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Sklavenjahre

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
338 Seiten
Deutsch
Treditionerschienen am29.02.2024
Sklavenjahre - Aus dem Leben eines Kriegskindes - ist der zweite Band einer biografischen Romantrilogie. Die im früheren Jugoslawien geborene deutschstämmige Lisa wird mit elf Jahren von Elisabeta Kranau, ihrer biologischen Mutter, nach Deutschland geholt. Das Land ist ihr genauso fremd wie ihre Mutter. Auffanglager, Durchgangslager, Umschulung in einem Kinderheim, die Rückkehr zu Elisabeta Kranau und die Integration in das deutsche Schulsystem lassen dem Mädchen wenig Raum zum Ankommen. Als Jugendliche muss sie lernen, mit sexuellen Übergriffen ihres Ausbilders, Respektlosigkeit und Machtmissbrauch umzugehen. Instinktiv passt sie sich auch hier an genau wie in Jugoslawien akzeptiert, was sich nicht ändern lässt, findet Freunde unter Gleichaltrigen und begegnet ihrer ersten Liebe, die jedoch von Anfang an im Schatten der Elisabeta-Kranau-Diktatur steht.

Cora Andrash, Ende des zweiten Weltkriegs in Südost-Europa geboren, verbringt ihre früheste Kindheit in einem Vernichtungslager für Deutschstämmige im ehemaligen Jugoslawien. Danach häufiger Wechsel von Bezugspersonen und Wohnorten. Derzeit lebt sie in Deutschland. Bereits mit zwölf Jahren beginnt sie zu schreiben. Veröffentlicht werden Teile ihrer Texte erst Jahrzehnte später. Ihre Neugier auf fremde Länder und ihr Interesse an Menschen mit verhängnisvollen Schicksalen führen sie in unterschiedliche Gebiete rund um den Globus. Dabei sammelt sie mit besonderer Vorliebe außergewöhnliche Lebensgeschichten.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,00

Produkt

KlappentextSklavenjahre - Aus dem Leben eines Kriegskindes - ist der zweite Band einer biografischen Romantrilogie. Die im früheren Jugoslawien geborene deutschstämmige Lisa wird mit elf Jahren von Elisabeta Kranau, ihrer biologischen Mutter, nach Deutschland geholt. Das Land ist ihr genauso fremd wie ihre Mutter. Auffanglager, Durchgangslager, Umschulung in einem Kinderheim, die Rückkehr zu Elisabeta Kranau und die Integration in das deutsche Schulsystem lassen dem Mädchen wenig Raum zum Ankommen. Als Jugendliche muss sie lernen, mit sexuellen Übergriffen ihres Ausbilders, Respektlosigkeit und Machtmissbrauch umzugehen. Instinktiv passt sie sich auch hier an genau wie in Jugoslawien akzeptiert, was sich nicht ändern lässt, findet Freunde unter Gleichaltrigen und begegnet ihrer ersten Liebe, die jedoch von Anfang an im Schatten der Elisabeta-Kranau-Diktatur steht.

Cora Andrash, Ende des zweiten Weltkriegs in Südost-Europa geboren, verbringt ihre früheste Kindheit in einem Vernichtungslager für Deutschstämmige im ehemaligen Jugoslawien. Danach häufiger Wechsel von Bezugspersonen und Wohnorten. Derzeit lebt sie in Deutschland. Bereits mit zwölf Jahren beginnt sie zu schreiben. Veröffentlicht werden Teile ihrer Texte erst Jahrzehnte später. Ihre Neugier auf fremde Länder und ihr Interesse an Menschen mit verhängnisvollen Schicksalen führen sie in unterschiedliche Gebiete rund um den Globus. Dabei sammelt sie mit besonderer Vorliebe außergewöhnliche Lebensgeschichten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783384166647
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum29.02.2024
Seiten338 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2333 Kbytes
Artikel-Nr.15468124
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Durchgangslagerleben

