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Fünf Lieben lang

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am23.08.20191. Auflage
»Eine Meisterklasse des Sinnlichen. Fesselnd, intelligent, unvergesslich.« The Times Literary Supplement Im Alter von zwölf Jahren kennt Paul die Liebe schon. Doch in der Mitte seines Lebens weiß er weniger denn je, wie er sie leben soll. Ein halbes Leben lang erkundet Paul die Liebe, mit Giovanni, Maud und Chloé, im Sommerurlaub in Italien und in New York City. Er liebt bedingungslos und ohne Kompromisse, gibt sich seinem Gegenüber vollkommen hin. Der neue Roman des Bestsellerautors von >Call Me By Your NameCall Me By Your Name< war ein internationaler Bestseller und wurde in einer Oscar-prämierten Verfilmung adaptiert.mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Eine Meisterklasse des Sinnlichen. Fesselnd, intelligent, unvergesslich.« The Times Literary Supplement Im Alter von zwölf Jahren kennt Paul die Liebe schon. Doch in der Mitte seines Lebens weiß er weniger denn je, wie er sie leben soll. Ein halbes Leben lang erkundet Paul die Liebe, mit Giovanni, Maud und Chloé, im Sommerurlaub in Italien und in New York City. Er liebt bedingungslos und ohne Kompromisse, gibt sich seinem Gegenüber vollkommen hin. Der neue Roman des Bestsellerautors von >Call Me By Your NameCall Me By Your Name< war ein internationaler Bestseller und wurde in einer Oscar-prämierten Verfilmung adaptiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423436250
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum23.08.2019
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.4369897
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Frühlingsgefühle

Kaum fällt mein Blick auf die beiden im Lokal, wende ich mich ab, um die Speisekarte am Eingang zu studieren. Wenn sie mich jetzt entdecken, werden sie glauben, ich hätte nur schnell das heutige Angebot überflogen und wäre dann wieder abgezogen. Ich bleibe sogar einen Sekundbruchteil länger stehen, werfe sozusagen einen zweiten Blick auf die Karte. Ich setze die Brille auf und gehe ganz nahe heran an die kleine Schultafel mit den Tagesgerichten, scheinbar vollkommen vertieft, und gleichzeitig registriere ich, dass nichts, kein Wort von dem, was ich lese, zu mir durchdringt. Schließlich, mit einem kaum merklichen Kopfschütteln, das sie als mein übliches Ach, lieber nicht erkennen wird, nehme ich die Brille wieder ab, stecke sie in die Brusttasche und mache auf dem Absatz kehrt, wild entschlossen, so schnell wie möglich diese Ecke, diese Avenue, überhaupt die ganze Innenstadt hinter mir zu lassen. Mein kleiner Auftritt hat sicher keine fünf Sekunden gedauert.

Erst als ich die Madison Avenue hinaufstürme, um dem Renzo & Lucia möglichst rasch zu entfliehen, fällt mir auf, dass ich zittere. Vom Schock, vermutlich. Nein, vor Eifersucht. Oder vor Wut. Dann korrigiere ich mich: vor Angst. Genauer gesagt, vor Scham.

Ich, der Geschädigte, schäme mich allein bei der Vorstellung, von den beiden erwischt zu werden, sie dagegen, die Schuldigen, pfeifen darauf: kein Adrenalinschub, keine sichtbare Verunsicherung bei ihr. Von ihrem Platz in der Mitte des Restaurants hätte sie mir glatt einen vernichtenden Blick zuwerfen können: Dann weißt du es eben.

Ich könnte mir jetzt vormachen, ich hätte das Restaurant nicht betreten, um ihr den Stress und die Aufregung des Ertapptwerdens zu ersparen. Doch mein Herz rast zu schnell, als dass ich mir das abnehmen würde. Ich ärgere mich nicht nur über meinen verlegenen Abgang mit Hundeblick und eingekniffenem Schwanz; ich ärgere mich, dass ich so offensichtlich aufgewühlt bin. Wenn mir jetzt ein Bekannter begegnete, dann würde er wohl fragen: Was ist denn mit dir los? Du siehst ja grauenhaft aus. Sehe ich wirklich grauenhaft aus? So grauenhaft wie damals, als der Anruf kam, mein Vater sei auf der Straße gestürzt und liege bewusstlos in der Notaufnahme, worauf ich ohne Schlüssel, Brieftasche und Ausweis ins Krankenhaus gerast bin? Ist mir doch egal, ob ich grauenhaft aussehe.

Aber es ist mir nicht egal.

