder des Dschinn», «Winterpferde» und «Friedrich der Große Detektiv» machte er sich auch als Kinder- und Jugendbuchautor einen Namen. Philip Kerr verstarb 2018 in London. «1984.4» entstand als Manuskript bereits 2015 und erscheint nun posthum als sein letztes Buch.