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Hitlers Freunde in England

Lord Londonderry und der Weg in den Krieg - Eine Studie des herausragenden englischen Historikers über die Verstrickungen des englischen Hochadels in den Nationalsozialismus
BuchGebunden
527 Seiten
Deutsch
DVAerschienen am11.08.20052. Aufl.
Ein genauer Blick auf die Ursachen und die Befürworter der englischen Appeasement-Politik gegenüber Nazideutschland

»Sie und Deutschland erinnern mich an die Schöpfungsgeschichte in der Bibel. Nichts sonst beschreibt den Eindruck richtig«, schreibt Lady Londonderry an Adolf Hitler. Wie war es möglich, dass Angehörige der Spitzen der englischen Gesellschaft so für Hitler schwärmten? Und woraus speiste sich die krasse Fehleinschätzung der wahren Ziele Hitlers?
Ian Kershaws neues Buch ist eine exzellente Darstellung Englands ambivalenter Beziehungen zu Deutschland in den Dreißigern und der fatalen Versuche einiger seiner hochrangigsten Vertreter, Freundschaft mit Hitler und seinem Regime schließen zu wollen. In Lord Londonderry, Cousin Churchills und zeitweise Mitglied des englischen Kabinetts, finden sich wie in einem Brennglas Motive und Hintergründe für die britische Appeasementpolitik versammelt. Ein differenziertes und gleichzeitig beklemmendes Porträt von Hitlers Freunden in England und ihrem Verkennen der nahenden Katastrophe.
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Produkt

KlappentextEin genauer Blick auf die Ursachen und die Befürworter der englischen Appeasement-Politik gegenüber Nazideutschland

»Sie und Deutschland erinnern mich an die Schöpfungsgeschichte in der Bibel. Nichts sonst beschreibt den Eindruck richtig«, schreibt Lady Londonderry an Adolf Hitler. Wie war es möglich, dass Angehörige der Spitzen der englischen Gesellschaft so für Hitler schwärmten? Und woraus speiste sich die krasse Fehleinschätzung der wahren Ziele Hitlers?
Ian Kershaws neues Buch ist eine exzellente Darstellung Englands ambivalenter Beziehungen zu Deutschland in den Dreißigern und der fatalen Versuche einiger seiner hochrangigsten Vertreter, Freundschaft mit Hitler und seinem Regime schließen zu wollen. In Lord Londonderry, Cousin Churchills und zeitweise Mitglied des englischen Kabinetts, finden sich wie in einem Brennglas Motive und Hintergründe für die britische Appeasementpolitik versammelt. Ein differenziertes und gleichzeitig beklemmendes Porträt von Hitlers Freunden in England und ihrem Verkennen der nahenden Katastrophe.
ZusammenfassungIan Kershaws neues Buch ist eine exzellente Darstellung Englands ambivalenter Beziehungen zu Deutschland in den Dreißigern und der fatalen Versuche einiger seiner hochrangigsten Vertreter, Freundschaft mit Hitler und seinem Regime schließen zu wollen.In Lord Londonderry, Cousin Churchills und zeitweise Mitglied des englischen Kabinetts, finden sich wie in einem Brennglas Motive und Hintergründe für die britische Appeasementpolitik versammelt. Ein differenziertes und gleichzeitig beklemmendes Portrait von Hitlers Freunden in England und ihrem Verkennen der nahenden Katastrophe.
Details
ISBN/GTIN978-3-421-05805-8
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
Verlag
Erscheinungsjahr2005
Erscheinungsdatum11.08.2005
Auflage2. Aufl.
Seiten527 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht782 g
Illustrationen17 SW-Abb.
