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Asmarom und die Superhelden

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
240 Seiten
Deutsch
Fontiserschienen am21.09.20181. Auflage
Ben, ein Mathe-Freak und Comic-Fan, träumt von Superkräften und Heldentaten. Doch seine Fettleibigkeit und sein asoziales Umfeld halten ihn in der tristen Realität. Als er im Krankenhaus behandelt wird, lernt er eine neue Welt kennen. Eine Welt, in der niemand der Norm entspricht, aber in der auch nichts echt ist, weder Leben, Licht noch Luft. Ben teilt das Patientenzimmer mit dem durch Brandwunden entstellten Tobias und dem Flüchtlingsjungen Asmarom aus Eritrea. Für Aufregung sorgt eine neuartige Gentherapie, die an der schwerkranken Elena angewendet wird und sie zum Forschungsobjekt macht. Die Jugendlichen werden vermessen und auf Norm getrimmt. Als bei Asmarom mysteriöse Symptome auftauchen, wollen die anderen drei helfen. Aus einem Versteck heraus beobachtet Asmaroms Schwester Noemi die Station. Und hat eine verwegene Idee. Überraschende Unterstützung bekommen die fünf Jugendlichen von einer polnischen Putzfrau und einem afrikanischen Arzt.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR14,00

Produkt

KlappentextBen, ein Mathe-Freak und Comic-Fan, träumt von Superkräften und Heldentaten. Doch seine Fettleibigkeit und sein asoziales Umfeld halten ihn in der tristen Realität. Als er im Krankenhaus behandelt wird, lernt er eine neue Welt kennen. Eine Welt, in der niemand der Norm entspricht, aber in der auch nichts echt ist, weder Leben, Licht noch Luft. Ben teilt das Patientenzimmer mit dem durch Brandwunden entstellten Tobias und dem Flüchtlingsjungen Asmarom aus Eritrea. Für Aufregung sorgt eine neuartige Gentherapie, die an der schwerkranken Elena angewendet wird und sie zum Forschungsobjekt macht. Die Jugendlichen werden vermessen und auf Norm getrimmt. Als bei Asmarom mysteriöse Symptome auftauchen, wollen die anderen drei helfen. Aus einem Versteck heraus beobachtet Asmaroms Schwester Noemi die Station. Und hat eine verwegene Idee. Überraschende Unterstützung bekommen die fünf Jugendlichen von einer polnischen Putzfrau und einem afrikanischen Arzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783038485148
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum21.09.2018
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse928 Kbytes
Artikel-Nr.8788504
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Kapitel 4
Kalkulierbar

Der Krankenhausalltag hat seinen festen Rhythmus. Ben könnte eine stochastische3 Gleichung erstellen, um das Eintreffen einer Pflegekraft, einer Küchenhilfe oder Putzfrau vorherzusagen. Einzig der Professor bleibt unberechenbar.

Ben fügt sich in die Gleichungen ein und klammert nach jedem Termin eine Unbekannte aus. X = Laufen in der Physiotherapie. Y = Interessiert aussehen in der Gesprächsrunde. Z = Schweigen, wenn der Professor redet.

Am liebsten ermittelt er den Wert P für Pause. Doch die Pausen im Zimmer sind öde. Tobias sieht nicht nur aus wie eine verschrumpelte Echse, er ist auch ebenso schweigsam und verharrt reglos auf der Matratze. Wenn es unbedingt sein muss, lässt er sein Smartphone für sich sprechen: «Nein. Ja. Geh weg. Hack ab.»

Bevor Ben sein kostbares P vergeudet, verzieht er sich auf die Sofaecke der Station. Dort thront er wie auf einem Floß, schaut dem Treiben um sich herum zu, nimmt Eltern mit quengeligen Kindern mit, wenn sie auf einen Termin warten. Es braucht nur ein aufgeschlagenes Bilderbuch in seinen Händen, und die Kinder werden auf seine Polsterinsel gespült.

«Ben liest vor», jubeln sie, und wer kann, krabbelt zu ihm. Sie sitzen auf seiner Schulter, klammern sich an seinen Arm oder reiten auf seinem wippenden Fuß. Ben genießt es, er kann sich nicht erinnern, jemals so viel Körperkontakt gehabt zu haben, außer den Nackenklatschern seines Vaters oder der Schubserei in der Trambahn.

Der Junge in Greisengestalt schwankt zu den Polstern und ankert an Bens Seite. Die Gehstöcke lehnen wie Angelruten neben ihm, und gemeinsam fischen sie nach Geschichten.

Ben würde am liebsten auf seiner Insel bleiben, aber Schwester Kim plärrt wie ein Nebelhorn, dass Physiotherapie ansteht.

