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Gallwitz (eBook)

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
ars vivendi Verlagerschienen am04.07.20241. Auflage
Ein hochaktueller, gesellschaftlich brisanter Roman über die Selbstradikalisierung eines Mannes, politische Brandstifter und das Ende einer Ehe Jana Gallwitz sieht einem entspannten Ruhestand entgegen. Nach einem lukrativem Auslandsjob freut sie sich auf Reisen und gemeinsame Unternehmungen mit ihrem Mann Hartmut. Der ist heimlich in eine rechtsradikale Parteieingetreten und hat ein Mandat übernommen. Mit Verschwörungstheorien, Hass und Hetze dominiert er den häuslichen Alltag. Ohnmächtig und zunehmend verbittert muss Jana zusehen, wie ihre Lebensplanung zerfällt und sie selbst sozial geächtet wird. Karl Niemetz, ihr ehemaliger Lehrer, zeigt ihr anhand seiner eigenen Biografie, dass empathielose Väter nicht als Ausrede für jedes Verhalten ihrer Söhne herhalten müssen. Mit zorniger Entschlossenheit fällt Jana Entscheidungen, die nicht nur ihr Leben von Grund auf verändern.

VERA F. SCHREIBER legt nach langer Karriere im Technologiebereich ihren Debütroman vor. Bei ihren Recherchen zu Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus konnte sie sich auch auf Insiderwissen stützen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextEin hochaktueller, gesellschaftlich brisanter Roman über die Selbstradikalisierung eines Mannes, politische Brandstifter und das Ende einer Ehe Jana Gallwitz sieht einem entspannten Ruhestand entgegen. Nach einem lukrativem Auslandsjob freut sie sich auf Reisen und gemeinsame Unternehmungen mit ihrem Mann Hartmut. Der ist heimlich in eine rechtsradikale Parteieingetreten und hat ein Mandat übernommen. Mit Verschwörungstheorien, Hass und Hetze dominiert er den häuslichen Alltag. Ohnmächtig und zunehmend verbittert muss Jana zusehen, wie ihre Lebensplanung zerfällt und sie selbst sozial geächtet wird. Karl Niemetz, ihr ehemaliger Lehrer, zeigt ihr anhand seiner eigenen Biografie, dass empathielose Väter nicht als Ausrede für jedes Verhalten ihrer Söhne herhalten müssen. Mit zorniger Entschlossenheit fällt Jana Entscheidungen, die nicht nur ihr Leben von Grund auf verändern.

VERA F. SCHREIBER legt nach langer Karriere im Technologiebereich ihren Debütroman vor. Bei ihren Recherchen zu Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus konnte sie sich auch auf Insiderwissen stützen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783747206409
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum04.07.2024
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1262 Kbytes
IllustrationenHardcover mit Lesebändchen
Artikel-Nr.16518147
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Weihnachten 1958

Das Drama des hintangestellten Kindes begann für Hartmut Gallwitz am zweiten Weihnachtsfeiertag. Seine Mutter kam von der Entbindungsstation zurück und brachte ein Brüderlein mit. Hartmut war vier Jahre alt; der Kleine sollte Siegfried heißen. Der Vater war am Vormittag noch schnell mit Axt und Säge in den Wald gefahren und hatte eine krumme Fichte geholt. Er stellte das Bäumchen in einen Blumentopf mit Schottersteinen aus dem Garten und diesen auf einen Suppenteller. Dann goss er mit einer Bierflasche Wasser über den Schotter. Als Weihnachts- oder Begrüßungsdekoration warf er eine rosa Luftschlange vom letzten Kinderfasching über die Zweige. Hartmut staunte, denn dieser Christbaum sah ganz anders aus als der im Kindergarten oder die in den Schaufenstern der Kauf-häuser. Keine Kerzen, keine Kugeln, kein Lametta.

Klein Siegfried wurde in den alten Stubenwagen gelegt und zum Baum geschoben. Er begann zu plärren und fuchtelte mit den Armen. »Warum schreit der jetzt?«, fragte der Vater. »Hat er Hunger oder Blähungen?« Die Mutter antwortete nicht, sondern gab dem Kind ihren Zeigefinger zum Festhalten.

Es dauerte nicht lange, bis Oma und Opa vorbeischauten. Hart-mut stellte sich an den Wagen und zeigte stolz auf seinen Bruder. »Er heißt Siegfried«, sagte er. Sein Vater packte ihn am Hemdkragen und zog ihn zurück. »Lass mal die Großen ran, Kurzer. Die wollen ihn auch anschauen.« Die Großen hatten dicke Hintern und Bäuche. Hartmut konnte nichts mehr sehen. Niedergedrückt ging er in sein Zimmer, holte die Schachtel mit den Zinnsoldaten unter dem Bett hervor und kippte den Inhalt auf den Spieltisch. Er stellte ein Pelo-ton aus sieben Füsilieren zusammen, die mit angelegten Flinten auf einen Mann zielten. »Peng!«, rief er und gab dem Exekutierten einen Schubs. »Toter Papa.«

Hartmut Gallwitz blieb ein schmächtiges Kind. Wenn Turnlehrer Vogler in der Grundschule zu Beginn der allwöchentlichen Leibeserziehung die dreiundzwanzig Jungen der Größe nach antreten ließ, stand Hartmut als Vorletzter in der Reihe. Nur Paul Schmied war kleiner.

