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Die Schattenmacherin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Verlag Kremayr & Scheriauerschienen am06.03.2024
Das Jahr 2068: Sengende Hitze, überdachte Städte, rationiertes Wasser. Und keine Männer mehr. Eine mysteriöse Seuche hat sie vor Jahrzehnten dahingerafft. Nur künstliche Fortpflanzung sichert den Fortbestand der Menschheit. Ruth, langjährige Präsidentin dieser Welt, bereitet die Amtsübergabe an die junge Ania vor. Die Junge möchte die Männer mit allen Mitteln zurückholen. Ruth stemmt sich dagegen, und sie hat gute Gründe. Der Generationenkonflikt zwischen den Frauen um Ressourcen, Macht und Identität stellt beide vor schicksalhafte Entscheidungen. Lilly Gollackner spiegelt in ihrem Debütroman zerrbildhaft die feministischen Kämpfe der Gegenwart in eine dystopische Zukunft. Ein erschreckend realitätsnahes literarisches Gedankenexperiment.

Lilly Gollackner, geboren 1978, aufgewachsen in Hallwang bei Salzburg. Journalistin, Autorin und Mediencoach. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Für ihre journalistische Arbeit erhielt sie u. a. den Journalismuspreis 'von unten' für den Beitrag 'Arm und Reich in Österreich', den Prälat-Leopold Ungar-JournalistInnenpreis und die New York Festival Gold World Medal für die Dokumentation 'Schluss mit Schuld'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextDas Jahr 2068: Sengende Hitze, überdachte Städte, rationiertes Wasser. Und keine Männer mehr. Eine mysteriöse Seuche hat sie vor Jahrzehnten dahingerafft. Nur künstliche Fortpflanzung sichert den Fortbestand der Menschheit. Ruth, langjährige Präsidentin dieser Welt, bereitet die Amtsübergabe an die junge Ania vor. Die Junge möchte die Männer mit allen Mitteln zurückholen. Ruth stemmt sich dagegen, und sie hat gute Gründe. Der Generationenkonflikt zwischen den Frauen um Ressourcen, Macht und Identität stellt beide vor schicksalhafte Entscheidungen. Lilly Gollackner spiegelt in ihrem Debütroman zerrbildhaft die feministischen Kämpfe der Gegenwart in eine dystopische Zukunft. Ein erschreckend realitätsnahes literarisches Gedankenexperiment.

Lilly Gollackner, geboren 1978, aufgewachsen in Hallwang bei Salzburg. Journalistin, Autorin und Mediencoach. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Für ihre journalistische Arbeit erhielt sie u. a. den Journalismuspreis 'von unten' für den Beitrag 'Arm und Reich in Österreich', den Prälat-Leopold Ungar-JournalistInnenpreis und die New York Festival Gold World Medal für die Dokumentation 'Schluss mit Schuld'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783218014250
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum06.03.2024
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1368 Kbytes
Artikel-Nr.14066141
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

3

In der kühlen Kapsel des klimatisierten Automobils rasen die beiden Frauen über eine Fläche aus Kies und Sand. Über ihnen das Strahlen eines erbarmungslosen Himmels, wie ein nach oben gekippter Ozean, taubenblau, soweit das Auge reicht. Keine Wolkenufer, keine Ränder. Verlässt man den Schutz der Kuppeln, gerät man ohne die notwenige Technologie in Seenot und ertrinkt in der glühenden Hitze des endlosen Blaus.

Alev hat einen Zweisitzer bestellt. Auf der Landkarte am Armaturenbrett kriecht ihr Navigationspunkt auf hellbraunen Flächen dahin. Ruths Display liegt auf ihrem Schoß, sie versucht, die Zeit zu nützen. Nicht Ania: Die klebt mit ihrer Wange an der verdunkelten Scheibe, die Pupillen jagen von links nach rechts. Wie ein Tier, das zum ersten Mal den Käfig verlässt, denkt Ruth. Diese Kinder sind unter den Kuppeln aufgewachsen. Die junge Frau muss sich fühlen, als würde sie frei im Weltall treiben.

»Hast du Angst?«, fragt Ruth.

Ania reißt den Kopf in ihre Richtung. Wieder das zehnjährige Kind, das versucht, eine Erwachsene zu spielen. Sie kann ihre Aufregung so schwer verbergen.

»Wovor?«, fragt Ania.

Ruth antwortet nicht. Die Liste wäre zu lang.

