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Lautlose Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am11.11.20161. Auflage
»Ein wahres Kleinod inmitten des gigantischen Krimiangebots.« Ingrid Müller-Münch in >DeutschlandfunkLiebste Tess< wurde sie zur internationalen Bestsellerautorin mit Millionenauflage weltweit. Es wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in London.mehr

Produkt

Klappentext»Ein wahres Kleinod inmitten des gigantischen Krimiangebots.« Ingrid Müller-Münch in >DeutschlandfunkLiebste Tess< wurde sie zur internationalen Bestsellerautorin mit Millionenauflage weltweit. Es wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in London.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423430494
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum11.11.2016
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1158 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.2081979
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

In der entlegenen Gemeinde Prudhoe Bay weit im Norden saß Captain David Grayling hundemüde vor seinem Schreibtisch. Das elektrische Licht strahlte unerbittlich grell, und er sehnte sich nach der Sanftheit des Tageslichts. Erst in zwei Monaten würde es hier wieder einen Morgen geben. Er dachte an Timothy. Lag es an Timothy, dass er seine jungen Untergebenen plötzlich väterlich behandelte, wie alle fanden? Er hatte sich immer eher als Hundeschlittenführer gesehen, der ein Team junger, enthusiastischer Huskys mit den Zügeln in die richtige Richtung lenkte. Auf dem Schlitten hatte er eine Hundetransportbox aus Segeltuch dabei, falls einer sich mal verletzte und an einen Ort gebracht werden musste, wo man sich um ihn kümmern konnte.

Aber in Anaktue war er weder Schlittenführer noch Vaterfigur gewesen. Seine Leute hatten mit ansehen müssen, wie er sich erbrach, wieder und wieder, bei jeder Leiche war ihm der Ekel aufs Neue hochgestiegen. Über dem rußgeschwärzten Dorf hatte der Sturm getobt, ihr kleiner Hubschrauber hatte kaum landen können, die Kälte des Winds verbiss sich in ihre Gesichter wie ein halb verhungertes Tier. Blast, Winde, sprengt die Backen! Sie hatten ihre gleißenden Flutlichtscheinwerfer herausgeholt und damit in die geschwärzten Ruinen geleuchtet. Die verkohlten Überreste der Männer, Frauen und Kinder waren kaum noch als solche zu erkennen gewesen. Die Finsternis jenseits der Lichtkegel war ihm unermesslich erschienen.

Schweigend hatten sie gearbeitet, das ganze Team, die meisten fast noch Jungen, wortlos und ohne sich mit Flapsigkeit zu wappnen, während sie fotografierten, dokumentierten, in Säcke packten. Ihr schweflichten, gedankenschnellen Blitze - König Lears Worte kamen ihm in den Sinn, aber ein Blitzschlag war harmlos gegen das, was hier geschehen war, und gedankenschnell war das Feuer nur über die gekommen, die gestorben waren. Diejenigen hingegen, die damit betraut waren, die Überreste zu sortieren, würden nur allzu viel Zeit zum Nachdenken haben.

Vor vielen Jahren - einem ganzen Arbeitsleben - hätte Grayling gern Literatur studiert. Aber sein Vater hatte verlangt, er solle etwas tun, statt »in lyrischem Geschwurbel zu versumpfen«. Die Kritik hatte gefruchtet, und so hatte er beschlossen, wenn er schon etwas tun werde, dann etwas, was seinem geliebten Alaska nützte. Kurze Zeit hatte er auf Medizin gesetzt, war dann aber am Chemiekurs gescheitert, und so wurde er State Trooper. In seinem Jahrgang war er der Einzige, für den das nur zweite Wahl war. Nach drei Wochen erkannte er, dass sein Gehirn nicht zum Polizistenhirn taugte, so voll unnützer Informationen und Ideen, wie es war. Also räumte er darin auf, warf alles hinaus, was er nicht mehr brauchte (die Frage war, ob er es überhaupt je gebraucht hatte). Daher hatte er seit vielen Jahren nicht mehr an König Lears sturmumtoste Heide gedacht. Aber Anaktue war anders. Anaktue drang in die tiefen Bereiche seiner Seele, die nicht einfach ausgeräumt werden konnten.

