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Flimmern im Ohr

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Dörlemann eBookerschienen am10.09.2024
Sommer 2010. Während Priska mit ihrem Innenohr-Implantat das Hören so übt, dass die Punkmusik von früher wieder Rausch werden könnte, erschüttert ein politischer Skandal die Schweizer Öffentlichkeit. Wie in den politisch aufgeheizten 1970er- und 80er-Jahren hat der Inlandsgeheimdienst wieder illegal Daten verdächtiger Personen abgegriffen.Auch Priska wurde damals beobachtet. Die neuerliche Fichen-Affäre weckt Erinnerungen an ihre Zeit in der Clubszene und der Frauenbewegung, vor allem aber an Gina, ihr Vorbild, ihre unerschrockene Mitstreiterin und große Liebe, die ebenfalls im Visier des Staatsschutzes war. Über dreißig Jahre später denkt Priska zurück und fragt sich, wie ihr Leben wurde, was es jetzt ist.Mit poetischen Bildern und sanfter Radikalität spürt Barbara Schibli der Frage nach, ob wir mit den Jahren immer mehr wir selbst werden oder uns in Kompromissen verlieren. Und woran wir den Unterschied erkennen.

Barbara Schibli, 1975 in Baden geboren, hat Germanistik, italienische Literaturwissenschaft und Publizistik studiert. Sie lebt im Kanton Aargau und arbeitet als Gymnasiallehrerin in Baden. 2016 gewann sie den Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosamanuskript. 2017 wurde sie für ihren Debütroman Flechten mit dem GEDOK Literaturförderpreis ausgezeichnet. 2018 gewann sie mit ihrem Hörspiel Marderschreck den Wettbewerb des 8. sonOhr Hörfestivals.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextSommer 2010. Während Priska mit ihrem Innenohr-Implantat das Hören so übt, dass die Punkmusik von früher wieder Rausch werden könnte, erschüttert ein politischer Skandal die Schweizer Öffentlichkeit. Wie in den politisch aufgeheizten 1970er- und 80er-Jahren hat der Inlandsgeheimdienst wieder illegal Daten verdächtiger Personen abgegriffen.Auch Priska wurde damals beobachtet. Die neuerliche Fichen-Affäre weckt Erinnerungen an ihre Zeit in der Clubszene und der Frauenbewegung, vor allem aber an Gina, ihr Vorbild, ihre unerschrockene Mitstreiterin und große Liebe, die ebenfalls im Visier des Staatsschutzes war. Über dreißig Jahre später denkt Priska zurück und fragt sich, wie ihr Leben wurde, was es jetzt ist.Mit poetischen Bildern und sanfter Radikalität spürt Barbara Schibli der Frage nach, ob wir mit den Jahren immer mehr wir selbst werden oder uns in Kompromissen verlieren. Und woran wir den Unterschied erkennen.

Barbara Schibli, 1975 in Baden geboren, hat Germanistik, italienische Literaturwissenschaft und Publizistik studiert. Sie lebt im Kanton Aargau und arbeitet als Gymnasiallehrerin in Baden. 2016 gewann sie den Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosamanuskript. 2017 wurde sie für ihren Debütroman Flechten mit dem GEDOK Literaturförderpreis ausgezeichnet. 2018 gewann sie mit ihrem Hörspiel Marderschreck den Wettbewerb des 8. sonOhr Hörfestivals.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783038208907
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum10.09.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse1872 Kbytes
Artikel-Nr.17477021
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2
Lost in town

Natürlich schlägt das Ganze auf die Beziehung - was soll die rhetorische Frage?!

Wir haben schon einiges miteinander überstanden, Bengts Affären, meine Affären. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass wir uns wirklich entfremden. Beide voneinander wegdriften, aus unterschiedlichen Gründen. Aber so, dass ich das Gefühl habe, es gibt kein Zurück. Bengt, mein zukünftiger Ex?

Manchmal habe ich den Eindruck, ich sei ihm gleichgültig. Wie es mir mit dem CI geht - er fragt kaum je danach. Ganz am Anfang hat ihn der technische Aspekt interessiert, er wollte wissen, wie das funktioniert. Aber was es mit mir macht, scheint ihn weder sonderlich zu interessieren noch zu berühren.

Die äußeren Umstände verwirren mich dermaßen, dass ich auch nicht mehr klar spüre, was ich eigentlich für Bengt empfinde. Oder vielleicht stimmt das auch nicht, denn ich fühle mich schon noch zu ihm hingezogen, weiß aber auch nicht mehr, ob das nur Gewöhnung ist.

Mir scheint, es brauche gerade alles so viel Energie, und ich bin erschöpft. Das färbt auch auf die Beziehung ab. Dass das mit diesen sogenannten äußeren Umständen zusammenhängt, ist klar, aber ich frage mich im Moment schon auch, ob das, was ist, noch reicht.

