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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Beck C. H.erschienen am21.08.20151. Auflage
Erschwindelte Doktortitel, gefälschte Kunstwerke, getürkte Kriegsanlässe - in der Geschichte der Menschheit gibt es nichts, was noch nicht gefälscht worden wäre. Misstrauen ist also angebracht: Wenn Aristoteles plötzlich Französisch schreibt, mag der eine oder andere stutzig werden; dass der Briefträger Gert Postel es zum Oberarzt brachte, ohne je Medizin studiert zu haben, fiel hingegen nur durch Zufall auf. Mit einem Augenzwinkern durchkämmt Peter Köhler unsere Geschichte, liest das Markus Evangelium als schlechte Übersetzung einer Caesar-Biographie und stellt fest, dass die Existenz des heutigen Staates Österreich womöglich auf einer Fälschung beruht. Auf seinem Streifzug von der Steinzeit bis in die Gegenwart enthüllt er, wie sich Dichter und Denker, Künstler und Kaiser, Päpste und Politiker die Wirklichkeit zurechtbogen; er zeigt die Geheimnisse guten Täuschens - und wie selbst aufgeflogene Fälschungen noch Jahrhunderte später Weltgeschichte schrieben.

Peter Köhler, geb. 1957. Journalist und Schriftsteller; lebt und arbeitet in Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Komikautor, Literaturkritiker, Wissenschaftsjournalist, Sachbuchautor; arbeitet für Zeitungen, Zeitschriften, Radio; zahlreiche Buchveröffentlichungen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,49

Produkt

KlappentextErschwindelte Doktortitel, gefälschte Kunstwerke, getürkte Kriegsanlässe - in der Geschichte der Menschheit gibt es nichts, was noch nicht gefälscht worden wäre. Misstrauen ist also angebracht: Wenn Aristoteles plötzlich Französisch schreibt, mag der eine oder andere stutzig werden; dass der Briefträger Gert Postel es zum Oberarzt brachte, ohne je Medizin studiert zu haben, fiel hingegen nur durch Zufall auf. Mit einem Augenzwinkern durchkämmt Peter Köhler unsere Geschichte, liest das Markus Evangelium als schlechte Übersetzung einer Caesar-Biographie und stellt fest, dass die Existenz des heutigen Staates Österreich womöglich auf einer Fälschung beruht. Auf seinem Streifzug von der Steinzeit bis in die Gegenwart enthüllt er, wie sich Dichter und Denker, Künstler und Kaiser, Päpste und Politiker die Wirklichkeit zurechtbogen; er zeigt die Geheimnisse guten Täuschens - und wie selbst aufgeflogene Fälschungen noch Jahrhunderte später Weltgeschichte schrieben.

Peter Köhler, geb. 1957. Journalist und Schriftsteller; lebt und arbeitet in Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Komikautor, Literaturkritiker, Wissenschaftsjournalist, Sachbuchautor; arbeitet für Zeitungen, Zeitschriften, Radio; zahlreiche Buchveröffentlichungen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406681295
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum21.08.2015
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.6207
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1797011
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Plagiator Goethe?

Wer und was ist schon ein Originalgenie? Johann Wolfgang Goethe gab auf diese Frage die richtige Antwort. «Wie weniges haben und sind wir, das wir im reinsten Sinne unser Eigentum nennen! Wir müssen alle empfangen und lernen, sowohl von jenen, die vor uns waren, als von denen, die mit uns sind. Selbst das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es alles seinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele sehr gute Menschen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dunkeln», klagte er am 17. Februar 1832 seinem treuen Eckermann und zog das Fazit: «Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit, sondern Tausenden von Dingen und Personen außer mir, die mir dazu das Material boten, [â¦] und ich hatte weiter nichts zu tun, als zuzugreifen und das zu ernten, was andere für mich gesäet hatten.» Bereits sieben Jahre zuvor, am 18. Januar 1825, hatte er seinem Protokollführer ein Beispiel aus der eigenen Praxis gegeben: «So singt mein Mephistopheles ein Lied von Shakespeare, und warum sollte er das nicht? Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakespeare eben recht war und eben das sagte, was es sollte?»

Goethe spielt auf ein Lied im ersten Teil des «Faust» an, das Mephistopheles zur Zither singt:

Was machst du mir

Vor Liebchens Tür

Kathrinchen hier

Bei frühem Tagesblicke?

Er läßt dich ein

Als Mädchen ein,

Als Mädchen nicht zurücke.

 

Nehmt euch in acht!

