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Inszenierte Versöhnung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
290 Seiten
Deutsch
Campus Verlag GmbHerschienen am08.09.20161. Auflage
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf 'privaten Pilgerreisen' in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf 'Normalisierung'; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.

Jenny Hestermann, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut.
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Produkt

KlappentextIn den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf 'privaten Pilgerreisen' in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf 'Normalisierung'; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.

Jenny Hestermann, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783593435459
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum08.09.2016
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.28
Seiten290 Seiten
SpracheDeutsch
Illustrationen23 Abbildungen
Artikel-Nr.17539905
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Inhalt
I. Einleitung 9
II. Vorsichtige Kontaktaufnahme und beginnende Kooperation in den 1950er Jahren 25
III. Von der Waffenhilfe zur Diplomatie - "Private" und offizielle Reisen in den 1960er Jahren 49
1. Die antisemitische Welle in der Bundesrepublik 1959/1960 und ein erstes Gipfeltreffen 54
2. Ein Schwabe zu Besuch bei Schwaben - Der Altpräsident Theodor Heuss in Israel im Mai 1960 58
3. "Deutschlands Ansehen wiederherstellen" - Eugen Gerstenmaier in Israel im November 1962 77
4. "Hereingebracht wie ein Dieb in der Nacht" - Franz Josef Strauß 89
5. "Zwiespalt zwischen Vernunft und Gefühl" - Die Verhandlungen zur Aufnahme
diplomatischer Beziehungen 94
6. "The builder of Jsrael" - Altkanzler Adenauers Pilgerreise im Mai 1966 119
7. Fazit 142
IV. Konsolidierung der Hegemonie und "keine Neutralität der Herzen" - Die 1970er Jahre 145
1. "Ausgewogene Nahostpolitik" statt "einseitiger Vergangenheit" 149
2. Der "erste Kanzlerbesuch seit Kaiser Wilhelm" - Willy Brandt im Heiligen Land 184
3. Gegenseitige Ernüchterung 204
4. Fazit 220
V. "Leopard" und "Gnade der späten Geburt" - Die frühen 1980er Jahre 221
1. Ein Besuch, der nicht stattfand - Die Schmidt-Begin-Kontroverse 235
2. Die "Gnade der späten Geburt" - Ein unbefangener Helmut Kohl auf Staatsbesuch 241
3. Fazit 258
VI. Zusammenfassung 263
Abkürzungsverzeichnis 269
Archive und Literatur 271
Danksagung 284
Personenregister 286
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Leseprobe
I.Einleitung
Als der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz 2014 nach Israel reiste, zog er mit seiner öffentlichen Stellungnahme zur Verteilung von Wasserressourcen die Kritik vieler Parlamentarier in der Knesset auf sich und sorgte für einen Eklat. Mitglieder der Regierungspartei Likud hatten vorab angekündigt, Schulz' Rede vor der Knesset boykottieren zu wollen. Der Abgeordnete Moshe Feiglin erklärte, es sei unzumutbar, einer Rede in der Sprache jener Verbrecher zuzuhören, die seine Eltern in die Deportationszüge und Krematorien gebracht hätten. Schulz hatte zuvor die palästinensischen Gebiete besucht und berichtete nun davon, dass ihm ein Palästinenser in Ramallah erzählt habe, der Pro-Kopf-Wasserverbrauch der Israelis übersteige den der Palästinenser um das Vierfache. Noch während dieser Rede stürmte der Wirtschaftsminister Naftali Bennett mit den Worten 'Ich akzeptiere keinen Lügenreigen, und schon gar nicht von einem Deutschen' demonstrativ aus dem Saal. Das deutsch-israelische Verhältnis ist auch im Jahr 2014 noch von der Ermordung der europäischen Juden bestimmt, die gut 70 Jahre zuvor von Deutschen geplant, organisiert und durchgeführt worden war, also von Ereignissen, die allgemein als 'die Vergangenheit' bezeichnet werden.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Holocaust wurden die Beziehungen zwischen deutschen und israelischen Politikern wie auch die zwischen Wissenschaftlern beider Länder häufig als 'Brücke über den Abgrund' bezeichnet. Strittig war, ob diese Brücke gebaut werden könnte, ja gebaut werden sollte. Anhand privater und offizieller Besuche und der Biographien der reisenden Politiker wird in der vorliegenden Untersuchung nach der politischen Praxis gefragt, die zur Annäherung und zum 'Brückenbau' führte - und danach, welche Risse in dieser Brücke immer wieder auftraten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, von den ersten Kontakten bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und ihrer Ausgestaltung, müssen vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliks und des beginnenden Kalten Kriegs betrachtet werden. Denn die Bundesrepublik Deutschland und Israel verstanden ihre diplomatischen Beziehungen als ein pragmatisches Projekt, das sich auf politische Konstellationen und die Wahrnehmung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessenlagen gründete. Im Sinne eines 'Gabentauschs' erhielt Israel dringend benötigte finanzielle Hilfe zum Aufbau des Landes, und die Bundesrepublik konnte Legitimität und internationales Ansehen zurückgewinnen. Auch wenn es beiden Ländern vorrangig um ihre je eigenen, konkreten Interessen ging, betonten sie gegenüber der breiten Öffentlichkeit die weitreichende moralische Bedeutung der bilateralen Beziehungen.
