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Fall, Bombe, fall

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
124 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am25.01.2024
Gerrit Kouwenaars Novelle erzählt die Geschichte des Jugendlichen Karel im Mai 1940 während des Überfalls der Deutschen auf die Niederlande. «Fall, Bombe, fall» ist ein wiederentdeckter Klassiker und zugleich eine erschreckend aktuelle Erzählung darüber, wie der Krieg jungen Menschen ihre Jugend stiehlt. Mai 1940. Der siebzehnjährige Karel ist ein Außenseiter und Sonderling, der sich Tagträumereien hingibt, um seinem Alltag zu entfliehen. Seit Krieg in Europa herrscht, bekommen seine Fantasien und Gedanken eine immer gewaltsamere Tendenz, drehen sich zunehmend um Zerstörung und Tod. Es scheint fast, als würde Karel den Überfall auf sein Land geradezu herbeisehnen. Als er sich in eine junge Jüdin verliebt, beginnt die brutale Realität dieses Krieges bedrohlich nah an ihn heranzurücken - Ria muss fliehen und Karel verliert seine erste Liebe. Was wie ein Abenteuerroman beginnt, wird zu einem Antikriegsbuch, das man nicht mehr vergessen kann. Ebenso sensibel wie schonungslos fängt Kouwenaar die naiven Sehnsüchte seines jungen Protagonisten ein und zeigt, was passiert, wenn ein Siebzehnjähriger innerhalb weniger Tage in eine grausame Reife gestoßen wird.

Gerrit Kouwenaar (1923-2014) ist einer der bekanntesten und meistgelesenen niederländischen Dichter. Er schrieb zunächst einige Prosa-Werke, verfasste dann hauptsächlich Lyrik und übersetzte u.a. Werke von Brecht, Dürrenmatt, Sartre und Tennessee Williams.

Gregor Seferens, geboren 1964, lebt und arbeitet als Übersetzer, Lektor, Autor und Gelegenheitsschauspieler in Bonn. Seine Übersetzungen wurden wiederholt mit Preisen ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextGerrit Kouwenaars Novelle erzählt die Geschichte des Jugendlichen Karel im Mai 1940 während des Überfalls der Deutschen auf die Niederlande. «Fall, Bombe, fall» ist ein wiederentdeckter Klassiker und zugleich eine erschreckend aktuelle Erzählung darüber, wie der Krieg jungen Menschen ihre Jugend stiehlt. Mai 1940. Der siebzehnjährige Karel ist ein Außenseiter und Sonderling, der sich Tagträumereien hingibt, um seinem Alltag zu entfliehen. Seit Krieg in Europa herrscht, bekommen seine Fantasien und Gedanken eine immer gewaltsamere Tendenz, drehen sich zunehmend um Zerstörung und Tod. Es scheint fast, als würde Karel den Überfall auf sein Land geradezu herbeisehnen. Als er sich in eine junge Jüdin verliebt, beginnt die brutale Realität dieses Krieges bedrohlich nah an ihn heranzurücken - Ria muss fliehen und Karel verliert seine erste Liebe. Was wie ein Abenteuerroman beginnt, wird zu einem Antikriegsbuch, das man nicht mehr vergessen kann. Ebenso sensibel wie schonungslos fängt Kouwenaar die naiven Sehnsüchte seines jungen Protagonisten ein und zeigt, was passiert, wenn ein Siebzehnjähriger innerhalb weniger Tage in eine grausame Reife gestoßen wird.

Gerrit Kouwenaar (1923-2014) ist einer der bekanntesten und meistgelesenen niederländischen Dichter. Er schrieb zunächst einige Prosa-Werke, verfasste dann hauptsächlich Lyrik und übersetzte u.a. Werke von Brecht, Dürrenmatt, Sartre und Tennessee Williams.

Gregor Seferens, geboren 1964, lebt und arbeitet als Übersetzer, Lektor, Autor und Gelegenheitsschauspieler in Bonn. Seine Übersetzungen wurden wiederholt mit Preisen ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406813917
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum25.01.2024
Seiten124 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.13209933
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Der Junge stand vor dem Wohnzimmerfenster und schaute nach draußen. Er aß mit mechanischen Kiefern einen Apfel. Das Dienstmädchen gegenüber war gerade fertig mit dem Fensterputzen und ging, mühsam Trittleiter und Eimer tragend, die Stufen zur Haustür hinauf, wobei ihr Rock ein wenig hochrutschte. Einen Augenblick lang sah er deutlich ihre erschreckten Waden, dann fiel auch schon die Tür hinter ihr zu. Gemächlich kaute der Junge weiter. Es war gegen fünf am Nachmittag und vollkommen still auf der Straße. Das Frühlingslicht hatte einen gelb-rosafarbenen Ton, und die baumlose Straße (von der exakt zwölf baugleiche Häuser in seinem Blickfeld lagen) wirkte dadurch umso kulissenhafter.

