Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Unterricht bei komplexer Behinderung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kohlhammer Verlagerschienen am26.06.20241. Auflage
Lernende mit komplexer Behinderung zeigen Handlungs-, Kommunikations- und Selbstregulationsweisen, die stark von den alterstypischen Erwartungen abweichen. Den Alltag und den Unterricht mit ihnen 'altersgemäß und entwicklungsgerecht' (W. Lamers) zu gestalten, wird dadurch zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Denn die Lehrkräfte müssen zum einen die altersuntypischen Aneignungs-, Interaktions- und Regulationsmöglichkeiten der Lernenden berücksichtigen und sollen sich zum andern an den üblichen kulturellen (Schulfach-)Inhalten orientieren. Das Buch bietet hierzu grundlegende Hinweise für Pädagogik, Didaktik, Diagnostik und Kommunikation sowie Praxis-Anregungen zu den Fächern Deutsch, Mathematik, Kunst und Musik.

Dr. Holger Schäfer, Förderschulrektor und Schulleiter (SGE), Mitherausgeber Lernen konkret, Lehrbeauftragter Pädagogische Hochschule Heidelberg. Thomas Loscher, Förderschullehrer und Konrektor an der JPS-Schule Friedberg in Hessen (Förderschwerpunkt Sehen). Dr. Lars Mohr, Sonderpädagoge und Dozent am Institut für Behinderung und Partizipation der HfH Zürich sowie Lehrbeauftragter am Departement für Sonderpädagogik der Universität Fribourg.
mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR39,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR34,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR34,99

Produkt

KlappentextLernende mit komplexer Behinderung zeigen Handlungs-, Kommunikations- und Selbstregulationsweisen, die stark von den alterstypischen Erwartungen abweichen. Den Alltag und den Unterricht mit ihnen 'altersgemäß und entwicklungsgerecht' (W. Lamers) zu gestalten, wird dadurch zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Denn die Lehrkräfte müssen zum einen die altersuntypischen Aneignungs-, Interaktions- und Regulationsmöglichkeiten der Lernenden berücksichtigen und sollen sich zum andern an den üblichen kulturellen (Schulfach-)Inhalten orientieren. Das Buch bietet hierzu grundlegende Hinweise für Pädagogik, Didaktik, Diagnostik und Kommunikation sowie Praxis-Anregungen zu den Fächern Deutsch, Mathematik, Kunst und Musik.

Dr. Holger Schäfer, Förderschulrektor und Schulleiter (SGE), Mitherausgeber Lernen konkret, Lehrbeauftragter Pädagogische Hochschule Heidelberg. Thomas Loscher, Förderschullehrer und Konrektor an der JPS-Schule Friedberg in Hessen (Förderschwerpunkt Sehen). Dr. Lars Mohr, Sonderpädagoge und Dozent am Institut für Behinderung und Partizipation der HfH Zürich sowie Lehrbeauftragter am Departement für Sonderpädagogik der Universität Fribourg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783170404106
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum26.06.2024
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse9571 Kbytes
Artikel-Nr.16166748
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2âDie Entwicklung von Pädagogik und Unterricht bei komplexer Behinderung: von Förderkonzepten zu Bildungskonzeptionen

André Schindler & Lars Mohr

Über Unterricht und Bildung von Lernenden mit komplexer Behinderung schreiben bzw. nachdenken zu können, ist eine gesellschaftliche Errungenschaft und (historisch betrachtet) keine Selbstverständlichkeit: Einen Zugang zu fachlich fundierten Bildungsangeboten erhielten die angesprochenen Kinder und Jugendlichen erst in der jüngeren Vergangenheit. Die Schule als die klassische Bildungsinstitution öffnete sich ihnen im deutschsprachigen Raum vor gut 50 Jahren. Bis dahin existierte der Personenkreis in der Pädagogik und Sonderpädagogik (wenn überhaupt) »höchstens am Rande« (Fröhlich 1982, 10). Es herrschte die Meinung vor, die Betroffenen entbehrten der Bildungsfähigkeit (Bernasconi & Böing 2015, 38âff.). Damit war gemeint, dass ihnen die Voraussetzungen fehlten, die für den Erwerb schulischer Bildung als unabdingbar erachtet wurden. Um welche Fähigkeiten es ging, schildert Andreas Fröhlich, ein Pionier der Pädagogik bei schwerster Behinderung, in einem Rückblick mit folgenden Worten:


»Man musste die Sprache beherrschen, man musste mit anderen Menschen kommunizieren können, man musste sich in einer Gruppe ansprechen lassen können, man musste Symbolverständnis entwickeln und man musste vor allem auch motiviert sein, sich den Anstrengungen des Lernens in diesem System zu unterziehen. Wer dies nicht konnte, galt als bildungsunfähig, zumindest aber als unfähig, eine Schule zu besuchen« (Fröhlich 2001, 145âf.; vgl. Bernasconi & Böing 2015, 40).