Die Frage lautet daher, in welchem Maß die Annäherung zwischen beiden Staaten vom Bewusstsein der verübten Verbrechen und von der Sensibilität der deutschen Seite für die israelischen Traumata und Befindlichkeiten geprägt war. Aber es muss auch gefragt werden, bis zu welchem Grad die machtpolitischen Konstellationen des Kalten Krieges in die deutsch-israe­lischen Beziehungen hineinspielten. Während die Rhetorik der Politiker nahelegte, dass das bilaterale Verhältnis und seine Entwicklung vor allem von der Geschichte des Holocaust her zu verstehen sei, trat dieser Gesichtspunkt in den Besuchsprogrammen und den diplomatischen Notizen im Umfeld der Besuche zunehmend in den Hintergrund. So wird zu zeigen sein, dass die deutsche Außenpolitik, wie sie sich in den Israel-Reisen deutscher Politiker und einigen Gegenbesuchen israelischer Politiker artikulierte, zu jedem Zeitpunkt von den eigenen Interessen innerhalb des westlichen Bündnisses und, damit verknüpft, im Nahen Osten abhängig war.
Die rhetorische Gestaltung des bilateralen Verhältnisses soll anhand der Besuchskultur nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt wird hier auf die bisher weitgehend unbeachteten sogenannten privaten Besuche ranghoher Politiker in den 1960er Jahren gelegt, die in Israel den Boden für die offiziellen Empfänge nach 1965 bereitet haben. Denn persönliches Engagement und die Betonung der moralischen Bedeutung des deutsch-israelischen Verhältnisses waren notwendig, um trotz des beiderseitigen Unbehagens Vertrauen zu schaffen. Personen, die schon im Nationalsozialismus Ämter bekleidet hatten und in der Nachkriegszeit in allen deutschen Ministerien zu finden waren, kamen dafür nicht in Frage. Diese besondere Rolle bei der deutsch-israelischen Versöhnung konnten nur deutsche Politiker übernehmen, die biographisch nicht belastet oder selbst im NS-Regime verfolgt worden waren. Sie, die für das von Ben Gurion proklamierte 'andere Deutschland' standen, waren als Einzige in der Lage, bei den Israelis Vertrauen in den demokratischen Wandel der Bundesrepublik zu wecken.
Auch die Botschafter und Staatssekretäre sind als Akteure für diese Untersuchung von Bedeutung: Sie waren maßgeblich an der Organisation der Treffen beteiligt, die im Fokus dieser Untersuchung stehen. Diplomaten beider Seiten haben in ihren Memoiren die persönlichen Kontakte als wichtigen förderlichen Faktor für das Gedeihen der staatlichen Beziehungen gewürdigt. Wenn sich keine 'persönliche Chemie' einstellte, wie zwischen den Außenministern Gerhard Schröder (CDU) oder Walter Scheel (FDP) und ihrem jeweiligen israelischen Pendant, nahm die Frequenz der diplomatischen Reisen deutlich ab.