Der Junge starrte auf die geschlossene Tür und versuchte, sich vorzustellen, wie angenehm es wäre, wenn er mit einer Art Zauberformel alles und jeden seinem Willen unterwerfen könnte. Er versuchte, es sich vorzustellen, und er verspürte große Lust, dabei die Augen zu schließen, widerstand jedoch der Verlockung und ließ nur seinen Kopf mit einem leisen Bums gegen die Fensterscheibe fallen. Ein Allmächtiger sein, dachte er. Ich würde mir etwas wünschen, sehr stark daran denken, und dann würde es tatsächlich geschehen. Der Mathematiklehrer bricht plötzlich hinter seinem Pult zusammen. Der hölzerne Zirkel knallt auf den Boden. Herzstillstand, konstatiert der Arzt, doch ich weiß es besser. Erblicke ich ein begehrenswertes Mädchen, dann wünsche ich: Wirf dich vor mir wie eine Sklavin nieder, liebe mich, und sie wird augenblicklich meinem unausgesprochenen Befehl gehorchen. Doch ich würde auch Gutes mit meiner gewaltigen Macht tun, dachte er hastig. Ja, ja, auch Gutes. Ich würde die Welt von Hitler erlösen.

Doch mit dem unvermittelten Dazwischenfahren der Moral überkam ihn sogleich ein Gefühl großer Langeweile. Er warf den halb aufgegessenen Apfel in den Mülleimer und schaltete das Radio an, Ode an die Freude. Alle Menschen werden Brüder. Das Wunschhütlein und der unerschöpfliche Geldsäckel, dachte er. Romantik, dachte er, Schuljungenromantik. Wort aus den lexikologischen Übungen - in negativem Sinn: übertrieben poetischer Stil.

Der Junge kicherte unhörbar und lauschte der Musik, wobei er sich fragte, ob er die jetzt wirklich schön fand. Nein, sagte er zu sich selbst, aber ich sage natürlich zu allen: Ich finde sie herrlich. Sie rührt mich, sage ich, und stütze dabei den Kopf in die Hände. Ich lüge bewusst, wahre aber den Schein. Im Schrank steht eine Broschüre über Pubertät, Anleitung für fantasielose Eltern. So und so ist ein Pubertierender, steht darin. Doch was das Äußere angeht, vor allem Pickel. Ich habe keine Pickel, und den Rest kann niemand kontrollieren, dachte er mit ebenso viel Genugtuung wie Scham. Er drehte sich langsam um. Seine Mutter saß am Tisch, mit Näharbeiten beschäftigt. Sie schaute auf. Sie deutete schweigend auf die Teekanne.

«Ja, gerne», sagte er.

«Schenkst du dir dann selbst ein», sagte sie.

«Du auch?», fragte er. Seine Mutter nickte. Während er behutsam die Tassen füllte, dachte er: Das klappt ja schon recht gut, sie protestiert nicht einmal mehr, wenn ich Du statt Sie sage.

«Müsstest du nicht langsam mal mit den Hausaufgaben anfangen?», fragte seine Mutter.

«Ich hab fast nichts auf», sagte er. «Morgen Nachmittag bekommen wir bereits Ferien.»

«Das ist kein Grund, die Sache schleifen zu lassen», sagte sie. «Und du weißt, dass Onkel Robert und Tante Lies zum Essen kommen, dann wird es immer spät.»

Ihr Sohn antwortete nicht. Sie tranken ihren Tee. Der Junge stand auf, um sich in den spiegelnden Türen des Bücherschranks zu betrachten. Während er so tat, als hörte er aufmerksam zu, ließ er den Blick an den Buchrücken entlanggleiten. Stijn Streuvels Kriegstagebuch: die deutsche Armee, die in Flandern vorrückt, die Augustsonne ist warm; Ulanen mit Lanzen, die mit Fähnchen versehen sind, deutsche Kavallerie; Stahlhelme, die den Nacken schützen. Und: das Feuer. Und: der Weg zurück.

Jetzt war wieder Krieg, doch es wurde kaum gekämpft. Der Geschichtslehrer hatte gesagt, dass das wohl noch käme, dass die Niederlande diesmal sicher nicht außen vor bleiben würden. Manchmal führte er ausgedehnte politische Debatten mit einem deutschen Mädchen, einer der jüdischen Immigrantinnen, die bei ihm in der Klasse waren. Ein nettes Mädchen in so einer Tirolerweste, Dirndlkleid: Lieselotte Stengel. Natürlich werde Deutschland den Krieg erneut verlieren. Und es würden dabei wieder eine Menge Menschen sterben. Krieg ist etwas Schreckliches, der Tod ist etwas Schreckliches, dachte er. Das überfahrene Mädchen auf dem Asphalt. Er kam gerade aus der Schule. Es hatte einen enormen Auflauf gegeben, und inmitten des Kreises aus schweigenden, starrenden Menschen lag das überfahrene Mädchen, das Mädchen ohne Kopf. Sie hatte keinen Kopf mehr, da war nur noch ein breiiger roter Fleck. Nicht einmal Haare sah man. Ein Lastwagen war jählings über ihren Kopf gefahren, ein Lastwagen mit doppelter Bereifung. Und der Fahrer hockte weinend auf dem Bordstein, und niemand beachtete ihn. Ein Herr rief immer wieder: «Platz da, machen Sie doch Platz; hat jemand ein Laken?» Und ein anderer: «Gibt es denn hier keinen Arzt?» Als ob der noch gebraucht würde. Aber niemand beachtete den Fahrer. Alle schauten auf das tote Mädchen, das rücklings auf dem Asphalt lag. Die Füße ordentlich nebeneinander, hohe Absätze, ein grüner Pullover und sehr spitze kleine Brüste und kein Kopf. Ein blondes Mädchen, ein schwarzhaariges Mädchen? Unbekannt. Jedoch tot. Oh, das also ist tot. Er sah es und ging nach Hause, und erst Tage später fühlte er sich elend deswegen. Es verursachte ihm beklemmende Träume, so wie der Film, der Dschungelfilm, ein Mann verschluckt von einem Krokodil. Die Kiefer klappten schlabbernd zu, und nur der Hut schwamm noch. Ein dunkler Fleck war auf dem sumpfigen Wasser. Er war ab achtzehn.

