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Tage des Zorns

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
207 Seiten
Deutsch
Beck C. H.erschienen am18.10.20111. Auflage
Große historische Umwälzungen geschehen oft unerwartet. So war es im Herbst 1989 beim Zusammenbruch des Ostblocks, und so war es im Frühling 2011, als die arabische Welt sich in "Tagen des Zorns" gegen ihre Diktatoren erhob. Michael Lüders erklärt in diesem Buch, wie es zur arabischen Revolution kommen konnte, warum sie sich wie ein Lauffeuer ausbreitete und was sie für uns in Europa bedeutet. Dabei führt er prägnant und anschaulich in die Verhältnisse der Region ein und zeigt, wie sich unser Blick auf die arabische Welt und den Islam ändern muss, wenn wir den neuen Herausforderungen gerecht werden wollen.
Erst Tunesien, dann Ägypten, schließlich Libyen und Syrien: nach kurzer Zeit stand die ganze arabische Welt in Flammen. Und im Westen rieb man sich erstaunt die Augen. "Wenn die Stunde da ist, und der wahre Stoff, so geht die Ansteckung mit electrischer Schnelle über hunderte von Meilen", beschrieb der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert den Beginn jener Krisen, in denen sich die Weltgeschichte zu verdichten pflegt. Michael Lüders erzählt, wie es zur Revolution kommen konnte und stellt die gängigen Klischees über die Region infrage. Bisher glaubte die westliche Politik, sich mit Hilfe von menschenverachtenden Despoten Stabilität und Sicherheit im Nahen Osten erkaufen zu können. Eine Demokratisierung der arabischen Welt, so die Befürchtung, bedeute den Sieg der Islamisten. Die Zukunft ist offen. Aber eines ist jetzt schon klar: Wir brauchen einen anderen Blick auf diese Weltgegend, der auch Arabern und Muslimen das Streben nach Freiheit und Demokratie zugesteht.


Michael Lüders, Autor und Berater, war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Alle Länder der Region hat er intensiv bereist, unter anderem in Damaskus studiert und über das ägyptische Kino promoviert. Mit seinen anschaulichen Erklärungen ist er bei allen großen Fernseh- und Radiosendern im deutschsprachigen Raum ein häufiger Gast.
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Produkt

KlappentextGroße historische Umwälzungen geschehen oft unerwartet. So war es im Herbst 1989 beim Zusammenbruch des Ostblocks, und so war es im Frühling 2011, als die arabische Welt sich in "Tagen des Zorns" gegen ihre Diktatoren erhob. Michael Lüders erklärt in diesem Buch, wie es zur arabischen Revolution kommen konnte, warum sie sich wie ein Lauffeuer ausbreitete und was sie für uns in Europa bedeutet. Dabei führt er prägnant und anschaulich in die Verhältnisse der Region ein und zeigt, wie sich unser Blick auf die arabische Welt und den Islam ändern muss, wenn wir den neuen Herausforderungen gerecht werden wollen.
Erst Tunesien, dann Ägypten, schließlich Libyen und Syrien: nach kurzer Zeit stand die ganze arabische Welt in Flammen. Und im Westen rieb man sich erstaunt die Augen. "Wenn die Stunde da ist, und der wahre Stoff, so geht die Ansteckung mit electrischer Schnelle über hunderte von Meilen", beschrieb der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert den Beginn jener Krisen, in denen sich die Weltgeschichte zu verdichten pflegt. Michael Lüders erzählt, wie es zur Revolution kommen konnte und stellt die gängigen Klischees über die Region infrage. Bisher glaubte die westliche Politik, sich mit Hilfe von menschenverachtenden Despoten Stabilität und Sicherheit im Nahen Osten erkaufen zu können. Eine Demokratisierung der arabischen Welt, so die Befürchtung, bedeute den Sieg der Islamisten. Die Zukunft ist offen. Aber eines ist jetzt schon klar: Wir brauchen einen anderen Blick auf diese Weltgegend, der auch Arabern und Muslimen das Streben nach Freiheit und Demokratie zugesteht.


Michael Lüders, Autor und Berater, war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Alle Länder der Region hat er intensiv bereist, unter anderem in Damaskus studiert und über das ägyptische Kino promoviert. Mit seinen anschaulichen Erklärungen ist er bei allen großen Fernseh- und Radiosendern im deutschsprachigen Raum ein häufiger Gast.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406622915
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum18.10.2011
Auflage1. Auflage
Seiten207 Seiten
SpracheDeutsch
Illustrationenmit 21 Abbildungen und 2 Karten
Artikel-Nr.1036308
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
WARUM EIGENTLICH
GAB ES KEINE DEMOKRATIEN
IN DER ARABISCHEN WELT?

Diese Frage ist naheliegend und nicht in einem Satz zu beantworten. Es sei denn, man behauptet der Einfachheit halber, Islam und Demokratie seien eben nicht miteinander zu vereinbaren. In dem Fall allerdings dürfte es die arabische Revolution und deren Forderung nach Freiheit und Demokratie gar nicht geben. Eine Revolution, die ja in erster Linie von Muslimen getragen wird.

