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Die Nacht der alten Feuer

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
mareverlagerschienen am13.09.2024
Ein warmer Augustabend in den finnischen Schären: Es ist die Nacht der alten Feuer, Elea und ihr Mann Otto haben ihre engsten Freundinnen und Freunde in ihr Ferienhaus eingeladen, um zusammen mit ihren Kindern das Ende des Sommers zu feiern. Sie wollen endlich wieder gemeinsam Zeit verbringen, schwimmen gehen und sich gegenseitig Meeresgeschichten erzählen. Elea hat aber noch einen anderen Grund, ihre liebsten Menschen an diesem Ort zu versammeln: Sie möchte eine wichtige Nachricht mit ihnen teilen, die den Lauf des Abends verändern wird. Im Schein des Lagerfeuers und im Halbdunkel der Sauna kommen weitere Geheimnisse ans Licht, die ihre Freundschaft und sämtliche Lebensentscheidungen infrage stellen werden.

Hanna Meretoja, 1977 in Kaarina geboren, ist Literaturwissenschaftlerin und Professorin für Komparatistik an der Universität von Turku. Dort forscht sie im Bereich der Erzähltheorie, der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung und Traumastudien und leitet das Forschungszentrum SELMA. »Die Nacht der alten Feuer« ist ihr Debütroman, der in Finnland für seine poetische Sprache sowie philosophischen Reflexionen hochgelobt wurde.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextEin warmer Augustabend in den finnischen Schären: Es ist die Nacht der alten Feuer, Elea und ihr Mann Otto haben ihre engsten Freundinnen und Freunde in ihr Ferienhaus eingeladen, um zusammen mit ihren Kindern das Ende des Sommers zu feiern. Sie wollen endlich wieder gemeinsam Zeit verbringen, schwimmen gehen und sich gegenseitig Meeresgeschichten erzählen. Elea hat aber noch einen anderen Grund, ihre liebsten Menschen an diesem Ort zu versammeln: Sie möchte eine wichtige Nachricht mit ihnen teilen, die den Lauf des Abends verändern wird. Im Schein des Lagerfeuers und im Halbdunkel der Sauna kommen weitere Geheimnisse ans Licht, die ihre Freundschaft und sämtliche Lebensentscheidungen infrage stellen werden.

Hanna Meretoja, 1977 in Kaarina geboren, ist Literaturwissenschaftlerin und Professorin für Komparatistik an der Universität von Turku. Dort forscht sie im Bereich der Erzähltheorie, der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung und Traumastudien und leitet das Forschungszentrum SELMA. »Die Nacht der alten Feuer« ist ihr Debütroman, der in Finnland für seine poetische Sprache sowie philosophischen Reflexionen hochgelobt wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783866488410
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum13.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse1987 Kbytes
Artikel-Nr.15476126
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. TEIL

DIE GÄSTE

»Es ist, als wäre die ganze Welt

ein Strömen und Kreisen - auf der Erde

die Bäume, am Himmel die Wolken.«

Virginia Woolf, Die Wellen


1

Elea hebt das Glas zur im Zenit gleißenden Sonne. Das Meer glitzert um sie herum, als sie lächelnd ganz vorne auf dem Bootssteg stehen, mit Sektgläsern in der Hand.

»Herzlich willkommen«, sagt Elea.

»Willkommen«, stimmt Otto ein. »Und zum Wohl.«

»Auf das Meer und das Licht«, schlägt Salma vor.

»Auf die alten Feuer«, entgegnet Matias.

»Auf den letzten Tag des Sommers«, sagt Aura.

»Man weiß erst im Nachhinein, welches der letzte ist«, murmelt Otto.

Diese Worte lassen Elea zusammenfahren, aber die anderen tauschen nur neugierige, erwartungsvolle Blicke.

»Es ist so gut, endlich mal wieder zusammen zu sein«, sagt Aura. Matias nickt neben ihr mit dem Kopf.

»Stimmt, ich habe euch vermisst«, sagt Salma.

»Es kommt mir schon wie ein Fest vor, dass man sich überhaupt wieder mit Freunden treffen darf«, sagt Elea. Sie fragt sich, ob man ihrer Stimme die leicht angestrengte Munterkeit anmerkt. Wissen sie es schon? Haben sie es irgendwo gehört?

»Zum Glück sind alle gesund geblieben«, sagt Aura.

Elea wundert sich, dass Aura nicht an Salmas Verlust denkt. Veeras Tod liegt zwar schon fast ein halbes Jahr zurück, kommt ihr aber immer noch unwirklich vor.

