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Luzifers Patenkind

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
224 Seiten
Deutsch
Kulturmaschinen Verlagerschienen am16.05.20241. Auflage
'... du, schrie Hartley erwachend, ohne zu wissen, wen er damit meinte, Karl, Arnold, Gerhard, nein, keinen von ihnen, doch einen für alle von denen, die in den Gräben verrecken würden, sprang von Panik erfüllt aus dem Bett, öffnete das Fenster, den Toten zu vertreiben, Luft zu schnappen, um auf Straße und Häuser, auf eine vertraute Welt hinauszublicken.' 'Nun, es ist halt Kunst. Glöcklers Text kann in meinen Augen den Status von Kunst beanspruchen. Was aber nur angemessen ist, da er schließlich über einen Künstler schreibt.' Peter H.E. Gogolin (aus: Luzifers Patenkind. Ein kritischer Einakter über ein Buch)mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR5,99

Produkt

Klappentext'... du, schrie Hartley erwachend, ohne zu wissen, wen er damit meinte, Karl, Arnold, Gerhard, nein, keinen von ihnen, doch einen für alle von denen, die in den Gräben verrecken würden, sprang von Panik erfüllt aus dem Bett, öffnete das Fenster, den Toten zu vertreiben, Luft zu schnappen, um auf Straße und Häuser, auf eine vertraute Welt hinauszublicken.' 'Nun, es ist halt Kunst. Glöcklers Text kann in meinen Augen den Status von Kunst beanspruchen. Was aber nur angemessen ist, da er schließlich über einen Künstler schreibt.' Peter H.E. Gogolin (aus: Luzifers Patenkind. Ein kritischer Einakter über ein Buch)
Details
Weitere ISBN/GTIN9783967632972
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum16.05.2024
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5306 Kbytes
Artikel-Nr.15167676
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Paris, 1912

Phili, mein Phili, soll er gesagt, ein Taschentuch verklärten Blicks an den Mund geführt und geküsst haben, wer eigentlich, dachte der Maler Edmund Marsden Hartley, drehte sich nach dem Amerikaner und seinen Kumpanen am Nachbar­tisch um, der, sich lachend auf die Schenkel klopfend, meine Seele, mein Geliebter, mein Dachs, mit heftigem Akzent, hervorstieß, um, wie ungehörig, typisch für seine, so Hartley, unzivilisierten Landsleute, um das Gespräch über Kunst, das er und seine Freunde führten, erneut zu stören.

Was war schon so witzig an diesen Ausrufen, die einen Ver­liebten mit seinen eigenen Worten lächerlich machen wollten, Landsleute, denen es einerlei war, ob sie einen seriösen Ge­danken­aus­tausch unterbrachen, wahrscheinlich, dachte Hartley grimmig, hatten sie nicht einmal bemerkt, wer neben ihnen im Restaurant Thomas, Boulevard Raspail, Paris, saß, adrett gekleidete, ernsthafte Künstler, Adepten von Gertrude Stein, von der diese Männer sicherlich noch nichts gehört hatten, 27 Rue de Fleurus, deren Salon er, Hartley, Charles Demuth, Arnold Rönnebeck später aufsuchen würden, und dieser zauberhafte junge deutsche Leutnant, Karl von Freyburg, Arnolds Cousin, zu Besuch aus Potsdamer Garnison, den er für einen Offizier gehalten hatte, Menschen mit einer Vision, die sich vom Gekreisch der Nachbarn nicht nur gestört, sondern verhöhnt fühlen mussten.

Hartley sprang auf, zündete eine Zigarette an, um sich zu beruhigen, um, ach, er wusste nicht, was er tat, wozu auch, nur eine instinktive Geste, um die Verärgerung in Lungen­zügen zu verbrennen, steckte die Linke in seine Jacken­tasche und blickte zum Fenster auf den Boulevard hinaus, auf flanierende Damen und Herren, auf, wie so oft und seltsamer Weise, wenn sie sich hier trafen, gekrümmte, dunkle Trauernde, die Karren mit schwarz verhängten ­Särgen selbst zum Friedhof Montparnasse zu ziehen schienen, er konnte sie ächzen, ihre Toten oder was sich in diesen Kisten verbergen mochte, wortlos beklagen hören, den Verlust von Liebe, vom, wer weiß, unwiederbringlich erloschenen Traum eines leuchtenden, sich in die Unendlichkeit öffnenden Morgens, so es keine im Schritttempo dahin fahrenden Reichen ­waren, deren Trauer­bus­fahrer versuchten, so professionell wie möglich weder Särge zu verlieren noch die Ruhe der Toten zu stören, um später, mit schrillen Hupen Passanten aus dem Weg zu scheuchen, jedes Mal wurde er also Leichenzugzeuge, als würde ein morbides, todessüchtiges Paris versuchen, ihn anzurühren, während seine Freunde die lästernden Männer am Nebentisch musterten ... !