Gemeinsames Schicksal der Region ist ihre blockierte Entwicklung von einer ländlich geprägten Feudal- in eine städtische Industriegesellschaft. Das gilt selbst für die Golfstaaten. Äußerlich haben sie, etwa mit Blick auf die avantgardistische Architektur, den Sprung in die Moderne längst vollzogen. Politik und Gesellschaft jedoch, einschließlich der vorherrschenden Wertesysteme und Mentalitäten, sind noch immer feudalistisch geprägt. Einzelne Familien und Clane gebieten mit Hilfe des Militärs und der Geheimdienste über ganze Staaten - am Sichtbarsten in Saudi-Arabien, wo der Name der Herrscherdynastie, Al Saud, mit dem Landesnamen eins geworden ist.
Pyramiden, zu Säulen der Standhaftigkeit geschmiedet

Die sozialen Strukturen sind in allen arabischen Staaten vergleichbar und ähneln in ihrem Aufbau einer Pyramide. An der Spitze befindet sich eine kleine Machtelite, die seit der Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg Zugriff auf die staatlichen Ressourcen hatte und deren Einfluss, bei teilweise ausgetauschtem Personal, auch nach den revolutionären Umbrüchen fortbesteht. Die Führungspositionen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung wurden bis zur Revolution ausschließlich von dieser Machtelite besetzt, die untereinander vielfach versippt und verschwägert ist. Der soziale Aufstieg in diese Kaste ist so gut wie ausgeschlossen. Die Machtelite umfasst drei bis fünf Prozent der Bevölkerung und hatte nie Skrupel, die Staatskasse hemmungslos zu plündern. Die Herrscher in den Golfstaaten unterscheiden gar nicht erst zwischen öffentlichem Haushalt und Privatvermögen. Der offiziell angegebene Staatshaushalt gibt nur einen Teil der Einnahmen aus dem Öl- und Erdgasgeschäft wieder. Die Details sind Chefsache. Die Mentalität der Herrschenden, sich die Volkswirtschaft untertan zu machen, erklärt ganz wesentlich, warum die Infrastruktur in den meisten arabischen Staaten schlichtweg verrottet ist, das Bildungssystem am Boden liegt, die Analphabetenquote teilweise mehr als 50 Prozent beträgt (Jemen, Sudan), Armut und Arbeitslosigkeit grassieren und drängende Herausforderungen, allen voran die Bevölkerungsexplosion, Stadtplanung, Wassermangel und Klimawandel, nur in Ansätzen, wenn überhaupt, angegangen worden sind.

Die bürgerlichen Mittelschichten, zu denen im westlichen Europa die große Mehrheit rechnet, wenngleich bei fallender Tendenz, umfassen in der arabischen Welt 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung. Kennzeichen der arabischen Mittelschichten, überwiegend Universitätsabsolventen, ist ihre vielfach prekäre Lage - sie verdienen wenig und sind dauerhaft vom sozialen Absturz bedroht. Der Hochschullehrer, der gleichzeitig Taxi fährt, um seine Familie zu ernähren, ist die Regel, nicht die Ausnahme. Soziale Sicherungssysteme wie Arbeitslosen- oder Krankenversicherung, Rente gibt es nur in Ansätzen. Allein die Solidarität der Großfamilie sichert das Überleben in Zeiten der Not.

In Großstädten wie Kairo oder Beirut gibt es eine wachsende Zahl gut verdienender Dotcom-Angestellter oder Startup-Unternehmer, die seit einigen Jahren eine neue soziale Gruppe bilden und als einzige an den traditionellen Eliten vorbei zu teils beträchtlichem Vermögen gekommen sind. Aufgrund ihrer Ablehnung der bestehenden politischen Verhältnisse unterstützen sie mehrheitlich die Revolution.

Die meisten Araber allerdings finden sich am unteren Rand der sozialen Pyramide wieder. 60 bis 70 Prozent zählen, je nach Land, zum sogenannten informellen Sektor. Als Tagelöhner leben sie von der Hand in den Mund, wie Mohammed Bouazizi und seine Familie. Besonders in Ägypten haben viele Arme durchaus einen Job in der Verwaltung. Der ist allerdings eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und so schlecht bezahlt, dass niemand davon leben kann.

Nicht bürgerliche Mittelschichten also prägen Staat und Gesellschaft, sondern kleine Machteliten, die ihre Privilegien um jeden Preis zu verteidigen suchen. Vor diesem Hintergrund konnte es Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Pluralismus, Gewaltenteilung nicht geben - damit hätte sich die Elite zwangsläufig selbst entmachtet. Ein Gottesgnadentum für die Selbstbereicherung einer kleinen Minderheit vermag keine Verfassung ernsthaft zu begründen. Zwar gab und gibt es in vielen vorrevolutionären arabischen Staaten Parteien und Parlamente, doch sind sie bloße Fassade. Im Kern betreiben sie Klientelismus.

