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»Sagt, hab ich recht?«

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Hamburger Edition HISerschienen am20.06.2024
Krieg, Gewalt, Antisemitismus, Freiheit der Rede: Themen wie diese treiben uns in der Gegenwart um. Doch neu sind sie nicht. In drei bestechend klaren Reden analysiert Jan Philipp Reemtsma aktuelle Phänomene, indem er sie mit historischen Debatten und Ereignissen in Zusammenhang bringt. Es geht mit Christoph Martin Wieland um ein Verständnis von Aufklärung als einem andauernden Dialog, um die Einhegung kriegerischer Gewalt seit dem Dreißigjährigen Krieg und die Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus. »In der Regel sind Probleme, mit denen man in seiner Gegenwart konfrontiert ist, gar nicht so neu, wie man fürchtet, und oft fürchtet man sie nur, weil man sie für neu hält.«

Jan Philipp Reemtsma, Prof. Dr. phil., ist Gründer und Vorstand der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und der Arno Schmidt Stiftung; Gründer und bis März 2015 Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Für seine Biografie über Christoph Martin Wieland wurde er 2023 mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextKrieg, Gewalt, Antisemitismus, Freiheit der Rede: Themen wie diese treiben uns in der Gegenwart um. Doch neu sind sie nicht. In drei bestechend klaren Reden analysiert Jan Philipp Reemtsma aktuelle Phänomene, indem er sie mit historischen Debatten und Ereignissen in Zusammenhang bringt. Es geht mit Christoph Martin Wieland um ein Verständnis von Aufklärung als einem andauernden Dialog, um die Einhegung kriegerischer Gewalt seit dem Dreißigjährigen Krieg und die Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus. »In der Regel sind Probleme, mit denen man in seiner Gegenwart konfrontiert ist, gar nicht so neu, wie man fürchtet, und oft fürchtet man sie nur, weil man sie für neu hält.«

Jan Philipp Reemtsma, Prof. Dr. phil., ist Gründer und Vorstand der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und der Arno Schmidt Stiftung; Gründer und bis März 2015 Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Für seine Biografie über Christoph Martin Wieland wurde er 2023 mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783868544206
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum20.06.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse972 Kbytes
Artikel-Nr.15597672
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

»Sagt, hab ich recht?«1

Christoph Martin Wieland über die Freiheit der Presse als Synonym für »Aufklärung«

Enlightenment, les Lumières, Aufklärung - und Marx sagte, dass der Lichtbringer Prometheus der Heilige des revolutionären Proletariats sein solle, dessen Aufgabe die Verwirklichung der Philosophie der Aufklärung wäre. Was ist Aufklärung?

Diese Frage wurde, wie einige von Ihnen wissen, 1783 in eher unwirscher Weise in der Berlinischen Monatsschrift gestellt: Man höre in letzter Zeit so viel von »Aufklärung«, da sei es doch endlich mal an der Zeit, dass einer sage, was das denn sei: »Aufklärung« - wörtlich: »Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wohl beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und doch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden!«2 Die berühmteste Antwort wurde, wie Sie alle wissen, von Immanuel Kant gegeben, sie lautete: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.«3

Nicht so bekannt ist der - bestimmte Gedanken (oder Ressentiments) des 20. Jahrhunderts vorwegnehmende - Einwand des Königsberger Freundes und Opponenten Johann Georg Hamann, der in Kants Schrift nicht den Aufruf zur Selbstemanzipation von traditionellen Autoritäten sah, sondern den Versuch, neue an die Stelle der alten zu setzen. »Emanzipation« als das Schlagwort der neuen Meisterdenker, um die akademischen Macht- und Schlüsselpositionen zu besetzen. Als hätte Foucault eine Zeitreise zurück ins 18. Jahrhundert unternommen.

Aber das soll unser Thema nicht sein. Kants Rede ist der Versuch einer Definition, die für die Haltung des jeweils Einzelnen gilt und auch gleichsam den Geist der Zeit bestimmt: Was unterscheidet uns, die wir von »Aufklärung« sprechen, von dem, was wir meinen ablösen zu sollen? Dem Appell an den Einzelnen, der dann auch (mit Bezug auf das horazische »sapere aude«) imperativischen Charakter annimmt: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«, folgt ein Räsonnement zur Frage nach dem »öffentlichen Gebrauch« der Vernunft. Bekanntlich stellt Kant dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft, der uneingeschränkt frei sein müsse, den privaten entgegen, wobei er (ein wenig entgegen unseren Sprachgewohnheiten) das meint, was einem in allen möglichen Dienstverhältnissen zu verlautbaren aufgegeben sei. Kant nimmt als Beispiel den Offizier, der im Dienst die strategischen Pläne seines Oberbefehlshabers nicht zu kritisieren, sondern auszuführen habe - im Zweifelsfalle unter Strafandrohung -, außer Dienst aber (wir würden sagen: als Privatmann, Kant sagt: als Gelehrter) ebendiese Pläne, etwa in einer militärwissenschaftlichen Fachzeitschrift, in Grund und Boden müsse kritisieren dürfen, ohne dass seine Dienststelle ein Einspruchsrecht hätte. Das Nämliche gelte für den Geistlichen, der den kirchenbefohlenen Katechismus zu lehren habe, aber nicht gehindert werden dürfe, in eigenen Publikationen der Öffentlichkeit seine möglicherweise abweichenden Gedanken mitzuteilen.