Wir teilen wenig, verbringen kaum Zeit zusammen, unternehmen kaum mehr etwas miteinander. Unsere Interessen und Aktivitäten scheinen sich immer mehr voneinander zu entfernen. Wir engagieren uns nicht gemeinsam für etwas, haben kein gemeinsames Projekt oder Ziel. Und die körperliche Intimität ist uns auch ein Stück weit abhandengekommen - doch da schöpfe ich trotzdem Hoffnung, denn danach sehne ich mich. Und nicht die Nähe zu irgendeinem Körper, sondern wirklich einzig und allein zu Bengts Körper, zu seiner Wärme, seiner Weichheit und seiner Festigkeit.

Eine Phase ist per Definition begrenzt, aber ob diese hier ein absehbares Ende hat? Im Moment habe ich eher den Eindruck, dass unsere Situation mäandert. Sie kam denn auch nicht über Nacht, sondern das alles hat sich durch die Hintertür eingeschlichen.

Vielleicht würde uns ein Schnitt neue Energie geben. Cut.

Die Krise als Auftakt zur Veränderung?

Die Beziehung gibt mir im Moment nicht das, was ich bräuchte. Was das wäre? Rückhalt. Ja, diesen wünsche ich mir. Und weil ich diesen nicht spüre, bin ich ernüchtert und unzufrieden, ja. Und ja, ich sehe Bengt momentan in einem mehrheitlich negativen Licht.

Ist das hier das Ende der Beziehung zwischen Bengt und mir? Klar ist, dass wir uns entfremdet haben. Wir reden kaum mehr miteinander. Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse - abgesehen von den materiellen - kennen wir kaum mehr voneinander. Welche Lebensziele haben wir? Ich weiß nicht, wo Bengt hinwill. Aber ich weiß ja auch nicht, wo ich hinwill. Vielleicht müsste ich mich zuerst besser kennen, lernen, wer ich jetzt bin oder zu wem ich gerade werde, damit ich auch gegenüber Bengt wieder offener bin, ihn wirklich wahrnehmen kann als Person, ihn wieder wertschätzen kann.

Von Bengt bekomme ich zu wenig Unterstützung in dieser schwierigen Phase. Gleichzeitig kommt mir gar nicht in den Sinn, danach zu fragen, wo Bengt von mir Unterstützung bräuchte - im Moment gar nicht daran zu denken, dass ich das einfach spüren würde, ganz ohne Worte.

In letzter Zeit habe ich aber auch den Eindruck, er verheimlicht mir etwas. In seinen Augen sehe ich öfters einen unausgesprochenen Rest. Hat er größere Geheimnisse vor mir? Wir hatten immer die Devise, uns Affären und Seitensprünge mitzuteilen. Hält er sich nun nicht mehr daran? Aber vielleicht gehen seine Geheimnisse ja auch in eine ganz andere Richtung.

Ich bin wie gelähmt, handlungsunfähig. Auch weil ich nicht weiß, was tun, was ganz konkret. Was würde Frau Häusermann in meiner Situation tun? Da kommt mir ein Mann in den Sinn, den ich mal im Tram gesehen hatte, als ich hinter ihm stand und er den Türknopf drückte, sah ich sein Armband, darauf stand: W.w.J.d. Das hatte mich so irritiert, und ich mag es schlicht nicht, wenn ich Zeichen nicht lesen kann, so dass ich zuhause gleich recherchierte, was das heißen sollte. What would Jesus do? Ich stellte mir den Mann wieder vor, wie er bei jeder Unsicherheit auf das Armband schaute, das ihm dann Kompass sein sollte. Bei mir stünde also: W.w.M.H.d.

Es ist, als ob ich eingefroren wäre, und ich beobachte, wie von außen, wie alles außer Kontrolle gerät. Ich registriere unberührt. Als würde ich unbeteiligt ein Video in Zeitlupe schauen. Die Dinge werden in einer Katastrophe münden, so wie das ausschaut, aber dann bricht das Video ab.

Ich fühle mich einsam. Ziehe mich immer mehr zurück. Meine, alles selbst bewältigen zu müssen. Alles stemmen.

Wenn ich Fotos von früher anschaue, dann sind da immer zehn, fünfzehn Leute drauf, alle um einen Tisch, auf Kissen, dicht gedrängt, ein Gewusel, Geschiebe, Gedrücke, Körper an Körper. Und heute, wenn auf einem Bild drei Leute sind, ist das schon viel. Wir haben uns vereinzelt.

Ich klammere mich am Job fest. Das habe ich schon immer gemacht, wenn es in anderen Bereichen schwierig wurde. Berufliche Stabilität in unsicheren Zeiten.

Ich habe viel Berufserfahrung, nicht ganz geradlinig angesammelt, aber manche schätzen das, und allen muss man es ja auch nicht unter die Nase reiben. Ich weiß schon, wie man einen Lebenslauf frisiert.

Eine abgebrochene Lehre als Dekorateurin im Warenhaus, Vorkurs an der Kunsthochschule, eine Lehre als Modellbauerin bei einem Architekten, dann Anstellung als Modellbauerin bei der Stadt Zürich, darauf in Bengts Firma ein kurzer Abstecher in die Werbung, ich habe da meine wenigen Videokenntnisse in Werbefilmen angewandt, parallel und anschließend diverse Schulungen und Weiterbildungen im administrativen Bereich und jetzt also mein Job im Backoffice einer Grafik-Bude. Klingt doch passabel, wenn man all die Jahre mal so rafft.