Nachdem sie die Ausmaße der Katastrophe erkannt hatten und der Sturm nachgelassen hatte, waren weitere State Troopers und Hilfskräfte angerückt. Grayling selbst hatte die Suche nach Überlebenden geleitet. Mit eingeschaltetem Suchscheinwerfer waren sie in immer größeren Kreisen um das Dorf herumgeflogen, aber sie hatten niemanden gefunden. Nach Graylings Informationen hatten sich dreiundzwanzig Menschen im Dorf aufgehalten. Er hatte die Suche erst beendet, als die Kollegen im Dorf vierundzwanzig Leichen gezählt hatten. Die Identität des vierundzwanzigsten Opfers würde Grayling herausfinden müssen.

Endlich war die zermürbende Arbeit getan. Er ging als Letzter, trug das Flutlicht eigenhändig zurück in den Hubschrauber. Hinter ihm versank Anaktue in Finsternis.

Später am Nachmittag waren einige Interviewtermine mit Journalisten in gut beheizten, angenehm beleuchteten Fernseh- und Radiostudios angesetzt. Die Journalisten würden heute Nacht keine Albträume haben.

Sein Telefon klingelte. Es war Lieutenant Reeve aus Fairbanks. Es ging um Matthew Alfredson, das vierundzwanzigste Opfer, den sie anhand von computerisierten Visaeinträgen identifiziert hatten, den Tierfilmer, dessen Ehering Grayling mitten im Ruß hatte glitzern sehen. Alles andere war unkenntlich gewesen, das übrige Metall zu hässlichen Gebilden zerschmolzen, nur dieser eine Ring ein perfekter, unantastbarer Kreis. Aus seinem kurzen Ausflug in die Chemie wusste Grayling, dass Platin selbst größter Hitze widerstand, trotzdem hatte der unversehrte Ring etwas von einem Wunder. Er war nicht in der Nähe einer der Leichen gefunden worden, und Grayling fragte sich, ob die Ehe, die er symbolisierte, vielleicht weniger unverwüstlich gewesen war als er selbst. Hoffentlich war es so - das mochte die Trauer etwas mindern.

Aber um fünf Uhr am gestrigen Nachmittag, als sie dabei gewesen waren, die verkohlten Überreste von Anaktue zu sichten, hatte dieser Mann seine Frau angerufen. Wie war das möglich? Mein Gott, war der Kerl etwa immer noch irgendwo da draußen, lebendig? Grayling musste mit der Ehefrau reden.

 

Yasmin fand, Captain Grayling klang wie der Archetyp eines State Troopers. Seine Stimme war tief und selbstsicher, sie stellte ihn sich breitschultrig und wettergegerbt vor.

»Hat Ihr Mann Ihnen gesagt, wo er sich gerade aufhielt?«, wollte Grayling wissen.

»Nein. Aber wahrscheinlich war er an der Landebahn und wartete auf einen Taxiflieger. Lieutenant Reeve meinte, gestern Nachmittag habe es gestürmt, und die Flugbedingungen seien schlecht gewesen, vielleicht ist das Flugzeug deshalb nicht gekommen. Vielleicht ist er immer noch dort.«

»Wir haben in sehr weitem Umkreis gesucht, auch an der Landebahn.«

»Aber es war doch dunkel und stürmisch, oder? Da haben Sie ihn vielleicht übersehen?«

 

Er hörte ihrer Stimme die Hoffnung an, dieses Klammern an eine andere Lösung. Ein Stich des Mitgefühls durchbohrte ihn. »Die Landebahn ist flach und gut einsehbar«, sagte er. »Wir hatten starke Scheinwerfer und sind sie sehr gründlich abgeflogen.« Er verschwieg, dass er selbst darüber gekreist war, immer und immer wieder. »Hatte er ein Schneemobil?« Anaktue lag meilenweit im Nirgendwo, mitten in eigentlich unpassierbarem Terrain, also wäre das die einzige Option, aber er musste ganz sichergehen.

