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Hoffnung und Fest

BuchGebunden
120 Seiten
Deutsch
brotsuppeerschienen am19.11.2021
Unter der Smogdecke im westnorwegischen Bergen strandet eine junge Frau in einer provisorischen Unterkunft. Miete, Alkoholkonsum und Studentendarlehen finanziert sie mit der Arbeit beim Schredderdienst der Heilsarmee. Sie unterhält ein mahlendes Selbstgespräch, lässt sich von Freunden aber gerne unterbrechen.»Hoffnung und Fest« ist ein Roman über den lächerlichen Abstand zwischen dem kleinen Leben, in das man eingebunden ist, und den grossen Banden, die die Welt zusammenhalten. »Schonungsloser und schräger Seitenblick auf die Wirklichkeit.« Cathrine Krøger, Dagbladetmehr

Produkt

KlappentextUnter der Smogdecke im westnorwegischen Bergen strandet eine junge Frau in einer provisorischen Unterkunft. Miete, Alkoholkonsum und Studentendarlehen finanziert sie mit der Arbeit beim Schredderdienst der Heilsarmee. Sie unterhält ein mahlendes Selbstgespräch, lässt sich von Freunden aber gerne unterbrechen.»Hoffnung und Fest« ist ein Roman über den lächerlichen Abstand zwischen dem kleinen Leben, in das man eingebunden ist, und den grossen Banden, die die Welt zusammenhalten. »Schonungsloser und schräger Seitenblick auf die Wirklichkeit.« Cathrine Krøger, Dagbladet
Details
ISBN/GTIN978-3-03867-060-5
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
FormatMit Lesebändchen
Verlag
ErscheinungsortBiel
ErscheinungslandSchweiz
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum19.11.2021
Seiten120 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht212 g
Illustrationenauf dem Cover
Artikel-Nr.49804568
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
DAS GROSSE GANZEIn der Nacht auf einen weiteren Montag schlief ich schlecht. Das Wohnhaus schien ein ganzer Organismus zu sein und ich war ein Bauchzwicken, ein schwärender Blinddarm. Jedes Mal, wenn ich mich fast in den Schlaf gewälzt hatte, wachte ich wieder auf, weil jemand über die Treppen hüpfte oder an den Hähnen Wasser zapfte. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die letzte Miete bezahlt hatte. Als der Radiowecker ansprang und der problemorientierte Sender, auf den ich ihn eingestellt hatte, den Raum füllte, fühlte ich mich alles andere als ausgeruht. Ich hörte die News, als beträfen sie mich persönlich. Es ging um eine geplatzte Immobilienblase. Um gescheiterte Politik, Spekulation und große Besorgnis. Mehrere blaue Flecken unbekannten Ursprungs übersäten meine Beine. Ich steckte sie in eine Hose. Es war eine dieser Morgenstunden, an denen ich fürchtete, es könne wirklich alles mit allem zusammenhängen, wie das Gro Harlem Brundtland einmal gesagt hatte. Mir geht diese Scharfsicht für Zusammenhänge eigentlich ab, der Eifer, mit dem Leute Verbindungen herstellen, ist mir immer fremd gewesen. Doch an diesem Morgen hatte ich mich mit den ganzen Krisennachrichten wirklich eins gefühlt und auf der Busfahrt zur Arbeit kam mir meine Seele vor wie eine große Höhle für ominöse Echos. In Kokstad angekommen, verkroch ich mich kurz in mein Büro, fuhr den Rechner hoch. Ich kontrollierte mein Konto online, die Sorge um die Miete war grundlos gewesen, ich hatte rechtzeitig bezahlt. Bevor ich genauer sehen konnte, wie tief sich der Freitagabend in meinen Kontostand gefressen hatte, loggte ich mich schnell wieder aus. Ich scrollte mich durch einige Onlinezeitungen und stieß auf eine Geschichte über eine Schredderblamage in den USA. Es ging um den Thanksgiving-Umzug in New York und den dazugehörenden Konfettiregen. Ein Zuschauer, Saul Finkelstein, hatte auf diesen Konfetti sensible Daten entdeckt. Von den Papierfetzen konnten er und der Rest der Familie Finkelstein Bruchstücke von Namen und Nummern ablesen, sie verstanden, dass es sich um geschredderte Dokumente handeln musste. Diese Entdeckung hatte Finkelstein jetzt den Medien gesteckt, in Anzug und Krawatte gab er ein Interview. Zuschauer und Teilnehmer hätten sich gegenseitig mit den geschredderten Papieren beworfen, sagte er. In einer Falte der Jacke seines Sohnes