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Stillbach oder Die Sehnsucht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
378 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am15.07.20111. Auflage
Als ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines' Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann aus Stillbach versprochen gewesen, der 1944 bei einem Partisanenanschlag in Rom getötet worden war? Und der Historiker Paul, den Clara in Rom kennenlernt, der Geliebte von Ines aus jenem Jahr? Wie wirken die Spannungen um Südtirol und seine Zugehörigkeit seit der NS-Zeit und dem Faschismus bis heute nach? In diesem großen, wunderschön geschriebenen Roman erzählt Sabine Gruber spannend und präzise von der Verflechtung persönlicher und historischer Ereignisse, von Stillbach und von Rom, von Verrat und Verbrechen, von Sehnsucht, Wahrheit und Liebe.

Sabine Gruber, geboren 1963 in Meran, studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft und lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Von 1988 bis 1992 war sie Universitätslektorin in Venedig. Für ihr Werk, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke sowie ihre Roman «Aushäusige», «Die Zumutung» (C.H.Beck 2003) sowie «Über Nacht» (C.H.Beck 2007) und den Gedichtband «Fang oder Schweigen», erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien, u.a. den Priessnitzpreis, den Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis der Stadt Wien, das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, den Anton-Wildgans-Preis und das Robert-Musil-Stipendium.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextAls ihre beste Freundin Ines in Rom plötzlich stirbt, reist Clara Burger aus Stillbach in Südtirol an, um Ines' Haushalt aufzulösen. Dabei entdeckt sie ein Romanmanuskript, das im Rom des Jahres 1978 spielt, dem Jahr der Entführung und Tötung Aldo Moros. Darin beschreibt Ines offenbar ihre eigene Ferienarbeit vor mehr als dreißig Jahren als Zimmermädchen im Hotel Manente, schreibt von Liebe, Verrat und Subversion, erzählt aber die Geschichte ihrer Chefin Emma Manente, die seit 1938 in Rom lebt und zum Leidwesen ihrer Südtiroler Familie einen Italiener geheiratet hat. War sie tatsächlich Johann aus Stillbach versprochen gewesen, der 1944 bei einem Partisanenanschlag in Rom getötet worden war? Und der Historiker Paul, den Clara in Rom kennenlernt, der Geliebte von Ines aus jenem Jahr? Wie wirken die Spannungen um Südtirol und seine Zugehörigkeit seit der NS-Zeit und dem Faschismus bis heute nach? In diesem großen, wunderschön geschriebenen Roman erzählt Sabine Gruber spannend und präzise von der Verflechtung persönlicher und historischer Ereignisse, von Stillbach und von Rom, von Verrat und Verbrechen, von Sehnsucht, Wahrheit und Liebe.

Sabine Gruber, geboren 1963 in Meran, studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft und lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Von 1988 bis 1992 war sie Universitätslektorin in Venedig. Für ihr Werk, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke sowie ihre Roman «Aushäusige», «Die Zumutung» (C.H.Beck 2003) sowie «Über Nacht» (C.H.Beck 2007) und den Gedichtband «Fang oder Schweigen», erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien, u.a. den Priessnitzpreis, den Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis der Stadt Wien, das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, den Anton-Wildgans-Preis und das Robert-Musil-Stipendium.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406621673
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum15.07.2011
Auflage1. Auflage
Seiten378 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse887 Kbytes
Artikel-Nr.1029686
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

 

 

 

Wenn das Gefühl, am Leben zu sein, einmal abnimmt, haben wir noch immer den Himmel einen Augenblick sah Clara ihr Gesicht im Fenster, weil der Zug in einem Tunnel verschwand. Sie erschrak über seine Nacktheit und Großflächigkeit, über seine Einsamkeit unter der spärlichen Beleuchtung des Abteils, dann kehrten die Wolkengesichter zurück, deren Oberflächen und Tiefen von dünnen, hohen Dunstfetzen umrahmt waren, die aussahen wie Haarlocken. In der Talsenke standen die gestutzten Apfelbäume in Reih und Glied, die Äste an Drähten festgebunden, und über ihnen erhob sich der von Buschwerk überzogene rötliche Porphyr.

Wenn ich einmal tot bin, hatte Ines geschrieben, mache ich den Himmel lebendig. Dann werde ich weiß sein oder grau, dunkel, hell, rot oder orangegelb, einmal dick, einmal dünn, streifig, felsenähnlich, milhiglinsenförmig, geschichtet, schleierartig, zerfetzt oder gescheckt, gräen- oder strahlenförmig, ein wirres Bündel von Fäden ja, dann kannst du mich neu verflechten! oder ein durchgehendes Tuch dann kannst du dich darin einwickeln! Ich werde eine Besenwolke sein. Eine Locken- oder Federwolke. Eine dicke Knolle. Deine Wolle. Dann werde ich Clara legte das Blatt zurück in die Mappe und sah hinaus in die Landschaft, die eine gemeinsame gewesen war, eine Herkunftslandschaft.