Artikel-Nr.10613538
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Auf Lord Londonderry aufmerksam wurde ich 1991. Während eines Aufenthalts in Belfast, wo ich mehrere Vorträge hielt, nahm ich an einer privaten Führung durch Mount Stewart, den Sitz der Familie Londonderry in Nordirland, teil und war erstaunt, als ich auf dem Kaminsims in Londonderrys Arbeitszimmer eine etwa fünfundvierzig Zentimeter hohe Statuette der Porzellan-Manufaktur Allach entdeckte: die wundervoll geformte Figur eines behelmten SS-Mannes, der eine NS-Fahne trägt. Meine Fantasie war sofort gefangen. Wie kam die Statuette dorthin? Sie passte so gar nicht zum eleganten Mobiliar der damaligen Zeit. Das vornehme Herrenhaus am stillen Ufer des Strangford Lough mit Blick auf die Mourne Mountains und umgeben von einer prächtigen Gartenanlage (einem Werk von Lady Londonderry) - ein überwiegend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteter neoklassizistischer Bau (dessen Ursprünge bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückreichen) - schien Millionen Meilen von Brutalität, Repression, Krieg und Völkermord, die man mit NS-Deutschland assoziiert, entfernt zu sein. Doch der Schlossführer erzählte uns, dass Joachim von Ribbentrop, einer der wichtigsten Gefolgsleute Hitlers, Lord Londonderry die Figur 1936 während eines Wochenendbesuchs in Mount Stewart geschenkt habe. Zehn Jahre nach diesem Ereignis wurde Ribbentrop vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg als Kriegsverbrecher schuldig gesprochen und gehängt. Warum hatte Lord Londonderry, ein bekannter britischer Aristokrat, einen führenden Nationalsozialisten als Gast bei sich empfangen? Als ich zwei Jahre später wieder in Belfast war, ging ich auf die Suche nach Antworten, indem ich mich in die Briefe vertiefte, die Lord Londonderry und seine Frau an Ribbentrop, Göring und andere prominente Vertreter des NS-Regimes geschrieben hatten. In dem Gedanken, vielleicht einmal einen kurzen Aufsatz über den Hintergrund dieser Korrespondenz zu verfassen, trug ich einiges Material zusammen. Vorläufig war ich jedoch vollauf von meiner Hitlerbiografie in Anspruch genommen.Die Jahre vergingen, und die Akte setzte Staub an. Als ich sie wieder hervorholte, um mich in einer Art geistiger Konvaleszenz nach demAbschluss des Werks über Hitler mit ihr zu beschäftigen, war das neue Jahrtausend angebrochen. Je weiter ich in den Stoff eindrang, desto komplizierter wurde die Geschichte. Außerdem schien sie, zumindest in meinen Augen, der häufig etwas trockenen Beschwichtigungspolitik, dem Versuch, eine Verständigung mit Hitler zu erreichen, etwas mehr Farbe zu geben. Das heißt, während der genaueren Erforschung von Londonderrys persönlichem Verhältnis zu NS-Deutschland glaubte ich, klarer als bisher zu erkennen, wieso die britische Politik in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts einen derart steinigen Weg eingeschlagen hatte. Mehr noch, ich gewann den Eindruck, dass den führenden Mitgliedern der britischen Regierung für ihre Reaktion auf die von Hitler ausgehende Bedrohung weit weniger Optionen offen standen, als ich gedacht hatte - und das lange vor Neville Chamberlains berüchtigtem Versuch von 1938, durch die Beschwichtigung des deutschen Diktators Frieden zu erkaufen. So nahm der geplante kurze Text über Londonderry immer mehr an Umfang zu. Das Ergebnis ist das vorliegende Buch.Die Vergangenheit, heißt es, sei ein fremdes Land. Aber ein fremdes Land kann man besuchen. Vorausgesetzt, man nimmt sich die Zeit dafür, kann man seine Kultur in sich aufnehmen und verstehen lernen. Bei der Vergangenheit verhält es sich anders. Sie findet man allenfalls in Überresten wieder. Die Einstellungen vergangener Zeitalter lernt man nur durch ihre Hinterlassenschaft kennen. Aber eine verloren gegangene Geisteshaltung nachzuvollziehen ist nicht leicht. Und noch lebendige Erinnerungen an die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Dennoch