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Artemisia

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Unionsverlagerschienen am09.09.2024
Das unverkennbare Haupt mit vier Augen durchstreift die Straßen Roms am Vorabend des 17. Jahrhunderts: Der Maler Orazio Gentileschi nimmt auf seinen Schultern seine Tochter Artemisia überallhin mit. Sie klettert mit ihm über Baustellengerüste, wohnt an seiner Seite Hinrichtungen bei und zerstößt Farbpigmente in seinem Atelier. Artemisia ist sehr begabt und nicht nur Orazios liebstes Modell, sondern auch seine beste Schülerin. Doch als Artemisia siebzehn ist, vergewaltigt sie ein Freund ihres Vaters. Ein Einschnitt, der sie und ihre Kunst ein Leben lang begleitet. Artemisia erhebt Anklage und vertritt ihren Fall, der ganz Rom fesselt, vor Gericht. Alexandra Lapierre entwirft ein Zeitbild und zeichnet den Weg der großen Barockkünstlerin von Rom nach Florenz, Venedig, London und Neapel.

Alexandra Lapierre (*1955 in Paris) studierte Literatur an der Sorbonne, besuchte die Filmschule von Los Angeles und die University of Southern California. Ihr weltweit übersetztes Werk umfasst Biografien, Kurzgeschichten und Romane und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Grand Prix des Lectrices de ELLE und dem Madame Figaro's Grand Prix de l'Héroïne. Ihr Roman Artemisia wurde von der Sorbonne zum besten Buch über das siebzehnte Jahrhundert gekürt. Alexandra Lapierre lebt in Frankreich.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDas unverkennbare Haupt mit vier Augen durchstreift die Straßen Roms am Vorabend des 17. Jahrhunderts: Der Maler Orazio Gentileschi nimmt auf seinen Schultern seine Tochter Artemisia überallhin mit. Sie klettert mit ihm über Baustellengerüste, wohnt an seiner Seite Hinrichtungen bei und zerstößt Farbpigmente in seinem Atelier. Artemisia ist sehr begabt und nicht nur Orazios liebstes Modell, sondern auch seine beste Schülerin. Doch als Artemisia siebzehn ist, vergewaltigt sie ein Freund ihres Vaters. Ein Einschnitt, der sie und ihre Kunst ein Leben lang begleitet. Artemisia erhebt Anklage und vertritt ihren Fall, der ganz Rom fesselt, vor Gericht. Alexandra Lapierre entwirft ein Zeitbild und zeichnet den Weg der großen Barockkünstlerin von Rom nach Florenz, Venedig, London und Neapel.

Alexandra Lapierre (*1955 in Paris) studierte Literatur an der Sorbonne, besuchte die Filmschule von Los Angeles und die University of Southern California. Ihr weltweit übersetztes Werk umfasst Biografien, Kurzgeschichten und Romane und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Grand Prix des Lectrices de ELLE und dem Madame Figaro's Grand Prix de l'Héroïne. Ihr Roman Artemisia wurde von der Sorbonne zum besten Buch über das siebzehnte Jahrhundert gekürt. Alexandra Lapierre lebt in Frankreich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293311893
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum09.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse3710 Kbytes
Artikel-Nr.15120609
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Prolog



Bleierne Stunde

London am 11.âFebruar 1639


Der Bug eines flachen Bootes teilt den Nebel über der Themse. Schwerfällig legt es im Klang der Totenklage an, die die düster gekleideten Kapuziner am Anleger anstimmen. Dort, im verlöschenden Licht Hunderter von Kerzen ragt im Nieselregen ein riesiger, schwarzer Katafalk empor. Eine bedrohliche Menge hat sich am Geländer der Anlegestelle zusammengerottet. Sie drängt sich an den Teppich, den der Trauerzug bis zur Somerset Hall, der Residenz der Stuarts, entlanggehen wird. Auf der Schulter von sechs Trägern nimmt der Sarg seinen Weg über den Steg.

Dann taucht eine einsame, aufrechte Frauengestalt aus dem Nebel auf. Sie schreitet hinter dem Trauerzug. Ihr weiter Umhang entzieht sie allen Blicken. Wen beweint sie unter ihrem Schleier? Ihren Mann? Ihren Geliebten? Diese Frau weint um ihr Leben, um den Mann, der darin Mittelpunkt war: um ihren Vater.

»Es ist vor vier Tagen verstorben der berühmte Maler Gentileschi, sehr betrauert von Seiner Majestät, sehr betrauert von allen Kunstliebhabern, die sein Talent zu schätzen wussten.« So drückt es der Abgesandte des toskanischen Großherzogs in seinem Bericht über Karl I. und den englischen Hof aus.