Wenn sein Vater und seine Mutter nun stürben? Würde ich weinen?, dachte er. Fände ich es schlimm, wenn hier Krieg ausbräche? Er schüttelte langsam den Kopf. Ich fände es herrlich, dachte er. Eigentlich erhoffe ich es. Ich weiß, dass es verwerflich ist, zu wünschen, dass es Krieg gibt, aber ich fände es herrlich. Es wäre spannend. Übertrieben poetisch, dachte er, schlimmer noch. Abscheulich, sagte er beinahe hörbar. Er rieb hilflos die Hände aneinander, und er spürte, wie sein Körper sich erwärmte.

Vielleicht wünsche ich es mir auch nicht, dachte er dann. Vielleicht weiß ich nicht, was ich wirklich wünsche, was ich wirklich wollen würde. Vielleicht bin ich abnormal. Stell dir vor, es gäbe ein Bombardement, in diesem Moment würden deutsche Flugzeuge über der Stadt erscheinen. Eine Bombe in diese lahme Straße wäre doch wirklich fantastisch. Brennende Häuser, mindestens zwölf in einer Reihe. Stell dir vor, die ganze Straße stünde in lodernden Flammen, unser Haus auch, und wir hätten alles verloren. Es gibt schon Luftschutzkeller. Und der Geschichtslehrer sagt: Diesmal bleiben wir nicht außen vor. Nicht außen vor den Luftschutzbunkern, in denen man jetzt nur urinieren oder vögeln kann. Luftschutzkeller: fünfunddreißig Personen. Massengrab. Bomben mitten in der Nacht, wenn man schläft. Frauen rennen halb nackt nach draußen. Leichenschändung. - Ihm kam ein Foto aus dem Spanischen Bürgerkrieg in den Sinn, eine grauenerregende Aufnahme einer Frau, von den Faschisten in einem Kirchturm an den Glockenseilen aufgehängt, ein von Fliegenschwärmen bedeckter nackter Körper mit kahlem, blutigem Kopf.

Der Junge schüttelte den Kopf, ging wieder zum Fenster und legte erneut den Kopf an die Scheibe.

«Mach dich endlich mal an deine Arbeit, Junge», sagte seine Mutter, freundlich, aber drängend. Er antwortete lediglich mit einem knurrenden Kehllaut, dabei denkend: Sie hat recht. Meine Hausarbeiten. Ich bin ein perverser Dreckskerl. Ich wünsche mir entsetzliche Dinge. Hat jeder solche Gedanken? Vielleicht werden meine Wünsche wahr. Vielleicht bin ich ja wirklich ein allmächtiger Mensch, kenne aber meine eigenen Sehnsüchte noch nicht. Es gibt so etwas wie eine Seele. Stell dir vor, es passiert wirklich. Und die Hausarbeiten, die Hausarbeiten. Ja, du hast recht, Mutter, Sie haben recht, Mutter. Aber ich wünsche mir so sehr, dass etwas geschieht. Ich wünschte, ich traute mich, zu sagen, dass ich einen Scheißdreck an Beethoven finde. Ich wünschte, Beethoven würde nun unvermittelt unterbrochen - meine Damen und Herren an den Rundfunkempfängern, eine betrübliche Nachricht, es ist Krieg. Hurra! Hurra! Ich mache meine Hausarbeiten eigentlich nie wirklich ordentlich. Ihr Sohn könnte einer der besten Schüler sein, wenn er sich etwas mehr anstrengen würde. Er ist ein wenig verspielt. Ja,...
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Autor

Gerrit Kouwenaar (1923-2014) ist einer der bekanntesten und meistgelesenen niederländischen Dichter. Er schrieb zunächst einige Prosa-Werke, verfasste dann hauptsächlich Lyrik und übersetzte u.a. Werke von Brecht, Dürrenmatt, Sartre und Tennessee Williams.

Gregor Seferens, geboren 1964, lebt und arbeitet als Übersetzer, Lektor, Autor und Gelegenheitsschauspieler in Bonn. Seine Übersetzungen wurden wiederholt mit Preisen ausgezeichnet.