Holunderbüsche säumten die Bahnlinie, dahinter standen vereinzelt Nußbäume und mitten in einer Wiese fern jeder Häuseransammlung war ein Schild zu sehen, das Werbung für Schnaps machte. Allmählich verlor sich die dunkle Farbe des eisenhaltigen Gesteins, die Berge wurden heller über den mit grünen und grauen Netzen überzogenen Apfelplantagen.

Als Clara spätabends den Anruf erhalten hatte, war sie müde gewesen und über die Nachricht von Ines' Tod so erschrocken, daß sie zu keinem klaren Gedanken mehr fähig gewesen war.

Ines' Mutter hatte Clara gebeten, nach Rom zu fahren und sich um Ines' Angelegenheiten zu kümmern. Es sei ihr niemand anderer eingefallen, und sie selbst sei außerstande dazu. «Ihr wart doch jahrelang befreundet. Es ist bestimmt in ihrem Sinne.»

Als der Zug Richtung Klause rollte, schien es Clara, als steuere ein Schiff auf eine grüne Bucht zu, die von hellen, schroff aufsteigenden Bergen umschlossen war. Die Apfelbäume wurden spärlicher, die Häuser ärmlicher und leichter; die Geländer an den Balkonen bestanden nicht mehr aus enganeinandergereihten Holzlatten, sondern aus schmiedeeisernen Stäben, und immer öfter ersetzten verwitterte Rollos die lackierten Jalousien.

Wenn ich einmal tot bin wie schwer wog jetzt, was sich einst so leicht hatte hinschreiben lassen.

An welchem Tag hatten sie einander das letzte Mal gesehen? War es am Ostersonntag oder am Ostermontag gewesen? Der Stillbacher Wirt hatte bereits die Lampen über der Theke ausgemacht, und sie beide waren noch immer auf der Eckbank in der Stube gesessen, weitab von dem breiten Tisch, auf dem trotz des allgemeinen Rauchverbots der Aschenbecher mit dem Stammtisch-Schildchen gestanden war.

Draußen zogen jetzt die ungestrichenen Leitplanken der Autobahn vorbei, rostrot wie Viehwaggons. Auch die ANAS-Straßenwärterhäuschen waren rostrot. Die Schienen. Manche Baumrinden. Der Witterung ausgesetzte Getränkedosen. Brückenpfeiler. Pfosten. Verriegelungen.

Clara schloß die Augen, streckte die Arme, tastete mit den Fingern nach dem Gepäckgitter, hielt sich daran fest. Sie ließ den Oberkörper durchhängen, genoß die kurze Entspannung in dem noch leeren Abteil, das sich spätestens ab Verona füllen würde.

Sie war mit Ines' Tante im Garten des Stillbacher Gasthauses gesessen. Einzelne Stellen an den Stühlen, deren Lackschicht abgeplatzt war, hatten ebenfalls rote Flecken aufgewiesen. Ines' Mutter war nicht zu dem Treffen gekommen. Schon am Telefon war Clara aufgefallen, daß die Frau lallte. Vermutlich war sie betrunken gewesen oder hatte zu viele Beruhigungsmittel geschluckt. «Furchtbar. Das überlebt sie nicht», hatte Ines' Tante gesagt.

Auf der linken Talseite waren die Hochhäuser von Trient zu sehen, diese ins Grüne gestellten, verloren wirkenden Türme. Da und dort hing Wäsche vor den Fenstern, manchmal auch an Drähten, die man an der Außenverkleidung der Balkone angebracht hatte. Die Leute stellen ihre intimsten Kleidungsstücke aus, verstecken sie nicht wie in Stillbach in Hinterhöfen und auf Dachböden, dachte Clara.

Sie hörte den Schaffner kommen, suchte nach ihrem Fahrschein, fand ihn erst, als der Mann vor ihr stand und zusah, wie sie Ines' Mappe durchblätterte. Der Schein war zwischen die Texte gerutscht, Prosaminiaturen, die aus den achtziger Jahren stammten, als Ines noch keinen Computer besessen hatte. Die Tante hatte Clara einen in Leder gebundenen Terminplaner, die Wohnungsschlüssel, die Mappe und Ines' Handy übergeben. «Ich weiß nicht, was diese Zettel wert sind», hatte die Tante gesagt, «Ines waren sie wichtig gewesen. Sie hat mich mehrmals gefragt, ob ich sie noch habe.»

Mit einem Mal setzte das Rauschen der Klimaanlage aus; die plötzlich eingetretene Stille schien den Zug zu verlangsamen; Clara hielt den Atem an, verschluckte sich am eigenen Speichel und hustete.

