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Das große A

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Verlag Klaus Wagenbacherschienen am15.08.2024
Die Lombardei im Zweiten Weltkrieg: Die Menschen suchen Zuflucht vor ständigen Bombenangriffen, deutsche Besatzer jagen Partisanen, das Essen wird rationiert. Die 13-jährige Giada wohnt bei ihrer Tante, einer gläubigen Faschistin, Gewalt und Entbehrung prägen den Alltag. Also träumt sich Giada fort, träumt vom »Großen A«: Afrika, wo ihre Mutter Adele in den italienischen Kolonien angeblich ein abenteuerliches, unabhängiges Leben führt. Und wirklich: Nach Kriegsende holt die Mutter sie zu sich nach Eritrea. Doch die großen Erwartungen werden enttäuscht: Dauerhitze und die Arbeit in Adeles Bar am Rand der Wüste haben so gar nichts Märchenhaftes an sich. Und sogar der Kaffee schmeckt nach Salzwasser. Eritrea ist auf dem Weg in die Unabhängigkeit, die verbliebenen Kolonisten ringen um eine Zukunft unter den neuen Machtverhältnissen. Und die schillernde Mutter erstickt jeden Freiheitsdrang, bis Giada den charmanten, aber undurchsichtigen Giacomo kennenlernt. Atmosphärisch und mit störrischer Poesie erzählt Giulia Caminito von zwei widerspenstigen, willensstarken Frauen, die auf sehr unterschiedliche Weise zur Selbstbestimmtheit finden.

Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene »Ein Tag wird kommen«. Ihr dritter Roman »Das Wasser des Sees ist niemals süß« stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDie Lombardei im Zweiten Weltkrieg: Die Menschen suchen Zuflucht vor ständigen Bombenangriffen, deutsche Besatzer jagen Partisanen, das Essen wird rationiert. Die 13-jährige Giada wohnt bei ihrer Tante, einer gläubigen Faschistin, Gewalt und Entbehrung prägen den Alltag. Also träumt sich Giada fort, träumt vom »Großen A«: Afrika, wo ihre Mutter Adele in den italienischen Kolonien angeblich ein abenteuerliches, unabhängiges Leben führt. Und wirklich: Nach Kriegsende holt die Mutter sie zu sich nach Eritrea. Doch die großen Erwartungen werden enttäuscht: Dauerhitze und die Arbeit in Adeles Bar am Rand der Wüste haben so gar nichts Märchenhaftes an sich. Und sogar der Kaffee schmeckt nach Salzwasser. Eritrea ist auf dem Weg in die Unabhängigkeit, die verbliebenen Kolonisten ringen um eine Zukunft unter den neuen Machtverhältnissen. Und die schillernde Mutter erstickt jeden Freiheitsdrang, bis Giada den charmanten, aber undurchsichtigen Giacomo kennenlernt. Atmosphärisch und mit störrischer Poesie erzählt Giulia Caminito von zwei widerspenstigen, willensstarken Frauen, die auf sehr unterschiedliche Weise zur Selbstbestimmtheit finden.

Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene »Ein Tag wird kommen«. Ihr dritter Roman »Das Wasser des Sees ist niemals süß« stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783803144010
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse993 Kbytes
Artikel-Nr.17255012
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

II.

Habe eine Nähmaschine gekauft. Stopp. Mit dem Geld vom letzten Monat. Stopp.

Eine Signora. Meine Schwester hält sich für eine Signora. Mit diesem männlichen Spitznamen, den man ihr zwangsläufig gegeben hat, als man sie mit Holzklötzen und Steinen im Staub spielen sah. Jetzt hat sie den Teufel im Leib. Du hättest unsere Mutter sehen sollen, die gute Seele, sie verzweifelte. Und die Ohrfeigen von meinem Vater, die es setzte. Umschwärmt von Männern. Wie Bienen um den Honig, sagte mein Vater. Dann hat sie diesen Pietro geheiratet, den sie erst wenige Monate zuvor kennengelernt hatte, keine Absprache unter den Familien, man wusste nicht einmal, woher diese Valente kamen. Dann fand man heraus, dass sie aus Catania stammten, nicht zu fassen. Es gibt so viele schöne Mailänder, und sie findet einen solchen Typen. Aber ein Engel, das muss man ihm lassen, denn für meine Schwester braucht man eine Engelsgeduld. Kennst du die Geschichte mit dem Geschäft? Nun, dieser Pietro hatte ein kleines familiengeführtes Geschäft im Zentrum von Mailand, gleich beim Dom, und du weißt, was das wert ist, wie viele Kunden du da haben kannst. Es war klein, ein Kabuff, man hatte gerade eben zu dritt darin Platz: sie beide und der, der kaufen wollte. Er machte Schühchen für Neugeborene, aus Nappaleder, jedes nähte er von Hand, eins nach dem anderen. Pietro verstand sein Handwerk, das echte, nicht wie wir, die wir an Maschinen sitzen, er machte alles allein. Und meine Schwester schaute auf die Finanzen, denn schon als kleines Mädchen hatte sie das lernen wollen. Sie sagt, die Buchhaltung musst du selbst machen, auf andere ist kein Verlass. Immer umstürzlerisch, sie will eine große Signora sein, meine Schwester. Revolutionärin. Zunächst führte sie die Geschäfte von Pietro, die Schühchen, die Anzahlungen, kurz all das. Soll ich dir etwas sagen, Pina? Der ging´s gut, meiner Schwester, richtig gut ging´s der mit dieser Arbeit, jeden Tag hatte sie zu tun, die Rechnungen gingen immer auf. Pietro hatte in Mailand eine Mietwohnung genommen. Mir sollten sie mal eine geben, eine Wohnung in Mailand ... Irgendwann dreht sie durch und lässt alles stehen und liegen, die Kinder, die zu dritt keine sechs Jahre alt waren. Der kleine Duccio kommt nach Cantù, die kleine Rina zu den Vighis und dieses nackte Küken zu mir. Natürlich kam das schlimmste von den dreien zu mir, kein Bündel Reisig kann man ihr aufladen, und sie nimmt nur Platz weg. Nicht mal verheiraten kann man die, klein und schmächtig, wie sie ist, ein dürres Zweiglein, das bis dreißig keiner will. Sie wird spät heiraten, du wirst sehen. Meine Schwester hat sich seit Anfang des Krieges nicht mehr blicken lassen, nur ein paar Telegramme hat sie geschickt, ein Militärflugzeug hat manchmal ein paar Lire aus Afrika gebracht.