Der Anfang von Deutschland sah genauso aus wie das Ende von Österreich: Berge, Häuser, Bahnhöfe. Der erste Bahnhof in Deutschland bedeutete für den Zug aus Jugoslawien Endstation - für die Reisenden war hier der Anfang von Irgendwo. Lisa wäre gerne weitergefahren. Immer weiter. Immer weiter. Einmal um die Erdkugel und dann in Otice aussteigen, Lisas Wunschtraum. Aber die Gegenwart war nun mal Deutschland, der Beginn eines Lebens, das viel besser werden sollte als das, was Lisa bisher kannte. Lisa wollte aber kein besseres Leben. Sie wollte zurück zu Eva nach Otice.

Piding stand mit schwarzen lateinischen Buchstaben auf einer weißen Tafel. Kranau Elisabeta drängte zur Abteiltür hinaus. Lisa konnte ihren scharfen Befehlen nicht folgen, weil sie mit dem Puppenbett über fremde Kisten klettern musste. Wenn alle es eilig haben, geht es nie schneller. Jeder wusste das. Niemand hielt sich daran. Menschen und Gepäck verstopften zuerst die Türen im Zug und anschließend die Bahnsteige. Flucht und Ankommen behinderten sich gegenseitig. Ausscheren war unmöglich. Jemand hatte Immer der Straße entlang! gerufen. Diejenigen, die den Ruf gehört hatten, folgten ihm. Die Masse zog hinterher, denn es gab nur diese eine Straße.

Für Lisa bedeutete das Wort Lager Kenn-ich-weiß-ich-war-ich-schon-mal. Das Lager in Piding war aber kein Vernichtungslager für Deutschstämmige - so wie es in Jugoslawien nach dem zweiten Weltkrieg viele gab - , in denen Frauen, Kinder, Alte und Kranke auf nackter Erde zwischen Ungeziefer und Ratten verhungerten, in denen Unschuldige erschossen oder zu Tode gefoltert wurden. Das einzige Vergehen der Inhaftierten waren ihre deutschen Namen. In einem dieser Lager verbrachte Lisa ihre früheste Kindheit. Dass sie überlebt hat, verdankt sie ihrer Großmutter Eva.

Piding war ein riesiges Holzbarackendorf mit einigen großen Steingebäuden dazwischen. Hinweisschilder Küche, Speisesaal, Essenausgabe führten die Hungrigen direkt zum Ziel. Dreimal am Tag. Morgens und abends gab es zum Brot immer Streichkäse oder Mettwurst. Mit Wasser verdünnte, warme Milch oder nur trockenes Brot, mit Salz und Paprikapulver bestreut, gab es hier nie. In allen Wohnbaracken standen kleine Eisenöfen mit funktionierendem Abzug. Kohlen und Holz durfte sich jeder holen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Die Leute konnten sich frei bewegen, gehen wohin sie wollten. Das Lager war nicht bewacht. Vielleicht ist in Deutschland tatsächlich alles besser als in Jugoslawien, dachte Lisa, dieses Lager ist es jedenfalls.

Franz und Leni mit Fränzchen und Kranau Elisabeta mit Lisa logierten in einer Vierundzwanzig-Personen-Baracke mit zwölf Stockbetten: grob gezimmerte, ungehobelte Bettgestelle mit einem harten Strohsack, einem flachen Strohkissen und zwei grauen Militärdecken. Eine als Laken, die andere als Decke. Kranau Elisabeta schlief unten, im Bett neben ihr Leni mit Fränzchen. Lisa schlief oben. Im Bett daneben lag Franz, atemnah. Er stank nach kaltem Zigarettenrauch, schnarchte vor sich hin. Lisa ignorierte, was sie roch und was sie hörte, zog die Decke über den Kopf und ließ sich in ihre Traumwelt tragen. Sie kletterte mit dem gleichen Gefühl in ihr Bett, mit dem sie an der Donau hinter der Schafhütte in ihr selbstgebautes Versteck gekrabbelt war. Auch hier durfte sie mit sich selbst allein sein. Das Bett, die Decke, das Kissen musste sie mit niemandem teilen, nicht einmal mit der Kranau Elisabeta.