Für einen Moment schweigen alle. Sie sind so lange nicht zusammen gewesen, dass es ist, als hätte sich Rost zwischen ihnen gebildet. Sie scheinen in den Gesichtern der anderen nach Anzeichen der Trauer, der Müdigkeit und des Alterns zu suchen, wie in Spiegeln, in die man endlich wieder blicken darf, wenn man es wagt.

»Irrsinnig blau alles«, sagt Salma und schaut aufs Meer.

»Wollten wir heute nicht über das Meer und über Meeresbücher reden?«, fragt Aura.

In der Einladung, die Elea verschickt hatte, stand: »Herzlich willkommen in unserem Sommerhaus in Parainen! Wir laden euch ein, die Nacht der alten Feuer mit uns zu feiern. Bitte bringt anstatt sonstiger Mitbringsel eine Meeresgeschichte mit, die euch wichtig ist, und stellt euch darauf ein, etwas darüber zu erzählen.«

»Ich bin ein bisschen aufgeregt«, gibt Matias zu. »Seit einer Ewigkeit habe ich mich nicht mehr mit jemandem über Bücher unterhalten. Und ihr seid alle solche Literaturkenner.«

Für Elea sieht es so aus, als mache sich leichtes Rot auf Matias´ Wangen breit, aber vom Meeresglitzern geblendet, ist sie sich nicht sicher.

»Ach was, wir sind doch unter Freunden«, sagt Salma. »Und wir haben schon immer über Bücher geredet.«

Elea denkt an ihre leidenschaftlichen Diskussionen im Lesekreis zu Studienzeiten, wo die Freundschaft zwischen ihnen ihren Anfang nahm. Sie trafen sich jeden zweiten Donnerstag in der Weinstube der Brauereigaststätte Koulu, die in den Räumen einer ehemaligen Mädchenschule untergebracht war. Salma und Veera verband die Leidenschaft für Dichtung, Matias und Otto begeisterten sich für das fernöstliche Denken sowie für Schopenhauer und Nietzsche, Elea für den französischen Existenzialismus, für Virginia Woolf und Hannah Arendt. Aura kam später hinzu, mitsamt ihrer Sylvia Plath.

»Auf der Fahrt hierher haben wir uns gefragt, ob dieses Geschichtenfest Teil eurer Überlebensstrategie ist«, sagt Matias. »Man zieht sich aufs Land zurück, um sich Geschichten zu erzählen. Ein Corona-Decamerone.«

»Sind wir etwa junge Leute aus der florentinischen Aristokratie?«, fragt Otto.

»Eine Überlebensstrategie brauchen auch andere«, sagt Elea.

»Wohin ist eigentlich euer Nachwuchs verschwunden?«, will Aura wissen.

»Iiris und Elliot sind sofort losgerannt, um Aida ihre Waldhütte zu zeigen«, antwortet Elea.

Den ganzen Sommer über haben die Kinder in Weltuntergangsstimmung an der Hütte gebaut. Im dazugehörigen Erdkeller befinden sich Konserven für mehrere Monate. Sie planen sogar, dort zu dritt zu übernachten.

»He, da drüben ist schon das erste Feuer angezündet worden«, ruft Salma und deutet auf die vor ihnen schimmernde Insel. »Jetzt geht´s los!«

Salmas Jubel steckt die anderen an, und sie halten um die Wette nach weiteren Feuern Ausschau. Die Stimmung eines beginnenden Abenteuers liegt in der Luft, aber auch unruhige Erwartung. Es gibt so viel zu sagen, dass nur wenig gesagt wird, denkt Elea, aber zum Glück haben sie Zeit.

Der frühe Abend tut sich vor ihnen auf, in den Meerestiefen wälzen sich langsam die Wassermassen um.


2

Das Meer schaut gelassen zu, wie sich die Epidemie von einem Kontinent zum anderen verbreitet. Das Wasser bindet Lebende und Tote in seinen Kreislauf ein. Es strömt auf seinen Wegen, gleichgültig gegenüber den Versuchen der Menschen, es zu fesseln.

Das Beben der Erdkruste klingt ab, wenn sie von den Menschen und ihren Fahrzeugen weniger erschüttert wird. Frieden macht sich in den Tiefen des Gesteins breit. Die Kreuzfahrtschiffe bleiben in den Häfen. Über dem Meer ertönt das vielstimmige Konzert der Seevögel: Der Radau der Lumme, der Pfiff der Trauerente und das Gurren der Ringelgans hallen über die Wasser, das klangvolle Lied der Eisente, der dumpfe Ruf der Eiderente und das heisere Röcheln des Kormorans.

Träge dreht sich das Meer auf den Rücken, wenn das geplante Leben, das die Menschen anstreben und sorgfältig in ihren Kalendern skizzieren, mit einem Schlag weggewischt wird. Das Leben, das hätte sein können, sein sollen, wirft seinen Schatten auf dasjenige, das sich als Abfolge zusammengeschrumpfter Tage entfaltet.