Ist es vollbracht,

Dann gute Nacht

Ihr armen, armen Dinger!

Habt ihr euch lieb,

Tut keinem Dieb

Nur nichts zu Lieb

Als mit dem Ring am Finger. Wer dieses Lied bei Shakespeare sucht, wird allerdings nicht fündig. Genauer gesagt, findet er gerade mal zwei Zeilen. Im Königsdrama «Hamlet» singt Ophelia, die der Dänenprinz umworben, erobert und sodann verlassen hat und der insofern das Gleiche angetan wurde wie Fausts Margarete, in der fünften Szene des vierten Aufzugs ein Lied, das in deutscher Übersetzung so lautet:

Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,

Wohl an der Zeit noch früh,

Und ich, ne Maid, am Fensterschlag

Will sein Eu r Valentin.

Er war bereit, tät an sein Kleid,

Tät auf die Kammertür,

Ließ ein die Maid, die als ne Maid

Ging nimmermehr herfür.

Nur die letzten Verse (im englischen Original: «Let in the maid, that out a maid/Never departed more») hat Goethe übernommen, um das Schicksal der beiden gefallenen Mädchen «in einer Spiegelung aufeinander zu beziehen; durch ein eigenes Lied war das kaum erreichbar», erläutert der Goethe-Fachmann und -Anwalt Albrecht Schöne in seinem «Faust»-Kommentar. Von einem Plagiat kann nicht die Rede sein: Vielmehr hat Goethe aus etwas Vorgefundenem etwas Neues gemacht, und das ist es, worauf es ankommt. Eher schon lohnt sich ein Vergleich von Goethes «Faust» mit Christopher Marlowes Drama «The Tragical History of D. Faustus» von 1592, um die Ähnlichkeit in Aufbau, Stil und Aussage aufzuspüren - und zu begreifen, worin Goethe das Vorbild hinter sich lässt.

Es sei, um die Originalität eines Künstlers anzuzweifeln, sowieso «sehr lächerlich», urteilte Goethe in einem Gespräch mit Eckermann am 16. Dezember 1828, die Quellen aufzuspüren, aus denen ein Künstler schöpft: «Man könnte ebensogut einen wohlgenährten Mann nach den Ochsen, Schafen und Schweinen fragen, die er gegessen und die ihm Kräfte gegeben.» Die Häufigkeit und Entschiedenheit, mit der sich Goethe über dieses Thema äußerte, zeigt immerhin, wie sehr es ihn beschäftigte. Doch während das beginnende bürgerliche Zeitalter auf die Leitvorstellungen Besitz und Eigentum gegründet wurde, tat er solche Dinge als unwichtig ab: «Es ist im Grunde auch alles Torheit, ob einer etwas aus sich habe oder ob er es von andern habe; ob einer durch sich wirke oder ob er durch andere wirke», sagte Goethe an jenem 17. Februar 1832, also einen Monat vor seinem Tod, «die Hauptsache ist, daß man ein großes Wollen habe und Geschick und Beharrlichkeit besitze es auszuführen.» Goethe schloss wurschtig mit dem Bekenntnis: «Alles übrige ist gleichgültig.»
Schreiben, Abschreiben und Umschreiben

Alle Literatur bezieht sich, wie offen oder verdeckt auch immer, auf andere Literatur. Stoff, Motive, Charaktere, Plot, Stil und was noch alles - Schriftsteller greifen auf, verändern, übernehmen oder führen weiter, was sie irgendwo irgendwann gelesen haben, und schaffen auf dem Alten aufbauend Neues. Versteht sich, dass die Grenze zu Zitat, Paraphrase und Plagiat fließend ist und es eine Grauzone gibt, in der es schwer zu entscheiden ist, ob literarischer Diebstahl vorliegt, bloß ein thematisches oder erzähltechnisches Echo stattfindet oder es sich um eine originelle Umformung und Neuschöpfung handelt.

Bereits 1916 veröffentlichte Heinz von Lichberg eine Erzählung unter dem Titel «Lolita», die in Thema, Aufbau und Inhalt Vladimir Nabokovs 40 Jahre später erschienenem weltberühmten Roman vorgreift. Bei Lichberg verfällt ein namenloser Reisender der jungen Tochter eines spanischen Wirts; bei Nabokov wohnt der Literaturwissenschaftler Humbert Humbert bei einer Witwe als Untermieter und verführt deren zwölfjährige Tochter Dolores. Der Roman endet mit dem Mord an einem Rivalen; das Finale der Erzählung bilden mehrere rätselhafte Todesfälle.