An Heiner Vogler war alles grau. Trainingsanzug, Turnschuhe, Haarkranz und Gesichtsfarbe. Auch der Lederhandschuh, den er an der Unterarmprothese trug. Seine linke Hand hatte er am Omaha Beach verloren, als er und seine Kameraden 1944 die Landung der US-Truppen in der Normandie verhindern sollten. Am Handgelenk der Rechten hatte er einen Lederriemen befestigt, den zu fürchten nicht nur Hartmut Gallwitz gelernt hatte. Schaffte ein Schüler die zehn Liegestütze nicht, ohne abzusetzen, oder landete er nach dem Sprung über den Kasten nicht auf beiden Füßen, bekam er ihn zu spüren.

»Reißt euch zusammen, ihr Waschlappen! Sonst zieh ich euch die Hammelbeine lang, dass ihr vierzehn Tage rückwärtsgeht«, war einer von Voglers Lieblingssprüchen.

Fast genauso schlimm war Dr. Rätke, die matronenhafte Schul-zahnärztin. Zweimal im Jahr überprüfte sie in der Aula die Zahnge-sundheit und ließ die Klasse, ebenfalls der Größe nach, Aufstellung nehmen. Ohne den Holzspatel zu wechseln, drückte sie jedem die Zunge nach unten und kontrollierte ausgiebig die Gebisse. Hartmut bekam regelmäßig einen Würgereiz und die immer gleiche Dia-gnose.

»Lauter Löcher und schwarze Stummel. Isst du nur Mohrenköpfe und Bonbons? Oder habt ihr keine Zahnbürste zu Hause?« Die anderen feixten. Hartmut war sich keiner Schuld bewusst. Er putzte täglich zweimal die Zähne, und übermäßig viele Süßigkeiten gab es in der Familie Gallwitz auch nicht. Wahrscheinlich war es die genetische Disposition mütterlicherseits, die ihm ein Gebiss beschert hatte, das nur den Zahnarzt glücklich machte.

Überhaupt war die Schule insgesamt für ihn kein Ort ungetrübter Freude. In der Grundschule galt er als zu verspielt.

»Wir hätten ihn einfach noch ein Jahr zurückstellen müssen«, klagte Mutter Hildegard regelmäßig, wenn Wilhelm Gallwitz die Stirn über die schulischen Leistungen seines Sohnes runzelte und lospolterte.

»Quatsch. Du verzärtelst den Buben«, lautete seine Standardantwort. »Der Kurze muss einfach mehr rangenommen werden. Ab sofort kriegt er von mir Nachhilfe.«

Hildegard Gallwitz wusste, dass das eine leere Drohung war. Ihr Mann war technischer Vertriebsleiter für Textilmaschinen. Die Anlagen, die sein Arbeitgeber entwickelte und herstellte, wurden in alle Welt exportiert. Für Projektierungen und Verkaufsgespräche war Hartmuts Vater oft und viel unterwegs, in Asien, Osteuropa, Nordund Südamerika. Nur wenn ein Angebot für Afrika zu bearbeiten war, meldete er sich krank oder bestand darauf, dass ein Nachwuchs-mitarbeiter in seinem Team auch einmal »Auslandserfahrungen« sammelte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Wilhelm Gallwitz Zeit für die Hausaufgabenbetreuung von Hartmut finden würde, war somit gleich null. Rechnen oder Sachkunde waren weniger das Problem des Jungen. Schlechte Noten hagelte es meist in Deutsch. Hartmut machte immer wieder die gleichen Rechtschreibfehler; er wusste nie, wann es »das« oder »daß« heißen musste, und »seit« und »seid« verwechselte er ständig. Kommaregeln waren ihm ein Rätsel.

»So schafft er es nie aufs Gymnasium«, knurrte der Vater, als die muttersprachlichen Fähigkeiten seines Sohnes im Jahreszeugnis einmal mehr mit »mangelhaft« bewertet wurden.

»Außerdem eine Vier in Musik. Wofür bezahle ich eigentlich die Klavierlehrerin?«

»Dann bezahl sie halt nicht, Papa«, klang es aus dem Korridor.

»Sag der Frau Apfel einfach, dass sie nicht mehr kommen braucht.«

»Du hältst die Klappe, Junior. Das hast du nicht zu bestimmen!«, wurde zurückgebellt.

Die Unterweisungen an dem schwarzen Familienerbstück waren Hartmut ein Graus. Seine Füße reichten kaum bis zu den Pedalen, Noten in Tastenkombinationen und Melodien umzusetzen fand er langweilig, und die Klangfolgen mit dem Ticken des Metronoms zu synchronisieren gelang ihm allenfalls per Zufall.

Hartmut spielte lieber draußen mit den Nachbarskindern. Seinen Bruder nahm er nicht mit. »Du bist noch zu klein für unsere Spiele«, beschied er ihn. Als Siegfried einmal darauf bestand, mitzukommen, gab Hartmut ihm eine Ohrfeige und ließ ihn greinend stehen. Inzwischen hatte er Wege gefunden, bei Wettbewerben nicht immer Letzter zu sein. Einmal hatten sie einen Lutscher am Ast eines Baumes in der Grünanlage der Wohnsiedlung aufgehängt. Zu fünft waren sie dann zum Geländer eines Kellerabgangs gegangen.

»Alle hier aufstellen«, hatte Dieter befohlen. Er war zwar ein halbes Jahr jünger, dafür aber einen halben Kopf größer als Hartmut und Anführer der Nachbarschaftsclique.

»Wer zuerst dort ist, bekommt den Lolli. Auf die Plätze - fertig - los!«

Alle fünf stürmten davon. Hartmut bog ums Eck und schnappte sich an der Hauswand sein Fahrrad. Er sprang auf, überholte die vier und zupfte den Lutscher vom Ast. Er riss das Zellophan herunter und steckte ihn sich in den Mund.

»Hey, das gilt nicht! Beschiss! Gib sofort den Lutscher her, Fiesi«, protestierten die anderen.

Erstaunlicherweise taten dergleichen Schwindeleien der Freundschaft von Hartmut und Dieter keinen Abbruch. Ständig steckten sie die Köpfe zusammen, streunten durch die Gegend. Sie schürten Lagerfeuer und klauten Kartoffeln von den nahe gelegenen Äckern.

Wilhelm Gallwitz´ Prophezeiung traf ein. Hartmut schaffte es nicht aufs Gymnasium, auch nicht nach der fünften Klasse in der Hauptschule. Außer Deutsch war Englisch der Stolperstein. Vokabeln und Grammatik wollten einfach nicht in seinen Kopf, mit der Aussprache war er heillos überfordert. Mutter Hildegard gab ihr Bestes, aber da sie selbst nur acht Klassen Volksschule hatte, waren ihre Möglich-keiten begrenzt. Immerhin gelang Hartmut nach der Sechsten der Wechsel in die Realschule. Mit Ach und Krach und externer Aufgabenüberwachung erreichte er das Klassenziel - bis in der Achten pubertäre Wurstigkeit und außerschulische Interessen zu zweimal

»mangelhaft« im Jahreszeugnis führten.

Am Abend der Zeugnisausgabe zitierte der Vater seine beiden Söhne ins Wohnzimmer. Er ließ sie ihre Zeugnisse nebeneinander auf den Tisch legen.

»Was steht hier für Deutsch?«, wollte er von Hartmut wissen.

»Das siehst du doch«, gab der zurück.

»Lies vor, laut!«, befahl der Vater und gab seinem Sohn einen aufmunternden Schlag auf den Hinterkopf.

» Mangelhaft «, knurrte Hartmut widerwillig.

»Laut, hab ich gesagt!« Nächster Schlag.

» Man-gel-haft! «, brüllte Hartmut.

»Ganz genau!«, bestätigte der Vater. »Und was steht hier in Siegfrieds Zeugnis für Deutsch, hm?« Wilhelm Gallwitz klopfte mit dem Zeigefinger aufs Papier.

Vor Wut und Trotz brachte Hartmut keinen Laut hervor.

» Sehr gut , steht hier!«, tobte der Vater. »Und da, bei Heimat- und Sachkunde: sehr gut . Und bei Rechnen auch! Sogar bei Religion und Turnen: sehr gut !«

Hartmut liefen die Tränen übers Gesicht. Er stürmte aus dem Raum und knallte die Tür zu. Im Kinderzimmer zertrat er Siegfrieds auf dem Fußboden ausgelegte Modelleisenbahn und kickte die Trümmer unter die Betten. Aus Brüdern wurden endgültig Feinde, lebenslang.

Einen Vorteil hatte die »Ehrenrunde«: Hartmut kam in die Klasse, die sein Freund Dieter besuchte. Der war inzwischen fast eins achtzig groß und hatte ein breites Kreuz. Der ideale Bodyguard für Hartmut. Dieter war es auch, der Hartmut in den Kajakverein mitnahm, welcher unten am Fluss sein Vereinsgelände hatte.

»Kajakverein? Willst du zu den Eskimos? Oder als Winnetou auf dem Kanal rumpaddeln?«, hatte Wilhelm Gallwitz gehöhnt, als Hartmut ihm das...
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VERA F. SCHREIBER legt nach langer Karriere im Technologiebereich ihren Debütroman vor. Bei ihren Recherchen zu Wissenschaftsfeindlichkeit,
Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus
konnte sie sich auch auf Insiderwissen stützen.
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