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Lentille

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
151 Seiten
Deutsch
Matthes & Seitz Berlin Verlagerschienen am31.05.20241. Auflage
Lentille, eine junge Kuh auf einem kleinen Bauernhof in der Westschweiz, ist kurz davor, ihr erstes Kalb zur Welt zu bringen. Sie liegt im Stroh, abseits der anderen Kühe der Herde, und alles entwickelt sich erfreulich - bis unvermittelt Komplikationen auftreten. Der Bauer Michaël und die Tierärztin setzen all ihre Kraft ein, um Lentilles Kalb sicher zur Welt zu bringen - vergeblich. Urs Mannhart stellt sich ohne Pathos oder Verklärung die Frage: Spürt Lentille diesen Verlustschmerz? Er zeichnet das eindrückliche Porträt einer Kuh und ihrer achtköpfigen Herde, und beleuchtet, inwiefern Tiere eine Persönlichkeit haben. An Lentille zeigt sich, wie zutraulich und fürsorglich, aber auch wehrhaft Kühe sein können. Was wird benötigt, um das Wohlbefinden einer Kuh festzustellen? Und was folgt daraus, wenn wir auch Nutztieren eine Persönlichkeit zugestehen? »Keine Kampfschrift gegen den Verzehr von Fleisch- oder Milchprodukten, nicht einmal gegen Massentierhaltung: Lentille. Aus dem Leben einer Kuh ist eine Liebeserklärung.«            - LITERATURBLATT.CH

Urs Mannhart, 1975 geboren, lebt als Schriftsteller, Reporter und Biolandwirt in La Chaux-de-Fonds. Zuletzt erschien (Secession) Gschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextLentille, eine junge Kuh auf einem kleinen Bauernhof in der Westschweiz, ist kurz davor, ihr erstes Kalb zur Welt zu bringen. Sie liegt im Stroh, abseits der anderen Kühe der Herde, und alles entwickelt sich erfreulich - bis unvermittelt Komplikationen auftreten. Der Bauer Michaël und die Tierärztin setzen all ihre Kraft ein, um Lentilles Kalb sicher zur Welt zu bringen - vergeblich. Urs Mannhart stellt sich ohne Pathos oder Verklärung die Frage: Spürt Lentille diesen Verlustschmerz? Er zeichnet das eindrückliche Porträt einer Kuh und ihrer achtköpfigen Herde, und beleuchtet, inwiefern Tiere eine Persönlichkeit haben. An Lentille zeigt sich, wie zutraulich und fürsorglich, aber auch wehrhaft Kühe sein können. Was wird benötigt, um das Wohlbefinden einer Kuh festzustellen? Und was folgt daraus, wenn wir auch Nutztieren eine Persönlichkeit zugestehen? »Keine Kampfschrift gegen den Verzehr von Fleisch- oder Milchprodukten, nicht einmal gegen Massentierhaltung: Lentille. Aus dem Leben einer Kuh ist eine Liebeserklärung.«            - LITERATURBLATT.CH

Urs Mannhart, 1975 geboren, lebt als Schriftsteller, Reporter und Biolandwirt in La Chaux-de-Fonds. Zuletzt erschien (Secession) Gschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751845175
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum31.05.2024
Auflage1. Auflage
Seiten151 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse14158 Kbytes
Artikel-Nr.15470679
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

5

Ein Tag gibt dem nächsten die Hand, der Oktober taucht ab, ein milder November tritt auf, und früh werden die Tage überrollt von der Dämmerung. Kurz vor Mittag gondelt Lentille mit den anderen auf die Weide, sucht nach den allerletzten Gräsern, kehrt abends zurück in den Stall und lässt sich bereitwillig melken.

In Kreisen und Zyklen bewegt sich das Leben auf dem Hof; Außergewöhnliches taucht auf und sinkt ein im Meer des Gewöhnlichen. Noch fällt kein Schnee, der Winter zeigt sich geduldig dieses Jahr, aber die Sonne verliert merklich an Kraft, die Temperaturen sinken und das Gras zeigt kein nennenswertes Wachstum mehr: Die Weidesaison ist zu Ende.

Eines frühen Nachmittags bindet Michaël die Kühe los, wie immer in diesen Tagen, nachdem die Tiere lange gefressen und sich etwas ins Stroh gelegt haben; er öffnet die Stalltür und bindet die Tiere los, während ich draußen auf sie warte. Das tue ich sonst nicht. Aber heute stehe ich mitten im Durchgang, der zur Weide führt, stehe zwischen den Holzpfählen, zwischen denen die Kühe in den vergangenen Wochen durcheilten, um auf die Weide zu gelangen - jetzt ist der Durchgang mit zwei Litzen geschlossen, und mit ausgebreiteten Armen stehe ich vor der Absperrung, um zu verhindern, dass ein Tier in die Litze rennt.