Vladimir Nabokov erwähnt in seinen Memoiren «Sprich, Erinnerung, sprich» Heinz von Lichberg nicht. Aber 15 Jahre, von 1922 bis 1937, lebte der russische Exilant in Berlin, derselben Stadt, in der Lichberg nach dem Ersten Weltkrieg als Feuilletonautor und Radioreporter eine bekannte Nummer war. Heute ist sein Name vergessen, doch seine Stimme ist nach wie vor zu hören: 1933 schilderte er ergriffen den Fackelzug der Nationalsozialisten nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler als «ein wunderbares Bild», pries «die gereckten Arme, das Heil-Rufen» und ist damit bis heute in Fernseh- und Hörfunkdokumentationen präsent. Als Autor von Vladimir Nabokovs Romanvorlage ist er erst 2004 im Bewusstsein der literarischen Welt angekommen, als dem Kritiker Michael Maar Lichbergs Erzählband «Die verfluchte Gioconda» in die Hand fiel und er darin auf jene 20-seitige Geschichte stieß. Lichberg selbst konnte seine Urheberschaft an dem Stoff nicht reklamieren. Er war 1951 gestorben, vier Jahre bevor die zweite «Lolita» erschien.

Auch Georg Büchner brauchte ein Sprungbrett, um in literarische Höhen abzuheben. Für sein Schauspiel «Dantons Tod» schrieb er aus den Protokollen der französischen Nationalversammlung ab, für das Fragment gebliebene Stück «Woyzeck» zitierte er aus zwei rechtsmedizinischen Gutachten, für seine Erzählung «Lenz» schlachtete er den Bericht des elsässischen Pfarrers Johann Friedrich Oberlin aus, der den wahnsinnig gewordenen Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz kurze Zeit beherbergt hatte. Um Plagiate handelt es sich in keinem Fall, da Büchner aus dem Rohmaterial Kunstwerke zu formen verstand - Kleinigkeiten können genügen, um aus einem trockenen Bericht über einen Kranken ein literarisches Glanzstück zu formen, das das gestörte Verhältnis von Welt und Mensch beleuchtet.

Wie Büchner hielten es auch Émile Zola, Thomas Mann und, um ein neueres Beispiel zu geben, Walter Kempowski. Zola, der bedeutendste Vertreter des literarischen Naturalismus, montierte in seinen Roman «Der Totschläger» lange Passagen aus einem Sachbuch über die Kriminalität in Frankreich ein. Thomas Mann schrieb für die «Buddenbrooks» aus einem medizinischen Fachbuch ab, um den Krankheitsverlauf bei Typhus wiederzugeben, an dem Hanno, der letzte Spross der Familie, stirbt: ein Kunstgriff, weil die nüchterne, Unbeteiligtheit anzeigende medizinische Fachsprache mit der Sympathie, die das Schicksal des Helden weckt, in Widerspruch steht. Walter Kempowski schließlich machte nie einen Hehl daraus, dass er Tagebücher, Interviews mit Zeitzeugen, anonyme Aufzeichnungen und andere Originalzeugnisse für seine Romane auswertete. Als 1990 der «Stern»-Redakteur Harald Wieser enthüllte, Kempowski habe sich für seinen 1978 erschienenen Roman «Aus großer Zeit» aus der Autobiografie des Rostocker Goldschmieds Werner Tschirch bedient und teilweise wörtlich abgekupfert, konnte das nur einen kurzen Sturm der Entrüstung entfachen. Kempowski selbst hatte in den 1980er Jahren in Gastvorlesungen über seine Arbeitsweise referiert und Tschirchs Aufzeichnungen als eine der Vorlagen genannt; dass der Roman keinen Anhang hat, in dem der Name erwähnt wird, geht auf das Konto des Verlags A. Knaus, der solche Pedanterie bei einem belletristischen Werk für unnötig hielt. Im Übrigen sind es zusammengerechnet nur fünf Seiten, die auf Tschirch zurückgehen; die Zitate verteilen sich über die 450 Seiten des Romans, was verdeutlicht, dass sie in einem neuen, erst von Kempowski...
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Autor

Peter Köhler, geb. 1957. Journalist und Schriftsteller; lebt und arbeitet in Göttingen.Arbeitsschwerpunkte: Komikautor, Literaturkritiker, Wissenschaftsjournalist, Sachbuchautor; arbeitet für Zeitungen, Zeitschriften, Radio; zahlreiche Buchveröffentlichungen.