Jetzt besteht meine Aufgabe darin, größere Grafikprojekte zu planen und zu koordinieren, das Gesamte im Blick behalten, das ist eine meiner Stärken - zumindest beruflich. In der Normalität die volle Professionalität. Ich bin gut darin, Fehler zu erkennen und auch in der Fehlerbehebung, finde oft unkonventionelle Lösungen. Immer geht es um zufriedene Kundinnen und Kunden. Der Großteil der Kundenbetreuung läuft digital, das ist ein Vorteil, denn Telefonate sind seit der Hörbeeinträchtigung schwierig. Ich koordiniere Termine, organisiere Besprechungen, überwache die Fortschritte, verwalte Dokumente, und das ist mir besonders wichtig: Ich bin zuständig für die Sicherstellung der Datenintegrität.

Insgesamt ist mein Job auf Geschmeidigkeit aus. Und immer: der Zeit auf den Fersen. Progress.

Aber ich bin dann auch froh, wenn um siebzehn Uhr einfach mal Schluss ist. Die Verantwortung hat auch ihre Grenzen.

Manchmal merke ich schon, dass mir die vertiefte Auseinandersetzung mit der Materie im Bereich Grafik fehlt, oder vielleicht eher, alles von der Pike auf gelernt zu haben. Mein Wissen funktioniert wie ein Puzzle, alles fügt sich am Schluss zusammen, aber ich kann auf nichts zurückgreifen, das sich systematisch gebildet, aufgebaut hat. Manchmal höre ich mir selbst bei Gesprächen zu und es durchfährt mich: Was für eine Hochstaplerin! Dass ich manchmal über Zusammenhänge zu wenig Bescheid weiß, merke ich oft, wenn ich mit Grafikerinnen oder Designern zu tun habe. Das Zeugs zum Studieren hätte ich doch eigentlich gehabt. Ja. Aber was genau hätte ich dann studiert? Grafikdesign? Wohl kaum. Es hätte mich eher in die Geschichte oder in die Soziologie gezogen.

Ja, was wäre, wenn? Wer wäre ich dann heute?

Ich denke nicht allzu oft über alternative Lebenswege nach. Was wäre gewesen, wenn ich Gina nicht kennen gelernt hätte? Wenn der Unfall nicht passiert wäre?

Die Möglichkeit des Implantats erschien mir als Möglichkeit einer vorwärtsgewandten Veränderung. Prozess.

Jahrelang habe ich mich mit unzulänglichen Hörgeräten herumgeplagt. Eigentlich waren sie die ganze Zeit eine einzige Herausforderung. Jedes neue Gerät bedeutet, sich wieder daran gewöhnen, zigmal individuelle Anpassungen bei den Akustikern vornehmen lassen, alles wieder kalibrieren. Und dann doch diese Unzufriedenheit darüber, wie es klingt, wenn überhaupt etwas bis zu einem durchklingt. Meine große Schwierigkeit sind Nebengeräusche, das kann ich fast nicht filtern. Und wenn ich versuche, selbst zu justieren, dann hab ich immer mit Rückkoppelungen zu kämpfen. À gogo. Und dann verursachen die Geräte bisweilen selbst unangenehme Geräusche, pfeifen in extrem hohen Tonlagen, so dass alle um einen rum zusammenzucken und sich gequält die eigenen Ohren zuhalten. Und dann immer das Problem mit den Batterien und dem Aufladen, die reinste logistische Planungsaktion.

Und die aufwändige Reinigung. Den Tragekomfort gibt es nur in der Werbung. Und auf Ästhetik kannst du pfeifen, du siehst damit eh aus wie eine Oma.

Und dennoch: Die Vorteile überwiegen die Nachteile klar, denn ohne Hörgeräte hätte ich seit dem Unfall nur ganz schwerlich gehört. Aber von Lebensqualität kann wirklich nicht die Rede sein. Ja, natürlich wird die Technik immer besser, werden die Elemente immer kleiner - aber es bleiben Hörgeräte.

Da mein Resthörvermögen eben nur noch klein ist, waren die Hörgeräte ohnehin nie die beste aller Wahlmöglichkeiten. Denn die Hörgeräte konnten Sprache, Geräusche, Klänge und Musik lediglich ein Stück weit verstärken und das reichte in meiner Situation eben nicht. Deshalb machten mir...

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Autor

Barbara Schibli, 1975 in Baden geboren, hat Germanistik, italienische Literaturwissenschaft und Publizistik studiert. Sie lebt im Kanton Aargau und arbeitet als Gymnasiallehrerin in Baden. 2016 gewann sie den Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosamanuskript. 2017 wurde sie für ihren Debütroman Flechten mit dem GEDOK Literaturförderpreis ausgezeichnet. 2018 gewann sie mit ihrem Hörspiel Marderschreck den Wettbewerb des 8. sonOhr Hörfestivals.
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Schibli, Barbara