Menschen mit komplexer Behinderung sah man demnach »in einem vorpädagogischen Raum , wie [...] der Ausschluss vom Bildungssystem genannt wurde« (Fröhlich 2001, 146).

Die beginnende Beschulung der Kinder verdankte sich zuerst privater Initiative, d.âh. dem Engagement von Eltern und Vereinen (Weiss 2012, 255). Ab Mitte der 1970er Jahre fanden daran anschließend verschiedene Schulversuche statt. So leitete Andreas Fröhlich bspw. den 1976 beginnenden Schulversuch in Landstuhl i. d. Pfalz, der als der bundesweit einflussreichste gelten kann (ebd.). Motivation dahinter war nicht zuletzt der »Traum von einer Schule ohne Zeugnisnoten, [...] ohne Versetzungszwänge, [...] ohne 45 Minuten-Takt« (Fröhlich 2010, 25; Näheres zum Landstuhler Schulversuch: Haupt & Fröhlich 1982; 1983).

Forderungen nach Erziehung und Bildung von Kindern mit komplexer Behinderung gewannen in der Folge an Gewicht. Sie waren aber mit der Situation konfrontiert, dass die allermeisten bestehenden Sonderschuleinrichtungen weder konzeptuell noch räumlich und personell auf die Arbeit mit diesen Kindern vorbereitet waren. Zudem war der Erziehungs- und Bildungsbedarf der neuen Schülerschaft nahezu unbekannt (Haupt 1978, 49). Fehlende Erfahrungen führten dazu, dass sich Lehrpersonen tastend-probierend in das entstehende Fachgebiet einarbeiten mussten (Weiss 2012, 255). Die funktionellen und pflegerischen Bedürfnisse der Kinder mit komplexer Behinderung sowie der veränderte Zeitablauf der speziellen Förderung und die damit einhergehende inhaltliche Gestaltung trugen dazu bei, dass die Lernenden mitsamt dem für sie verantwortlichen Personal häufig in eine Randexistenz im Gesamtgefüge der Sonderschulen gerieten (Schmeichel 1998, 64; vgl. Hahn 1979, 72âff.). In der Organisation der Schulen erfolgte die Zuordnung der Kinder mit komplexer Behinderung nämlich häufig nach deren Lern- und Entwicklungsstand, wodurch diese entweder in der Unterstufe verblieben oder in »Schwerstbehindertenklassen« eingeteilt wurden (Bernasconi & Böing 2015, 42). Diese Situation ist bis in die heutige Zeit noch »überraschend häufig« anzutreffen (Klauß 2010, 346), wenngleich curriculare Hinweise und Richtlinien andere, altersangemessene Anforderungen an die Einrichtungen stellen (bspw. Rheinland-Pfalz 2001).
2.1âAspekte der Bildungsidee in früh entstandenen Förderkonzepten

Vor dem Hintergrund der skizzierten Schulgeschichte entstand die Pädagogik bei komplexer Behinderung maßgeblich aus der Praxis heraus: aus den Anforderungen einer institutionell abgesicherten Unterrichtung der adressierten Kinder (Bernasconi & Böing 2015, 43). Zunächst entwickelte sie sich hauptsächlich als Handlungsdisziplin, im Schnittfeld der unterschiedlichen beteiligten Fachgebiete, um den Personen in der Praxis ein »Rüstzeug« an die Hand zu geben (ebd.). Ärzte und Therapeutinnen sowie Geistig- und Körperbehindertenpädagogen schufen eine beachtliche Anzahl von Förder- und Therapieansätzen, welche vielmals den Körper des Menschen als Medium der Auseinandersetzung mit der materialen und sozialen Welt durch Wahrnehmung und Bewegung in den Mittelpunkt stellten. Häufig erhielt damit auch die Förderung von Kommunikation, Dialog und Beziehungen wesentliche Aufmerksamkeit. Die nach und nach publizierten Förderkonzepte wiesen hauptsächlich eine Orientierung an entwicklungspsychologischen und an handlungstheoretischen Erkenntnissen sowie eine deutliche Nähe zu Therapie und Pflege auf.

