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Bevor der letzte Zug fährt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
280 Seiten
Deutsch
Dörlemann eBookerschienen am08.03.2023
Ruth Whiting, 37, müsste eigentlich glücklich sein. Sie lebt im idyllischen Londoner Umland, hat drei gesunde Kinder, und ihr Zahnarztgatte kommt an den meisten Wochenenden heim. In Wahrheit langweilt sie sich zu Tode, ihr Leben ist eine endlose Aneinanderreihung von Verabredungen mit anderen Vorortfrauen, und bei Kuchen, Sherry und geistlosen Gesprächen verrinnt ihre Zeit. Als ihre 18-jährige Tochter ungewollt schwanger wird, erinnert sich Ruth daran, wie sie jung Mutter wurde, bevor sie überhaupt wusste, wer sie war. Jetzt will sie alles dafür tun, ihrer Tochter eine freie Entscheidung zu ermöglichen. In ihrem 1958 erstmals veröffentlichten Roman seziert Penelope Mortimer mit sarkastischem Humor die Abgründe eines unfreien Frauenlebens und zeigt zugleich den Schmerz ungewollter Mutterschaft. Ein aktuelles Thema, zeitlos brillant erzählt.

PENELOPE MORTIMER, geboren 1918 im walisischen Rhyl, studierte in London und arbeitete als Kummerkastentante für die Daily Mail. Ihre Kurzgeschichten erschienen regelmäßig im New Yorker und in der Sunday Times, ihr Debütroman Johanna wurde 1947 veröffentlicht. Es folgten u. a. Daddy's Gone A-Hunting (1958) und The Pumpkin Eater (1962), der 1964 erfolgreich verfilmt wurde. Daneben schrieb sie Drehbücher, eine Biografie der Queen Mother und erhielt für ihre Autobiografie About Time 1979 den Whitbread Prize. Sie war zweimal verheiratet, zuletzt mit dem Schriftsteller John Mortimer, und hatte sieben Kinder. Penelope Mortimer starb 1999 in London. KRISTINE KRESS studierte Germanistik, Malaiologie und Philosophie in Köln und Prag. Sie lebt als freie Lektorin, Dozentin und Übersetzerin in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextRuth Whiting, 37, müsste eigentlich glücklich sein. Sie lebt im idyllischen Londoner Umland, hat drei gesunde Kinder, und ihr Zahnarztgatte kommt an den meisten Wochenenden heim. In Wahrheit langweilt sie sich zu Tode, ihr Leben ist eine endlose Aneinanderreihung von Verabredungen mit anderen Vorortfrauen, und bei Kuchen, Sherry und geistlosen Gesprächen verrinnt ihre Zeit. Als ihre 18-jährige Tochter ungewollt schwanger wird, erinnert sich Ruth daran, wie sie jung Mutter wurde, bevor sie überhaupt wusste, wer sie war. Jetzt will sie alles dafür tun, ihrer Tochter eine freie Entscheidung zu ermöglichen. In ihrem 1958 erstmals veröffentlichten Roman seziert Penelope Mortimer mit sarkastischem Humor die Abgründe eines unfreien Frauenlebens und zeigt zugleich den Schmerz ungewollter Mutterschaft. Ein aktuelles Thema, zeitlos brillant erzählt.