Die Hand der Tante hatte so gezittert, daß sie das Teeglas nur mit Mühe zum Mund hatte führen können. Beim Anblick dieser alten, zerbrechlichen Frauenhand war Clara eine andere Hand aus Marmor in den Sinn gekommen, die in der Sakristei der Dalmatinischen Schule in Venedig als Weihwasserbehälter dient.

Anstatt in Verona umzusteigen und den Zug nach Venezia S. Lucia zu nehmen, fahre ich jetzt nach Rom, dachte Clara. Wie oft war sie von Ines eingeladen worden, doch jede frei verfügbare Zeit hatte Clara ihrer Arbeit gewidmet. Sie wäre auch jetzt in die Lagunenstadt gefahren, wenn Ines' Tod nicht dazwischengekommen wäre, hatte mit ihrem Mann schon vereinbart gehabt, daß er sich in den nächsten zwei Wochen um Gesine kümmern sollte, damit Clara das D'Annunzio-Kapitel zu Ende schreiben konnte. Seit Monaten schob sie die Beschäftigung mit diesem Dichter vor sich her, hatte es vorgezogen, erst über Rilkes und Byrons Liebschaften in Venedig zu schreiben, als sich mit diesem Autor zu befassen, dessen Adelstick und politischer Opportunismus Clara ebenso unsympathisch waren wie seine Art, Frauen auszunützen und anschließend fallen zu lassen.

Clara erinnerte sich, daß er sogar einmal Liebesbriefe zurückzukaufen versucht hatte, nicht weil er sich für die Korrespondenz mit Elvira Fraternelli Leoni geschämt hätte, sondern weil er den Briefwechsel mit der römischen Geliebten als Grundlage für ein neues Buch benötigte.

D'Annunzio hatte Eleonora Duse schon in Rom angesprochen, nach der Aufführung der Kameliendame, doch die Diva war an diesem Rapagnetta, wie er tatsächlich geheißen hatte, nicht interessiert gewesen, weshalb er es in Venedig wieder versucht hatte.

Im Grunde ist dieser Dichter der Bedeutung seines echten Namens, kleine Rübe, nie entwachsen, dachte Clara, mag er noch so sehr die Pose eines Renaissancefürsten oder römischen Herrschers eingenommen haben.

Bei Ala rückten die Berge wieder näher zusammen, als versammelten sie sich an dieser Stelle noch einmal zu einem einzigen großen Staunen über die sich vor ihnen öffnende Ebene. In den kleinen Dörfern der Umgebung waren die Häuser eintönig grau und beige, als sei die Sonne hier schon stärker und brächte die kräftigen Farben zum Verschwinden.

Ala war für Clara immer schon der Ort des Atemholens gewesen, der Ort, an dem sich die Beklemmung gelegt hatte, an dem die zuschnürenden Gefühle wie mit einer Schere durchschnitten worden waren. Der Zug raste in den Tunnel, fuhr eine leichte Rechtskurve und kam am anderen Ende in der Ebene, im Hellen und Offenen, wieder heraus. Auf die vielen Apfelbäume folgten nun Pfirsichbäume, und entlang der Bahngeleise war jetzt, wie in den Vororten von Rom, Schilfrohr zu sehen.

Doch das Gefühl, die Berge zurückgelassen zu haben, war dieses Mal nicht befreiend. Clara empfand die Ebene zum ersten Mal als haltlos.

Und haltlos weinte sie plötzlich um Ines, als sie sich an den Geruch nach Mottenkugeln erinnerte, der dem schwarzen Kleid von Ines' Tante angehaftet hatte.

Vor ihren Körper schoben sich Dutzende andere, und die Haare waren einmal lang, einmal kurz, erst glatt, dann wellig, nicht zu vergessen die verschiedenen Farben und Tönungen, die er ihren Frisuren verpaßte. Paul schaffte es nicht, durch dieses imaginäre Perückenspiel herauszufinden, wie sie damals ausgesehen hatte.

Vor ein paar Tagen war er auf Ines' Wunsch in die Galleria Alberto Sordi gekommen. Sie habe die Telefonnummer von einem Bekannten erhalten und gehört, daß er wieder in Rom lebe und Führungen durch das faschistische und besetzte Rom anbiete. Ines hatte schon im Café gewartet, als Paul verschwitzt und mit einer zwanzigminütigen Verspätung in der Galerie angekommen war.

Er hatte überhaupt...
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Autor

Sabine Gruber, geboren 1963 in Meran, studierte Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft und lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Von 1988 bis 1992 war sie Universitätslektorin in Venedig. Für ihr Werk, Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke sowie ihre Roman «Aushäusige», «Die Zumutung» (C.H.Beck 2003) sowie «Über Nacht» (C.H.Beck 2007) und den Gedichtband «Fang oder Schweigen», erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien, u.a. den Priessnitzpreis, den Förderungspreis zum österreichischen Staatspreis der Stadt Wien, das Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien, den Anton-Wildgans-Preis und das Robert-Musil-Stipendium.