Gesamthaft kann der Beginn der Schwerstbehindertenpädagogik rückblickend (und pointiert ausgedrückt) als ein »antipädagogischer Anfang« (Ackermann 2006, 31) bezeichnet werden, da ein ausgewiesenes Bezugnehmen auf Bildungsüberlegungen in der Beschulung von Kindern mit komplexer Behinderung lange Zeit kaum oder gar nicht anzutreffen ist (Lamers 2000, 190âff.). Die ersten Konzeptionen und Methoden enthielten sich größtenteils eines Verständnisses von Bildung oder lehnten eine Verknüpfung damit sogar »expressis verbis« ab (Stinkes 2008, 86âf.). Das hatte seinen Grund: In der (Sonder-)âPädagogik wurde wie erwähnt die Bildungsfähigkeit von Lernenden mit komplexer Behinderung lange abgestritten, zugleich »Bildung« als ein zentraler Begriff genutzt. Die Affinität zu diesem Begriff war daher in der Arbeit mit der neuen Schülerschaft anfänglich gering. Fröhlich, der den viel beachteten Schulversuch in Landstuhl leitete, sprach bewusst von »Förderung«. Er wählte damit »gewissermaßen einâ[en] Kampfbegriff gegenüber einer Pädagogik, deren [...] Bildungsverständnis den Ausschluss schwerstbehinderter Menschen [...] häufig untermauerte« (Mohr 2019, 186).

Inhaltlich lassen sich gleichwohl bereits in den Anfängen der Schwerstbehindertenpädagogik Aspekte von Bildung erkennen, welche sich in der (teilweise) langjährigen Weiterentwicklung der Konzepte schließlich auch mit dem expliziten Einbezug des Bildungsbegriffs ausdifferenzieren (Schindler 2021, 200âf.). Um darauf näher einzugehen, geben wir im Folgenden einige Grundlinien ausgewählter Konzepte der Pädagogik bei schwerster Behinderung wieder. Die Urheber dieser Konzepte und ihre Überlegungen haben den Fachdiskurs und die Praxis in den zurückliegenden Jahrzehnten stark beeinflusst bzw. beeinflussen ihn bis heute.
2.1.1âEntwicklungsbezogene Förderung und Integriertes Lernen

Die Arbeiten von Ursula Haupt (bspw. 1978; 1982; 2006; 2015) verdeutlichen, dass durch eine sehr individuelle Vorgehensweise, die in sensibler und einfühlsamer Art auf das Kind eingeht und seine Äußerungen als Botschaften ernst nimmt, eine Beziehungsgrundlage geschaffen werden kann, welche Entwicklung ermöglicht. Die Grundlage der Entwicklungsförderung ist vorrangig die zuverlässige Befriedigung existenzieller Bedürfnisse des Kindes: Eine ausreichende Versorgung ist genauso wichtig wie das soziale Einbezogensein. Dabei ist die Anregung aller Sinne als menschliches Bedürfnis für die Entwicklung ebenso relevant, wie auch die Möglichkeit zu haben, sich zu bewegen, eigenaktiv tätig zu sein und eigene Erfahrungen zu machen.

Die Einladung des Kindes zur Teilhabe und Mitgestaltung des gemeinsamen Lebens bildet die Basis der Förderung, wobei die Aufgabe im Vordergrund steht, »dem Kind behilflich zu sein, die ihm mögliche Entwicklung zu tun« (Haupt 2003, 166). Eine »entwicklungsanaloge Unterstützung« (ebd., 169) bezieht das Kind dementsprechend in alltägliche Lebensvollzüge ein, damit es dadurch bedeutsame Erfahrungen machen und mit sich selbst in Verbindung bringen kann. Integriertes Lernen verbindet die eingeschränkte Lebenswirklichkeit des Kindes mit den objektiven Begebenheiten seiner umgebenden Außenwelt, wodurch sich »Lernen im Leben« (Haupt 2006, 165) realisiert.

Es ist für Haupt (2003) von besonderer Bedeutung, dass eine Auswahl von Erfahrungssituationen getroffen wird, welche dem Kind konkrete und komplexe, unmittelbare Realerfahrungen ermöglichen. Dabei bleibt es schließlich dem Kind überlassen, auf welche Eindrücke und Erfahrungen es reagiert und was es mit Hilfe ausprobieren und erkunden möchte (ebd., 167âf.). Das positive Erleben zugewandter und feinfühliger Beziehungen und das Sich-Ein-Bild-Machen von der Umwelt durch konkrete Erfahrungen...
mehr

Autor