Als sie die Grenze der Stadt passieren, werden die Trümmer der aufgegebenen Gebiete sichtbar. Die Folgen des ersten Verdichtungskriegs, als die Horden von Osten kamen. Was geblieben ist, sind marode Hauswände, die fast in sich selbst zusammenstürzen und auf splitternden Balken durchlöcherte Dächer halten. Und schwarz verkohlte Wälder.

»Wie heißt dieser Bezirk?«, fragt Ania.

»Es gibt keine Einwohner mehr, niemand spricht über ihn«, sagt Ruth schroff. »Wozu braucht er einen Namen?«

Die schwarzen Striche in Anias Gesicht kräuseln sich gefährlich. Ruth seufzt.

»Berling«, sagt sie schließlich. »Das war Berling.«

Dann kommt Vorstadt, dann Stocksen. Jeder Name ein Splitter in Ruths Seele. Die Stadt zu verlassen bedeutet, durch die Vergangenheit zu reisen und zu wissen, was man verloren hat. Das ist der Preis, den das Alter mit sich bringt.

Die Landschaft, durch die sie jetzt fahren, ist flach und ereignislos. Haferfarbene Erde, die nicht die Kraft hätte, jemals wieder Hafer zu halten. Dazwischen Anger aus weißen Felsen. Furchen, die die Trockenheit in den Boden gerissen hat. Eine Stunde fahren sie schon dahin. Ania ist schweigsam geworden. Ihre Augenlider senken sich. Die Hände liegen im Schoß. Ruth kann so nicht arbeiten.

»Es macht dich traurig, das alles zu sehen«, sagt sie.

Ania blinzelt misstrauisch. Die alte Frau dreht sich zur jungen: Zum ersten Mal, seit sie in ihre Obhut gegeben wurde, möchte Ruth, dass Ania ihr zuhört.

»Merk dir dieses Gefühl«, sagt sie.

Sie legt ihre Hand auf Anias knochige Schulter. Ania starrt sie an. Ruth sagt:

»Mein Terminkalender ist voll, genauso wie deiner ab dem heutigen Tag. Und du könntest glauben, dass es das ist, warum es uns gibt: Termine. Entscheidungen. Reden. Doch die Wahrheit ist: Wir sind hier, um die Trauer zu vertreiben. Denn die Trauer lähmt uns und nimmt uns alles, wozu wir fähig wären. Sie wirft uns in eine bodenlose Leere. Wenn wir zurückschauen, wenn wir uns vor Augen führen, was wir alles hätten haben können - was hat dann noch Sinn? Merk dir dieses Gefühl, merk dir: Es liegt an uns, der Welt eine Zukunft zu schenken. Sei wütend, sei laut, sei stark. Beschütze die Menschen vor der Leere.«

Dann dreht sie die junge Frau sanft nach rechts.

»Da, schau!«

Wie aus dem Nichts schießen Zäune aus dem Erdboden neben der Straße, vier, fünf Meter hoch. Hürden, die unter Starkstrom stehen. Unüberwindbar. Dahinter erheben sich die Kronen der Bäume in den Himmel. Sie werfen Schatten aufs Auto, das ungebremst die Route weiterverfolgt. Königlich wehen die Linden, Fichten und Kiefern im Wind, in sattem Grün, und das Licht fällt blättrig durch die Zweige. Ruth erinnert sich an den moosigen Geruch und an das Knacksen in den Wäldern ihrer Kindheit. Die Lust darauf und die Angst davor, verlorenzugehen. Das ist jetzt vorbei. Sie haben aufgehört, Wälder zu betreten. Du würdest auch keinem Menschen in der offenen Lunge herumfingern.

Ania legt beide Hände an die Scheibe. Die Schattenlinien der Bäume rasen über ihren Kopf. Ihre Brust hebt und senkt sich, als würde sie nach der Luft schnappen, die das Grün verspricht. Instinktiv. Wir werden sie nicht los, unsere Triebe, denkt Ruth. Das Kind freut sich, aus jeder Pore quillt ein Schwall aus Glückseligkeit. Jetzt dreht sie sich um: Glänzende Augen. Sie ist viel zu jung, denkt Ruth.

Das Armaturenbrett leuchtet gelb auf und vibriert summend. Ein Anruf: Pola.

Ruth nimmt per Knopfdruck an, und Polas Gesicht erscheint groß am Display des Fahrzeugs.

»Ruth, meine Liebe, machst du denn nie Pause? Ich dachte, nach einer Feier wie gestern bist du mindestens drei Tage abgemeldet.«

»Wer sagt dir, dass ich das nicht bin?«

Pola grinst. Sie legt den Kopf schief.