Susi, Ambre, Galia, Amina - die ersten Kühe treten flinken Schrittes aus dem Stall, realisieren alsbald, dass ihnen der Weg zur Weide versperrt bleibt. Es dauert nicht lange und ich bin umzingelt von einer muhend protestierenden Herde. Enttäuschung und Unmut sind groß. Das ist verständlich: Statt stundenlang die weitläufige Weide genießen und nach Belieben Gras fressen zu können, sind sie heute gezwungen, auf dem vollkommen graslosen Vorplatz zu stehen, bis es frühabends bloß wieder Heu geben wird.

Ich stelle mir vor: Gerne würden die Kühe jetzt Schilder in die Höhe strecken, Schilder mit politischen Slogans: »Freier Zugang zur Weide!« Oder: »Frisches Gras ist ein Grundkuhrecht!« Auch Lentille ist Teil der Demonstrierenden; in ihrer Empörung macht sie mir einen erfreulich vitalen Eindruck.

Dieses graslose Herumstehen auf dem Vorplatz - die älteren Kühe ahnen es schon - wird zu ihrer neuen Routine werden. Zu einer täglichen Gewohnheit, die sich bis in den April oder in den Mai hinziehen wird, schlicht so lange, wie die Schneedecke liegen bleiben und die Gräser von ihrem Business mit der Fotosynthese abhalten wird. So lange werden die Kühe Geduld zeigen müssen; so lange müssen die Heuvorräte halten.

Als der Protest nach zehn Minuten doch zu einem Ende findet und etwas Ruhe einkehrt, bin ich erleichtert. Tags darauf protestieren nur noch wenige, und am dritten Tag scheint die Erwartung, auf eine Weide gehen zu können, mehrheitlich verblasst.

Offen bleibt die Frage, ob die Tiere das Ende der Weidesaison auch deswegen akzeptieren, weil sie mitbekommen haben, dass Michaël in den Sommermonaten große Mengen an Heu von guter Qualität auf den Heustock hat bringen können.

Es mag fahrlässig anthropomorphisierend sein, derart viel Fantasie an den Tag und in die Kuh zu legen. Aber wer mit Kühen zu tun hat, weiß um ihr erstaunliches Talent, genau zu beobachten.

Gleichzeitig mit den Kühen lassen wir nun jeweils mittags auch die jungen Kälber aus dem Stall und hinaus auf den Laufhof. Das verwandelt den Platz seiner Graslosigkeit zum Trotz in einen eminent wichtigen Ort; hier kommen die Kuhmütter mit ihren Kindern zusammen, die Kleinen können bei ihrer Mutter trinken, können sich Körperpflege und soziale Zugehörigkeit abholen.

Im Moment, da ich eine Kuh losbinde, zeigt sich oft auch etwas von ihrem Charakter: Das Prozedere dieses an sich banalen und doch wieder und wieder schönste Unterschiede zeigenden Kühelosbindens beginnt - weil Architektur und Platzordnung es vorgeben - mit Susi. Susi ist groß und kräftig, steht auf breiten Beinen, und sie ist die wohl wachsamste Kuh der Herde, ihr Blick ist stets voller wohlwollender Fragen. Dass sie sich beim Losbinden ruhig verhält, scheint doppelt begründet: Erstens handelt es sich bei Susi grundsätzlich um eine bedächtige, sich ruhig bewegende Kuh. Und zweitens ist Susi aufgrund des allgemeinen Bedürfnisses einer Kuh, niemals von der Herde isoliert zu werden, auch daran interessiert, erst einmal abzuwarten, ob ich die anderen Kühe auch losbinde.

Ambre hingegen, die an zweiter Stelle stehende Kuh, zeigt sich bisweilen ungeduldig: Manchmal will sie bereits loslaufen, da ich erst das Halsband, aber noch nicht den Schnappverschluss berühre, also eine Sekunde zu früh. Ambre ist, verglichen jedenfalls mit Susi, eine außergewöhnlich zarte, schlanke Kuh. Was sie auszeichnet, ist eine bei Kühen sonst selten zu beobachtende Eleganz. Michaël ist der Meinung, sie trage eine geradezu aristokratische Anmutung mit sich, als habe sie im Grunde nichts zu tun mit den banalen Angelegenheiten des Grasfressens und Wiederkäuens. In der Herde verhält sie sich eher solitär bis meditativ, bisweilen, besonders wenn ein Zaun kaputt ist, zeigt sie auch große Qualitäten als flinke, zu Pioniertaten aufgelegte Läuferin.