Demuth, der Maler, mit straffem Mittelscheitel, fixierenden Augen, stechendem Blick unter geschwungenen, wie Adlerflügel aus der Nasenwurzel wachsenden Brauen, Raubvogel, der darauf lauerte, seine Beute zu skizzieren, schon tasteten die langen Finger wie Tentakel nach dem in seiner Jackentasche verborgenen Block, legten ihn aufgeblättert vor sich auf den Tisch, drehte den Bleistift ­knirschend im Spitzer, bereit den Stift anzusetzen.

Arnold, dessen ovale, braune Augen vom einen zum ­anderen wanderten, offen fragender Blick, die vollen, wohl­ge­formten Lippen, das Grübchen im Kinn ­zuckten, als würde er nach Worten suchen, diese Herren zu beschreiben, griff sich reflexhaft ins lockige, übers Ohr hängende Haar, verzog den Mund, versuchte wohl, sich hämische Kommentare zu verkneifen, waren es doch eher die mit seinen Händen geformten Köpfe, Büsten, Skulpturen, die abbildeten, wie andere seiner Meinung nach einzu­schätzen waren, griff sich also ins Haar, wissend, worüber die Tischnachbarn lästerten, sah, hochgezogene Brauen, verdrehte Augen, eine stumme Reaktion erwartend, seinen Cousin Karl von Freyburg an.

Der junge deutsche Militär, glatt rasierter Bart, blonde, kurz geschorene Haare, blaue, niedergeschlagene Augen, sah unsicher, fast peinlich berührt vor sich hin, als wüsste er nicht, was er denken sollte, weder von Hartleys Flucht vom Tisch, noch dessen irritiert inhalierter Zigarette, seinem seltsam abwesenden Blick hinaus auf den Boule­vard oder die anzügliche, ihr Gespräch unterbrechende Prahlerei nebenan, nein, Karl von F. war nicht der stramme, preußische Soldat, der zu sein von ihm erwartet wurde, sondern schwankte, schnappte, ohne es sich anmerken zu lassen, oft nach Luft, wie gerade eben, wissend, dass er in seiner Uniform adrett, zackig, unwiderstehlich wirken würde, militärisch comme il faut, mehr nicht ... !

Hartley setzte sich wieder zu den Künstlerfreunden, zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher, melancholisch den Särgen nachsinnend und dem, was darin zu Grabe getragen worden sein mochte, unwiederbringlich Verlorenes, von sacht glimmender, im Pariser Nachmittag erlöschender Aura, das sich niemandem mehr offenbaren würde, ihm schon gar nicht, aber, lenkte er ein, es waren wohl nur in toten Körpern erloschene, das lebendige, namenlose Eine imaginierende Seelen, die in Montparnasse der Erde zurückgegeben werden sollten ... !

Denker, dachte Arnold, als Hartley ihn gedankenver­sunken anblickte, so, wie er ihn modelliert hatte, hohe Stirn, große, schauende Augen, durchdringender, fast sezierender Blick, schnabelartige Greifvogelnase über kleinem, streng geschlossenem Mund, nein, kein schöner Mann, im Gegen­teil, sondern ein skeptisch wirkender Späher, fähig, gedankliche Höhen zu erklimmen, außer sich zu geraten, in Abgründe zu stürzen ...

... wenn Cézanne, sagte Hartley, um das unterbrochene Gespräch fortzusetzen, schienen sich die Nachbarn doch leiser, weniger weinselig lüstern unterhalten und es den Freunden gestatteten zu wollen, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren, wenn er also einen Becher durch Form und Farbe zum Leben erwecken, über ihn selbst Hin­aus­weisendes ­daraus evozieren würde, aus einem kleinen, leblosen Ding, dann läge es nahe ...

Kandinsky, unterbrach Arnold, er müsste Kandinskys Schriften lesen, seine Werke kennenlernen, Marc und den Blauen Reiter, mehr noch, müsste sie in Bayern besuchen, hielt inne, warf einen irritierten Blick zum Nachbartisch hinüber, an dem klirrend angestoßen und schon wieder laut, zu laut gelacht wurde ...