Um zehn Uhr abends musste in allen Baracken das Licht gelöscht werden. Franz hatte als einziger eine Armbanduhr. Punkt 22:00 Uhr rief er:

Licht aus, Messer raus! Drei Mann zum Blutrühren! 3

Die Kranau Elisabeta kicherte aus dem unteren Bett heraus in die dunkle Baracke hinein. Die Dunkelheit war es nicht, vor der Lisa sich fürchtete - Dunkelheit schützte, machte unsichtbar - , sondern das Blutrühren.

Bluttriefende Gesichter aus dem Vernichtungslager erscheinen und Bilder von Eva, Bobbi, Pinguin und Mutz. Die Schule und der Bahnhof von Otice sind da. Evas weißes, winkendes Taschentuch fliegt hinter dem Zug her.

Lisa redete im Schlaf. Sie redete laut. Ausschließlich Serbisch. Die Sprache ihrer Wahrnehmung, die Sprache, die sie am besten verstand. Die Sprache ihrer Gedankenbilder. Sie war an den Orten, die sie niemals freiwillig verlassen hätte. Die Bilder waren immer grau. Trotzdem wollte sie dort leben.

Das ist jetzt kein Traum, sagt sie zu Eva, nicht wahr, dieses Mal ist es Wirklichkeit? Ich bin jetzt wirklich hier bei dir? Ich bin zurückgekommen.

Eva antwortete nicht, sie lächelte nicht, ihre Augen waren starr.

Der Barackenschlaf hatte etwas vom Lagerschlaf ihrer Kindheit, er kannte keine Ruhe: Brummen und Schnarchen, Aufschreie und Abwehr. In den Köpfen brodelten Erinnerungen, die sich nicht unterdrücken lassen wollten. Individuelle Träume. Überlebenskämpfe. Schreie, die nach Worten suchten. Schreie, die nicht abgewürgt werden wollten. Wunden, die sich gegen den Schorf des Vergessens wehrten, über sich keine Lederhaut wachsen lassen wollten. Mitten in die Barackenträume der Erwachsenen hinein heulte und hustete Fränzchen seine Atemnot stoßweise aus.

Verdammt nochmal, hört denn der Hosenscheißer nicht endlich auf zu heulen! , wetterte eine Männerstimme.

Er ist krank, was sollen wir denn machen? , rief Franz zurück.

Für Ruhe sorgen!

Fränzchens Hustenanfall nahm ihm die Luft, er drohte zu ersticken. In solchen Nächten ging Leni mit ihm hinaus und kam erst wieder, wenn er in ihren Armen eingeschlafen war. Tagsüber weinte sein Gesicht manchmal unhörbar. Aus seiner Nase sickerte eitriger Schleim. Seine Hose war ständig nass. Leni hatte zu wenige Taschentücher, zu wenige Windeln, zu wenige Hosen, zu wenige Hemdchen für ihr Kind. Sie wusch mehrmals täglich von Hand in einer kleinen, weißen Blechschüssel aus, was Fränzchen nass gemacht hatte. Die Wäsche hing an einer dicken Schnur von Stockbett zu Stockbett diagonal über dem Eisenofen. Das Feuer im Ofen ging nie aus, obwohl es Sommer war. Franz sorgte für Holz- und Kohlennachschub. Trotzdem trockneten Fränzchens Hosen viel zu langsam. Leni bügelte mit einem aus Otice mitgebrachten Bügeleisen - dessen Aufsatz vor Gebrauch mit glühender Holzkohle befüllt werden musste - die nur leicht eingenässten Höschen trocken, ohne sie vorher zu waschen. Der Stoff dampfte. Die Luft in der Baracke stank nach warmem Urin.