Sie hat viele Freunde dort, und Pietro wurde verlassen. Sie haben sich getrennt, sie sagt, das kann man so machen. Sie hat ihm den Laufpass gegeben. Diese Trulla von meiner Schwester hat gesagt, er wär eifersüchtig, würde sie verfolgen und ihr die Luft abschneiden, er hatte so bestimmte Ticks mit Insekten. Alles heiße Luft und Schaumschlägerei. Immer grell bunt angezogen, mit diesen hochtoupierten Haaren. Verliebt in französische Zigaretten, was erzähl ich dir das, immer auf der Suche nach dem gelobten Land, Amerika und Afrika. Der arme Pietro wollte sie im Geschäft behalten, sie sollte aufzeichnen, wie viel Schühchen verkauft wurden, der Ärmste. Wie naiv. Dann ist sie ins Autogeschäft eingestiegen, sie vermietete sie; die Kinder waren aufgeteilt, sie kam vorbei, wann sie wollte, mit diesen modischen Hüten voller Klunker und Federn, sie brachte Kekse mit, war das Idol des Viertels. Und wir, die wir sogar die Krusten von unseren Wunden knabberten, während sie an den Küsten Afrikas einem Armenier nachlief.

Sie hat eine Bar eröffnet, hat einen Lastwagen gekauft, um ihn für den Postdienst zu vermieten, eine Frau, die die Hosen anhat, mit dem Laster und der Bar. Hast du verstanden, wer hier der Gelackmeierte ist, hä? Du und ich, wir bleiben schön brav bei unseren Ehemännern und ziehen dann auch noch die Kinder von anderen groß ...

Die Tante hatte Triefaugen, eine Hakennase, dicke Wangenknochen, trockene, aufgesprungene Lippen, eine feuchte Stirn.

Ihre Schultern waren breit und oft nahm sie die Polster aus den Jacken heraus oder ließ sie erst gar nicht einnähen, sonst wirkte sie wie ein General. Sie mochte keine Gürtel in der Taille, und auch wenn das Nylon rationiert war, weigerte sie sich, Hosen anzuziehen; und ehe sie sich mit einem Kohlstückchen eine Naht auf die Waden malte wie Mariuccia, lief sie lieber mit zerrissenen alten Strümpfen oder nackten Beinen herum. Immer voller Frostbeulen, aber im Grunde hatten die von November bis März alle. Während des Krieges landete das Nylon an der Front, auch die Baumwolle landete an der Front, also blieb nur Wolle in allen Varianten.

Aus diesem Pullover machen wir uns zwei Schals, Handschuhe und zwei Mützen, sagte die Tante und warf die Kleider des Onkels auf das Ehebett.

Alles konnte man verwenden, der Tochter war kalt und die Großmutter hatte sogar erfrorene Ellbogen, und über dieser Geschichte mit den Strümpfen verlor sie noch den Verstand. Ob Wolle oder Baumwolle, das machte kaum einen Unterschied, immer dunkelgrün, mausgrau, beige oder ziegelrot. Weiße Blusen und die Haare hochgesteckt, da sie sich den Friseur nicht leisten konnten, von wegen ondulierte blonde Haarpracht der Amerikanerinnen, man begnügte sich mit diesen dürftigen Knoten und fünf rostigen Haarnadeln.

Da war die Mama schon etwas anderes.