Allein bei dem Gedanken an Bewegung bricht bei Ben der Schweiß aus. Tobias steht schon am Fahrstuhl, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und das Handy hält er wie einen Kompass vor sich. Gemeinsam schauen sie auf die sich verändernden Zahlen des Aufzuges.

Langsam öffnen sich die Türen. Tobias hätte mitfahren können, aber mit Ben würde die maximale Belastung übertroffen werden. Er hat es nicht eilig und wartet auf den nächsten, auch Tobias bleibt.

Überrascht schaut Ben ihn an. Sein Bettnachbar steht so nah, dass er die sterilen Verbände riechen kann. Wäre Tobias' Haltung nicht so gekrümmt, wären sie gleich groß. Inzwischen haben schon drei Schwestern gerufen, sie sollen doch gefälligst die Treppe nehmen, das täte ihnen gut. Sie ignorieren es und kommen zu spät in die Therapieräume.

Die Physiotherapeuten heißen Dani und Matze. Auf den Schildern an ihrer Brust stehen nur die Vornamen, und sie sehen aus wie Barbie und Ken. Die Obertherapeutin hat keinen Vornamen, dafür zwei Nachnamen, Frau Alfer-Stark. Sie wirkt wie eine vertrocknete Gouvernante und ordert Ben sofort auf das Laufband.

Tobias verzieht sein Gesicht, und Ben weiß, dass diese Fratze ein Grinsen ist. Ein schadenfrohes Echsengrinsen, denn seine Narben werden von Barbie-Dani eingecremt und massiert. Tobias soll elastischer und Ben straffer gemacht werden.

Schnaufend steht er auf dem XXXL-Laufband und setzt Fuß vor Fuß. Obwohl er Höchstleistung bringt, bewegt er sich wie eine Schnecke. Sein Schweiß hinterlässt eine Schleimspur auf dem Band und an den Griffen. Frau Alfer-Stark treibt ihn mit Kommandos an: «Po anspannen! Bauch anspannen! Schulterblätter zusammen! Schultern senken!»

Ben hört nichts, sein Puls hämmert in den Ohren. Frau Alfer-Stark drückt ihre knorrigen Hände in seinen Körper und korrigiert die Haltung. Bens Füße schlurfen über das gummierte Band, aber sein Geist legt einen Sprint hin. Er fixiert die Digitalanzeigen seines Laufbandes und errechnet mögliche Veränderungen seines Energieverbrauchs, zum einen, wenn er seine Arme zusätzlich schwingt, zum anderen, wenn er seinen Gluteus Maximus tatsächlich anspannt. In seinem Kopf türmen sich Zahlen mit Hochrechnungen und Wahrscheinlichkeits-Gleichungen.

Endlich ziehen sich die Klauen aus seiner Seite zurück, Ben unterbricht seine Berechnung und hört den Therapeuten zu.

«Wie geht es denn unserer Diva?» Frau Alfer-Stark wendet sich zu Barbie-Dani, die einen Korb mit Handtüchern, Gymnastikmatten, Igelbällen und Gummibändern packt.

«Elena?»

Ben nutzt Alfer-Starks Unaufmerksamkeit und dreht den Temporegler runter.

«Schwierig», sagt Dani, «sie macht meistens nicht mit. Hat irgendwie aufgegeben.» Sie atmet tief durch und schiebt den Korb in die Armbeuge.

«Was ist mit Elena?» Mit Schnaufen und Schweiß erreicht seine Frage Alfer-Stark.

«Geht ... dich ... nichts ... an», und mit jedem Wort dreht sie den Temporegler höher.

Ben wird in schnellere Bewegung gesetzt, und Fragen joggen durch sein Hirn: Ist das das Mädchen mit Sonderstatus, das andere beneiden, das in der Presse war? Er wird Tobias fragen.

Zum Reden bleibt wenig Zeit. Nach dem Laufbandtraining schiebt Alfer-Stark die Jugendlichen in den Nachbarraum zur Yoga-Gruppe. Ben geht gerne hin, er legt sich auf die Matte und entspannt, denn keiner drückt ihm in die Rippen oder Schultern. Tobias hasst es.

«Un-männ-lich», knarzt sein Lautsprecher.

Die Yogatante nimmt ihm das Handy weg und säuselt: «Wir wollen uns entspannen.»

Mit steifen Bewegungen biegt sich Tobias zwischen Ben und Wand.

Ben hat den Verdacht, dass er als Sichtschutz dient, denn in der Rückenlage erhebt sich sein Bauch wie ein Bergmassiv. Ben schließt die Augen, seine Arme ruhen an der Seite, und er atmet zum Rhythmus der Worte, die die Therapeutin haucht. Er atmet Sonnenschein ein und Wolken aus. Er fühlt, wie ein Lichtstrahl durch seine Schädeldecke dringt, sich bis zu den Fingerspitzen ausbreitet und letztlich seine Fußsohlen zum Glühen bringt. Immer leiser wird die Stimme der Therapeutin.