Der Künstler, den man hier am frühen Morgen im Londoner Nebel zu Grabe trägt, ist in der Tat in ganz Europa bekannt. Philipp IV. von Spanien, Ludwig XIII. von Frankreich, Papst Urban VIII., sie alle versinken in der Betrachtung seiner Bilder. Er hat in Rom im Petersdom und im Quirinalspalast gearbeitet, in Paris im Palais du Luxembourg und in London im Hampton Court. In Pisa und Florenz, in Genua und Turin, in Paris und London hat er ein Werk hinterlassen, das ihn in den Rang der größten Maler erhebt. Seine Konkurrenten, die Einzigen, mit denen man ihn noch zu vergleichen wagt, heißen Rubens und van Dyck. Sie werden ihn nur um wenige Jahre überleben.

Als Katholik und »Papist« konnte dieser italienische Maler nicht auf ein würdiges Begräbnis auf Ketzerboden hoffen. Der Bürgerkrieg, der Glaubenskrieg, der schon bald den Fall der Stuarts und die Enthauptung von Karl I. nach sich ziehen wird, dräut bereits in allen Ecken Londons: Man wirft dem König vor, zu viel Sympathie für den katholischen Umkreis seiner Frau zu zeigen, die geschworen hat, ihn zu bekehren.

An diesem düsteren Februarmorgen können die Männer, die die sterblichen Überreste Orazio Gentileschis tragen, sich nur mühsam einen Weg durch die Menge der feindlich gesonnenen Puritaner bahnen. Dieser Zug ist nach dem Vorbild römischer Prozessionen gestaltet - mit Silberleuchtern, Kruzifixen, Monstranzen und Reliquiaren -, und diese Pracht zu Ehren eines »Götzendieners«, eines Bildermachers, der zu zeigen wagte, was niemand abbilden darf, all dieser Pomp erregt den Zorn der protestantischen Bilderstürmer.

Der schwarze Zug der Mönche schlängelt sich zwischen den Brunnen des Parks, zwischen den Statuen, den nackten Frauengestalten, Göttinnen oder Nymphen, hindurch, die der Verstorbene aus Italien hat herschaffen lassen.

Mit langsamen Schritten geht am Ende des Zuges seine Tochter durch den Triumphbogen, der westlich vom Palast errichtet wurde. Dieses provisorische Gebilde aus Gips und Pappmaschee markiert den feierlichen Übergang des Sarges auf den Vorplatz der Somerset Hall.

Die Menge folgt dem Trauerzug auf dem Fuße, überquert den Rasen und drängt sich vor dem Bogen zu Ehren des Toten: Sie will die Zeremonie sehen, die sie doch verdammt. Es geht das Gerücht, dass Gentileschi die besondere Auszeichnung zuteilwird, unter dem Altar in der Kapelle der Königin beerdigt zu werden. Um diese Kapelle von ihrem Mann, dem König von England, zu bekommen, hat Henriette Maria von Frankreich zehn Jahre gebraucht: Sie ist ihr Triumph als Frau, als Königin und Katholikin. Wenn nun hier der katholische Hofmaler bestattet wird, während die Unruhen grollen, die bald in einen Königsmord münden, dann setzt man damit ein Ausrufezeichen hinter das, was Europa in der ersten Hälfte des 17.âJahrhunderts ausmachte: ein Europa, in dem die Monarchen die Staatskassen leerten, um ihre ästhetische Leidenschaft zu befriedigen.

Mit einer Gier, die weder Maß noch Ziel kannte, entwickelten sich Könige, Minister und Päpste zu besessenen, skrupellosen Sammlern. Zu allen Zeiten diente die Kunst als sichtbares Zeichen des Reichtums. Doch in den Händen der Mäzene des 17.âJahrhunderts werden Maler und Bildhauer zu Wechselgeld, zu Propagandawerkzeugen, zu Erpressungsmitteln. Italien hat Bernini, Spanien Velázquez, Flandern Rubens. Jeder spielt mit der Begehrlichkeit seines Nachbarn, bietet Titel und Provinzen, Krieg oder Frieden gegen die Leistungen eines Genies, das der eine oder andere Machthaber hat an sich binden können. Kurz gesagt: Im Jahre 1639 ist die Kunst zum Eckstein der Macht geworden und der Künstler ihr Werkzeug. Wer sonst könnte sich einem Monarchen hinter verschlossenen Türen nähern, unter dem Vorwand, sein Porträt zu malen? Welcher Botschafter, welcher Diplomat, welcher Spion würde jemals in den Genuss solch alltäglicher Vertrautheit kommen, wie sie zwischen dem Künstler und seinem Modell herrscht? Wer hätte bei solch intimen Stunden besser Zeit und Gelegenheit, mit dem König zu plaudern, seine Gedanken und vielleicht sogar seine Entscheidungen zu beeinflussen? Und die Möglichkeit, bei allen Intrigen eines ausländischen Hofes die Hand im Spiel zu haben? Sowohl Rubens als auch Velázquez waren Geheimbotschafter. Genau wie Orazio Gentileschi. Im Dienste ihrer Nation oder ihres mächtigsten Auftraggebers hielten sie in dem einen oder anderen Moment das Schicksal Europas in ihren Händen. Doch hatten sie immer nur einen einzigen Gebieter: die Kunst. Dies war die große, die einzige Sache in ihrem Leben. Das, was Rubens in seinen Briefen »das große Abenteuer« nennt.