Für den Hunger jeder Barackengruppe waren eine Küche und eine Speisehalle zuständig. Die Türen zur Küche standen immer offen. Im hinteren Bereich blubberten die Suppen in großen Kesseln. Über den Türrahmen hing ein Schild Zutritt für Unbefugte verboten. Das Wort Unbefugte kannte Lisa nicht. Aber verboten bedeutete verboten, so gern Lisa auch hineingegangen wäre. Obwohl alle Speisen blass aussahen, war die Essensausgabe für Lisa Paradies, Schlaraffenland und Knusperhäuschen in einem. Es fehlten nur noch die gebratenen Täubchen, die einem durch die Luft direkt in den Mund flogen, wenn man ihn weit genug öffnete. Punkt zwölf Uhr ging es los. Die Frauen hinter den langen Tischen der Essensausgabe hantierten mit Suppenkelle, Löffel und manchmal Fleischgabel, wenn nötig auch mit den Fingern. Es musste schnell gehen. Die Schlange Hungriger drängte. Einen Platz an den Esstischreihen bekam aber nicht jeder sofort. Zusammenrücken, Teller an Teller schieben, die Ellbogen anlegen, Teller leer essen und sofort Sitzplatz freimachen. Wer sich einen Nachschlag geholt hatte, musste einen neuen Sitzplatz suchen.

Das mit dem Wasser aus dem Wasserhahn in der Baracke mit dem Schild Waschräume war wie in dem Kinofilm, den Lisa in der vierten Klasse in Otice gesehen hatte. Einen Brunnen, aus dem man das Wasser im Eimer heraufkurbelte, gab es nirgends, einen Trog, in dem man sich wusch, auch nicht, auch keinen Pumpbrunnen. Rechts an der Barackeninnenwand hingen weiße Waschbecken mit ergrauten Rändern. Die Wasserhähne über den Becken wackelten bei jeder Umdrehung. Aus den Duschköpfen in den Kabinen gegenüber sprühte kaltes Wasser, nur ganz früh morgens war es warm. Dass aber überhaupt Wasser so einfach aus einer Leitung fließen kann, war für Lisa unwirklich. Gerne hätte sie gewusst, woher das Wasser kommt und wohin es fließt, wenn es durch das Loch im Waschbecken und durch die Leitung darunter verschwindet.

Das Schild Schule an der Eingangstür eines Zimmers in einem der Steinhäuser war aus Pappe und wesentlich größer als alle Emailschilder. Der einzige Lehrer der Schule hieß Herr Hammerschmidt, nicht Lehrer Hammerschmidt, wie es in Jugoslawien üblich war. Vielleicht, weil er wie ein Herr aussah: dunkelgrauer Anzug, weißes Hemd, blauweißrot gestreifte Krawatte, schwarze Lederschuhe und eine abgegriffene braune Ledertasche.

Vor der hinteren Wand des Klassenzimmers stand eine schwarze Tafel mit Holzrahmen auf vier Holzbeinen. Rechts an der Wand hing eine Landkarte von Deutschland. Auf dem Tischchen links lag Herrn Hammerschmidts Ledertasche mit Büchern, Heften und sein Pausenbrot. Für die Schüler gab es Zweier- und Fünfer-Bänke mit rundgestoßenen Ecken und rauen Oberflächen. Außer den zahllosen Schülern mehrerer Generationen hatten auch Holzwürmer ihre Fährten hinterlassen.

Wer etwas sagen wollte, musste sich mit gestrecktem Zeigefinger melden, nur mit einem Finger, so wie man auf jemanden zeigt, nicht wie in Jugoslawien mit Zeige- und Mittelfinger. Herr Hammerschmidt hatte keine Rute. Wenn es mal zu laut war, klopfte er mit einem...

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