Schuhe aus schwarz-weißem Fohlenleder, himmelblauer Mantel, der Hut schief sitzend, mit dieser einen Locke, die sich aus der Frisur gestohlen hatte, die Haarnadeln mit Steinchen verziert, ein zehn Zentimeter langer Schlitz hinten im Rock, Lippenstift in der Farbe reifer Tomaten, hauchdünne Strümpfe, nie mit Laufmaschen, hölzerne Absätze, die mehr Lärm machten als andere, gemusterte Blusen, gepunktet und voller Schleifen.

Die Mama in ihrem Lancia Ardea herfahren zu sehen war wie ins Kino zu gehen. Sie hatte in der Tat drei Autos: den schwarzen Scarafaggio für Hochzeiten, den Boschetto für lange Reisen und den Topolino für jeden Tag, so nannte sie sie.

Vor dem Krieg kam sie sie oft besuchen, sie hupte schon von Weitem und sie und Rina liefen aus dem Hof. Die Mama stieg aus, eine Duftwolke, sehr schmale Taille, die Haare nie in Unordnung.

Giada, Rina, beeilt euch, wir fahren nach Saronno Kekse holen. Vier Tüten, prallvoll. Wir bringen auch Giuseppina und Luisa welche mit. Los, beeilt euch, in der Sonne kommt man in diesem Scarafaggio um vor Hitze.

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Vor allem Giadina rannte und fiel fast hin, sie warf sich im Auto auf die Rückbank, wo, wenn die Mama es für Hochzeiten vermietete, die beiden Brautjungfern saßen. Und für sie war es wie heiraten, ans Meer fahren, nach Paris reisen, die Alpen überqueren, in Capri von den Faraglioni springen.

Die Kilometer bis zur Lazzaroni-Fabrik beim Bahnhof in Saronno zu fahren, das war ähnlich wie Hans und die Bohnenranke zum hundertsten Mal zu lesen und am oberen Ende der Pflanze anzukommen.

Du könntest wenigstens zweimal in der Woche kommen, warf die Tante ihr vor, die Hände in die Hüften gestemmt und die Augen noch weiter zugekniffen als sonst, gleich am Eingangstor, als wollte sie Ausschau halten.

Ich komme, wenn ich kann, mir wird ja auch nichts geschenkt. Wenn du sie aus purer Herzensgüte bei dir behalten willst, komme ich auch jeden Tag. So spare ich mir die sechstausend Lire im Monat.

Die Mama sprach mit lauter Stimme, sodass man sie für eine aus dem Süden halten konnte, auch wenn sie das nicht war.

Woher kommst du? Bist du aus der Ciociaria? Das ganze Viertel hört dich, bis hinunter zum Lebensmittelgeschäft. Schön stehen wir da.

Die Tante schimpfte mit zusammengebissenen Zähnen, sie sagte, die Schwester streune gern herum und mache absurde Arbeiten wie die Amerikaner. Komm in die Catoni-Werke wie alle Christen-Frauen aus guter Familie, wiederholte sie jedes Mal, frag Pietro, ob er dich wieder nimmt, auch wenn er aus Catania ist, nicht so schlimm, da drücken wir ein Auge zu, die Nappa-Schühchen waren so hübsch und das Geschäft im Zentrum von Mailand, überhaupt Mailand, verdammt nochmal.

Das Auto fuhr los und ließ nur Staub zurück, der einen zum Husten brachte.

Für eine Signora hält sie sich. Eine Signora ...

***

Der Krieg war zu Ende, aber Giadina hatte noch immer Blasen um die Nase und an den Seiten des Mundes. Sie wachte nachts auf, und wenn der Gewitterdonner grollte, rannte sie hastig in den Keller.

Sie schießen auf uns, sie schießen auf uns. Und die Tante hinter ihr her, um sie nach zwei saftigen Ohrfeigen wieder ins Bett zu stecken. Sie ekelte sich vor den Kartoffeln, die kiloweise auf dem Dachboden gehortet wurden, anstatt sie zu braten, im Feuer geröstet oder in der Suppe zu essen; nach den Schlägen wieder vorlaut, stahl sie dem Huhn von Tonetto, dem einzigen überlebenden, die Eier und kochte sie sich, wenn die Tante an die Olona Wäsche waschen ging. Alle in der Stadt hatten sich für die schöne Jahreszeit seidene Blusen und Kleider machen lassen, vor allem die jungen Mädchen. Für sie dagegen nicht einmal ein Unterhemd. Die weiche Fallschirmseide und die grobe und kratzige Wolle der Decken erinnerten sie an den Krieg, es war, als trüge man ihn immer auf der Haut. Dunkelgrau,...
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Autor

Giulia Caminito, 1988 in Rom geboren, ist in Anguillara Sabazia am Lago di Bracciano aufgewachsen. Sie hat politische Philosophie studiert und drei Romane verfasst, darunter der 2020 bei Wagenbach erschienene »Ein Tag wird kommen«. Ihr dritter Roman »Das Wasser des Sees ist niemals süß« stand 2021 auf der Shortlist des Premio Strega, gewann den alternativen Premio Strega Off und den renommierten Publikumspreis Premio Campiello. Der Roman wird in über zwanzig Sprachen übersetzt. Caminito arbeitet als Herausgeberin und Lektorin, sie lebt in Rom.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt