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Als ich aufwachte, war so sehr Montag, dass es wehtat

Roman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2017
Der Kultroman aus Finnland Petteri und sein Bruder Lefa arbeiten für das dubiose Vielzweck-Unternehmen ihrer Mutter, die vom Hinterzimmer ihres Antiquariats aus scheinbar die Umzugsfirma ihres verstorbenen Mannes weiterführt. Tatsächlich werden hinter der seriösen Fassade zwielichtige Geschäfte abgewickelt, der Firmenhof wird zum Anziehungspunkt für lichtscheue Gestalten. Petteri und Lefa ziehen es vor, nicht so genau nachzufragen; sie lassen lieber alles entspannt auf sich zukommen - wobei sie der Entspannung gern mit diversen Rauschmitteln auf die Sprünge helfen. Als eines Tages das Eigentum halbseidener Auftraggeber zu Schaden kommt, haben die Brüder eine Menge guter Gründe, sich für einige Tage aus der Schusslinie zu bringen...

Mikko Rimminen, geboren 1975, hat zunächst zwei viel beachtete Gedichtbände sowie einen Band mit Kurzprosa veröffentlicht, bevor er seinen literarischen Durchbruch mit dem Roman >TütenbierromanDer Tag der roten Nase<, erhielt er 2010 den Finlandia-Preis, einen der bedeutendsten finnischen Literaturpreise. Mikko Rimminen lebt in Helsinki.
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Produkt

KlappentextDer Kultroman aus Finnland Petteri und sein Bruder Lefa arbeiten für das dubiose Vielzweck-Unternehmen ihrer Mutter, die vom Hinterzimmer ihres Antiquariats aus scheinbar die Umzugsfirma ihres verstorbenen Mannes weiterführt. Tatsächlich werden hinter der seriösen Fassade zwielichtige Geschäfte abgewickelt, der Firmenhof wird zum Anziehungspunkt für lichtscheue Gestalten. Petteri und Lefa ziehen es vor, nicht so genau nachzufragen; sie lassen lieber alles entspannt auf sich zukommen - wobei sie der Entspannung gern mit diversen Rauschmitteln auf die Sprünge helfen. Als eines Tages das Eigentum halbseidener Auftraggeber zu Schaden kommt, haben die Brüder eine Menge guter Gründe, sich für einige Tage aus der Schusslinie zu bringen...

Mikko Rimminen, geboren 1975, hat zunächst zwei viel beachtete Gedichtbände sowie einen Band mit Kurzprosa veröffentlicht, bevor er seinen literarischen Durchbruch mit dem Roman >TütenbierromanDer Tag der roten Nase<, erhielt er 2010 den Finlandia-Preis, einen der bedeutendsten finnischen Literaturpreise. Mikko Rimminen lebt in Helsinki.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423431965
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.07.2017
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse755
Artikel-Nr.2144907
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Überraschend schnell ging die Wohnungstür wieder. Offenbar hatte ich mich im Glotzen auf das Fenster gegenüber vergessen, wo nach der Oma von eben nichts passiert war. Nun wurde ich vom Geräusch eines Schlüssels im Schloss und näher kommendem Schlurfen wieder zu mir gebracht.

Ich saß mit dem Rücken zur Küchentür und stocherte mit der Volksbankkarte, die Lefa zurückgelassen hatte, lustlos im Coca- oder Waschpulverhaufen auf dem Tisch.

»Wieso, zum Teufel, bist du schon wieder da?«, fragte ich. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie lange ich schon dasaß, plärrte aber trotzdem im Militärton: »Hast du alle unsere Probleme innerhalb von fünf Minuten gelöst?«

An der Tür, wenige Meter entfernt, atmete jemand dünnlich keuchend.

Irgendwo anders zog jemand die Klospülung, es rumpelte im Geröhr, als wäre etwas ausgesprochen Festes hineingerammt worden. Im Hof wiederum wurde an den Müllbehältern gerüttelt. Die Uhr knirschte vor sich hin, der Atem im Rücken schniebte hin und her, und ich saß da und hörte mir das alles an. Ich drehte mich nicht um. Bald konnte ich aber doch nicht anders, als mich umzudrehen.

Da stand sie, eine fünfzig-/sechzigjährige Frau, und atmete mit halb offenem Mund. Sie hatte lockige rote Haare, runde blassblaue Augen und auf den Wangen zwei Winteräpfel mit verblüffend exakten Umrissen.

»Ach, du bist es«, sagte sie überraschend warm und zutraulich, sah aber immer noch so aus, als könnte sie mich nicht vom Stuhl unterscheiden.

»Tag«, sagte ich.

»Tag.«

»Tag.«

»Ja, guten Tag«, sagte sie und schwirrte in ihren Mikroschuhen zum Herd, füllte den kugelförmigen Pfeifer mit Wasser, stellte ihn auf und drehte das Gas an. Dann starrte sie auf das für mich unsichtbare Irrlicht und sah in ihrer ganzen Knochenhaftigkeit, ihrem dünnen geblümten Kleid, ihren winzigen Schuhen und ihrer Strumpfhosenlosigkeit durch und durch verfroren aus.

Ich schaute sie eine Zeit lang an, bevor ich »ähäm« machte. Sie reagierte nicht. Als Nächstes brachte ich ein Ä zur Welt. Als auch dieses Verbalfeuerwerk keine erkennbare Wirkung zeitigte, versuchte ich es noch mit etwas »Mnja«-artigem, stand dann aber auf und drehte das Gas ab.

»Also, äh«, fuhr ich fort, »ich fürchte, wir sollten kurz, äh, warten, bevor wir Wasser aufsetzen.«

Ich schlug vor, dass wir Platz nahmen. Sie ließ nicht erkennen, ob sie mit ihren Sinnen die in der Luft liegende Kommunikation wahrnahm. Ich versuchte, mir mich oder eher das Trugbild von mir vorzustellen. Sie starrte auf meine Hand wie auf einen toten Fisch und löste bei mir damit das Gefühl aus, dass mir an Stelle der Hand plötzlich ein toter Fisch gewachsen war.

»Also, äh«, sagte ich noch einmal. Anscheinend kippte der Und-und-und-Tag allmählich in Richtung Also-äh-Tag. Ich ließ mich auf meinen Platz plumpsen und ermunterte die Frauensperson mit einer Geste, die an einen Krampf erinnerte, das ebenfalls zu tun. Ihre unübersehbare Unschlüssigkeit hatte in mir das abrupte Bedürfnis aktiviert, in ihrem Zuhause den Gastgeber zu markieren.

Die Geste ließ das Wesen wieder einrasten. Es drehte sich um, setzte sich an den Tisch, brabbelte was von Staub und stand wieder auf, begab sich mit länglichen Schritten zur Spüle, befeuchtete einen Lappen, kehrte damit zum Tisch zurück und schnappte sich mit ihrem feuchten Wischmittel Lefas Häufchen.

»Äh, ja«, sagte ich, als die Dame wieder auf ihrem Platz saß und mit schaudererregend leeren und zugleich geschichtsgesättigten Augen vor sich hin stierte. »Also.«

»Tja«, sagte sie und blickte verträumt in Richtung Firmament. Mir fiel auf, dass ihre Augen die gleiche Farbe wie der Himmel hatten.

»Genau«, sagte ich.

»Genau, das meine ich auch, es war ein Versehen.«

Ich saß, hätte aber lieber gestanden. Und am liebsten wäre ich gerannt. Aber ich saß.

»Ein Versehen, ein Versehen, ein Versehen. Was für ein tragisches Versehen.«

Wir saßen stumm da und schauten in ferne Gefilde Ich hätte fragen müssen, was für ein Versehen, aber ich traute mich nicht. Nachdem wir eine Minute stumm dagesessen und tragisch-träumerisch in ferne Gefilde geschaut hatten, erreichte die Peinlichkeit bei mir den Klingelpunkt, und ich brockte eine Frage raus: »Also, äh, Sie haben doch bestimmt irgendwo Umzugskisten?«

Sie sah aus, als wäre sie aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart zurückgekehrt. Plötzlich wirkte sie erzürnt, schaute mich an und sagte etwas wie »Du bist also einer von denen«. Dann stand sie auf und schliffelte mit übergeradem Rücken übers Parkett.

Ich folgte ihr. Ich dachte, irgendwo gäbe es die Behälter. Es gab aber keine.

Als ich hinter ihr ins Schlafzimmer kam, wurde die Umzugskistenlosigkeit augenfällig. Nach allem zu schließen war die Dame des Hauses wieder ganz woanders gelandet als bei der Kiste, in die sie vielleicht gehört hätte, aber an diese Alternative war jetzt natürlich ganz und gar nicht zu denken, vor allem weil die Kreatur irgendwie so zerbrechlich wirkte, dass man sie aus Versehen hätte umarmen können, wäre sie nicht so ins Auge stechend bruchanfällig gewesen.

»Ein Versehen«, sagte sie. »Ein Versehen.« Mehr kam in Wortform nicht heraus. Anstatt geschwätzig zu werden, öffnete sie einen schockierend massiven Kleiderschrank und befingerte ein uraltes Gewand mit Rosenmuster auf weißem Grund. Von der Sorte gab es in dem für einen Umzugsmann fürchterlichen Aufbewahrungsmöbel bestimmt fünfzehn Stück, die alle so aussahen, als könnten sie bei der kleinsten Berührung zerfasern.

Das fragliche Exemplar schien sich jedoch nicht einmal an der ziemlich heftigen Liebkosung zu stören, die ihm die Frau angedeihen ließ.

