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Hell's Gate Mord in Kenia

Kriminalroman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2015
Packende Reise in die Abgründe Afrikas Der eigenwillige Massai-Ermittler Mollel wird von Nairobi in die Provinz versetzt, in einen kleinen Ort direkt neben dem Nationalpark Hell's Gate. Wenig zu tun für Mollel - bis eine Blumenpflückerin ermordet wird. Mollel argwöhnt schnell, dass eine Polizisten-Gang in den Mord verwickelt ist, die mit Gewalt und Selbstjustiz die Gegend unsicher macht ...

Richard Crompton hat als Journalist und Produzent für die BBC gearbeitet. 2007 ging er mit seiner Frau, die als Menschenrechtsanwältin bei den Völkermordprozessen von Ruanda tätig war, nach Afrika. Er lebt mit seiner Familie in Nairobi. Mehr zum Autor
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Produkt

KlappentextPackende Reise in die Abgründe Afrikas Der eigenwillige Massai-Ermittler Mollel wird von Nairobi in die Provinz versetzt, in einen kleinen Ort direkt neben dem Nationalpark Hell's Gate. Wenig zu tun für Mollel - bis eine Blumenpflückerin ermordet wird. Mollel argwöhnt schnell, dass eine Polizisten-Gang in den Mord verwickelt ist, die mit Gewalt und Selbstjustiz die Gegend unsicher macht ...

Richard Crompton hat als Journalist und Produzent für die BBC gearbeitet. 2007 ging er mit seiner Frau, die als Menschenrechtsanwältin bei den Völkermordprozessen von Ruanda tätig war, nach Afrika. Er lebt mit seiner Familie in Nairobi. Mehr zum Autor
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423427159
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum01.07.2015
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse889
Artikel-Nr.1729567
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1


Sie haben den Himmel genommen

und in Bande gelegt.


 

Er ist: ein Paar Flip-Flops, eine ausgeleierte Shorts. Ein dazu passender schwarz-weiß gestreifter Kittel. Vor sich her trägt er eine schmuddelige Schaumstoffmatratze - nein, eine halbe Matratze, einmal längs durchgeschnitten, nicht breiter als seine Schulterblätter. Darauf liegt zusammengefaltet eine kratzige Wolldecke. In der Tasche seines Kittels steckt ein kleines gelbes Kärtchen, auf dem von Hand sein Name, seine Nummer und sein Verbrechen vermerkt sind.

Das ist er, nicht mehr. Nur einer der vielleicht viertausend Insassen. Er sieht aus wie sie. Er geht sogar wie sie - ein flaches, mutloses Schlurfen, an dem die übergroßen Flip-Flops schuld sind.

Er sieht aus wie sie, aber er ist keiner von ihnen. Auch sie wissen das: schon die erste Gruppe, an der er vorbeikommt, blickt ihm aus sieben Paar trotzigen, feindseligen Augen entgegen.

»Bulle!«, zischt einer von ihnen.

Schon oft hat er Gefängnisse betreten. Schon oft hat er diesen Geruch nach stumpfer, beengter Menschheit eingeatmet; hat Luft, dick von der Wärme Hunderter Leiber, in der Kehle brennen gespürt.

Jedes Mal droht Panik in ihm aufzusteigen. Jedes Mal unterdrückt er sie mit einem Schauder. Redet sich zu, dass er ja, anders als die anderen, wieder gehen darf.

Aber nicht dieses Mal.

Der Wärter hinter ihm lacht leise. »Freunde wirst du hier nicht viele finden, Massai. Lern besser, mit offenen Augen zu schlafen.«

»Aus dem Weg!«, ertönt eine Stimme. Zwei weiß gekleidete Gefangene trampeln vorbei, zwischen ihnen ein riesiger dampfender Aluminiumkessel, gefüllt mit grauer dickflüssiger Pampe, auf der ein paar fleischige rosa Bohnen schwimmen.

Klappernd stellen die Köche den Kessel mitten auf dem Hof ab. Auf dieses Signal hin verwandeln sich die verstreuten Grüppchen von Männern in eine Schlange, Plastikteller und -löffel in den Händen.