hatte er eine halbe Telefonnummer gefunden. Eine Besorgnis darüber, dass so etwas vorkommen konnte, prägte das Interview, bis Finkelstein zum Ende sagte, er sei auch sehr froh, schließlich habe ausgerechnet seine Familie die heiklen Informationen auf den Schnipseln gefunden. Die Papierfetzen stammten aus dem Polizeiapparat, hatten die Reporter herausbekommen, irgendeine nachlässige Schredderabteilung. Wer genau versagt hatte und welche Konsequenzen das haben würde, sei unklar, hieß es, während die Kamera über einen Gehweg mit Konfetti in den Rissen panorierte. Über unsere Branche wird in den Nachrichten selten berichtet, es munterte mich auf und brachte mich dazu, eine Kopie in den Pausenraum mitzunehmen, wo bald das Montagsmeeting beginnen sollte. Ich bin verpflichtet, dieses Meeting jede Woche abzuhalten, es soll das Gruppengefühl stärken, Motivation schaffen und Arbeitseifer entfachen. Als Erstes muss ich immer diejenigen anrufen, die nicht aufgetaucht sind, ich hasse das. Ich kann gar nicht sagen, was schlimmer ist, das Unbehagen wegen der Konfrontation oder der Ärger darüber, dass sie fernbleiben. Heute waren nur fünf von zehn auf ihrem Posten. Zum Glück ging von den Abwesenden keiner ans Telefon, es blieb mir erspart, die üblichen halbwahren Ausflüchte, die mich immer verlegen machten, aus ihnen herauszuquetschen. Ich warf das Telefon auf ein freies Sofa. Dann verteilte ich wie immer die Arbeitsaufgaben zwischen denen, die aufgetaucht waren. Ich leierte herunter, wer wohin fahren und wer dableiben und schreddern sollte. Diese Anweisungen beanspruchen nie mehr als fünf Minuten. Dann löst sich das Montagsmeeting für gewöhnlich langsam auf. Aber an diesem Montag wollte ich nicht, dass sich etwas langsam auflöste. Vielleicht versuchte ich so, die Nacht und den Morgen aus dem Körper zu vertreiben, alle Schlaflosigkeitssorgen mit fester Hand wegzuschieben, vielleicht wünschte ich ja, mich für diese gähnende Bande von Ex-Junkies in eine harte Hand zu verwandeln. Ich wollte sie aufwecken. Noch etwas, sagte ich, und zeigte die Kopie, auf der Saul Finkelstein in Anzug und Krawatte zu sehen war. Ich erzählte von seiner Entdeckung, von den Konfettischnipseln mit heiklen Informationen in New York. Das kann passieren, warnte ich, wenn man es mit der Arbeit nicht so genau nimmt. Hier zu sein fühlt sich vielleicht nicht superwichtig an, es hat wohl keiner geplant, bei uns in Kokstad zu landen. Das ist kein lebenswichtiger Job, es stirbt jedenfalls niemand, wenn wir ihn nicht erledigen. Ihr denkt vielleicht, absolut jeder kann diese Arbeit machen. Und alles in allem stimmt das ja auch. Ja, wenn man das große Ganze betrachtet, kommt es einem sicher ziemlich unbedeutend vor, an einem Montagmorgen zur Arbeit zu gehen. Aber ich muss daran festhalten: Zur Arbeit gehen heißt, sich zu den Lebenden zählen!, sagte ich. Plötzlich traf mich die Erkenntnis, dass es völlig sinnlos war, diejenigen anzupflaumen, die tatsächlich zur Arbeit erschienen waren. Die Gesichtsausdrücke hatten sich von schläfrig zu fragend gewandelt, das war der einzige Effekt meines Peptalks. Nehmt es nicht persönlich, beruhigte ich sie, ich richte mich wohl vor allem an unsere abwesenden Freunde. Aber was ist das Leben schon, wenn nicht persönlich. Mein Hals wurde dick, er schnürte sich um meine Stimme, die gekünstelt den Pausenraum füllte. Aus Angst, ich würde anfangen zu heulen oder noch mehr verwirren, suchte ich eine Reißzwecke, hängte die Kopie an die Wand und klatschte ein paar Mal in die Hände, ein Zeichen, sich nun an die Arbeit zu machen.mehr

Autor

Kjersti Rorgemoen, geboren 1982, lebt auf einem Hof in Telemark. Sie debütierte 2009 mit den »Notaten Purkene snudde seg« und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem «Jan Roar Leikvolls Gedenkpreis», 2016.
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Rorgemoen, Kjersti
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Gisin, Sabine
Übersetzung
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Aeschbacher, Ursi Anna
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