scheint dieses Jahrzehnt, trotz aller mündlichen Aussagen, trotz Zeitungen, Bergen von Dokumenten und plastischen Filmbildern, weit zurückzuliegen. Man nimmt es als eine ferne Epoche wahr. Die Auffassungen über das Empire, über Rasse, Staat und Nation wirken fremd. Nicht zuletzt erscheint es heute sonderbar, dass irgendjemand in Großbritannien es darauf abgesehen haben konnte, sich mit Hitler anzufreunden - dem bekanntesten Gesicht des Bösen im 20. Jahrhundert, der Verkörperung von Rassenhass und Krieg, dem Leugner aller Werte, die in einer zivilisierten Gesellschaft als positiv angesehen werden. In den dreißiger Jahren indessen war eine solche Einstellung alles andere als sonderbar. Viele brachten Hitler Bewunderung entgegen und forderten eine Politik der Freundschaft mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Dieses Buch erkundet diese Geisteshaltung.Deutschfreundliche Ansichten waren nicht gleichbedeutend mit der Haltung derjenigen, die aufgrund der militärischen Schwäche Großbritanniens die Notwendigkeit akzeptierten, deutschen Forderungen nachzukommen. Aber sie hingen mit ihr zusammen. Manche befürworteten die Beschwichtigungspolitik nur widerstrebend. Andere, wie Londonderry, freuten sich, als man endlich etwas unternahm, um Hitler zufrieden zu stellen. Auch hier bereiten die Einstellungen der Vergangenheit Schwierigkeiten. »Appeasement« - die Kriegsverhinderung durch Zugeständnisse an Hitler - ist nach dem Scheitern dieser Politik zu einem Schimpfwort geworden. Während eines großen Teils der dreißiger Jahre sah dies allerdings anders aus. Damals genoss sie aus verschiedenen Gründen breite Unterstützung. Durch den Blick auf einen einzelnen Menschen wird im Folgenden versucht, die Einstellungen nachzuvollziehen, die der Beschwichtigungspolitik zugrunde lagen und sie ermöglichten.In den meisten Darstellungen der britischen Geschichte der dreißiger Jahre ist Lord Londonderry bestenfalls eine Randfigur. Der zu Lebzeiten viel Geschmähte geriet nach seinem Tod fast völlig in Vergessenheit. Doch Charles Stewart Henry Vane-Tempest-Stewart, der siebente Marquess of Londonderry, Spross einer der bedeutendsten und reichsten britischen Adelsfamilien, hatte für einige Jahre das hohe und wichtige Amt des Luftfahrtministers inne - und zwar genau zu der Zeit, als im Zusammenhang mit Hitlers Machtantritt in Deutschland die Frage der Stärke der britischen Luftwaffe in den Vordergrund rückte. Als eine Stütze der Konservativen Partei hätte Londonderry gesellschaftlich wie politisch kaum bessere Beziehungen haben können. Der König nannte ihn »Charley«. Mitglieder der Königsfamilie waren häufig Gäste in seiner Londoner Residenz. Das politische Establishment saß regelmäßig an seiner Abendtafel. Bei festlichen Empfängen stand der jeweilige Premierminister am Kopf der prachtvollen Treppe des Londonderry House, um die nach Hunderten zählenden Gäste zu begrüßen. Londonderry hat alle führenden Politiker des Landes geduzt. Winston Churchill war ein Cousin von ihm. Sein Aufstieg in hohe Ämter war 1931 durch die Ernennung zum Luftfahrtminister gekrönt worden. Von Natur aus deutschfreundlich eingestellt, reiste er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 1935 bei verschiedenen Gelegenheiten nach Deutschland, wo er mehrmals mit Hitler zusammentraf, den Aufenthalt auf Görings Jagdsitz genoss und mit Ribbentrop und anderen NS-Größen trank und dinierte. Dieser Weg endete für ihn politisch in der Katastrophe und persönlich in der Isolation. Er verbrachte seine späten Jahre damit, ebenso unermüdlich wie vergeblich den Versuch zu unternehmen, seine heftig kritisierte Leistungsbilanz als Luftfahrtminister aufzupolieren und den ihm anhängenden Ruf, ein Nazifreund gewesen zu sein, loszuwerden.Wie kam es dazu, dass sich Lord Londonderry mit den Nationalsozialisten abgab und als führender Apologet Hitlers in Großbritannien betrachtet wurde? War er, wie seine