Warum diese Beispiele? Es geht um die Institutionen, die als die Stützen der Macht galten, das Militär und die Kirche - und die Schrift Kants ist an die politische Macht selbst gerichtet. Er versichert, vom öffentlichen Gebrauch der Vernunft hätten »unsere Beherrscher« nichts zu befürchten. Wir hätten für eine Obrigkeit, die dieses eingesehen habe, »ein glänzendes Beispiel [...], wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren«.4 Gemeint ist natürlich Friedrich II. Und Kant wechselt den Ton, als würde er den König direkt ansprechen und blinzeln: Nicht wahr, Majestät, wir verstehen einander?: »derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, - kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!«5

Die andere Institution, die Kant nennt, lässt er hier unter den Tisch fallen, weil sie für Friedrich nicht erwähnenswert war, für das Unternehmen der Aufklärung aber das zentrale Problem, und so schreibt Kant auch, er habe »den Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Menschheit aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt«.6 Denn darum ging es in der »Epoche der Aufklärung«, darum geht es auch, wenn wir »die Aufklärung« ein »Projekt« nennen (ungeachtet des albern inflationären Gebrauchs des Wortes »Projekt«): um die Abschaffung des Deutungsmonopols der Religion. Man bedenke, dass sechs Jahre zuvor der Herzog von Braunschweig seinem Bibliothekar Lessing ein Publikationsverbot in Sachen Religion, Religionsgeschichte, Religionsphilologie auferlegte - also ihm den, in Kants Terminologie, öffentlichen Gebrauch der Vernunft untersagte. Anlass waren Schriften des Hamburger Philologen Samuel Reimarus, die Lessing postum als Fragmente eines Ungenannten anonym herausgab. Es schloss sich eine polemisch geführte Debatte an, nicht nur über die Triftigkeit der historisch-philologischen Überlegungen zu einigen Passagen des Alten und Neuen Testaments in diesen Fragmenten (darunter die Auferstehungsgeschichte), sondern über die Schädlichkeit der Veröffentlichung solcher Gedanken schlechthin. Die Debatte endete mit dem Publikationsverbot für Lessing - man kann Kants »Was ist Aufklärung?« auch als Reaktion auf diesen Vorgang lesen.

Lessings Kontrahent, der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, hatte, und das war vielleicht ausschlaggebend für das Publikationsverbot für Lessing gewesen, gewarnt, dass eine Infragestellung der kirchlichen Autorität politisch destruktiv sein könne, nein: müsse, dass man sich ohne eine (so würden wir heute sagen) feste weltanschauliche Rahmung auch auf die Absicherung der politischen Herrschaft durch (wie Max Weber sagen würde) bewaffnete Stäbe nicht mehr würde verlassen können. Ein wenig winkt da Böckenförde: Der säkulare Staat könne seine Voraussetzungen nicht garantieren. So appelliert Kant also in beide Richtungen: an die Bürger und Bürgerinnen (obwohl er da nicht ganz so optimistisch war, aber das ist ein anderes Thema), Mut zum Selberdenken zu haben, sprich: sich von kirchlichen Autoritäten frei zu machen, an die politisch Herrschenden, den Mut zu haben, dies zuzulassen, denn ihre militärische Macht werde durch die Debatte, ob die Berichte in den Evangelien über die Auferstehung Jesu glaubhaft seien, nicht tangiert. Die Kirche als Institution und Organisation behalte ihr Recht, ihren besoldeten Angestellten vorzuschreiben, was sie zu sagen respektive zu predigen hätten, der Souverän schütze dieses Recht - übrigens bei allen Konfessionen und Religionen - sowie auch das Recht der Öffentlichkeit, das drucken zu lassen und zu lesen, was sie drucken und lesen möchte.

Christoph Martin Wieland, auf den ich ankündigungsgemäß kommen möchte, sah das nicht anders. Aber zunächst: Wer war Christoph Martin Wieland? - Ich zitiere aus Arno Schmidts ihm gewidmeten Rundfunkdialog aus dem Jahre 1957: »Wieland? [...] Ein berühmter Name, gewiß. Aber, wie ich gestehen muß, mir nur eine Schattengestalt.«7 Das hat sich in den über 65 Jahren seitdem geändert, ich habe mich bemüht, an dieser Änderung ein wenig mitzuwirken, aber es kann ja nicht schaden, kurz einige Stichworte zu geben: Geboren 1733 bei Biberach in Schwaben - früh macht er durch ein ambitioniertes literarisches Unternehmen auf sich aufmerksam, er verfasst 17-jährig eine Natur der Dinge, ein Lehrgedicht in weit über 3000 Versen, ein (christlicher) Gegenentwurf zu Lukrez´ De rerum natura, drei Jahre nach den ersten Gesängen von Klopstocks Messias, und zeigt, dass er den daktylischen Hexameter ebenso gut beherrscht wie dieser. Nach einer Art Studienzeit in Zürich bei einem der führenden Literaten und Literaturkritiker der Zeit, Johann Jakob Bodmer, und in Bern, wo er sich erst zögernd, dann wie mit einem Ruck von seinem christlichen, meist frömmelnden Habitus befreit und sich dem zuwendet, worum es ihm immer gegangen war, der Literatur, kehrt er zurück nach Biberach, wo er eine Stelle als...
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