Nach eigener Einschätzung der reisenden Politiker fanden fast alle Besuche in einer 'kritischen' Phase der bilateralen Beziehungen statt. Sie hatten, so lautet eine weitere These, immer auch Rückwirkungen auf innenpolitische Konflikte. In welchen Situationen dies jeweils geschah, wird Gegenstand der Untersuchung sein.
Eine stilisierte Form von Repräsentation und Zeremoniell wie bei offiziellen Staatsbesuchen liegt in den 1960er Jahren noch nicht vor. Erst bei Willy Brandts Staatsbesuch im Jahr 1973 waren alle Bewegungsabläufe der Protagonisten, von der Ankunft des Bundeskanzlers auf dem israelischen Flugplatz Lod an, minutiös orchestriert und auf den Schritt genau vorgeschrieben. Doch auch die privaten Treffen lassen sich unter diesem Aspekt analysieren: Welche Stationen waren jeweils vorgesehen? Auf welche Weise thematisierten die Akteure die deutsche Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen? Welche Rituale, Leitmotive und choreographierten Programmpunkte begleiteten den Besuch?
Die Analyse scheinbarer Nebensächlichkeiten, etwa des ritualisierten Ablaufs von Begrüßungen und des Zusammentreffens von Politikern mit deutsch-jüdischen Professoren, nimmt die Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft in den Blick und trägt zu deren Reflexion und Interpretation bei. So können beispielsweise Anzahl und Rang der empfangenden Minister am Flughafen als Statussymbol gelesen werden: Bei Präsident Barack Obamas Besuch in Israel im März 2013 standen sämtliche Minister am Flughafen Spalier, so dass der Eindruck entstand, der kleine Staat empfange den großen König.
Öffentliche Auftritte und Äußerungen gleichen Theateraufführungen, ihre Bühne sind beispielsweise Pressekonferenzen, und sie spielen sich nach einem zuvor vereinbarten Protokoll ab. Sie bilden den Stand der Beziehungen der beteiligten Staaten zueinander ab. Die Begriffe 'front stage' und 'back stage' von Erving Goffman fangen die Dimensionen von Politik 'vor' und 'hinter' den Kulissen ein. Die verschiedenen Stationen eines Besuchs geben die Bühne ab, und die Akteure schaffen durch ihre Sprach- und Themenwahl einen Raum, in dem sich die Inhalte und Konflikte des deutsch-israelischen Verhältnisses verdichten. Das Publikum der Aufführung ist die Öffentlichkeit, sowohl die physisch anwesende als auch jene, die durch begleitende Berichterstattung der Medien entsteht. Im Fall des deutsch-israelischen Verhältnisses versuchten zudem bestimmte Gruppen, die Demonstration von Normalität zu untergraben und durch Proteste zu durchbrechen. Sie waren, als Abweichungen vom Protokoll, in Israel Gradmesser für gelungene oder missglückte 'politische Theateraufführungen'. Durch ostentative An- oder Abwesenheit, wenn deutsche Politiker in Israel Reden hielten, durch Unmutsbekundungen oder Applaus und durch die zeitgleiche Berichterstattung nahm die demokratische Öffentlichkeit an diesen Aufführungen teil. Daher werden Israel-Reisen deutscher Politiker in dieser ­Arbeit als Inszenierungen aufgefasst. Da die pragmatischen Interessen, die den persönlichen, teils sogar freundschaftlichen Kontakten zugrunde lagen, oft nicht offen benannt wurden, hatten die Begegnungen etwas Inszeniertes. ­Sowohl bei den 'privaten' als auch bei den hochgradig ritualisierten offiziellen Besuchen brachten besonders die Abweichungen vom Protokoll das Unbehagen im deutsch-jüdischen beziehungsweise deutsch-israelischen Verhältnis zum Ausdruck.