Die Menschen schauen in ihre Kalender und denken: Heute sollte eine Übernachtungsparty stattfinden, ein Bewerbungsgespräch, eine Hochzeit. Wenn das Leben unterbrochen wird, ermatten selbst die sorgfältigsten Planungen. Niemand weiß, ob sie noch einmal Wirklichkeit werden. Allmählich gleiten die Entwürfe immer weiter davon, bis die Unsicherheit ihre Umrisse schließlich so sehr verblassen lässt, dass sie nicht mehr zu erkennen sind.

Doch auch daran gewöhnen sich die Menschen. Sie schauen aufs Meer, und das Meer bleibt, der Horizont schimmert als gleichmäßige Linie Tag für Tag und Jahr für Jahr weiter. Nur das Licht ändert sich, in jedem Augenblick. Nur das Licht ist niemals dasselbe.

3

Als die Gläser der Gäste leer werden, geht Elea Nachschub holen. Auf dem Weg zum Haus begreift sie, dass sie ihre Erschütterung zwar mit ihren Freunden teilen will, dass aber ein anderer Teil von ihr fliehen, sich verstecken, vergessen möchte. Beide Teile gehören aufgrund einer schwer verständlichen Logik zusammen, die ihr ins Unerreichbare entgleitet.

Das Los des Menschen besteht im tastenden Erfassen von Zusammenhängen.

Elea betritt das leere Wohnzimmer: das durchgesessene Sofa, der Kaminofen aus Speckstein, die Reflexion des Lichts in den unebenen Fensterscheiben. Auf dem Tisch liegen getrocknete Pflanzen, die Elliot für sein Herbarium gepresst hat. Die Regale biegen sich unter alten Schätzen: Öllampen, Rindenboote, Gesellschaftsspiele mit fehlenden Teilen. Würde das Sommerhaus ihnen allein gehören, würden sie das Zimmer anders einrichten, aber sein Reiz liegt darin, dass es seit Eleas Kindheit gleich geblieben ist.

Sie denkt an all das, was zusammenkommt und sich übereinanderlegt, wenn sie den vertrauten Raum betrachtet: Lesestunden auf dem Sofa, Reiterspiele, Faulenzen und Kuscheln, Sex und Streitigkeiten, die Mattigkeit der Mittagsschläfchen, die Lebendigkeit heiterer Zusammenkünfte und ein stiller Abend, an dem sie sich sonderbar losgelöst fühlte.

Plötzlich fällt ihr ein verregneter Nachmittag aus ihrer Kindheit ein, an dem sie ins Wohnzimmer gestürmt kam und ihre Mutter blass auf dem Sofa liegen sah. Nie zuvor hatte Elea ihre energische, tüchtige Mutter so daliegen sehen. Sie hätte Elea ein Buch vorlesen sollen, aber das musste jetzt warten. Die Migräne kündigt sich an, flüsterte ihre Mutter und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Eleas Magen ballte sich wie eine schmerzende Faust zusammen. Sie wollte ihrer Mutter Erleichterung verschaffen, wusste aber nicht, wie. Das Zimmer schien sich mit einem Mal umzudrehen, Elea stürmte ins Freie, rannte zum Steg, um dort die Seeluft zu riechen.

In der Dünung der Erinnerung tauchen in den Randbereichen ihres Bewusstseins Momente auf, in denen sich der Atemrhythmus des Zimmers ändert, weil Menschen kommen oder gehen. Gäste, die am Fenster stehen, vor den Resten eines Kindergeburtstags, eine Stippvisite des alten Fischers aus der Nachbarschaft zum Kaffee. Jetzt flimmert an der Wand des stillen Wohnzimmers die Sonne. Das Spiel des Lichts hält keinen Moment lang still.

Wie ein zerfasertes Gewebe, das zugleich gewebt und aufgetrennt wird, legt sich das Leben um sie. Das Gedächtnis verknüpft die bedeutsamen Momente, das Vergessen löst den Faden, öffnet die Knoten, trennt die Verbindungen. Wie vorläufig alles ist, versteht man mit seinem ganzen Körper erst, wenn der zeitliche Bogen, der von der Vergangenheit in die Zukunft reicht, der gesamte Zukunftshorizont, plötzlich in sich zusammenfällt und nur noch der punkthafte Augenblick im Hier und Jetzt übrig bleibt, ein schwarzes Loch, aus dem man nicht hinausfindet. Das also ist körperliches Wissen. Elea begreift, dass sie, die sich in ihrer Forschung mit den Reibungsflächen von...
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