»Du kannst dir deine Ration später holen«, sagt der Wärter. »Erst in die Zelle.«

 

Sie nähern sich einer Wand aus Porenbetonsteinen mit einem schmalen Durchgang. Darüber ist mit Farbe das Wort »Untersuchungshaft« gepinselt. Mit klirrenden Schlüsseln wird die Tür aufgeschlossen, und sie gehen hindurch. Dahinter ein weiterer Durchgang. Es scheint unendlich viele davon zu geben. Dieser Ort besteht aus Tor auf Tor, Tür auf Tür, die nacheinander auf- und wieder zugeschlossen werden. Sie treten ein. Der säuerliche Essensgeruch war unangenehm, aber vor dem ranzigen, beißenden Gestank des Zellentrakts verblasst die Erinnerung daran sofort. Hier riecht es nach Schweiß, Urin, Scheiße, nach Menschen. Sie gehen an offenen Zellen vorbei, jede Tür erlaubt einen flüchtigen Blick auf das dunkle Innere: Matratzen kreuz und quer auf dem Betonboden. Magere Habseligkeiten, in ausgefransten Beuteln an die Gitterstäbe des hohen, schmalen Fensters gebunden, durch das graues Licht hereinsickert.

Nun ist er tief im Herzen des Gefängnisses. Die Insassen blicken von ihren Lagern zu ihm auf, als er vorübergeht. Die meisten zu träge, um sich zu rühren, aber in ihren Augen flackern Gefühle. Belustigung. Wut. Hass. Mitleid.

Aus einer Tür schiebt sich bei ihrem Näherkommen ein neugieriges Gesicht; ein gaffender Blick, eine Hand wird über die Kehle gezogen.

Der Wärter lacht kurz und bellend auf, sein Stock bohrt sich in Mollels Rippen. Mollel schlurft weiter. In den rissigen Flip-Flops zu gehen ist schwierig; er würde sie am liebsten abstreifen. Aber nackte Füße sind hier ebenso verboten wie feste Schuhe. Eine simple Vorsichtsmaßnahme: in Flip-Flops kann man nicht rennen. Und der Boden rund um diese Mauern besteht aus messerscharfem Splitt.

Ein knapper Befehl, anzuhalten. Mollel wendet sich der Zellentür zu, die vor ihm klafft.

»Willkommen in deinem neuen Zuhause«, sagt der Wärter.

Auf dem Boden liegen sechs halbe Matratzen. Neben einem fliegenverkrusteten Plastikeimer ist Platz für eine weitere.

»Die Neuen schlafen neben dem Pisspott«, sagt der Wärter und geht mit klimpernden Schlüsseln davon.

Mollel schiebt den Eimer mit dem Fuß so weit wie möglich weg und rollt auf der entstandenen Fläche seine Matratze aus. Auf der anderen Seite der Zelle regt sich etwas. Was er für einen Haufen Decken hielt, entpuppt sich als knochendürre Gestalt eines Mannes, der kaum den Kopf heben kann. Aber seine halb geschlossenen Augen schielen in Richtung des Neuankömmlings.

»Ich bin Mollel.«

»Ich weiß, wer Sie sind«, sagt der Kranke. »Wir alle. Wir haben gehört, dass Sie kommen.«

Nun, da seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt haben, sieht Mollel, dass die Ohrläppchen des Mannes weite Löcher haben, genau wie seine eigenen.

»Supai«, begrüßt Mollel ihn auf Maa.

Der Mann antwortet nicht.

»Was ist mit Ihnen?«, fragt Mollel. »Waren Sie bei einem Arzt?«

»Mir kann kein mganga helfen«, erwidert der Mann. »Wissen Sie nicht, dass alle Massai, die ins Gefängnis kommen, dieses Schicksal erwartet?«

Es heißt, kein Massai hielte es dort länger als drei Monate aus. In alten Zeiten glaubte man, sie würden einfach sterben. Als die Gerichte noch britisch waren, vermied man es sogar, Massai für geringere Verbrechen als Mord hinter Gitter zu bringen. Es hieß, eingesperrt zu werden komme für das Volk, das die ganze Welt als seine Heimat betrachtete, einem Todesurteil gleich.

Über die Jahre hat Mollel viele Massai ihre Zeit absitzen sehen. Ein paar von ihnen hat er sogar selbst dorthin gebracht. Gestorben sind sie nicht. Aber das war auch alles. Nach ein paar Wochen wurden sie teilnahmslos, apathisch. Über ihre Augen legte sich ein Schleier und über ihre Haut aschene Blässe. Der elegante Körper der Massai, nicht daran gewöhnt, zwanzig Stunden täglich auf einer Pritsche zu liegen, wurde krumm und bucklig.

Diese gebeugten Gestalten sprachen kaum ein Wort und leisteten niemals Widerstand. Sie waren gebrochen.