Die Historiographie der deutsch-israelischen Beziehungen wird durch die vorliegende Arbeit um die Geschichte derjenigen Politiker-Zusammenkünfte ergänzt, die im Zwischenraum zwischen Privatem und Offiziellem der Aufnahme diplomatischer Beziehungen den Weg ebneten und schließlich diese Beziehungen mitbestimmten. Insbesondere im Jubiläumsjahr 2015 wurden die seit fünf Jahrzehnten bestehenden deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen als 'Erfolgsgeschichte' präsentiert - die interessante Frage scheint jedoch weniger die zu sein, ob und inwiefern heute ein 'Erfolg' diagnostiziert werden kann, sondern welches die Aspekte sind, die die Merkwürdigkeit bestimmter Konstellationen in der deutschen Nachkriegsgeschichte sichtbar machen. Das retrospektive, durchaus korrekte Urteil, dass es sich um einen 'Erfolg' handle, kann Abgründiges in der Geschichte der Bundesrepublik und ihrer interessengeleiteten Außenpolitik kaum sichtbar machen. Wenn heutige demokratische Errungenschaften und die Versöhnung mit den ehemals von Deutschen besetzten Ländern Europas und mit Israel im Fokus des politischen Selbstverständnisses stehen, wird leicht vergessen, wie fragil und keineswegs selbstverständlich der Weg dorthin war und wie er von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde.
Diese Arbeit versteht sich als 'Kulturgeschichte der Diplomatie'. Die darin durchgeführte Analyse der Reisediplomatie über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren fügt der Geschichte politischer Ereignisse die Ebene symbolpolitischer Handlungen hinzu, indem sie die Planung und den Ablauf der privaten und offiziellen Besuche deutscher Politiker in Israel sowie die Berichterstattung darüber in den Vordergrund rückt. Es soll gezeigt werden, wie persönliche Kontakte und Lebensgeschichten deutscher Politiker dazu beigetragen haben, die deutsch-israelischen Beziehungen zu gestalten. Methodisch verknüpft diese Studie also 'symbolische' Politik mit 'Realpolitik'. Statt nach dem 'Warum' wird nach dem 'Wie' der internationalen Beziehungen gefragt. Erst die Verbindung von Interessenpolitik, persönlichem Einsatz und Symbolpolitik, so die These dieser Arbeit, ermöglichte die Annäherung beider Staaten nach der Shoah.
Forschungsstand
Erst in den letzten Jahren begann die historische Forschung, den Ereignistyp 'Staatsbesuche' näher zu beleuchten: Johannes Paulmann untersuchte unter dem Titel Pomp und Politik Monarchenbegegnungen im 19. Jahrhundert als politisches Instrument. Er fragte, unter welchen Bedingungen symbolisches Handeln und internationale Politik sich miteinander verknüpfen, und forderte einen Richtungswechsel in der Geschichtsschreibung der diplomatischen Beziehungen: Statt lediglich rationale Erwägungen und Ereignisse in den Blick zu nehmen, gelte es, die Rituale und den Appell an Gefühle bei Großereignissen zu untersuchen. 'Politik und staatliches Handeln werden als vernunftbestimmt dargestellt, das politische Handeln beruht scheinbar auf nüchternen Entscheidungen in rational konstruierten Systemen. [...] Für politische Rituale und den damit verbundenen Appell an die Gefühle ist seit der Entzauberung der Welt vermeintlich kein Platz mehr'. Zu den symbolischen Handlungen zählt er den obligatorischen Austausch von Geschenken, die Art und Weise, wie Empfänge gestaltet werden, und die Sprachwahl bei Reden, zu den 'Ritualen' alle Formen standardisierter und außergewöhnlicher Handlungen.