PENELOPE MORTIMER, geboren 1918 im walisischen Rhyl, studierte in London und arbeitete als Kummerkastentante für die Daily Mail. Ihre Kurzgeschichten erschienen regelmäßig im New Yorker und in der Sunday Times, ihr Debütroman Johanna wurde 1947 veröffentlicht. Es folgten u. a. Daddy's Gone A-Hunting (1958) und The Pumpkin Eater (1962), der 1964 erfolgreich verfilmt wurde. Daneben schrieb sie Drehbücher, eine Biografie der Queen Mother und erhielt für ihre Autobiografie About Time 1979 den Whitbread Prize. Sie war zweimal verheiratet, zuletzt mit dem Schriftsteller John Mortimer, und hatte sieben Kinder. Penelope Mortimer starb 1999 in London. KRISTINE KRESS studierte Germanistik, Malaiologie und Philosophie in Köln und Prag. Sie lebt als freie Lektorin, Dozentin und Übersetzerin in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783038209089
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum08.03.2023
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2109 Kbytes
Artikel-Nr.11178540
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Ruth Whiting stieg aus, sobald der Zug hielt. Sie hatte ihre Einkäufe beisammen, seit die Bahn am Friedhof vorbeigefahren war, die schmuckvollen Tüten und dezenten Schachteln aus Knightsbridge. Sie hatte an der Tür gestanden, das Ticket in den Handschuh gesteckt, die Pakete mit den Schlaufen und Griffen nach oben auf dem Sitz, sodass sie keine Zeit verlieren würde. Ramsbridge war die Endstation. Selbst wenn sie überraschend im Wagen eingeschlossen worden wäre, hätte keine Gefahr bestanden. Wäre sie in Eile gewesen, hätte sie die Pakete vielleicht für einen wackligen Sprung auf den Bahnsteig zusammengerafft. Sie war nicht in Eile. Sie stand einfach nur da in diesem staubigen, einsamen Wagen, vor der vorüberziehenden Kulisse aus Abraumhalden, schwarzen Ziegeln und Reklame für Mazawattee-Tee und Virol-Malzextrakt, und versuchte, Ordnung zu halten.

Diese spezielle Fahrt, nachdem sie die Kinder wieder ins Internat verabschiedet hatte, war immer unerträglich. Auf dem Weg nach London war der Waggon noch voll, die beiden Jungs füllten ihn mit ihren Beinen und Füßen, den in den Ferien aufgeschürften Knien und den neuen schweren Schuhen, ihre Körper, klein und über diese langen, knochigen, seltsam gekleideten Extremitäten gekrümmt, steckten in Blazern, die ihnen entweder zu klein oder zu groß waren. Ihre Hände lagen unschlüssig im Schoß, zu schwach, um ein Bonbon auszuwickeln oder die Seiten der erbaulichen Comics umzublättern, die sie ihnen besorgt hatte. Das Gespräch war hektisch, zusammenhanglos und für alle drei eine Strapaze. Alles war auf den Moment der Trennung ausgerichtet, den Augenblick, in dem der andere Zug, größer, schneller und grausamer als dieser hier, in das dunstige Sonnenlicht hinter Waterloo hinausgleiten würde und zwei Insektenarme winkten, bis sie ruckartig nach drinnen gezogen wurden.

Bis der Zug außer Sicht war, würde Ruth ihre Hand erhoben halten, nicht winkend, sondern als ob sie einen schüchternen, unbeholfenen Segen erteilte. Wenn sie sich danach umdrehte, kehrte sie in eine Welt ohne Disziplin und Ziel zurück. Das war der Grund für ihre vielen Einkäufe. Auf der Rückfahrt besetzten die Pakete den stillen Waggon, das leere Auto; sie mussten ausgepackt und eingeräumt werden, sie waren eine Garantie auf die Zukunft.

Sie war die Erste auf dem Bahnsteig, dem Klackern ihrer hohen Absätze folgte das müde Schlurfen der wenigen Pendler, vier oder fünf vorzeitig gealterte Geschäftsmänner, die aus Sparsamkeit, gesundheitlichen Gründen oder Feigheit entschieden hatten, dass es vernünftig wäre, jeden Tag hundertfünfzig Kilometer weit zu fahren. Sie passierte die Schranke - das Handgelenk mit einer charmanten, fast koketten Geste ausgestreckt, um das Ticket zur Entnahme aus dem Handschuh darzubieten, ja, sie sind gut losgekommen murmelnd, ja, wird komisch sein ohne sie  -, ehe das abgehalfterte Glied heruntergezogener Trilbyhüte und alter Armeeregenmäntel die zischende Lokomotive entlanggekrochen kam. Sie war im Auto und auf dem Weg, bevor sie aus dem Bahnhof tröpfelten, die Augen gegen die schwache, ungewohnte Sonne zusammengekniffen, und sich mit bleichen Gesichtern bang nach ihren Frauen umsahen, die mit etwas Glück gekommen waren, um sie abzuholen.