»Und wen seh ich da an deiner Seite! Guten Morgen, Ania!«

Ania grinst und grüßt. Vertrauter, als es sein dürfte. Nichts als Zwinkern und Zähne. Das Misstrauen schiebt Ruth den Unterkiefer vor. Sie notiert sich in ihren Gedanken: Pola fragen. Welche Rolle sie im Auswahlverfahren tatsächlich gespielt hat.

»Was willst du, Pola?«, fragt Ruth, strenger, als ihr selbst lieb ist. Pola reagiert angemessen. Sachlich sagt sie:

»Ich brauche eine Unterredung mit dir. Allein.«

Ruth wischt auf ihrem Kalender.

»Morgen Vormittag?«

»Morgen Vormittag klingt perfekt. Das Wetter wird herrlich! Wolken und Nieselregen ab den frühen Morgenstunden.«

»Wir könnten draußen sitzen, wenn du möchtest. Bei mir am Balkon. Um neun?«

»Um neun. Ich freu mich auf dich.«

»Und ich freu mich auf dich.«

Ruth drückt Polas Gesicht weg, bevor weitere Vertrauensbekundungen folgen. Ania beobachtet sie dabei von der Seite.

»Du siehst alles«, sagt Ruth.

»Dazu bin ich da, oder?«

Ruth holt tief Luft und senkt die Augenlider. Hundert Tage. Es ist bestimmt der Neid, der die anderen dazu treibt, Ruth so zu quälen. Pola soll sich hüten, die wird morgen zum Frühstück verspeist. Sie soll nicht glauben, Oberwasser zu bekommen, nur, weil es mit Ruth bald aus ist.

»Woher kennt ihr euch?«, fragt Ania in Ruths stilles Dröhnen hinein.

»Wer?«

»Du und Pola.«

Ich und Pola. Pola und ich. Die Erinnerung schiebt ein Lächeln zwischen Ruths Falten.

»Sie war die Freundin eines Arbeitskollegen. Vor ...« Ruth zögert. »Vor dem Großen Sterben?«, fragt Ania vorsichtig.

»Vor dem Großen Sterben.«

Mehr muss dieses Kind nicht wissen. Wie könnte sie es auch verstehen? Pola, so jung, unterm Hirsch. Wie alt waren sie? Achtundzwanzig? Vielleicht dreißig? Der Knopf ihres Hosenanzugs drückte in Ruths Magen, der Hemdkragen war zu eng. Wie alles dort. Die Holzvertäfelung, die aneinandergerückten Stühle. Die Luft, schwer vom Rauch der Zigaretten und dem Gestank der Nervosität. Sie saßen im verpflichtenden »heiteren Beisammensein« nach einem langen Arbeitstag, und jeder in diesem Raum wusste, dass ein falscher Satz einen die Stelle kosten würde. Die Menschen kippten sich trotzdem voll. Oder deswegen. Als Einzige von diesem Fluch ausgenommen war Pola. Doch keine der Frauen am Tisch hätte mit ihr tauschen wollen, denn ihre Rolle war in der Hackordnung dem Boden am nächsten: Sie war der hübsche Aufputz für einen der Herren aus der Führungsriege. Und Pola erfüllte diese Rolle ganz wunderbar: Mit nach oben geschnallten Brüsten, die aus dem Dekolletee blitzten, wenn sie sich vorbeugte. Die kinnlangen blondroten Haare eine Welle um ihr Gesicht. Der Mund leuchtend orange.

»Du könntest den Straßenverkehr damit regeln«, murmelte der blasse Kollege, der links von Ruth saß. Ruth kannte das ungeschriebene Gesetz: Zieh dich so an, wie sie es möchten - und sie haben damit die Erlaubnis, über dich zu urteilen. Zieh dich so an, wie sie selbst es tun - und du wirst unsichtbar. Ruth hatte sich für die Unsichtbarkeit entschieden. Pola saß ihr schräg gegenüber, und sie war in allem, was sie tat und ausstrahlte, Ruths Gegenteil. Pola schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, wenn sie lachte, und sie redete, während sie aß. Der Raum um sie, selbst die Sitzreihen, versanken in Schwarz und Blau,...
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Lilly Gollackner, geboren 1978, aufgewachsen in Hallwang bei Salzburg. Journalistin, Autorin und Mediencoach. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Für ihre journalistische Arbeit erhielt sie u. a. den Journalismuspreis "von unten" für den Beitrag "Arm und Reich in Österreich", den Prälat-Leopold Ungar-JournalistInnenpreis und die New York Festival Gold World Medal für die Dokumentation "Schluss mit Schuld".
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