»Ja.«

Er hatte seinen Leuten befohlen, die geschmolzenen Fragmente der Schneemobile wie Puzzlestücke zusammenzufügen. Inzwischen waren sie vermutlich aneinandergefroren.

 

Matt hatte Yasmin und Ruby erzählt, dass er das Schneemobil einem Dorfbewohner abgekauft hatte, der sich ein besseres leisten wollte. Yasmin war es seltsam vorgekommen, dass die Iñupiat mit Schneemobilen auf Karibujagd gingen, aber Matt fand daran nichts Besonderes.

»Wissen Sie, wie viele Schneemobile es im Dorf gab?«, fragte Captain Grayling.

»Drei.« Das von Matt, das neue des Vorbesitzers und eines, das einem Mann gehörte, der an den Ölquellen in Prudhoe Bay arbeitete. Sie und Matt hatten sich darüber unterhalten - ein gutes, neutrales Gesprächsthema, solange Ruby dabei war.

In der Stille, die auch Captain Grayling nicht unterbrach, begriff sie, dass man drei gefunden hatte - oder ihre Überreste. Also saß er nicht auf dem Schneemobil, gesund und munter und schon fast in Fairbanks. Er würde nicht gleich hereinplatzen, Ruby umarmen und Yasmin die Möglichkeit geben, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. Es war ohnehin absurd zu glauben, dass er per Schneemobil den ganzen Weg nach Fairbanks schaffen würde. Sie wünschte sich nur so sehr, ihn zu sehen.

»Vielleicht war er mit dem Hundeschlitten unterwegs«, schlug sie vor.

Vor ein paar Wochen hatte er Ruby in einer Mail beschrieben, wie er mit einem Iñupiat einen Ausflug auf dessen Schlitten gemacht hatte. Yasmin hatte ihm den enthusiastischen Ton nicht ganz abgenommen, es war ihr unbegreiflich, warum jemand in arktischer Kälte auf einem Schlitten unterwegs sein wollte. Aber vielleicht war seine Begeisterung echt gewesen.

»Die Zwinger sind auch niedergebrannt.«

»Waren die Hunde denn darin? Vielleicht war er mit ihnen unterwegs, um zu filmen.«

»Filmen? Mitten im Winter? Im Dunkeln?«

»Er macht gerade einen Film über die Tierwelt Alaskas im Winter. Anaktue war nur seine Ausgangsbasis.« Sie verschwieg ihm, wie fadenscheinig ihr diese Begründung dafür, dass Matt nach Anaktue wollte, vorgekommen war und dass sie versäumt hatte, ihn zur Rede zu stellen. Aber vielleicht hatte er ja die Wahrheit gesagt.

»Selbst wenn er zum Filmen draußen gewesen wäre«, erwiderte Captain Grayling, »wäre er doch gestern nach Anaktue oder zur Landebahn zurückgekommen, um nach Fairbanks zu fliegen und Sie abzuholen, oder?«

»Vielleicht gab es ein Problem mit dem Schlitten oder mit einem der Hunde.«

»Sie sagten vorhin, Ihr Mann habe Ihnen nicht erzählt, wo er sich befand?«

»Genau.«

»Haben Sie irgendeine Idee, wo er gewesen sein könnte?«

»Nein.«

»Darf ich fragen, was er zu Ihnen gesagt hat?«

»Gar nichts.«

»Wie bitte?«

»Er konnte nichts sagen, weil die Verbindung gleich wieder weg war.«

»Also haben Sie ihn gar nicht sprechen hören?«

»Nein. Wie gesagt ...«

»Woher wissen Sie dann, dass er es war?«

»Bei uns in England war es zwei Uhr morgens. Er ist der Einzige, der um diese Zeit anruft. Und die Verbindung bricht öfter mal ab. Er hat ein Satellitentelefon und braucht klare Sicht zum Himmel. Oder sein Akku war einfach leer. Das ist am wahrscheinlichsten, weil er es danach nicht noch mal probiert...
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Autor

Rosamund Lupton studierte in Cambridge, arbeitete als Literaturkritikerin und schrieb zahlreiche Drehbücher für Film und Fernsehen. Gleich mit ihrem Romandebüt >Liebste Tess