Immerhin bin ich so lange im Lokal stehen geblieben, dass sie nicht denken werden, ich wäre bei ihrem Anblick sofort geflüchtet. Raffiniert, diese Taktik.

Der Gedanke gibt mir ein gutes Gefühl, und das gute Gefühl verleiht meinem Gang lebhaften Schwung. Maud würde denken, ich wäre blendend gelaunt, hätte mir den Nachmittag freigegeben und wäre höchstwahrscheinlich auf dem Weg zu ebendem Tennisplatz, auf dem sie und ich uns vor einem knappen Jahr kennengelernt haben.

Nach acht Uhr morgens spiele ich selten Tennis, aber an einem Freitagnachmittag freizumachen und ausnahmsweise auf den Platz zu gehen fühlt sich hervorragend an, zumal an einem so wunderbar frühlingshaften Tag mitten im Spätwinter. Ich rufe Harlan an, meinen Morgenpartner. Er ist Lehrer und geht nach der Schule meist sofort auf den Tennisplatz. Wie üblich antwortet seine Mailbox, und ich spreche ihm eine Nachricht darauf. Dabei sehe ich an der Ecke 67th und Madison einen Crosstown-Bus und beschließe im letzten Moment, auf die andere Parkseite mitzufahren. Das ist zum Tennisplatz zwar ein Umweg, aber ich laufe gern am frühen Nachmittag die Central Park West hinauf. Ich kann Maud ja in zwanzig Minuten von der West Side aus anrufen, um ihre Reaktion zu testen und mir die eiskalte Munterkeit ihres Tonfalls einzuprägen: Sorry, bin grade busy, ruf dich später zurück.

Im Bus versuche ich mich an einer nüchternen Aufzählung. Der Klang von Mauds Stimme, wenn sie sich über meinen Anruf freut, obwohl sie bei einem Arbeitsessen sitzt und jetzt nicht so gut reden kann. Ihr abgelenktes Zögern, wenn sie in einem vollen Lokal sitzt, mit dem Lärm im Hintergrund. Aber so, wie sie ihn angesehen hat, jedem Wort von ihm lauschte, jede Nuance in seinem breiten Grübchengrinsen zu deuten versuchte, den Kopf ihm zugeneigt, fast den seinen berührend, und beide Köpfe fast an die verspiegelte Wand dahinter gelehnt - jeder Kunststudierende hätte das eindeutig als Canova-Pose entlarvt. Sie wird natürlich gar nicht rangehen, wenn ich anrufe. Glücklich der Mann, dessen Begleiterin ihm zuhört, an seinen Lippen hängt, ihn bittet weiterzuerzählen, mach weiter, sagt sie, ich hör dich so gern reden, ihr linker Arm ruht auf der Rückenlehne der Sitzbank, berührt seinen Nacken, streift die Löckchen dort - sie himmelt ihn an. Du kannst alles von mir haben, sagen ihre Augen.

Ihre rechte Hand liegt auf dem Tisch, spielt mit dem Salzstreuer, tut nichts, wartet. Die Geste kenne ich. Er soll ihre Hand berühren.

Sie reden, verschlingen sich dabei aber mit Blicken. Die schlafen doch miteinander, verdammt!

Eine Frau, die ihrer Hand erlaubt, einem Mann so den Nacken zu kraulen, sieht die Sache offensichtlich nicht platonisch. Eine Frau, die sich noch nicht vor dir ausgezogen hat, schaut nicht so zutraulich, so berührungshungrig. Sie kann nicht genug von ihm kriegen. Die sind doch über jede Zurückhaltung hinaus, über verlegene Eingeständnisse, über die rastlose Spannung zwischen zwei Menschen, die sich unwiderstehlich voneinander angezogen fühlen, aber noch nicht miteinander geschlafen haben. Ganz im Gegenteil sind es zwei Menschen, die seit Kurzem miteinander schlafen und noch dauernd aneinander herumfummeln müssen - fummeln, fummeln, fummeln. Sie spielen nach wie vor Flirt, obwohl der Hof längst gemacht ist. Und doch liegt diese Hand so harmlos und traurig auf dem Tisch und streichelt den Salzstreuer - begreift er denn nicht, dass sie wartet, darauf wartet, dass sie endlich berührt wird?

Seit wann schlafen sie wohl miteinander? Seit letzter Woche? Letztem Monat? Ob es wohl hält? Wer ist der Typ? Woher kennt sie ihn? Waren da noch andere? Gab es einen eindeutigen, fassbaren Moment, wo sie beschlossen hat, den Schritt zu wagen und die Seiten zu wechseln? Oder ist es einfach passiert, wie es so schön heißt? Da gehst du eines Tages zum Lunch, er starrt dich an, du begegnest seinem Blick, und plötzlich, nach nur einem halben Glas Wein, holst du tief Luft, und dann rutscht es dir raus, du kannst gar nicht glauben, was du da gerade gesagt hast, aber komischerweise ist er genauso fasziniert wie du, bis es irgendwann der eine nicht mehr aushält und fragt: Kann das denn wahr sein?, und der andere antwortet: Mir geht´s genauso.

Ich beneide die beiden. Sie schlafen miteinander. Und doch bin ich nicht eifersüchtig. Denn vor der Eifersucht fürchte ich mich noch mehr als vor dem Liebesverlust.

Wieso habe ich nicht gemerkt, dass bei ihr etwas im Busch ist? Meistens merkt man ja nicht einmal, dass man überhaupt misstrauisch ist. Man macht sich nicht die Mühe, die Beweismittel zu sammeln, die einem jeden Tag, jede Stunde hingehalten werden, die man aber nicht abbucht auf das Konto namens Herzschmerz, Unmut, Arglist. Die ewigen Yogastunden abends unter der Woche; die Anrufe im Büro, die sie fast nie entgegennimmt; die Drinks nach der Arbeit, die sich regelmäßig in spontane Abendessen verwandeln; der Lesekreis, der sich jedes Mal woanders trifft; die Besprechungen auf der Arbeit, die erst in letzter Sekunde angesetzt werden; der Laptop, den sie etwas zu hastig zuklappt, wenn man ins Zimmer kommt; und ständig diese kryptischen Ja-Nein-Telefonate, angeblich mit ihrer Chefin in Westchester.

Abends raucht sie eine Zigarette und starrt ins Leere, hört Musik und starrt ins Leere - starrt ins Leere, um bei ihm zu sein und nicht bei mir. Sie kommt mir vor wie die verliebten Frauen in den Filmen aus den 1940er-Jahren, jene Frauen, die allein mit dem Schiff reisen, sich auf kein Buch mehr konzentrieren können und nur eines im Sinn haben: nachts an Deck zu promenieren, bis der geliebte Mann wieder auftaucht und sich anschickt, ihnen Feuer zu geben.

Ob sie an ihn dachte, wenn wir zusammen vor dem Fernseher saßen oder ich ihr die Zehen massierte, weil sie gesagt hatte, dass ihr die Füße wehtaten, oder wenn ich sie in der Küche von hinten umarmte und Sex mit ihr wollte? Neue Zweifel beschleichen mich, aber bevor ich sie dingfest machen kann, lösen sie sich schon wieder auf. Besser so. Manches will ich vielleicht gar nicht so genau wissen oder als Bild im Kopf haben. Ob meine Freunde wohl Bescheid wissen? Ob sie versucht haben, es mir beizubringen, sich dann aber zurückgehalten haben, als die Botschaft nicht auf fruchtbaren Boden fiel?

Im Lift hinauf zu seiner Wohnung nestelt sie an seiner Krawatte, so wie sie einmal an meinem Revers genestelt hat, kurz bevor wir bei jemandem klingelten, und hat dabei bereits im Sinn, dass sie, kaum ist die Tür hinter ihnen zu, ihm die Krawatte herunterreißen, sein Hemd aufknöpfen, seinen Gürtel öffnen, ihm die Kleider vom Leib zerren wird. Ich freue mich an dem Gedanken, dass sie ihm bei den Manschettenknöpfen wird helfen wollen, da sie ja glaubt, jeder Mann bräuchte Hilfe beim An- und Ablegen seiner Manschettenknöpfe. Er soll ruhig Angst haben, dass sie an all ihre früheren Liebhaber denkt, wenn sie mit kundigen Fingern seine Manschettenknöpfe löst.

Ich schlendere die Central Park West hinauf, und die Sonne strahlt; ein herrlich klarer Tag. Mit etwas Glück werden Harlan und ich gleich Tennis spielen. Und dann schwitze ich das alles aus, und damit basta. Harlan lässt es krachen auf dem Platz, sobald seine Schule ihn ausgespuckt hat, Vorhand und Rückhand, wir werden spielen wie die...

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Autor

André Aciman, geboren 1951 in Alexandria, studierte Komparatistik in Harvard. Er ist Romancier, Essayist und Dozent für Vergleichende Literaturwissenschaft, zudem schreibt er für verschiedene New Yorker Zeitungen. Sein Roman >Call Me By Your Name