Legitimation ist der Schlüsselbegriff, um arabische Politik vor der Revolution zu verstehen. Alle Herrscher sind - waren - bemüht, sich als Vollstrecker höherer Werte zu inszenieren. So hieß der Tunesier Habib Bourguiba (er regierte 1956-1987) in der staatlichen Propaganda «Oberster Kämpfer» (wider den Kolonialismus), der Libyer Muammar al-Ghaddafi (1969-2011) lief unter dem Titel «Bruder Revolutionsführer», der Syrer Hafiz al-Assad (1971-2000) galt als «Säule der Standhaftigkeit und Konfrontation» (wider den Imperialismus und Israel), wahlweise als «kämpfender Kamerad», der saudische König Abdallah firmiert als «Hüter der beiden Heiligen Stätten», nämlich von Mekka und Medina.

Bis zur Revolution gab es im Wesentlichen zwei Kategorien politischer Ordnung. Einerseits traditionelle Monarchien, deren Legitimation auf Stammesherrschaft oder religiösem Führungsanspruch beruht. Dazu zählen die Golfstaaten, Jordanien und Marokko. Die dortigen Könige Mohammed VI. (Marokko) und Abdallah II. (Jordanien) sehen sich beide als direkte Nachkommen des Propheten Mohammed. Und andererseits säkulare Einparteiensysteme, deren mit außerordentlicher Machtfülle ausgestattete Präsidenten in der Regel aus den Reihen des Militärs stamm(t)en. In Libyen verlieh das exzentrische Auftreten Ghaddafis diesem System operettenhafte Züge, im Irak das Saddam Husseins stalinistische.

Ein zusätzliches Legitimationsproblem stellten vielerorts die bruchstückhafte Nationalgeschichte und das Fehlen von Gründungsmythen dar. Die Grenzen der meisten arabischen Staaten waren von den Kolonialmächten willkürlich mit dem Lineal gezogen worden. Jordanien und die kleineren Golfstaaten gibt es überhaupt nur, weil es Briten und Amerikanern so gefiel.
Clane, Stämme, Nationen

Historiker datieren den Beginn des Kolonialismus in der arabischen Welt gemeinhin auf Napoleons Ägypten-Expedition 1798. In der Folgezeit teilten Frankreich und Großbritannien Nordafrika und den Nahen Osten unter sich auf. Paris erhielt den Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien, Mauretanien) und sicherte, verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Osmanischen Reichs, seinen Einfluss im Libanon und in Syrien. London wiederum kontrollierte Ägypten und den Sudan, nach dem Ersten Weltkrieg kamen Palästina, das heutige Jordanien und der Irak hinzu. Unter Mussolini erklärte Italien seine Besitztümer in Libyen 1934 zur Kolonie. Die Kolonialmächte interessierten sich vor allem für Rohstoffe und Handelsrouten. Der 1869 mit großem Pomp eröffnete Suezkanal, der den Seeweg von Europa nach Indien um rund 10.000 Kilometer verkürzt, ist dafür das sinnfälligste Beispiel. Finanziert wurde sein Bau vom ägyptischen Staat, den Großbritannien zu diesem Zweck militärisch unterworfen hatte. Bewusst wurde er mit Hilfe von Krediten, die London großzügig gewährte, in den Bankrott getrieben. Anschließend ruinierten die Kolonialherren die im Aufbau befindliche ägyptische Textilindustrie, die für die britische zur ernsthaften Konkurrenz geworden war. Der Baumwollanbau in Ägypten brach daraufhin zusammen, die erste große Landflucht setzte ein. Frankreich wiederum betrieb in Algerien, weniger in Marokko und Tunesien, einen ausgeprägten Siedlungskolonialismus. Die französische Armee vertrieb die einheimischen Bauern zu Hunderttausenden und beschlagnahmte ihr Land, um Platz zu schaffen für französische Kolonialisten. Die französische Rechte betrachtete Algerien noch in den 1960er Jahren als einen Landesteil Frankreichs, nicht anders als die Normandie oder das Burgund. Jeder Widerstand gegen die Besatzung wurde mit äußerster Brutalität bis hin zu Massakern niedergeschlagen. Viele soziale, gesellschaftliche und politische Probleme der arabischen Welt haben ihre Wurzeln in der Kolonialzeit.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die Loyalität des Einzelnen zunächst dem eigenen Clan, Stamm, seiner religiösen und ethnischen Gruppe galt, vielfach noch immer gilt und dann erst dem Staat. Nach der arabischen Unabhängigkeit bestand daher nicht nur auf Seiten der Regierenden, sondern auch auf Seiten der Regierten eine große Sehnsucht nach eigener Geschichte, Bedeutung, Sinn. Dieses Vakuum füllte zunächst der arabische...
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Autor

Michael Lüders, Autor und Berater, war lange Jahre Nahost-Korrespondent der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Alle Länder der Region hat er intensiv bereist, unter anderem in Damaskus studiert und über das ägyptische Kino promoviert. Mit seinen anschaulichen Erklärungen ist er bei allen großen Fernseh- und Radiosendern im deutschsprachigen Raum ein häufiger Gast.