Gegner behaupteten, ein geborener Nazisympathisant - ein »Naziengländer«, wie er genannt wurde? Oder war er bloß ein leichtgläubiger, naiver und irregeleiteter »Mitläufer« der Rechten? In beiden Fällen aber erhebt sich die Frage, warum damals so viele innerhalb und außerhalb seines Kreises seine Begeisterung für Deutschland teilten. Denn Londonderry stand mit seinen Bemühungen um engere, freundschaftlichere Beziehungen zu NS-Deutschland in England keineswegs allein da. Zu den Befürwortern einer solchen Politik gehörten allein unter den Peers der Duke of Buccleuch, der Marquess of Lothian, Viscount Rothermere, der Duke of Westminster, der Duke of Bedford, der der Labour Party angehörende Baron Allen of Hurtwood, Baron Mount Temple, Baron Brocket, Baron McGowan, Baron Mottistone, Baron Redesdale, Baron Sempill und der Earl of Glasgow. Viele andere einflussreiche Persönlichkeiten sympathisierten mit Londonderrys Zielen, auch wenn sie häufig weniger offen als er für sie eintraten. Waren solche Ansichten, aus zeitgenössischer Perspektive gesehen, ebenso absonderlich, wie sie später im Licht der nachfolgenden katastrophalen Ereignisse erschienen? Und war von vornherein klar, dass die Regierung sie ignorieren oder zurückweisen würde? Stellten sie für die britische Führung vielleicht sogar eine reale Option dar - eine Option, die auf einen anderen Weg als den von der Regierung eingeschlagenen geführt hätte, auf dem, wie Londonderry immer wieder behauptete, der Krieg hätte vermieden werden können?Natürlich liegt eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur - vielfach von hoher Qualität - über die Entwicklung der Beschwichtigungspolitik vor. In der Regel konzentrieren sich diese Arbeiten auf die Entwicklungen und Ereignisse, die Ende September 1938 zum Münchener Abkommen und zur Preisgabe der Tschechoslowakei führten. Verständlicherweise ist die Zahl der Studien über Premierminister Neville Chamberlain und Außenminister Lord Halifax, die Hauptarchitekten der Appeasementpolitik, besonders groß. Einige ausgezeichnete Arbeiten beschäftigen sich mit den dieser Politik zugrunde liegenden Haltungen und Einstellungen, obwohl detaillierte Beurteilungen der Ansichten und Haltungen Einzelner in Gesamtdarstellungen unvermeidlicherweise zu kurz kommen. Das gilt auch für einen hervorragenden Überblick über Nazisympathisanten, der das gesamte Spektrum der nazifreundlichen Haltungen erfasst und so ein faszinierendes Panorama der britischen »Mitläufer der Rechten« entwirft. Mit der Frage, wie sich die deutschfreundlichen Ideen einzelner Persönlichkeiten herausbildeten und unter der Wirkung Hitlers veränderten, können sich solche umfassenden Darstellungen naturgemäß nicht im Detail beschäftigen.Genau dies ist die Absicht des vorliegenden Buches. Es untersucht lediglich einen Teil von Londonderrys Leben und Karriere: seine Beteiligung an der Beschwichtigung Deutschlands - auch wenn ihm selbst die Bezeichnung »Beschwichtigungspolitiker« nicht zusagte. Eine Biografie wird hier nicht versucht. Tatsächlich ist kürzlich, und zwar weitgehend unabhängig von meinen Recherchen und der Niederschrift meines Buches, eine solche Lebensbeschreibung entstanden, die notwendigerweise zahlreiche Facetten von Londonderrys Privatleben und Karriere umfasst, die keinen direkten Bezug zu seinem Verhältnis zu NS-Deutschland haben, wie etwa seine Rolle in der Frühphase der nordirischen Politik. Dennoch nimmt auch das vorliegende Buch im Rahmen der britischen Beziehungen zu NS-Deutschland in den dreißiger Jahren einen biografischen Standpunkt ein, wenn auch mit dem Ziel, weiter reichende Fragen zu klären.Biografisch betrachtet, wird eine persönliche Tragödie beschrieben: Wie Londonderry durch die Verfolgung des Trugbildes einer Freundschaft mit Hitlerdeutschland seinen guten Ruf ruinierte. Ich stelle indessen auch klar, dass er mit den fanatischen Faschisten, naiven Spinnern und Mystikern, die Hitler mit