Und wenn der Maler Orazio Gentileschi im Alter von siebenundsiebzig Jahren in Verzweiflung stirbt, dann liegt das daran, dass er in diesem Februar 1639 die Erde verlässt, ohne seine Mission zu Ende gebracht zu haben. Die »Musen«, die er für die Decke des großen Vestibüls in der Residenz der Königin in Greenwich konzipiert hat, werden nur in seiner Vorstellung gelebt haben. Sein großes Werk, Zeichen und Beweis seines Genies, wird unvollendet bleiben. Die nicht zu Ende gebrachte letzte Schöpfung, die er sich als Krönung, als Triumph seines Lebens erdacht hatte, reduziert die Bestrebungen seines Lebens zu einem Nichts und verdammt ihn dazu, vergessen zu werden. Außer, ein Wesen von seinem Fleisch und Blut, ein Wesen, das er geformt, beneidet und gebrochen hat, nimmt die Herausforderung an: seine Tochter Artemisia.

Zur Stunde seines Todes ist Artemisia Gentileschi noch berühmter als er. Sie arbeitet für Philipp IV. von Spanien und für alle gekrönten Häupter Europas. Sie ist berühmt, ja. Und schön. Und aufsehenerregend. Denn sie hatte, als sie mit siebzehn Jahren durch den engsten Mitarbeiter ihres Vaters vergewaltigt wurde, den Mut, die Angelegenheit vor Gericht zu bringen. Daraus entwickelte sich ein sensationeller Prozess, der mehrere Hundert Seiten mit Zeugenaussagen füllte. Der erste große Vergewaltigungsprozess des Jahrhunderts. Das war 1612.

Fünfundzwanzig Jahre später gilt sie als eines der Weltwunder, und Dichter rühmen die Virtuosität ihrer Hand.

Sie gilt in den Augen ihrer Zeitgenossen als eine der größten Malerinnen in der Geschichte, vielleicht als die genialste. »Ihr findet in mir eine Cäsarenseele im Herzen einer Frau«, schreibt sie an einen ihrer Mäzene.

Hastig haben die Wachen des Königs die Pforten der Somerset Chapel hinter ihr geschlossen. Der Sarg ruht nun unter einem Samtbaldachin mit silbernen Quasten.

Seit den Begräbniszeremonien Raffaels in Rom und Michelangelos in Florenz sind keinem Künstler mehr solche Ehrungen zuteilgeworden, wie England sie an diesem Morgen dem Italiener Gentileschi erweist. Doch das Kirchenschiff ist düster und die Atmosphäre beklemmend. Kein Zentimeter Stein, Metall oder Holz ist zu sehen. Die geometrischen Steinplatten, die Deckenkassetten, das Ebenmaß, die Perfektion der Proportionen: All dies ist unter einem riesigen Baldachin aus schwarzem Trauerflor verschwunden. Stattdessen eine Explosion wallender Falten und Halskrausen, schwellender Schleifen und Rosetten. Hinter den Fältelungen, im Schatten der Drapierungen, schaukeln und schwingen die Totenköpfe. Unsichtbare Musiker lassen ein Dies irae erklingen. Ihr Atem lässt die Drapierungen erzittern: Es sind die Toten, die singen.

Zu Füßen des Katafalks, zum Hintergrund der Kirche gewandt, sitzen zwei Gestalten aus Stuck, die eine Sense und eine Sanduhr halten und die Tribüne zu grüßen scheinen. Ein großes, geflügeltes Skelett hält die Bahnen eines Vorhangs zurück, der durch einen Spalt Orazios Tochter im Dunkeln erahnen lässt.

An diesem Februartag 1639 ist Artemisia in diesem fremden Land auf sich gestellt. Sie hört die entfernten Schreie eines Volkes, dessen Sprache sie nicht versteht, und betrachtet die sterblichen Überreste eines Menschen, der der Mann ihres Lebens war: ihr Vater.

Aus dem tiefsten Italien ist sie auf den Ruf des alten Künstlers herbeigeeilt: Sie wird sein Werk für ihn vollenden. Für ihn wird sie es mit Vater...



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Autor

Alexandra Lapierre (*1955 in Paris) studierte Literatur an der Sorbonne, besuchte die Filmschule von Los Angeles und die University of Southern California. Ihr weltweit übersetztes Werk umfasst Biografien, Kurzgeschichten und Romane und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Grand Prix des Lectrices de ELLE und dem Madame Figaro's Grand Prix de l'Héroïne. Ihr Roman Artemisia wurde von der Sorbonne zum besten Buch über das siebzehnte Jahrhundert gekürt. Alexandra Lapierre lebt in Frankreich.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt