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Keplerstraße 2

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
C.H. Beckerschienen am21.08.2024
Wie funktioniert geisteswissenschaftliche Forschung? Der Historiker Ewald Frie und der Soziologe Boris Nieswand erklären, wie der Drang nach Prestige, der Wettbewerb um Forschungsförderung, die Suche des Nachwuchses nach Stellen und der Spaß an neuen Ideen und Einsichten eine kritische Masse bilden, aus der tatsächlich neues Wissen hervorgeht. Ein ungewöhnlicher, scharfer, geradezu verführerischer Blick in den Maschinenraum des Geistes. Weltfremde Männer vor verstaubten Folianten, deren Bücher niemand liest: Das Image von Geisteswissenschaftlern könnte besser sein. Dabei hat sich geisteswissenschaftliche Forschung in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Immer mehr Frauen bekommen eine Chance. Die Digitalisierung hat das Suchen, Lesen, Auswerten und Schreiben beschleunigt. Teamarbeit ersetzt das stille Kämmerlein. Zugleich ist der Druck gestiegen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Ewald Frie und Boris Nieswand haben zwölf Jahre lang in einem Sonderforschungsbereich zum Thema «Bedrohte Ordnungen» gearbeitet. Die Tübinger Keplerstraße 2 wurde für viele Forschende Anlaufpunkt und Arbeitsplatz. Auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen und von Interviews mit Beteiligten berichten die Autoren, wie von ersten Ideen und Theorien über Planungen und Anträge, Präsentationen und Evaluationen das Wunder vollbracht wird, dass man neue Erkenntnisse nicht planen kann, es aber trotzdem tun muss und damit auch noch Erfolg hat - jedenfalls meistens.

Ewald Frie ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen.

Boris Nieswand ist Professor für Soziologie an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrations- und Diversitätsforschung, Ethnografie, Stadtforschung sowie Soziologie der Moral.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR29,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
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E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR22,99

Produkt

KlappentextWie funktioniert geisteswissenschaftliche Forschung? Der Historiker Ewald Frie und der Soziologe Boris Nieswand erklären, wie der Drang nach Prestige, der Wettbewerb um Forschungsförderung, die Suche des Nachwuchses nach Stellen und der Spaß an neuen Ideen und Einsichten eine kritische Masse bilden, aus der tatsächlich neues Wissen hervorgeht. Ein ungewöhnlicher, scharfer, geradezu verführerischer Blick in den Maschinenraum des Geistes. Weltfremde Männer vor verstaubten Folianten, deren Bücher niemand liest: Das Image von Geisteswissenschaftlern könnte besser sein. Dabei hat sich geisteswissenschaftliche Forschung in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Immer mehr Frauen bekommen eine Chance. Die Digitalisierung hat das Suchen, Lesen, Auswerten und Schreiben beschleunigt. Teamarbeit ersetzt das stille Kämmerlein. Zugleich ist der Druck gestiegen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Ewald Frie und Boris Nieswand haben zwölf Jahre lang in einem Sonderforschungsbereich zum Thema «Bedrohte Ordnungen» gearbeitet. Die Tübinger Keplerstraße 2 wurde für viele Forschende Anlaufpunkt und Arbeitsplatz. Auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen und von Interviews mit Beteiligten berichten die Autoren, wie von ersten Ideen und Theorien über Planungen und Anträge, Präsentationen und Evaluationen das Wunder vollbracht wird, dass man neue Erkenntnisse nicht planen kann, es aber trotzdem tun muss und damit auch noch Erfolg hat - jedenfalls meistens.

Ewald Frie ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen.

Boris Nieswand ist Professor für Soziologie an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrations- und Diversitätsforschung, Ethnografie, Stadtforschung sowie Soziologie der Moral.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406821905
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum21.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse598 Kbytes
Illustrationenmit 2 Diagrammen
Artikel-Nr.17205244
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2.PLANEN


Wann begann der SFB? Offizielle DFG-Daten nennen den 1. Juli 2011, den Tag, an dem die finanzielle Förderung anlief. Auch für die Doktoranden der ersten Förderphase, mit denen wir gesprochen haben, war der 1. Juli 2011 ein markantes Datum. Die meisten erzählen einleitend zwar, wie sie zuvor bereits mit ihrem späteren Betreuer und dem Themenfeld in Kontakt gekommen waren. Aber am 1. Juli wurde es ernst. Die Arbeitsverträge traten in Kraft. Das erste SFB-Gebäude an der Brunnenstraße wurde bezogen. Wer den Computer einschaltete, hatte zunächst Schwierigkeiten, sich mit dem universitären Netzwerk zu verbinden. Aber diese Anfangsprobleme verschwanden rasch.

Manche Doktorierende und PostDocs waren vor dem 1. Juli bei Professor:innen angestellt, die im Zentrum der SFB-Vorbereitungen standen. Sie hatten den Autor:innen des Antragstextes zugearbeitet oder beim zweitägigen Besuch der DFG-Delegation, der sogenannten Begehung, mitgewirkt. Für sie gab es eine halb- oder ganzjährige Vorgeschichte des SFB. Sie waren inhaltlich besser vorbereitet auf das, was sie ab 1. Juli 2011 erwartete. Sie kannten oder ahnten bereits die Struktur, in der sie zukünftig arbeiten würden. Das eigentliche Startdatum blieb für alle dasselbe.

Professor:innen, die 2011 ein Projekt in die erste Phase des SFB einbrachten, erzählen Vorgeschichten, die sich über unterschiedlich lange Zeiträume erstrecken, immer aber länger sind als die ihrer Mitarbeitenden. Professor:innen übernehmen in der Regel die verantwortlichen Positionen in SFBs, schon deswegen, weil sie unbefristete Verträge haben und daher die für langfristige Forschungsprojekte unabdingbaren Aussagen über ihre zukünftigen Forschungsaktivitäten machen können. Professor:innen entwerfen, planen, realisieren daher SFBs. Sie tun dies in einer Gemengelage von persönlichen und Forschungsinteressen, universitären Netzwerken, Gegebenheiten ihres Fachs und benachbarter Fächer, der Politik ihrer Fakultät und der Universität im Ganzen sowie überuniversitären Rahmenbedingungen. In ihren Erzählungen verquicken sich daher individuelle Forschungsbiographie, Universitätsgeschichte und SFB-Geschichte miteinander.

Um Planung geht es in diesem Kapitel. Planung ist für Sonderforschungsbereiche notwendig, denn diese, so die DFG auf ihrer Homepage, «sind langfristige [...] Forschungseinrichtungen der Hochschulen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen eines fächerübergreifenden Forschungsprogramms zusammenarbeiten».[1] Das Forschungsprogramm muss entwickelt, die fächerübergreifende Zusammenarbeit aufgebaut werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen gewonnen werden, um gemeinsam einen mehrhundertseitigen Antrag zusammenzustellen und mehrere Begutachtungsrunden durchzustehen. Das dauert, zumal Menschen an Universitäten immer mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigt sind. In der Woche vom 10. bis 16. Mai 2010 traf sich die Gruppe, die in Tübingen an dem SFB «Bedrohte Ordnungen» bastelte, am Dienstag. Sprecher Ewald Frie nahm danach in der zweiten Wochenhälfte an einer Tagung in Sigmaringen teil, die sich mit Adel in Südwestdeutschland und in Böhmen 1450-1850 befasste. Sein Abendvortrag trug den Titel «Mühlenschreiber - Stubenmaler - Dienstmägde. Armer Adel und deutsche Gesellschaft im 19. Jahrhundert». Für die erste Wochenhälfte findet sich in seinem Terminkalender ein Hauptseminar zum Thema «1914-1923. Krieg und Nachkrieg in Deutschland, England und Frankreich». Verzeichnet sind außerdem Gesprächstermine mit potentiellen SFB-Teilprojektleitenden aus den Fächern Psychologie und Osteuropäische Geschichte. Es gab eine festliche Preisverleihung (nicht an den Sprecher), eine Sitzung des Habilitationsausschusses, eine Sprechstunde und ein Kolloquium.[2]