Galia, an dritter Position, ist die Leitkuh. Die Herdenchefin. Sie trägt ein grün-gelbes Halsband, das mich an Reggae denken lässt, was jedoch aufgrund ihrer stolzen, Respekt fordernden und seriösen Art eher ironisch wirkt. Sie ist, was das Körperliche anbelangt, ähnlich eindrücklich wie Susi. Während Susi aber still und introvertiert beobachtet, zeigt Galia eine auch stark nach außen orientierte Präsenz. Außerdem trägt sie die kräftigsten und längsten Hörner. Obwohl er ihr Gesicht für anmutig hält, lobt Michaël Galia nicht unbedingt für ihre Schönheit, aber für ihre Vernunft, ihre Ruhe und ihre Umsicht. Eine solche Kuh als Leitkuh zu haben, sei ein großes Glück. Sie halte die Herde auch bei großer Unruhe souverän beisammen. Beim Losbinden kann sie unruhig sein; kaum ist sie frei, bewegt sie sich aber mit jener Ruhe, wie allein wahre Chefinnen sie sich leisten können.

Neben Galia steht, in einem verblüffend silbern glänzenden Fell, die schöne kleine Amina. Ihre Schönheit hat etwas Blendendes. Erst ihre Eigenheit, stets im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen zu wollen und auch wegen Kleinigkeiten schrecklich eifersüchtig zu reagieren, ließ mich nachvollziehen, weswegen Michaël eine ambivalente Beziehung zu ihr hat. »Sie ist die Schönste, und sie weiß es auch«, sagt er. Geht es um die Fellpflege, zeigt sich Amina als außergewöhnlich zärtlichkeitsliebend. Offenbar hat Amina einst versucht, sich als Leitkuh zu bewerben, was schließlich auch Susis Ambitionen auf diesen Rang befeuert hat. Michaël ist froh, dass Galia die Sache in ruppigen, über mehrere Tage hin immer wieder aufflackernden Kämpfen für sich entschieden hat. »Amina als Leitkuh, das wäre eine Katastrophe.« Bemerkenswert ist, dass sogar die sonst so zurückhaltende Ambre sich an diesen Kämpfen beteiligt und Susis Ansprüche gegenüber Amina verteidigt hat. Trete ich auf Amina zu, um sie loszubinden, wirkt sie jedes Mal von Neuem beleidigt, dass ich sie nicht als Erste losgebunden habe.

Orée, auf dem nächsten Platz, ist im Körperbau ähnlich fein und distinguiert wie Ambre. Mit aristokratischem Flair hat sie jedoch nichts am Hut. Im Gegenteil; sie schafft es wie keine andere im Stall, ihre Hinterschenkel stets in den eigenen Kot zu legen. Keine andere ist so schwierig sauber zu halten. Abgesehen davon ist sie umgänglich und zurückhaltend, noch nie habe ich sie einen Zwist anzetteln sehen. Ja, man kann sie geradezu pazifistisch nennen.

Neben Orée befindet sich der Platz von Lentille. Ihre Proportionen sind ausgewogen, ihre Haltung wirkt athletisch. Sie hat dunkles Fell, vor allem im Gesicht, wo sie beinahe schwarz ist, abgesehen von den hübschen, hellgrauen Stirnfransen, und sie bewegt sich normalerweise mit einer anmutigen Leichtfüßigkeit. Die überraschend langen, beinahe blonden Haare, die aus und an ihren Ohren wachsen, setzen dieser Anmut eine ironische Note auf.

Beim Losbinden zeigt sich auch ihr noch jugendliches Alter; sie rudert nicht nur mit dem Kopf, sondern dreht ihren Hintern mal hierhin, mal dahin, möchte am liebsten in alle Richtungen gleichzeitig loslegen; sie ist noch voll von jener Bewegungsfreude, die bei älteren Kühen nachlässt.

Seit ein paar Wochen ist der Platz links neben Lentille nicht mehr leer, sondern belegt von dem eindrücklichen, zwei Jahre alten, noch nicht komplett ausgewachsenen, aber komplett gut bemuskelten Eol. Er sieht aus, als hätte er zu viele Eiweißshakes getrunken, dabei hat er abgesehen von ein paar Karotten immer nur Gras und Heu gefressen. Wenn er direkt vor mir steht, mich in seinen Blick nimmt und beim Ausatmen...
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