Haut und Haar verfallen waren, nichts gemein hatte. Seine Ansichten über Deutschland waren Bestandteil einer alternativen politischen Herangehensweise an das Problem des Nationalsozialismus. Nach seiner Auffassung konnte allein diese Herangehensweise in Europa Frieden schaffen und einen weiteren Großbrand verhindern, von dem er, der die Verwüstungen des Ersten Weltkriegs miterlebt hatte, befürchtete, dass er das Ende der Zivilisation mit sich bringen würde. Seine deutschfreundliche Haltung war daher mit einem anderen wichtigen Strang seines Denkens verknüpft: mit der Notwendigkeit der britischen Aufrüstung, insbesondere in der Luft. Später erklärte er mit einem Seitenhieb auf die britische Regierung: »Es gab tatsächlich nur zwei Möglichkeiten für mich, nämlich entweder eine Luftflotte zu bauen oder zu versuchen, Freundschaft mit Deutschland zu schließen. Keines von beidem durfte ich tun.«In der Praxis gewann das Ziel eines Pakts mit Deutschland die Oberhand über die Aufrüstungsforderung - was schließlich zur Entfremdung von Churchill führte. Während seiner Zeit im Luftfahrtministerium vermochte er sich mit seinem Drängen auf Aufrüstung nicht durchzusetzen; allerdings stellten sich ihm auch enorme Hindernisse entgegen. Anschließend waren seine unablässigen hartnäckigen Versuche, seine eigene Leistung zu verteidigen, dem Bemühen um ein freundschaftliches Verhältnis zu Deutschland untergeordnet. Mit beidem handelte er sich in einer Zeit, in der die Aufrüstung endlich in Gang kam und die deutsche Bedrohung nicht mehr zu übersehen war, zumeist nur heftige Kritik ein.Um die Gründe dafür zu verstehen, werden zuerst, vor Londonderrys eigener Geschichte, die am Anfang der NS-Herrschaft in Großbritannien verbreiteten Hitlerbilder betrachtet. Sie lassen das Ausmaß der Illusionen und Täuschungen ahnen, von denen die Einstellung zu Deutschland geprägt war. Anschließend wird im Zusammenhang mit der britischen Politik auf dem Gebiet von Abrüstung und Wiederaufrüstung in den frühen dreißiger Jahren die kritische Periode von Londonderrys Scheitern als Luftfahrtminister untersucht - also jene Periode, die sich nachhaltig auf die Gestaltung der späteren Beschwichtigungspolitik auswirken sollte. Es wird gezeigt, dass die Entlassung aus der Regierung im Jahr 1935 - die entscheidende Episode in seiner politischen Karriere - Londonderry die Möglichkeit gab, sich offen für die Freundschaft mit Deutschland einzusetzen. Spätere Kapitel behandeln seine Enttäuschung, das kurzzeitige Wiederaufleben seiner Hoffnungen nach dem Münchener Abkommen, seine verspätete Erkenntnis, dass man Hitler nicht vertrauen konnte, und seine Haltung nach Ausbruch des Krieges, für dessen Verhinderung er gekämpft hatte.Lord Londonderry galt nicht nur als der führende Exponent deutschfreundlicher Ansichten in den dreißiger Jahren, sondern war als ehemaliges Kabinettsmitglied auch der prominenteste Vertreter derjenigen, die man als »Mitläufer der Rechten« bezeichnen könnte. Außerdem war er ein eifriger Briefschreiber - eine inzwischen ausgestorbene Kunst. Er und seine Frau, die Respekt einflößende Edith, Marchioness of Londonderry, eine der Grande Dames der Highsociety ihrer Zeit, hinterließen eine riesige Korrespondenz von über zehntausend Briefen, von denen viele politische Themen berühren, darunter Hunderte, die sich mit den Beziehungen zu Deutschland befassen. Die Londonderry-Briefe erzählen nicht nur die Geschichte des selbst eingestandenen politischen Scheiterns eines Einzelnen, sondern tragen auch zum Verständnis der umfassenderen Frage des allgemeinen politischen Scheiterns der Beschwichtigungsversuche bei. Sie illustrieren den Wandel und die Komplexität der britischen Haltung gegenüber NS-Deutschland. Darüber hinaus stellen sie ein Prisma dar, in dem sich in lebendigen Farben die Geisteshaltungen, die wechselnden Einstellungen und die politische Unentschlossenheit einer mit dem wachsenden Problem der nationalsozialistischen Bedrohung konfrontierten Gesellschaft widerspiegeln. Sie beleuchten die uns heute im Wissen um Hitlers Untaten so fremden Gründe, aus denen sich damals so viele Briten - und zwar solche aus gut informierten und einflussreichen Gesellschaftskreisen - von NS-Deutschland angezogen fühlten oder es zumindest für notwendig hielten, ein politisches Arrangement mit dem Hitlerregime zu erreichen.Solche Ansichten hatten in der Regel ein idealistisches Element. Bei Londonderry war es jedenfalls so, wie die folgenden Seiten belegen. Diesen Idealismus muss man in Rechnung ziehen, wenn man die aus ihm herrührenden Irrtümer und Fehleinschätzungen verstehen will.Als ein Spiegel der britischen Anstrengungen, mit dem Problem Hitler fertig zu werden, besitzt die Geschichte von Lord Londonderry breitere Bedeutung. Da die soziale Welt der Londonderrys und die Werte, die ihr zugrunde lagen, verschwunden sind, haben sein politischer Aufstieg und seine Ächtung gewissermaßen Anspruch darauf, als Elegie auf den Niedergang und Fall der britischen Aristokratie verstanden zu werden.lan Kershaw,Sheffield/Manchester, September 2003Prolog: Eines Aristokraten Weg»Man kann nicht die Gastfreundschaft eines Mannes in Anspruch nehmen und ihm dann, wenn er einen Posten haben will, keinen geben.«Cuthbert Headlam über Londonderrys Ernennung zum Kabinettsmitglied im Jahr 1928IKein Land konnte aus den vier langen Jahren des Leids und Gemetzels im Ersten Weltkrieg mit unveränderter sozialer Struktur und Geisteshaltung hervorgehen. Vor dem Abstieg in das unvorstellbare Blutbad im Schlamm von Flandern und Nordfrankreich hatte es den Anschein gehabt, als wäre das auf jahrhundertealten Hierarchien und Statusabgrenzungen beruhende britische Sozialgefüge gegen Veränderungen immun und seine Struktur unantastbar. Das Rückgrat der sozialen Ordnung und der herrschenden Schicht Großbritanniens, mit einem sich höchster Beliebtheit erfreuenden Königshaus an der Spitze, war der Landadel. Seine Vorherrschaft schien gesichert zu sein. An der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie standen weiterhin diejenigen, die über Reichtum verfügten und Titel trugen, die auf dem Besitz riesiger Ländereien beruhten, deren Einkünfte jetzt aber vielfach durch die Erträge von Handels- oder Industriekapital ergänzt wurden. Der sozialen Macht entsprang ein Pflichtgefühl der Öffentlichkeit gegenüber, das häufig dazu führte, dass man bei der Führung der Staatsgeschäfte mitwirkte oder auf kommunaler Ebene in patriarchalischer Weise die lokalen Angelegenheiten in die Hand nahm.mehr

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Autor

Ian Kershaw, geboren 1943, zählt zu den bedeutendsten Historikern der Gegenwart. Bis zu seiner Emeritierung war er Professor für Modern History an der University of Sheffield, seine große zweibändige Biographie Adolf Hitlers gilt als Meisterwerk der modernen Geschichtsschreibung. Für seine Verdienste um die historische Forschung wurde Ian Kershaw mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und der Karlsmedaille. 1994 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, 2002 wurde er zum Ritter geschlagen. Bei DVA sind außerdem von ihm erschienen »Hitlers Freunde in England« (2005), »Wendepunkte. Schlüsselentscheidungen im Zweiten Weltkrieg« (2010) und »Das Ende« (2013). Die beiden Bände seiner großen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Europa, »Höllensturz« (2016) und »Achterbahn« (2019), sind hochgelobte Bestseller. Zuletzt erschien von ihm »Der Mensch und die Macht. Über Erbauer und Zerstörer Europas« (2022).Klaus-Dieter Schmidt, geboren 1950 in Teltow, lebt in Berlin. Zunächst als Korrektor und Lektor tätig, übersetzt er seit vielen Jahren vor allem zeitgeschichtliche Sachbücher aus dem Englischen. Zu den von ihm übersetzten Autorinnen und Autoren zählen unter anderen Paul Collier, Niall Ferguson, Ian Kershaw, Margaret MacMillan und Brendan Simms.