»Wie lange sind Sie schon hier?«

»Zwei Jahre, drei.«

»In Untersuchungshaft?« Mollel weiß, wie sich in den Gerichten die Fälle stapeln, trotzdem ist er entsetzt. »Lassen Sie mich mit den Wachen reden. Ich kann versuchen, Ihnen einen Arzt zu besorgen, einen Anwalt. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram, Ole Mollel«, gibt der Mann zurück. »Hier drin will keiner Ihre Hilfe.«

Der Wärter taucht wieder auf und drückt Mollel einen schmierigen Plastikteller und einen Löffel in die Hand. »Geh, hol dir dein Essen, bevor es nichts mehr gibt.«

 

Zurück im Hof lässt Mollel den Blick schweifen. In Gruppen stehen die Gefangenen da oder sitzen am Boden und kauen aus den Plastiktellern ihre zähflüssige Pampe wie eine Herde Zebras. Dazwischen sind in ihren Khakiuniformen, Baretten und Schulterstücken die Wärter auf der Pirsch und lassen beiläufig die Schlagstöcke kreisen.

Ringsum hohe Mauern, hie und da eine anonyme vergitterte Tür. Mit rostigen Stacheldrahtspiralen ist der Himmel an die Mauerkrone gebunden.

Ein Klecks warmer Flüssigkeit trifft sein Gesicht. Speichel voll zerkauter Bohnen rinnt seine Wange hinunter. Er schüttelt den Kopf, um ihn nicht in den Mund zu bekommen.

Der Volltreffer ruft Gelächter hervor.

»Na, wie gefällt dir das, Polizist?«

Er senkt den Blick, aber die spöttische Feindseligkeit folgt ihm zu dem Kessel mitten im Hof, der inzwischen nicht mehr dampft. Er spürt alle Augen auf sich liegen, während er sich diesem mit seinem Teller nähert.

Es ist nichts übrig. Nur zwei oder drei Bohnen kleben an den Blechwänden, sonst ist alles aufgegessen.

Während er das feststellt, kehrt das Gelächter zurück. Erst ein Kichern, dann ein Pfiff, dann wiehernd, aus vollem Halse. Und dann kommt in die willkürlichen Ausbrüche ein Rhythmus, etwas Pulsierendes; die Gefangenen stampfen unisono mit den Füßen auf.

Eine Minute lang tun die Wärter gar nichts. Sie scheinen sich zu amüsieren. Dann, plötzlich, haben sie genug. Die Stöcke werden gezückt, und der Mob beruhigt sich. Die Gefangenen werden wieder in die Zellen getrieben.

Mollel wird zurückgehalten, aber nur so lange, bis die anderen hinter Schloss und Riegel sind. Es ist keine Vorzugsbehandlung: die Wärter wollen nur verhindern, dass es auf dem Gang zu Auseinandersetzungen kommt.

Als Mollel seine Zelle betritt, ist der sterbende Massai nicht mehr der Einzige dort. Ein Chor aus Stöhnen und Buhrufen begrüßt ihn.

»Warum kriegen ausgerechnet wir ihn?«, fragt eine Stimme.

»Weil ihr Platz für noch eine Matratze habt, seit euer Kumpel sich erhängt hat, Oweno. Während ihr anderen sechs anscheinend geschlafen habt.«

Oweno grinst. »Wir schlafen alle gut hier. Oder, Jungs?« Er steht auf, packt den Plastikeimer und drückt ihn Mollel in die Hände. Der Gestank schlägt Mollel entgegen. Am Boden schwappt ein Fingerbreit dicke Pisse.

»Gewöhn dich dran«, sagt Oweno. »Ab jetzt leerst du das Ding.«

»Benehmt euch, Jungs«, warnt der Wärter. »Der da ist kein Eseldieb aus Kericho. Wenn ihm was passiert, werden einige Leute Fragen stellen.«

»Machen Sie sich wegen uns keine Sorgen«, sagt Oweno. »Wir hier drin sind Riesenfans der polisi.«

Ein zweiter Wärter kommt hinzu und sagt leise etwas zu dem ersten. Beide mustern Mollel mit Interesse.

»So, so, Massai. Fühl dich geehrt. Der Boss will dich sehen.«

»Der Direktor?«, fragt Mollel.

Die Zelle bricht in Lachen aus. Selbst die Wärter kichern.

»Komm.«

 

Sie führen ihn...
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Autor

Richard Crompton hat als Journalist und Produzent für die BBC gearbeitet. 2007 ging er mit seiner Frau, die als Menschenrechtsanwältin bei den Völkermordprozessen von Ruanda tätig war, nach Afrika. Er lebt mit seiner Familie in Nairobi.