Auch Simone Derix analysierte Staatsbesuche als Bühne. Sie wählte als Beispiel die Bundesrepublik, die sich ab Mitte der 1950er Jahre als politischer Akteur wieder international sichtbar zu machen suchte, und kommt zu dem Schluss, dass Staatsbesuche einen wichtigen Beitrag zur westdeutschen Rückkehr auf das weltpolitische diplomatische Parkett geleistet hätten - ein Schritt, durch den die junge Bundesrepublik 'symbolisches Kapital' gewonnen habe. 'Staatsbesuche als Spiegelbild der Wirtschaftswundergesellschaft' - diese These verfolgte auch Frieder Günther mit seiner Forschung zur auswärtigen Repräsentation der Bundesrepublik durch Bundespräsident Theodor Heuss in den 1950er Jahren. Während in Paulmanns Untersuchungszeitraum, der das 'lange 19. Jahrhundert' umfasst, die Staatsoberhäupter sinnbildlich den Stand ihrer Beziehungen aufführten, scheint es in Zeiten der Massendemokratie nicht mehr selbstverständlich zu sein, den Treffen der 'großen Männer' eine herausragende Bedeutung zuzusprechen. Auch gibt es nun ein öffentliches Publikum, das eine aktive Rolle für sich vor und auf der Bühne einfordert.
Die Historiographie über die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen hat sich der politischen Rhetorik weitgehend angepasst und beschäftigt sich mit den Fragen, warum und aus welchen Motiven sie aufgenommen worden sind, ob Versöhnung tatsächlich stattgefunden hat und inwieweit moralische Überlegungen dabei eine Rolle gespielt haben. Wie ungewiss die Zukunft dieser Beziehungen aus zeitgenössischer Perspektive erschienen sein mag, lässt sich so nur noch schwer nachvollziehen. Die Forschungsliteratur hat sich bislang auf drei Aspekte konzentriert: Sie hat erstens die Rolle der deutsch-israelischen Beziehungen unter dem Aspekt der geostrategischen Implikationen gewürdigt, die mit Deutschlands Rückkehr in die internationale Gemeinschaft in den 1950er Jahren und mit seiner Suche nach Verbündeten während des Kalten Krieges ab den 1960er Jahren verbunden waren. Zweitens hat sich die Forschung auf die ökonomischen Interessen Israels konzentriert. Besonders in den 1950er Jahren war der strukturschwache junge Staat dazu gezwungen, zunächst eine Wirtschaft und Infrastruktur aufzubauen sowie später, in den Siebzigerjahren, mit der Hilfe des deutschen Partners sich an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu assoziieren. Und drittens hat ein Teil der Forschungsliteratur das starke Versöhnungsbedürfnis deutscher Politiker herausgearbeitet. In diesem Zusammenhang wurde die aus den 1960er Jahren stammende politische Formulierung eines 'special relationship' zwischen Deutschland und Israel in der Forschung aufgegriffen, wobei allerdings aus dem Blick geriet, dass diese Charakterisierung auch politischen Zielen diente. Während die 'Besonderheit' im deutsch-israelischen Verhältnis aufs Engste mit dem Holocaust verbunden war, ist die Formulierung eines 'special relationship' auch für andere Konstellationen verwendet worden, etwa für die britisch-amerikanischen Beziehungen, wie vor allem Gardner Feldman und Pallade gezeigt haben. Die deutschen Versöhnungsbestrebungen richteten sich nicht nur auf Israel, sondern zu anderen Zeitpunkten und mit anderer Ausprägung auch auf jene europäischen Länder, die von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg besetzt und bekämpft worden waren: insbesondere auf Frankreich und, im Rahmen der neuen Ostpolitik, auch auf Polen, Tschechien und andere osteuropäische Länder. Die Frage, wie aus existentieller Entfremdung und Misstrauen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit hervorgehen kann, lässt sich somit anhand einer Vielzahl anderer Konstellationen untersuchen, wie zum Beispiel anhand des britisch-irischen oder japanisch-koreanischen Verhältnisses.
Trotz des großen Interesses an den deutsch-israelischen Beziehungen und ihrer Bedeutung sind nur drei Monographien zu ihrer Geschichte in deutscher Sprache zugänglich; davon enden zwei im Jahr 1965 mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen: Der israelische Historiker Yeshayahu Jelinek untersuchte die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen über einen Zeitraum von 20 Jahren auf der Basis von umfangreichem Archivmaterial. Die ebenfalls auf einem umfangreichen Quellenkorpus beruhende Untersuchung des ehemaligen Botschafters Niels Hansen mit dem Titel Aus dem Schatten der Katastrophe konzentriert sich stark auf die Verdienste der 'beiden großen Staatsmänner' Ben Gurion und Konrad Adenauer. Die dritte Monographie mit dem sprechenden Untertitel Geschichte einer Gratwanderung von Markus Weingardt bietet einen Überblick von 1949 bis 1990 - er verwendet jedoch fast ausschließlich Presseartikel als Quelle, nicht Archivmaterial. Auch fehlt die israelische Perspektive, da er nur deutsch- und englischsprachige Quellen und Literatur heranzieht.