Die Aktivitäten zeigen, dass das Thema des Sonderforschungsbereichs immer nur eines von mehreren Themen und dass Forschung immer nur eine der Tätigkeiten der Beteiligten war. Der Blick in den Terminkalender zeigt außerdem, dass die Fächer-, Personen- und Themenkonstellation des SFB sich nicht von selbst ergab, sondern in vielen Gesprächen ausgehandelt werden musste. Alle Gesprächspartner versuchten, ihre Forschungsthemen in die SFB-Planungen hineinzubringen. Dann konnten sie dabei sein, ohne allzu viel Zeit und Mühe für ihnen bislang fernliegende Themen aufwenden zu müssen. Die Planungsgruppe ihrerseits musste auf Kohärenz achten, die ihr vorgeschlagenen Themen aufeinander und auf das gemeinsame Thema beziehen. Manche Themen, die vom Gegenstand des SFB her nahegelegen hätten, konnten nicht bearbeitet werden, weil es keine Person in Tübingen gab, die sich mit ihnen beschäftigt hatte oder zukünftig beschäftigen wollte. Planung musste mit den Chancen und Grenzen des Standortes zurechtkommen, mit den etablierten Forschungsschwerpunkten der Professor:innen, ihren begrenzten Zeit- und Arbeitskapazitäten und mit meist sehr ausgeprägten und eigenwilligen Charakteren. Die meisten geistes- und sozialwissenschaftlich Forschenden waren bis nach der Jahrtausendwende nicht gewohnt, im Team zu arbeiten, sondern verbrachten viel Zeit mit sich selbst und ihren Computern. Für gemeinsames Arbeiten unter Inkaufnahme von Rücksichtnahmen und thematischen Neuansätzen mussten viele erst gewonnen werden. Planung glich unter diesen Umständen einem Durchwursteln, bei dem gelegentlich jemand den Kopf hob, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Ein Catchword


Von den Personen, die wir zur Vorgeschichte des SFB befragt haben, entwickelt der Historiker Anselm Doering-Manteuffel den längsten Zeithorizont. Seine Geschichte beginnt in einer Tübinger Universität, die die großen Strukturreformen der Zeit nach 2006 noch vor sich hat. Philosophie und Geschichtswissenschaft bildeten eine von insgesamt sechzehn kleinen Fakultäten, die immer wieder neu zugeschnitten worden waren. Dreizehn Professoren und zwei Professorinnen trafen sich zu ausgedehnten Fakultätsratssitzungen standesgemäß in der Burse, dem ältesten erhaltenen Universitätsgebäude oberhalb des Neckars. «Da saßen Manfred Frank, Anton Schindling und ich zusammen und fingen an zu überlegen: Wollen wir nicht aus dieser Fächerverbindung in der Fakultät versuchen, ein Graduiertenkolleg zu entwickeln? Das ist der Start. Und dann habe ich den Vorschlag gemacht: Wenn wir darüber nachdenken, sollten wir uns zuerst verständigen, welches die politisch-gesellschaftlich-kulturellen Probleme sind, die uns in der Gegenwart beschäftigen oder die auf uns einwirken. Damit waren die beiden sehr einverstanden.» Die tendenziell überwältigende Dynamik der Veränderungen in den 2000er Jahren sei den dreien als Hauptproblem erschienen. «Eine Atmosphäre des Sich-Ungemütlich-Empfindens, die breitete sich, sagen wir, ab etwa 2005/06 aus. In diesem Zusammenhang habe ich den beiden Kollegen die Frage gestellt: Inwieweit sehen Sie das Ordnungsgefüge, in das wir beruflich und privat in unserer persönlichen Entwicklung eingebunden sind, noch als stabil an? So entstand die Frage, ob man nicht um das Catchword Bedrohte Ordnungen ein Konzept sowohl für philosophische als auch historische, vielleicht aber auch ideengeschichtlich formulierte Arbeiten entwerfen könnte.»

Alle drei hätten die Idee gemocht, erinnert sich Doering-Manteuffel. Sie seien aber daran gescheitert, ihre unterschiedlichen - philosophischen, ideengeschichtlichen bzw. quellennah-prozessbezogenen - Assoziationen zu dem Catchword aufeinander zu beziehen. «Nach einigem Hin und Her kamen wir überein, die Überlegung auf sich beruhen zu lassen.» Aber sowohl Anton Schindling als auch er «gingen bei noch nicht vorhandenen Vorstellungen, was man daraus macht, doch davon aus, dass das Catchword viel für sich hat, sowohl erkenntnisspezifisch als auch kommunikativ in der Wissenschaftslandschaft». Sie hätten «Bedrohte Ordnungen» daher in die Diskussion gebracht, als einige jüngere Professoren im Fach Geschichtswissenschaft über einen neuen SFB zu diskutieren begannen.

Anselm Doering-Manteuffel arbeitete in den frühen 2000er Jahren an einem zeithistorischen Forschungsprojekt «Nach dem Boom».[3] Das Ende der malochenden...
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Autor

Ewald Frie ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen.

Boris Nieswand ist Professor für Soziologie an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrations- und Diversitätsforschung, Ethnografie, Stadtforschung sowie Soziologie der Moral.