Ich stand mit den Händen in den Taschen da und schwitzte stoßweise. Die Frau strich ständig über das Kleid und blickte hinter die Zeiten. Schließlich rettete Lefa die Situation, weil er anrief, eine Zeit lang im lärmigen Führerhaus hallote und dann sagte: »Es ist alles in Ordnung, wir sehn uns gleich.«

»Ist es nicht«, sagte ich.

»Hallo?«

»Es ist nicht«, sagte ich. »Gut. Sondern beschâ¦, also beschwerlich. Komm her!«

Ich brach das Gespräch ab, ließ die Hausherrin in ihrer Zeitschlaufe zurück und ging in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Was anderes fiel mir nicht ein, aber in der Atmosphäre filmischer Beklopptheit hielt ich es nicht länger aus. Ich drehte das Gas auf und gab mit dem Taschendrachen Feuer. Dabei versengte ich mir die Finger. Der Ätzgestank nach angebrannten Nägeln stieg mir in die Nase.

Als ich das Operngespenst wieder hereinrascheln hörte, füllte zähe Beklemmung meinen Rachen wie ein überdimensioniertes Stück Fleisch. Selten möchte man seinem eigenen Bruder dankbar sein, aber als ich jetzt den Schlüssel im Schloss ruckeln hörte, empfand ich tatsächlich etwas Gratefulöses.

Sie waren zu dritt und knallten schiefe Stapel alter gelber Postkisten in den Flur. Der vom Körperbau her an sich schon ziemlich schrankähnliche Lefa legte es darauf an, neben dem Norm-Breitkreuz noch ein bisschen breitschultriger auszusehen. Der Dritte war eine ziemlich kleinformatige, kräftige Kapuzenpullifüllung. In seinen Augen schwelte gehirnchemische Unberechenbarkeit, und auch sonst stellte man lieber keine Vermutungen über seinen relativ normalen Körperbau an.

Mir fiel ein, dass die Mittelgroßen und Mittelmäßigen die Schlimmsten sind. Die haben das stärkste Tauglichkeitsbeweisbedürfnis und schlagen schnell zu. Leider hatte ich diese Erfahrung schon machen müssen. Mir fiel auch ein, dass mir alles mögliche Zeug einfiel. Und. Und, und.

Ich bemühte mich, die Beteiligten miteinander bekannt zu machen: »Das hier ist, äh«, sagte ich und deutete mit dem Zeigefinger auf die Frau wie auf ein Gehegetier.

»Äh, Tag«, sagte Lefa, und die zwei von der Landwehr brummten auch ihr »Tag«.

»Ja also«, fuhr ich fort, »ähm. Äh, also das ist, also sie hier â¦ aber wie isses, haben wir mehr Fahrzeuge?«

Die Frau glitt mental wieder in die richtige Zeit und Position und sagte: »Einen wunderschönen Tag.«

»Einen Hiace und einen Schrottescort«, sagte Lefa. Er sah aus, als würde ihm die viel besprochene delikate Sache erst jetzt dämmern. »Ja, also«, sagte er mit Blick auf die vor der Spüle schwankende delikate Kundin, »dann wollen wir mal.«

Wir begaben uns in den Flur. Durch den Staub wurde nur wenig Licht ins Sechseck gefiltert, wo in der Mitte bleich die gelben Kisten spukten. Lefa stellte mir die Nothelfer vor. Der Name des Kleineren ging an mir vorbei, der Größere nannte sich Hännikäinen. Ich beschloss, ihn auf jeden Fall Breitkreuz zu nennen.

»Was ist das für eine beknackte alte Schachtel?«, fragte der Kleinere. Bedauerlich, dass besagte beknackte Schachtel gerade zur Tür hereingeschwebt kam.

»Na dann«, sagte Lefa. »Na dann. Wir, äh, also, wir, äh. Wenn Sie, Frau äh, wenn Sie schon mal anfangen könnten, die Kisten zu füllen? Wir anderen würden dann inzwischen, inzwischen die anderen Sachen. Also tragen.«

»Es war ein Versehen«, sagte die Frau. Ihre roten Wangen hatten noch deutlichere Umrisse angenommen.

»Genau«, sagte mein Bruder. »Er hat es nicht böse gemeint.«

»Gibt s hier irgendwo ein Herren-WC?«, fragte ich. »Also ein Klo. Ein Klosett. Eine Toilette.«

In der Küche setzte der Kessel zu einem matten Zischeln an, das sich schnell in ein Wispern, in ein Pfeifen und schließlich in ein lärmkräftiges Schrillen verwandelte. Wir standen da, die Kerle die Pranken in den Hüften oder in den Taschen, die Frau die irgendwie durchsichtig ädrigen Hände vor der platten Brust...
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