Erst als sie von der Hauptstraße abgefahren war, rutschte Ruth in ihrem Sitz ein wenig nach unten, lockerte ihren Griff ums Lenkrad und seufzte. Es war Herbst. Der lange, quälende, frustrierende Sommer war vorbei: der Sommer der nassen Socken und der von Salz und Sand versteinerten Turnschuhe; der Sommer der Gummistiefel und Monopolyrunden, der im Regen stehen gelassenen Fahrräder und des ständigen, stechenden Kaugummigeruchs; der Sommer der Unzulänglichkeit. Er begann mit Erdbeeren, die wie Juwelen aus feuchten Blättern und Strohhaufen herausgeklaubt wurden, und endete mit erbittertem Streit darüber, wer die Stangenbohnen, hart und braun wie altes Leder, schnippeln musste. Und jetzt war es vorbei. Die Kinder, der Sommer, fort.

Die Straße kletterte zwischen kupferrot und purpurn leuchtenden Buchen steil nach oben. Die Luft war rauchig, füllte die Brust mit dem bitteren Geschmack verkohlten Holzes.

Was bleibt? Was ist übrig für morgen?

Angela. Angela ist noch da. Warum denkst du nicht an Angela?

Selbst Rex war fort, dankbar zurückgekehrt zur Arbeit und seiner Londoner Wohnung, nach dem Monat der Qual und der Langeweile, auch bekannt als sein Urlaub. Es war mitten in der Woche, und nie schaffte er es, die Kinder zum Zug zu bringen. Er machte es gut, indem er sie am Abend davor anrief. Wenn sie die verdrehten Augen sah, das übertriebene Lächeln, das angestrengte Hochwinden und Zusammensacken an der Wand, als wären sie von einem tödlichen Stromschlag getroffen, dann wusste sie genau, dass Rex seinen Witz über die Hausmutter erzählte, sie davor warnte, zu viel zu essen, und sie daran erinnerte, dass er sie, Ruth, angewiesen hatte, jedem von ihnen zehn Schilling zu geben, die sie nicht verlieren sollten. Manchmal verschwand nach so einem Telefongespräch der Ältere, Julian, und verbrachte eine qualvolle halbe Stunde damit, Wiesenkerbel auszurupfen und die Hühner zu triezen. Das, alles davon, war vorbei.

Sie zitterte und fragte sich, ob Angela daran gedacht hatte, Feuer zu machen. Endlich brachte sie sich dazu, an Angela zu denken, die den ganzen Tag alleine gewesen war, die jetzt darauf wartete, dass sie nach Hause kam. Sie versuchte, sich darüber zu freuen, dass Angela da sein würde. Sie versuchte, dankbar zu sein. Sie konzentrierte sich bewusst auf das Bild von Angela, wie sie Feuer machte, ihr langes Haar über die Schulter fließend, während sie vor dem Rost kniete und ihre grazilen Finger anmutig Stück für Stück die Kohle nahmen und diese auf den pyramidenförmig aufgeschichteten Holzstöcken arrangierten, als legte sie ein Mosaik. Ihr langer, schmaler Körper in schwarzen Jeans und dunklem Pullover auf dem Kaminvorleger zusammengekauert, beinahe unscheinbar. Das Bild wurde lebendig. Das Gewicht der Einsamkeit hob sich. Sie fuhr schneller. Es gab immer noch Angela zu umsorgen, die das Feuer genau zur rechten Zeit entfachte.

Nach einer kurzen Weile begann sie zu singen, leise, leicht schief. Wenn die Jungs im Auto sangen, blieb sie still. Wenn sie allein war, ging sie alle Lieder durch, die sie in der Schule gelernt hatte, Drink to Me Only, The Lass of Richmond Hill, Men of Harlech. Gelegentlich sang sie Kirchenlieder oder, wenn es eine besonders lange und einsame Fahrt war, das ganze Te Deum. Manchmal zählte sie - Männer mit Hunden, Männer mit Bärten, gescheckte Pferde - und erreichte dabei schwindelerregende Punktestände gegen sich selbst. An diesem Abend sang sie, um sich Mut zu machen, und konnte über dem immer höher steigenden Motorengeräusch kaum den Klang ihrer Stimme hören.