Ben schält sich aus seinem Körper, eine Schicht nach der anderen fällt ab, und zum Vorschein kommen breite Schultern, ein kräftiger Brustkorb und eine schmale Taille. Er erhebt sich als Superheld und schüttelt sich die Fetthüllen von den Beinen.

Er schnappt sich den Greisenjungen, wirft seine Gehstöcke weit weg und streicht mit seinen Händen über dessen Fußsohlen, bis sie zur Normalgröße schrumpfen. Als er ihn auf den Boden stellt, wirkt er so alt, wie er tatsächlich ist: zehn.

In der Ferne erkennt Ben seine Mutter. Er eilt auf sie zu, bläht seine Lungen mit Luft und pustet ihr ins Gesicht. Sie reißt ihre Augen auf. Ben pustet weiter, und aus ihren Augen gleitet ein Schatten. Es ist die Gleichgültigkeit, sie huscht über ihren Rücken hinunter und verkriecht sich in einem Erdloch.

Bens Mama schaut ihn an, lächelt und streichelt sein Gesicht. Hitze steigt auf. Es raschelt und knistert, er dreht sich um und schaut in eine lodernde Fratze. Ein Feuerwesen baut sich vor ihm auf, und in dessen Krallen verkokelt Tobias. Ben schlägt die Hände zusammen und setzt Druckwellen frei, doch das Feuerwesen reagiert nicht.

Tobias schreit, seine Füße rieseln als Asche zu Boden.

Tobias röchelt. Seine Haut schmort wie eine Synthetikdecke über ihm zusammen.

Tobias wimmert. Verzweifelt errechnet Ben die Schmelztemperatur von Knochen. Aber wozu, eine Rechnung rettet niemanden.

Rasselnder Atem kratzt an seinem rechten Ohr. Ben zwingt sich, die Augen zu öffnen, und dreht seinen Kopf zu den Geräuschen.

Tobias liegt wie eine Schaufensterpuppe neben ihm. Die Narben ziehen seine Haut zusammen, und Muskeln zeichnen sich wie Seile ab. Nacken, Wirbelsäule und Knie liegen nicht auf dem Boden. Seine Haut erlaubt es ihm nicht, sich ganz auszustrecken. Tobias muss Schmerzen haben.

Ben wünschte, er wäre wirklich ein Superheld oder hätte wenigstens den Mut, die Hohlräume mit kleinen Kissen auszupolstern. Stattdessen liegt er nur da und betrachtet die gelb-orangen Spiralen an den Wänden.

Die anderen Jugendlichen werden unruhig, kramen in ihren Hosentaschen oder rutschen auf den Gummimatten herum. Die Therapeutin haucht «Psssst» durch ihre imaginären Wolken, doch keiner will noch über Wolken laufen. Also lässt sie den Schlegel über die Klangschale wandern und beendet die Stunde.

Tobias verlässt als Erster den Raum, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ben staunt über seine Schnelligkeit. Es muss ihn viel Kraft kosten, seinen steifen Körper zur Bewegung zu zwingen.

Ben rollt sich auf den Bauch, stemmt die Knie auf die Matte und stützt sich mit den Armen ab in dem Bemühen, sich rückenschonend zu erheben. Als er steht, ist nur noch die Therapeutin im Raum. Sie öffnet Fenster, schaltet Licht an und sprüht Desinfektionsspray auf die Matten. Ben streicht sein XXXL-Shirt glatt und schaut sich um.

«War schön mit der Sonne und so.»

«Du hast geschlafen.»

«Nein, nein, das täuscht. Ich habe visionalisiert und nachgedacht.»

Die Therapeutin wippt mit ihrem Kopf, rollt die Matten zusammen und fragt betont lässig: «Und worüber?»

Von seiner Verwandlung in einen Superhelden will er nicht erzählen.

«Bestimmung ... Denken Sie, es gibt eine Bestimmung?»

«Schicksal? Ich weiß nicht.»

«Nein, nicht Schicksal, das klingt so zufällig. Als würden Götter in Asgard Mensch-ärgere-dich-nicht spielen oder Roulette auf dem Olymp. Ich meine eher eine Berufung, einen Lebenssinn.»

«Ben, du kannst der werden, der du bist.»

Dabei schaut die Therapeutin ihm tief in die Augen und spricht mit ihrer Atme-die-Sonne-ein-Stimme, dann bückt sie sich zu den getrockneten...
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