Die Ehe eine Ferkelei, soll er gesagt haben, stieß einer hervor, Frauen, so ein anderer, nur Klosetts, »wir träumen zusammen im schwebenden Boot«, sangen sie einander zu, »und schweigen in lastender Herzensnot«, aber nicht nur Fürst, Adjutant, Bauern und dienstbare Fischer, sagte einer, der bisher geschwiegen hatte, wären klammheimlich auf den See hinausgerudert, um ..., legte den Finger augenzwinkernd vor den Mund, blickte hin und her, um, sondern eine höhere, äußerst hohe Persönlichkeit, um, was gemunkelt wurde, zu vertuschen ...

Dann läge es doch nahe, fuhr Hartley unbeirrt, mit ­rotem Kopf lauter gegen den Lärm am Nachbartisch anredend fort, Wahrnehmungen in abstrakte Zeichen zu verwandeln, hätte Gertrude Stein nicht geschrieben, er, Hartley, sei radi­kaler als andere, sie also in Formen und Farben auf der Leinwand lebendig, mehr noch, das schöpferisch Eine darin erfahrbar zu machen ... hielt inne, sah die vom Grölen abgelenkten Freunde einen nach dem anderen an, um gereizt zu fragen, worüber diese Leute sich lustig machten?

Über den Eulenburg-Skandal, sagte Arnold, zuckte die Schultern und fragte, ob in den Vereinigten Staaten nicht darüber berichtet worden wäre?

Doch, warf Charles Demuth ein, begann, Linien auf dem Skizzenblatt zu entwerfen, aus Schatten hervortretende Umrisse, Figuren, kurze Notizen in der New York Times.

Er sollte, fuhr Arnold fort, sich einen verschworenen Kreis adliger Herren vorstellen, romantische Künstler­naturen, Sänger, Pianisten, Komponisten, so hätten die besoffenen Nachbarn gerade versucht, Verse aus Eulenburgs »Rosen­liedern« zu singen, Kristallkugelleser, genialische Dilettanten, die sich auf Schloss Liebenberg, dem Sitz des Fürsten ­Philip zu Eulenburg und Hertefeld Graf zu Sandels ge­troffen, inspirierte, sich auserwählt wähnende Naturen, die, wie zu beweisen gewesen wäre, nicht nur Gedichte, ­Lieder und politische Ränke komponiert, sondern auch, unter sich, es herzhaft miteinander getrieben ...

Nicht nur im Schloss, warf Charles ein, der, ohne aufzusehen, auf Kunden wartende Stricher skizzierte, sondern auch dort, wo sich Soldaten, Offiziere, Würdenträger getroffen hätten, in Potsdam, Villa Adler, Herrn Ritt­meister Graf von Lynars Haus, eine in militärischen Kreisen geschätzte Adresse, was, wie niemand hätte zugeben wollen, die Spatzen von den Dächern pfiffen ... blätterte um, skizzierte halb entkleidete, auf Sofas, Sesseln, flauschigen Teppichen lümmelnde Herren, Schnauzbart, Glatze, Mono­kel tragende Karikaturen, aus Uniformen geknöpfte, halbnackte Soldaten auf den Schößen, anders als käuflicher Sex hinter Büschen im Tiergarten, wo selbst die Polizei ein Auge zudrücke, oder rund um die Garnisonen ...

War neu für dich, fragte Charles, ohne von seinem Blatt aufzusehen, wofür das preußische Militär berühmt ist, ­Fahnen, Paraden, Aufmärsche, Rösser, Kerle, perverse Exzesse, oder hast du´s gar nicht wissen wollen ...

Der Kaiser, damals noch Kronprinz, sagte Rönnebeck, liebte diese Männer, fühlte sich getragen, verstanden, ernstgenommen, was Bismarck veranlasste, sie als Kamarilla, Kinaden, als Liebenberger, den Thronfolger manipulierende Tafelrunde zu bezeichnen, schließlich wäre es Eulen­burg gewesen, der den späteren Kaiser dazu überredet hätte, ihn, Bismarck, aus dem Amt zu jagen ...

Habt ihr gewusst, so Charles ohne aufzublicken, dass es Pläne von den Zimmern des Kaisers im Jagdhaus ­Rominten gibt, die beweisen, dass nur ein anderer...
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