Die deutsche Forschung unterscheidet sich in ihren Annahmen sub­stanziell von der israelischen: Im Gegensatz zu Hansen erkennt der israelische Politikwissenschaftler Shlomo Shpiro in der Beziehung zwischen Ben Gurion und Adenauer lediglich höflichen Respekt: Ben Gurion habe den Deutschen nie wirklich vertraut, und seine Rede vom 'anderen Deutschland' sei rein pragmatisch motiviert gewesen. Der israelische Historiker Yechiam Weitz beschreibt die Stimmung beim Abschluss des Luxemburger Abkommens als düster, erst das persönliche Treffen zwischen Ben Gurion und Adenauer 1960 in New York habe Anzeichen von Entspannung gezeigt. Die in der deutschen Forschung oft verwendete Formulierung des 'besonderen' und 'einzigartigen' Verhältnisses kontrastiert der israelische Historiker und Journalist David Witzthum mit seiner These, dass insbesondere während des Kalten Kriegs die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nicht 'besonders', sondern einzig und allein 'Realpolitik' gewesen seien. Deutschland sei für Israel aufgrund der historischen Schuld leichter als Partner zu gewinnen gewesen als andere europäische Staaten: 'Furthermore, in exchange for the reparations - and diplomatic relations - extended to Israel, Ben Gurion was willing to pay the true price Bonn demanded: legitimacy in the eyes of the US and recognition as ?the sole representative? of the German people and nation [...].' Es gab also einen Austausch von symbolischen Ressourcen auf der einen Seite - Deutschland erhielt einen anerkannten internationalen Status zurück, die Westintegration wurde erleichtert - und materiellen Ressourcen auf der anderen Seite - Israel bekam Waffen und Güter sowie Finanzhilfen. '[...] Deutschland konnte nicht wieder zu einem geachteten und gleichberechtigten Mitglied der Völkerfamilie werden, ehe es seinen Willen zur Wiedergutmachung - soweit sie überhaupt möglich ist - bekundet und erwiesen hatte', hatte Adenauer nach seiner Reise nach Israel im Jahr 1966 gesagt. Das Trauma des Holocaust und des Krieges beeinflusste eher die israelische und die deutsche Gesellschaft, so Witzthum, weniger jedoch die politischen Beziehungen. Und Dan Diner argumentierte im Jubiläumsjahr 2015, dass sich über das Abkommen von 1952 Deutschland und Israel gegenseitig als Staaten konstituiert hätten.
Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Lily Gardner Feldman untersuchte die deutsch-israelischen Beziehungen auf ihren Gehalt an 'Moral' - in ihrer Sicht war die deutsche raison d'état ab den Verhandlungen von 1952 sowohl von Moral als auch von Pragmatismus motiviert. Das deutsche Streben nach Versöhnung habe sich in symbolischen Akten wie Kranzniederlegungen und Gästebuchsignierungen artikuliert: 'Germany acknowledged grievances through carefully orchestrated and highly public government acts [...].' Die Forschungsdebatte um 'Normalität' versus 'Besonderheit' der politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wertet Michael Wolffsohn als bloße Rhetorik: 'Dem Ritual der Gewohnheiten entspricht das Ritual um Begriffe: Normalität? Besonderheit? Besondere Normalität? Schuld? Verpflichtung? Verantwortung? Einmaligkeit? Einzigartigkeit? Usw. usw. Inhalte? Nein, meistens Worthülsen!'
Die vorliegende Untersuchung greift diese Debatten am Beispiel der privaten Reisen ranghoher Politiker und der Staatsbesuche auf. Sie analysiert die Besuchsverläufe als Inszenierungen, die den jeweiligen Interessen förderlich sein sollten.
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