Oben auf dem Hügel öffnete sich die Landschaft zu einem flachen Plateau aus Stechginster, Brombeersträuchern und Adlerfarn, durchzogen von schmalen Straßen ohne Zäune. Hier oben war die Luft schwer vom Frost. Es war noch nicht dunkel, trotzdem schaltete sie das Standlicht ein und wurde langsamer, als zwanzig Meter vor ihr ein Motorrad in die Straße einbog, beschleunigte und wild aufröhrend auf sie zukam. Sie registrierte einen Jungen, der einen gewaltigen Schal um den Hals geschlungen hatte, ein Mädchen mit wehendem Haar auf dem Sozius, die Arme im Dufflecoat eng um die Taille des Jungen geschlungen. Während sie an ihr vorbeischossen, öffnete das Mädchen den Mund, verbog sich gefährlich und winkte. Als Ruth sich umdrehte, verschwand das rote Rücklicht gerade in der Ferne, tauchte in den Wald, war fort.

Also hatte Angela doch kein Feuer gemacht. Das Haus würde leer sein.

Sie bog an der Kreuzung ab und fuhr langsam den holprigen Weg hinunter. Die Lichter aus dem Haus der Tanners drangen durch die hohe Eibenhecke, zwei Autos parkten in der Auffahrt. Die Tanners hatten Besuch. Sollte sie anhalten und klingeln, sich in das schummrige, unordentliche Wohnzimmer wagen, zu den gleichgültigen Fremden?

»Ich habe gerade meine Tochter getroffen â¦« Sie konnte schon ihr kleines Lachen hören, etwas zu beflissen, zu sehr betonend, dass es als Witz gemeint war. »Auf dem Rücksitz einer Vespa an mir vorbeirasend. Nein, ich habe nicht die leiseste Idee, wer der Fahrer war. Ein junger Mann aus Oxford, nehme ich an.« Das sollte heißen, Sie wissen ja, wie diese Teenagermädchen sind, einfach nicht zu kontrollieren. Jemand würde sie desinteressiert fragen, wie alt Angela sei, und sie würde sagen: achtzehn, und jemand anders, wahrscheinlich eine Frau, würde sagen: Nein, auf gar keinen Fall könne sie eine achtzehnjährige Tochter haben, und Richard Tanner würde sagen: Oh ja, die Zeitungen waren voll davon damals.

In all den Jahren ihrer Ehe - ein langer Krieg, in dem ein Angriff, so er nicht erfolgte, stets drohte - hatte sie eine meisterhafte Geschicklichkeit erworben. Verletzungen konnten vermieden, dem Unglück entkommen werden, indem man weglief. Gefühle von Schuld und Feigheit wurden überwunden mit Hilfe von Träumen, Spielen und dem sanften Klang ihrer eigenen Stimme, die sie beriet und tadelte, wenn sie im Haus herumwirtschaftete. »Arme alte Mum«, hatte sie Julian zu Angela sagen hören, »sie wird ein bisschen bekloppt.« Sie war immer noch jung und ihr nach außen gewöhnliches Leben erfüllt von tiefer Fantasie und voller Verstecke - unter den gleichförmigen Tagen befand sich ein Irrgarten aus Heimlichkeit und List und Hoffnung.

Sie würde nicht zu den Tanners gehen. Sie hatte dem verführerischen Impuls widerstanden, sich zu zeigen, zu versuchen, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Sie...

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PENELOPE MORTIMER, geboren 1918 im walisischen Rhyl, studierte in London und arbeitete als Kummerkastentante für die Daily Mail. Ihre Kurzgeschichten erschienen regelmäßig im New Yorker und in der Sunday Times, ihr Debütroman Johanna wurde 1947 veröffentlicht. Es folgten u. a. Daddy's Gone A-Hunting (1958) und The Pumpkin Eater (1962), der 1964 erfolgreich verfilmt wurde. Daneben schrieb sie Drehbücher, eine Biografie der Queen Mother und erhielt für ihre Autobiografie About Time 1979 den Whitbread Prize. Sie war zweimal verheiratet, zuletzt mit dem Schriftsteller John Mortimer, und hatte sieben Kinder. Penelope Mortimer starb 1999 in London.

KRISTINE KRESS studierte Germanistik, Malaiologie und Philosophie in Köln und Prag. Sie lebt als freie Lektorin, Dozentin und Übersetzerin in Berlin.